Der Kampf gegen den Pennalismus

Es hat dies siebzehnte Jahrhundert trotz der Greuel der Verwüstung, die sich nicht nur an heiligen Stätten, sondern in allen Volksschichten, an den Fürstenhöfen und im Lagerleben, auf den Universitäten und den Dörfern zeigten, dadurch Anziehungskraft, daß sich der Kampf des Neuen mit dem Alten im öffentlichen Leben dort noch deutlicher offenbart als im Jahrhundert der Reformation. Unsere Hochachtung vor der mächtigen Kraft, die den Kampf gegen die Zersetzung unverzagt fortführte, den sie schon vor einem Jahrhundert aufgenommen hatte, wächst bei jedem Schritte vorwärts durch das Jahrhundert. Nur der ungeschichtliche Sinn läßt das Auge allein weilen auf dem traurigen Bilde des endlichen Zusammenbruchs eines Baues, der durch sieben Jahrhunderte bestanden hat, sieht nur den Qualm über lodernden Dorfstätten, den Dunst blutgetränkter Schlachtfelder, den Nebel, der Hungersnot und Pest wie ein langwallendes Gewand hinter sich dreinschleppen. Der ungetrübte Blick des Geschichtsfreundes sieht
alsbald, daß der Bauer wieder pflügt, der Lehrer lehrt, der Bürger hämmert und sägt, der Beamte anleitet und der Fürst regiert. Ja, es erfaßt uns Rührung und Stolz, wenn wir, nachdem der große Krieg ausgetobt hat und alles mit Moder und Totengebeinen bedeckt sein müsste, plötzlich entdecken, daß das Volk wieder überall arbeitet. Jetzt erst zeigt sich die Wirkung des Geistes, den die Reformation befreit hatte. Nichts ist ungerechter, als zu behaupten, daß er nur den Verfall gebracht. Er fand das Volk im Niedergange vor und ist allerdings nicht im Stande, das, was das Mittelalter verschuldet, mit einem Schlage wieder gutzumachen, das Volk bis in alle Tiefen hinein zu verjüngen. Er wirft sich dem Sturz des Gebäudes entgegen, aber vermag es nicht dauernd zu stützen, es bricht über ihm zusammen, aber mitten aus der Staubwolke ringt er sich hervor, ungebrochenen Mutes, und nun beginnt er seinerseits das Bauen, langsam und vorsichtig, so in dem Staat wie in der Stadt, um den einzelnen herum und in ihm. Diese Erkenntnis ist es, die den Gang durch das siebzehnte Jahrhundert, der manchem wie ein Gang durch öde Nacht erscheint, stets wieder anziehend macht, man sieht die leisen Andeutungen des kommenden Tages, man ahnt das Werden eines neuen Reiches. —
Wie ich früher sagte, sehe ich die deutschen Studentenverbindungen wie eine Schöpfung reformatorischen Geistes an. Aber was in ihnen hässlich war, der oft erwähnte als Pennalismus, das heißt also die rohe Vergewaltigung, Vexierung und Ausbeutung der Neulinge durch die älteren Studenten, stammt aus dem Mittelalter. Es liegt etwas Zünftisches in ihm. Der Kaufmannsgeselle in Bergen ließ die Lehrlinge gleichsam durch Feuer und Wasser gehen, brachte sie beim Rauchspiele dem Erstickungstode nahe und lachte höchlichst ergötzt über ihre verzweifelten Gebärden, geißelte sie, daß das Hemd in Blut starrte und nötigte sie dann zur Aufwartung bei Tische. Männer wollte er erziehen, aber er benahm sich dabei wie eine rohe Bestie. Die Seeleute warfen im Angesichte gewisser Vorgebirge die Jungen, welche zum erstenmal vorübersegelten, an Stricken gefesselt ins Wasser und ließen sie so oft untertauchen, daß sie halb ertrunken schließlich wieder an Bord gehisst wurden. Die Münzer jagten ihre Neulinge in Narrenkleidern durch die Stadt und strichen sie wöchentlich zweimal durch eine bestimmte Zeit mit Ruten. Wir finden im Mittelalter fast überall den Brauch, die zu hänseln, die in die Lehre treten, anfänglich wohl nur, um ihren Mut, ihre Kraft und Nerven zu prüfen, später bei der Ausartung, um sich ein rohes Vergnügen zu verschaffen. Auch ist es überall Brauch, daß der Lehrling den Gesellen Beisteuer zu einem Schmause geben muß, und die Forderungen an den Geldbeutel steigern sich im Laufe der Zeit.

So ist denn das Pennalisieren nichts, was aus der Freiheit der Reformation, sondern was aus dem mittelalterlichen Verfall stammt, und wenn Eiferer gegen die Unsitte in ihrem sonst berechtigten Unwillen soweit damals gingen, daß sie behaupteten, der Pennalismus habe sich nur auf den lutherischen Universitäten eingebürgert, so beweist das, daß sie die Bewegung überhaupt nicht verstanden. Es zeichneten sich allerdings einige lutherische Universitäten, z. B. Jena, darin aus, aber den reformierten und katholischen war er sehr wohl bekannt. Man kann einfach auf den alten Brauch der Lateinschulen verweisen, wo schon die Bacchanten die Schützen gerade so ausbeuteten und misshandelten, wie später die Studenten die Pennale. Das Unwesen würde bei letzteren allerdings dadurch auf den Gipfel der Ausartung gebracht, daß sich die Nationen seiner annahmen, gleichsam System hineinbrachten; sie billigten nicht nur die Vexierungen, sondern sie ordneten sie an, deckten die Pennalisierer mit ihrer großen Macht und wehrten sich aufs äußerste gegen alle Maßregeln der Behörden, als gälte es, ihr eigentliches Heiligtum zu verteidigen. Darin liegt ihre Schuld. Jeder Stoß gegen das Pennalwesen mußte zugleich die Nationen treffen, es gewinnt eine Zeitlang den Anschein, als würden sie mit ihm unterworfen werden, fallen und vergehen. Dann tauchen sie geläutert wieder auf, und die Reformation hat über das Mittelalter gesiegt.


Der Kampf gegen den Pennalismus entwickelt sich wie der Verlauf einer Schlacht. Erst gehen Plänkler vