Der alamodische Student

Nun tritt hervor, die Erziehungsergebnis der Deposition und Absolution. Auf einer hohen Stufen, leitet bist du mühsam, langsam emporgeklommen, vom Schützen zum Bacchanten, vom Bacchanten zum Beanus, vom Beanus zum Pennal, und endlich stehst du auf der Höhe im vollen Glanze deiner Würde und siehst auf die Welt, die unter dir liegt, mit unsagbarer Verachtung herab und schaffst dir eine neue Welt, in der allein du dich wohl fühlst. Wir wollen diese Welt und ihren Schöpfer, den Burschen, den vollendeten, vollberechtigten Studenten, uns ansehen und, wie du es erwartest, bewundern. Wir tun damit nur das, was unsere Vorfahren einst taten. Man hat dich in Jahrhunderten verwöhnt, Fürsten dienten dir, denn sie waren stolz, wenn deine Scharen nach Tausenden zu der neu gegründeten Universität heranzogen, und gaben dir Privilegien. Bürger neigten sich vor dir, wie man sich vor einem Kleriker neigt, und verzogen dich und fürchteten dich und — gaben Privilegien. So hast du deine Freiheit vom bürgerlichen Gericht und erkennst nur den Rektor mit dem akademischen Magistrat als deine Obrigkeit an. Und deine Professoren richten dich ungern, sie haben sogar, wer weiß wie oft, in Selbsterniedrigung um deine Gunst gebuhlt, um ihren Säckel durch dich füllen zu lassen, zu deinen Untugenden die Augen geschlossen und stillschweigend deine dreisten Ansprüche zu Privilegien erhoben. Pennale kriechen vor dir, Famulus und Pedellen und Wächter beeifern sich, deinem Winke zu folgen. — Was Wunder, wenn jeder Gang durch die Stadt dir ist wie ein Gang durch ein Königreich; „Dies alles ist mir untertänig.“ — Du nennst dich Agierer, Schoristen, Pennalister, wenn du das Hauptgebiet deiner Tätigkeit, die Erziehung oder Ausbeutung der Neulinge, betrittst, sonst wohl den fröhlichen, herzhaften, redlichen, tapferen, freien Studenten oder Burschen. Um Recht oder Unrecht zu diesen vielen Beiwörtern wollen wir nicht streiten, nicht einmal, ob du den Namen Student wirklich verdienst, aber sehen möchten wir dich doch einmal in vollem Wuchs. —

Kriegerisch ist die Zeit, wehrhaft muß jeder Mann sein, wenn er nicht von dem ersten besten Strolch, deren es zahllose gibt, will unter die Füße getreten werden, wehrhaft erst recht der Student, der trotzig täglich zum Herausfordern bereit ist - nunquam retrorsum — der wie getrieben von Ungeduld oder Unruhe oder deutscher Wanderlust über die Landstraßen zieht, von Rostock vielleicht nach Königsberg, wiederum nach Wittenberg, Jena, Helmstedt, Tübingen, ja, vielleicht gar Leyden oder Kopenhagen noch aufsucht, bevor er in seine Heimat zurückkehrt. Er muß reiten und fahren und wandern, schlagen und stechen und Hunger leiden können, und nur eins lernt er auf seinen vielen Wanderungen niemals ertragen und niemals bezwingen, den Durst. — Sobald der Student nach seiner langen Fahrt in die Universitätsstadt kommt, denkt er nach Anmeldung bei der Nation und Eintragung in deren Liste dran, sich Pfründen und Stipendien zu sichern oder den Beutel edler Gönner sich zu öffnen oder Pennale zu schrauben, denn er muß sich neu herausstaffieren. Ein Student muß wie ein Edelmann auftreten können, denn Kleider machen Leute, und glücklicherweise gibt es auch überall Leute, die Kleider machen und sie sogar herausgeben ohne Bezahlung, wenn man nur gelernt hat, es richtig anzufangen — worauf aber studiert man sonst. Kommt er aus seinem Museum (Wohnung) hervor, der neugeputzte alamodische Student, dann trägt er vergüldete Junkersporen, Edelleute-Degen, weiße Schusterstiefel. Das Wams ist fein zerschnitten und wieder geheftet. Darüber liegt ein „stradiotischer“ Soldatenkoller, eine goldgelbe Schärpe ist oben an der linken Schulter befestigt ober wenigstens um den Leib geschlungen, der breite Hut hat eine wallende Feder, endlich ist um die Schultern ein köstlicher Kaufmannskragen (kurzer Mantel) mit nachlässigem Wurf gelegt, denn der alte, schwere, ehrbare Mantel, der den Körper allzu sehr bedeckt, ist dem alamodischen Studenten zuwider. Hinsichtlich seiner Vorrechte braucht er nicht lange zu fragen, von allen persönlichen Lasten und allen Abgaben ist er frei, solches Recht hat er aus der Zeit, da man den Studenten noch den Klerikern zurechnete. Seine Wohnung ist gegen unliebsame Eingriffe gesichert, dieses Vorrecht stammt noch vom Kaiser, Musaea studiosorum sunt sacra. Zieht ein Schmied ober ein Musikant in seine Nähe, der ihn stört, wenn er am Tage schlafen will, so kann er dessen Wiederabzug erzwingen, gleichfalls braucht er neue Nachbarschaft von Handwerkern, die mit übelriechenden Dingen umgehen, Lohgerbern und Seifensiedern, nicht zu dulden. Auch ist es ihm nicht schwer, eine Wohnung sich zu verschaffen. Steht irgendwo ein Zimmer unbenutzt, so kann der Hauseigentümer gezwungen werden, einen Studenten, der kein Unterkommen finden kann, aufzunehmen, der Preis der Wohnungen überhaupt ist durch Taxation festgesetzt, so daß er nie überteuert werden kann. Oft ist es durch Gesetz verboten, dem Studenten gegen Wechsel Geld zu leihen, tut man's doch, so findet man keine Deckung, denn außer seinen Kleidern hat der Student meistens nur Bücher, und wenn er heimlich bei der Nacht entweicht, ohne seine Schulden zu bezahlen, so dürfen seine Bücher doch nicht mit Beschlag belegt werden.


Nehmen wir an, daß er nach seiner Einrichtung anhebt zu studieren. Am liebsten hört er Publika, aber die Zeilen sind schlecht, und der Professor, der einst fast nur öffentliche Vorlesungen hielt und zu bestimmten verpflichtet war, hat allmählich immer mehr Privata eingeschoben und die Publika zurücktreten lassen, und er sorgt auffallend genau für Vorausbezahlung und hat keine Neigung zum Befristen, denn er kennt seine Leute. Um sie festzuhalten von Semester zu Semester und immer erneute Einnahmen sich zu sichern, dehnt er seine Vorlesungen mächtig aus, ein Student kann, selbst wenn er auf einer einzigen Universität ausdauerte, oft in fünf, sechs und mehr Jahren eine Vorlesung nicht zu Ende hören. Zuweilen findet der Student Tische vor, oft aber nur Bänke, und dann muß er sein Heft zum Nachschreiben auf die Knie legen. Den atamodischen Studenten aber ist das zu umständlich, sie kommen, um nur einzelne Brocken zu erschnappen, die sie gebrauchen können, um sich den Anschein von Gelehrten geben zu können. Hören sie, daß Disputanten ein Kollegium eingerichtet haben, so laufen sie auch herzu, melden sich beim Präses, fragen, leugnen, schreien, stürmen, wüten in der Disputation, ihre Thesen aber schicken sie an Eltern und Patrone mit stolzen Widmungen: „Dedicat Respondens Autor.“ Wie alle jungen Leute hat der Student für die Schwächen seiner Lehrer ein sehr scharfes Auge. Wir werden später sehen, wie die Professoren sich oft ihm gegenüber Blößen gaben und keineswegs dazu geeignet waren, dem Unbändigen Zügel anzulegen. Hier sei nur bemerkt, daß der Student viel lieber zu seinen leiblichen Versorgern geht, die er in seiner Hochachtung Bierprofessor, Brotprofessor, Küchenprofessor nennt. Er redet gerne den Aufwärter Herr Magister an und den Wirt Herr Professor, und das läßt tief blicken.

Über seine Stellung zu den Pennalen ist schon genügend gesprochen. Von diesen schied ihn eine unüberbrückbare Kluft. Wollte er mit einem Pennal Freundschaft, Bruderschaft gar machen, so würde er einen tiefen Fall tun. „Weil die Vögel so an Gefieder einerlei Farben seyn, gemeiniglich scharweise miteinander fliegen, und der, welchen man sonst nicht kennt, gemeiniglich aus seinen Gesellen erkannt wird: so kann der, der sich zu einem solchen gesellet, nicht unbillig durch rechtliche Vermutung selbst für einen solchen geachtet und gehalten werden und diesen kömmt an statten quod adoptio agnationis jus judicat. Agnati aber oder Verwandte sind unter einander so hart und fest verbunden, daß man von ihnen, es sei einer des andern Geblüts fähig und teilhaftig, nicht unbillig sagen kann. Derowegen hat er auch das Ansehen, daß derjenige, der mit einem Pennal verkehrt, aus demselben Mehl und Gebäck sei, und der unfreundlich und tyrannisch ist, daß er seine Autorität und guten Namen, weichen ihm so lieb als sein eigen Leib und Leben sein soll, in die Schantze schlägt, einer Degradation wohl wert ist.“

So tief also sieht ein Pennal unter einem Studenten, aber tief unter einem Pennal steht der Nichtstudierende, der Extraneus. Diesem gegenüber wird der Pennal für vollgültig erachtet. „Darum frage ich sofort ob ein Pennal höher steht als ein Schmutzo. Ganz unbedingt, denn was der Studiosus ist bei den Pennalen, ist der Pennal unter den Pechen und noch viel mehr.“ Die Bürger sind ihm nichts, nicht einmal animal, bestia oder monstrum, wie der Pennal, nur die Unterlage, die nötig ist, um darauf fest, hoch und warm zu stehen ober zu sitzen. Wie wir hörten, nennt er sie Schmutzo, Peche ober Beche, auch Bären, ihre Weiber nennt er alte Hummeln, ihre Tochter leichtfertige Säcke. Wird er von ihnen angeredet als Student, so schreit er, ihm sei die höchste Schmach angetan, er will dann Edler ober Junker heißen. Gehen sie an seiner Wohnung vorüber, so sticht er ihnen einen Gecken oder Esel, verhöhnt und beschnarcht sie, wirft mit Steinen und schießt mit Blasrohren Tonkugeln den Nachbarn in die Fenster. Ihre Drohungen machen ihm besondere Freude, wagen sie sich zur Beschwerde in seine Wohnung, so dürfen sie froh sein, wenn er nicht alsbald mit dem Degen über sie herfällt und sie blutig hinaustreibt. Um die Gunst ihrer Töchter buhlt er, indem er den „Trabwurf mit Zitronen und wohlriechenden Eiern ins Fensterlein macht, abends draußen vernehmlich seufzt und girrt“. Ja, er, der Stolze, bequemt sich zur Schusterzither (Gesang), laßt wohl gar Musik bringen und spart nichts für Geschenke an „taffeten Schurztüchern, Ringen und dergleichen, kleidet sich in des Mäbchens Farben und schenkt der Magd zum Jahrmarkt einen neuen Pelz“. Wenn aber die Schöne nichts von ihm missen will, wohl gar Herz und Hand einem wackern Bürgersohn schenkt und einen gediegenen Haushalt einer verlorenen Zukunft vorzieht, dann wird der Ärger des Verschmähten groß. Am liebsten überfällt er den Nebenbuhler mit Genossen in einsamer Gasse und richtet ihn erbärmlich zu. Ja, er ärgert sich eigentlich über jede Hochzeit eines jungen Paares aus der Stadt, als wäre sie für ihn eine Beleidigung, weswegen er gern an den Kirchtüren steht und die Brautleute verhöhnt, in größerer Schar unvermutet in das Hochzeitshaus dringt, sich ungeladen über das Bier hermacht und alles austrinkt, daß den Gästen nichts bleibt, alle, die ihm Widerstand leisten, Männer und Weiber, ohne weiteres heftig prügelt, Rippen zerschlägt, mit Degen sticht: Gibt`s für den Trotzigen, Gewalttätigen noch etwas Heiliges außer seiner Person und seiner Verbindung? Einem Toten, der auf seinem letzten Wege gerade an dem Hause, worin sie zechten, vorübergetragen wurde, ließen sie mit Trompeten ein Feldstückchen aufblasen. In der Kirche vertreiben sie sich während des Gottesdienstes die Zeit damit, daß sie Maulschellen und Nasenstüber an die Pennale austeilen, lärmend lachen, störend murmeln oder laut zanken. „Solche Studenten haben auf den Dörfern sich auf die Kanzel gedrungen, den Pfarrer mit prahlerischen Worten überschwatzt, in ziemlichen Räuschen gepredigt, die Bauern mit seltsamen Schwänken zum Lachen gebracht, dann auch Sackpfeifen und Schalmeien bestellt, die Greten und Elfen aus den Ställen an den Tanz gezwungen, daselbst gesprungen und gespeiet.“ Der Bauer, der zur Stadt seine Waren bringt, sieht ihn nur mit Argwohn in die Nähe seines Wagens kommen, und wenn eine größere Schar gar ihn umsteht, weiß er, daß alsbald Schelmstücke geplant werden. Die Butter, die Hühner, die Eier verschwinden ihm unter den Händen, seinem zankenden Weibe stellen sie ein Bein, und wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. —

Hoffentlich ist der Leser durch diese Dinge nicht zu sehr abgeschreckt, denn ich beabsichtige jetzt, ihn aufzufordern, mit dem rechtschaffenen Studenten einen ganzen Tag zu verbringen.

Wir klopfen, da wir natürlich Frühaufsteher sind, des Morgens neun Uhr bei einem Studenten an. Es antwortet uns tiefes Schnarchen, das von großer Übung und Gründlichkeit Zeugnis ablegt. Der Herr liegt noch zu Bett, verschlafen kommt sein Diener zum Vorschein, ein Galgengesicht mit Zügen wie das eines „in der Hölle ausgebrüteten Buben“. Wir wollen warten, und da er nichts dagegen hat, sehen wir uns einstweilen in der Stube um. An der Wand hängen Raufdegen, Schlagdegen und Dolche, fein geputzt die einen, verbogen und verrostet die andern, letztere sind für den Rektor bestimmt, wenn dieser einmal dem Herrn für zu große Raufhändel seine Waffen abfordert, so sagt der Diener. Auch sehen wir Puffer und Büchsen, von denen eine erst am gestrigen Abende dazu gedient hat, in der Vorstadt zwischen den Strohdächern zu knallen, daß die Brandfunken flogen. Nachlässig über einen Stuhl hingeworfen liegt ein Wams — die gewöhnliche Kleidung hat der Schlafende noch an — und dieses Wams ist seltsamer Art, inwendig mit Werg und Baumwolle, Haar und Fischbein dicht gemacht, um gegen den Stich zu Schützen, und es trägt Spuren, die zeigen, daß es seine Schuldigkeit getan hat. Auf dem Tisch stehen und liegen große Humpen, Gläser, Karten, Brettspiel, Würfel, Zauberkarten und lose Bücher, wie Amadis, Schäferei, Rollwagen, Gartengesellschaft, Schimpf und Ernst ober dergleichen. Im übrigen ist von Büchern nicht viel zu sehen, nur unter einer Bank an der Wand entdecken wir einige verstaubte Bände, und auf der Bank vielleicht ein zerdrücktes, viel beschriebenes Heft. Wir denken, daß wir daraus am Ende etwas über die Studien des Herrn erfahren können — ganz recht, er hat genau angemerkt, wie dieser niedergelassen war, jener Däuse gehabt hatte und dennoch einen Stich verspielt. Mehr Möbel und Geräte finden wir nicht in der Stube, sosehr wir Umschau halten. Die Stunden sind langsam vorgerückt, und kurz vor Mittag tut der Herr den ersten Schnaufer, der anzeigt, daß er am Erwachen ist. Jetzt folgt ein gräulicher Fluch, und der Diener, dem die Bedeutung bekannt ist, tritt ein. Der Herr ist mürrisch, während er sich kämmt und sein Haar kräuselt und sich putzt. Es ist Zeit, daß er zu Tisch muß, also macht er sich auf, isst aber wenig und spricht wenig und kann keinen Scherz vertragen oder erwidern, sondern bringt nur tölpische Stockereien und Unflätigkeiten vor. Nach Tisch muß er schlafen oder geht mit seinem Pennal etwas umher, läßt sich vom gestrigen Abend das erzählen, was er nicht mehr weiß, und macht Anstalten, ein Kolleg zu besuchen. Doch halt — er geht nur bis an die Tür - dadurch dürfte er sich doch vor den übrigen nicht bloßstellen, daß er nach dem Lernen etwas fragte. Aber horchen auf die Stimme des Professors, sich einzelne Sätze und Ausdrücke merken, um sie später einmal zum Ergötzen seiner Genossen entstellt wiederzugeben, das versteht er gründlich, und das erste Lächeln stiegt über sein Angesicht. Sinnend überlegt er draußen, ob er sich Kumpane suchen soll zum Doppeln, ob er zum Fechtmeister oder zum Ballschlagen gehen soll, oder soll er ein Weilchen sich im Pfeifen, auf der Maultrommel, auf der Strohfiedel üben? Oder — da kommt einer seiner Genossen in atemlosem Laufe und erzählt ihm, daß er soeben sei von einem wohlgekleideten Manne auf der Straße höflich angeredet und nach unserm Studenten und dessen Wohnung gefragt, da er der Vater sei, der von dem losen Leben seines Sohnes gehört habe und nun einmal nach dem Rechten sehen wollte. Was tun? Pah — ein rechter Student und in Verlegenheit? Da ist Freund X oder Y gerade verreist - eigentlich kein Freund und redlicher Genosse, weil er viel zu viel studiert und zu Hause hockt, aber nun ist er ein Retter in der Not und zwar, weil er gerade auf einige Tage verreist ist. Höchst erfreut begrüßt der Student seinen Vater und führt ihn aus des andern Stube. Da sieht alles fein ordentlich aus, gelehrte Bücher liegen aufgeschlagen auf dem Tische, Tinte und Feder hat sich unser Student noch von seinem Pennal zustecken lassen, das Hausgerät ist sauber; und nun beginnt er seine eben aufgefangenen Brocken gelehrt zu verwenden. Dabei läßt er einfließen, daß er etliche der Bücher erst neu gekauft habe und noch den Buchführer und den Buchbinder bezahlen müsste, das letzte Geld, was er eigentlich zum Anzuge zurückgelegt, gleichfalls auf Bücher lieber verwendet, und der erfreute Vater kauft ihm einen Anzug und bezahlt ihm seine Bücher und erkundigt sich, wie es doch möglich sei, daß man von seinem Sohn so Schlimmes erzahlt habe. Ja, heißt es, da gäbe es noch einen andern dieses Namens, bei dem träfe das alles zu. Also zieht der Vater zufrieden davon, die Mutter daheim ist hocherfreut und sendet ihm heimlich Geld zu, und der Student versetzt seinen Anzug und denkt nicht daran, daß er Schulden zu bezahlen hat, obwohl er große Bären angebunden, sondern denkt, wie er am Abend möchte sich von den gewaltigen Anstrengungen des Tages mit gutem Gewissen erholen. Alt und Jung, Reich und Arm, Vornehm und Gering war damals regiert vom Saufteufel. Aber von allen Trinkern unterschied sich der Student, indem er das Rohe mit Sinn zu erfüllen suchte und sich aus dem Trinken gleichsam einen poetischen Genuß schuf. Vielleicht trank er noch mehr als alle, aber man geht nicht einfach angeekelt vorüber, sondern sieht ein Weilchen dem Gelage zu und hört auf die Sprüche und erforscht gern den Sinn der Bräuche. Wagten es doch nicht selten Mägdlein, den Einladungen zu einem Gelage zu folgen. „Daselbst,“ erzählt ein Zeitgenosse, „habe ich an einem Tisch junge Gesellen und Jungfrauen immer Paar und Paar, wie Tauben und Täuber pflegen, ringsherum sitzen sehen, und da hat ein jeder Junggeselle der neben ihm sitzenden Jungfer einen seiner Goldfinger an ihrem angehäkelt und mit der andern Hand fassten sie unter einem Becher, reckten die Mäulchen ganz hart und fest zusammen, natürlich wie Tauben, wenn sie sich in vicem schnäbeln, und tranken also beide aus dem Trinkgeschirr zugleich, und damit solcher lieblichen und mir damals selbst anmutigen Gesellschaft hernach nicht leicht vergessen würde, gab eines dem andern als zur Obsignation und Versieglung derselben einen ausbündigen freundlichen Kuss. Und wäre wohl zu wünschen, daß eine solche Solennität zu trinken allenthalben in Schwung käme, dürfte auch wohl einem der allerschlimmste Trunk besser als der allerbeste Wein schmecken. Aber es ist leichter zu besorgen, es werde solches schwerlich wegen etlicher ungehobelter Gesellen nicht leicht können aufkommen. Und wenn es aufkäme, würde es dennoch leicht ihretwegen wiederum zu Grund und Boden gehen.“ Ich glaub`s auch, es würde nicht ein jeder genügsam und geschickt genug bei solchem Spiel gewesen sein, und ausbündig seine Stadtherren werden es nur ohne Anstoß zu Ende gebracht haben. Aber wir bemerkten doch schon bei der Deposition und Absolution, daß Jungfrauen es nicht verschmähten, solchen Spielen zuzuschauen; noch heute sehen wir bei festlichen Trinkgelagen der Studenten „rings auf hohem Balkone die Damen in schönem Kranz.“ Was Wunder, wenn sie in jener Zeit,, wo sie etwas herzhafter waren, in die Reihe rückten? Daher die Frage, wenn einem Studenten von andern ein Trunk zugemutet wurde, der nicht leicht zu bewältigen war: „Wird dann auch eine Jungfrau, so einem an den Seiten sitzet, etwa ein wenig dürfen helfen ein Tränklein tun? Ja, ja, in alle Wege, quia minima non curat Praetor. — Wie aber, wenn das gute Mägdelein etwas durstig wäre, und ein eben starkes Söffchen täte? Ei, so können wir es nicht lassen geschehen: Denn das geschehe zum Betruge, welches keine Circumvention zulasset. Es maßet sich aber eine solche Jungfrau eines mehren an, als sonst nicht leicht geschieht, weil sie sonst selten viel, wenn man es sieht zu trinken pflegen. Leges autem ad id, quod frequentius fit, feruntur.“ und das beruhigt uns, denn mir denken Schließlich doch bei uns, daß es den guten Mägdlein besser wäre, wenn sie solchen Konversationibus fern blieben. Und ein rechter trunkfester Student denkt das auch, aber aus einem andern Grunde. Die Gegenwart des weiblichen Geschlechts beengt ihn und verhindert die übrigen an der vollen Hingabe an das Werk, das den ganzen Mann fordert.

An Ursache zum Trinken wird's heute abend nicht fehlen, denn es sind Gäste da, und es gilt, die Ehre der Nation hochzuhalten und allerlei wertvolle Gefäße ihnen zu Ehren in Gebrauch zu nehmen. Da ist zuerst Poculum gratulatorium, der Willkomm, das große Glas auf dem Simse, das „dem neuen Gast offeriert wird, der sich gleichsam darüber entsetzet und wegen der gräulichen, ungeheuren Last des Guckucks erblasset.“ Man bittet freundlich, daß er solches zum Zeugnis angenehmer und lieber Ankunft akzeptieren und annehmen und wo nicht auf einen Trunk, doch bei seiner guten Weile evakuieren und austrinken wollte. — Es gibt noch andere Trinkgefäße, von denen man gern wieder einmal den Staub abwischt, z. B. „das römische Reich, dessen Kraft und Gewalt so groß und mächtig ist, daß es wohl auch dem aller stärksten Herkulem ober Sauf-Ritter dürfte ein Bein stellen und wieder Gottes Boden darnieder werfen. Und auf solche Manier pflegen sonderlich in Niedersachsen auch wohl ihrer viere zu trinken aus einer Kanne, die da entweder mit Bier oder Wein gefüllt ist, auf folgende Weise, daß die ersten drei jeder einen Trunk tut, der vierte aber muß das andere alles, was noch hinterstellig, exficuieren und austrocknen. Und diese liebliche Kurzweil nennen sie „den Fuchs schleppen.“ Wohl gibt es Leute, die bei einem Gelage als Heldentat ansehen, aus einer Speiseschüssel zu trinken, einem Filzhut oder alten Schuhen, aber das sind Gärsthämmel, und was man von jenem Saukuntschel erzählt, daß er sechs ganze Simonisfische oder gesalzene Bauernkarpfen (Heringe) in die Kanne geworfen, um sie zugleich mit dem Bier gar meisterlich auszutrinken, gehört wohl mehr zu den Scherzen, die man bei Neulingen auftischt, aber keinem ehrliebenden Studenten.

Was den oben ermahnten Guckuck anlangt, so kann uns unser Student das Wort sehr wohl deuten und zur freundlichen Ergötzung seiner Nachbarn, der Gäste, noch manches Wort gesalbter Rebe hinzutun. Das Wittenberger Bier heißt Guckuck und ist ein gräuliches Getränk, viel Schlimmer aber noch das Leipziger gekräuterte, Bauch zerreißende Nastrum. Hamburger Bier nährt und macht ein gut Geblüt. In Halle loben sie Puff und in Westfalen Keut, aber beide Getränke sind so dünn, daß sich einem der Magen dabei umdreht. Der Brandenburger alte Klaus macht faul. Berühmt ist mit Recht Braunschweiger Mumme, aber stärker ist Güftrower Knifenack und wert, daß man darum eine weite Reise tut, man wird schon merken, wie er eiserne Nacken beugt. Tückisch wirkt Boizenburger Bit den Kirl, gefährlich der Kyritzer Mord und Dodflag. Hannoverscher Broyhan erhebt hoch, und Wernigeroder Lumpenbier erniedrigt. Eimbecker Bier ist gesund und gut gegen Fieber. Aber die Krone alles Bieres ist der Rostocker Zyth.“

Einer der Gäste, der seiner Zeit auch in Rostock studierte, gibt der Rede begeisterten Beifall, und das bewegt den Erzähler so sehr, daß er ihm alsbald Bruderschaft anbietet. Er sagt: „Wenn ich dem Herrn nicht zu jung oder zu geringe wäre, wollte ich ihm eines auf gute Kundschaft und Brüderschaft bringen.“ Darauf antwortet der andere: „Trink her in Gottes Namen, es soll mir sehr lieb sein.“ Darauf trinkt er aus, und indem er das wieder eingeschenkte Trinkgeschirr seinem neuen Bruder zustellet, gebraucht er dieses Wort und spricht: „Mein Name heißt N. N., ich will tun, was dir lieb ist, und lassen, was dir leid ist.“ Darauf antwortet der andere: „Und eben desgleichen will ich in allem auch tun.“ Und nach Verrichtung dessen schweigen sie ein wenig still und bitten darauf, daß solche Bruderschaft durch öfteres Besuchen, so von einem gegen den anderen geschehen soll, möge bestätigt und vollzogen werden. Dann binden sie beide einer dem andern einen Nestel von ihrer Hose an das Wams.

Jetzt sind die Gemüter warm geworden. Man schreitet zum Gesundheitstrinken nach der Ordnung, so daß niemand übergangen, sondern allen zugetrunken wird, wie sie nacheinander sitzen. Man trinkt sich selbstverständlich dabei nur Ganze zu und zwar floricos, bei welcher Gelegenheit man seine Kunst zeigen kann: Der weit geöffnete Mund umschließt oben möglichst des Glases Öffnung, mit einem Satz wird der ganze Trunk in die Gurgel gegossen, so daß in dem Glase die weißen Gischtbläschen, flores, sich zeigen. Wer dieser Kunst nicht mächtig ist, darf hausticos trinken, den Ganzen schluckweise auf einen Zug, und wer selbst darauf nicht Bescheid zu tun vermöchte, „ei, das wäre eine große Schande, was alle und jede können, nicht können. Das wird nicht unbillig einem hinterlistigen Betruge kompariert und gleichgerechnet. Deswegen wird der Herr auf diesmal nicht können entschuldiget werden. Sondern mag vielmehr ansetzen und mit einem starken Zuge so lange anhalten, bis ihm die Augen glitzen.“ Dabei muß er stehend und mit entblößtem Haupte auf die Bestärkung der Gesundheit eines guten Freundes den Trunk leisten. Es ist sicherlich ein gutes Ding, einem andern seine Gesundheit verbessern helfen, nur daß dieser andere nicht darf in der Gesellschaft zugegen sein. Denn die Sitte, daß jemand in seiner Gegenwart andere Leute auf seine Gesundheit trinken lasse, schickt sich nicht für einen Politikum und höflichen Mann, sondern für einen übel gesitteten Schulfuchs. „Ja, es wird auch manchem für eine große Unhöflichkeit gesprochen und angerechnet, wenn er ohne einige Widerrede oder Protestation auf Gesundheit eines seiner nächsten Verwandten einen Gesundheitstrunk läßt ansahen und herumgehen (den Löffelsgesellchen aber ist gar sonderlich gestattet und zugelassen, daß sie auf ihres Liebchen Gesundheit, ob sie gleich selbst zugegen seien, einen wunschreichen Soff nach dem andern zu sich nehmen).“

Bisher ist noch immer eine würdige Ordnung innegehalten. Jetzt beginnt man sich außer der Reihe nach Belieben zuzutrinken. Propino vestrae dominationi unum. — Ex animo respondebo. Proficiat dominationi vestrae! - Also der höfliche Student; nun erzählt er: Da war einmal ein Pennal, der saß mit vielen zu Tische, und als er einem vornehmen Herrn zutrinken wollte, aber nicht mußte, wie solches anfangen, starrte er verlegen auf den Tisch, Sein Nachbar glaubte, er kenne ein neues Gericht nicht und sagte zu ihm: „Est Artocreas“ (Es ist eine Pastete). Da fand er Mut und rief: „Domine Antocrea, propino, dominationi vestrae unum.“ Und als bei Tisch die Rede darauf kommt, daß bei einem Mahl beim Käse ein Epigramm herumgegeben sei, ruft er laut: „Heda, Herr Wirt! Den nächsten Schmaus gebe ich! Da bitte ich mir aus, daß Ihr für solches gute Gericht Sorge tragt.“ Seine Briefe schreibt dieser Pennal ohne Datum, weil nach seiner Behauptung das Datum ja im Kalender stehe. Er ist zum Präzeptor mehrerer Jungen angenommen, und als er sie einst beutelt, werfen sie ihn die Treppe hinunter. Ein Vorüber-gehender sagt zu ihm: „Ihr müsst aber viele Vorteile haben, daß ihr das vertragt.“ „Nur die Ehre,“ sagt der Pennal wichtig. —

Die ruhige Stimmung wird plötzlich unterbrochen, als einer sich weigert, dem Zutrinkenden Bescheid zu tun. Da fährt der auf: „Bei allen Teufeln, den Schimpf laß ich mir von dem alten Weibe, dem Saugdenzipfel, dem Küßdenpfennig, nicht nachsagen. Hat man je einen solchen Schulfuchs gesehen, solchen Kalmäuser und Tintenfresser? Das fordert Sühne!“ Mit Mühe wird von einigen der Streit beigelegt, der andere tut Bescheid, der Gekränkte ist sofort zufriedengestellt, und zum Zeichen, daß alles vergessen ist, beißt er beim Trinken ein Stück aus dem Glase und schmettert es zu Boden. —

Jetzt schlägt jemand ein Trinkspiel vor, z. B. das Königspiel. Jemand, der trunkfest ist, wird mit königlicher Würde ausgestattet, und die andern müssen gehorchen, die Widerstrebenden verdonnert er, und sie müssen sich mit schwerer Mühe lösen. Auch gibt es eine Bacchusdisputation, wobei die Zuhörer kleinere Becher haben, der Opponent einen Humpen, womit er in dreifachem Schluck das jus objeetionis darstellt, der Respondent durch dreimaliges Trinken diesen Syllogismus annimmt, der Präses das übrige austrinkt.

Oder es bilden sich zwei große Parteien, Kaiserliche und Schweden, die mit schwererem Geschütz, mit Gläsern und Kannen, sich niederstrecken wollen.

Einige raue Kehlen singen:

Wer will unser Bruder sein,
Schenk sich drei, und viermal ein.
Trink mit andern immer mehr,
Bis das Faß zum Boden leer.

Trink für Papst und trink für König,
Scheer um ein Gesetz sich wenig,
Hier gilt unser Trinkgesetz,
Der Freunde Hoffnung bis zuletzt.

Einer springt auf und will seine Fertigkeit im Zutrinken zeigen, oben auf der Bank steht er und trinkt unter einem Bein hindurch, ein zweiter trinkt durch den Arm, ein dritter den Kopf über sich, Kopf unter sich, ein anderer läßt sich das Bier gar durch einen Trichter, während er am Boden liegt, einschütten.

Der Rest ist — nicht Schweigen. Jetzt brechen die Studenten, um ihren Rausch auszutoben, auf die Gassen aus. Wer von den Bürgern den ungefügten Lärm hört, macht sich eiligst davon. Die Ruhestörer zerteilen sich in Gruppen oder rennen einzeln mit besonderen Plänen davon. Der eine will seinem Liebchen noch ein Lied bringen, sie zeigt sich nicht, obwohl er mit Stentorstimme singt, er foppt den Wächter, der ihm Schweigen gebietet, prügelt ihn oder wird geprügelt. Andere wollen einem missliebigen Professor ein Pereat bringen; damit sie aber nicht erkannt werden, wollen sie, daß die Straßen ganz dunkel seien. Wo noch ein Licht am Fenster sich zeigt, heischt alsbald eine raue Kehle: „Licht weg!“ Und wenn der Bürger nicht sofort gehorcht und das Licht auslöscht, werfen sie ihm die Fenster ein. Vor dem Hause des Professors tönt es schon: „Pereat N. N. — Pereat N. N. tief!“ Dagegen erhebt eine andere Partei, die des Gekränkten sich annimmt. Sofort den Ruf: „Pereat contra!“ „Contra sieh, du Hundsfott!“ Schallt es zurück. Alsbald ist die Rauferei im Gange. Ein irgendwohin Verschlagener weiß seinem zornigen Mute nicht anders Ausdruck zu geben, als daß er den Degen auf den Steinen wetzt, daß die Funken stieben und der scharfe Laut weithin dringt. Ein anderer sieht's und glaubt es als Herausforderung nehmen zu müssen, hält sich für beleidigt und wetzt contra. Da stoßen sie schon zusammen. — Etliche brüllen, grunzen, toben, als wären sie unsinnig, und wissen für ihr tierisches Benehmen keinen Grund. Den ruhig dahinschreitenden Bürger fallen sie an: „Bist du besser als ein Galgendieb, so nimm es mit mir auf!“ Hilfsbereite kommen aus den nächsten Häusern herbei, es entwickelt sich mit Steinen und Knütteln eine große Prügelei. Zuweilen wird jemand erstochen, oft zum Krüppel für das ganze Leben gemacht.

Ich schließe den Abschnitt mit etlichen Spottversen, die das Leben des flotten Studenten veranschaulichen. „Triumphierendes Prosit, so den Herrn Professoren
„Purschen, als sie ihr Recht in einer solennen Disputation erhalten, zurufet Bacchus, collegii subterranei Director et p. t. Decanus:
Hem, Professorenbulrsi, nunc rufite Juchhei!
Lustigeoaque simul multos anstimmite Liedroa.
Schmausite et in tiefam sub schmausis saufite Nachtam.
Non etenim vobis unquam bona bieria fehlunt.
Namque Halberetadicam Breihanam, Gartia, Durchstein
Et Zerbstenbirium in menga semper habetis.
Adsunt et longae Pfeiffae et Bremense Tabacum
Cum cranzo. Vobis vero si geldria desunt.
Nemodo sorgatis, nam scitis vivere Credit,
Optimus hic semper vestrum curator et hülffa.
Ergo precor tieffam studiorum hinlegite sorgam,
Quisqne suo Freundo zusprechat eumque beachmausat.
Trinckite cum gantzia, et ne quid bleibat in humpis,
In naglum daumi postremam giessite guttam.
Si bene schmausistis, tandem grassaten eatis,
Hauite in steinos, ut Feurum springat ab illis,
Rufite Juch, juchhei! Cum Degis, krizite fiz faz,
Donec frümorgens tandem post Betta gehatis.
Sic ergo vobis commendo lusticitatem,
Freyheytaa vestras dum Dissertatio praesens
Juraque defendit; quare brauchatis eisdem,
Porroque subjectos habeatie Convictoriatas
At tibi, Respondens, tantos glückwünscho profestus,
Inaue tuum florikos nunc trinckat quisque salutem!

Den in diesen Versen durchklingenden scharfen Gegensatz zwischen Professorenburschen und Konviktoristen mag der nächste Abschnitt beleuchten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Studentenleben im 17. Jahrhundert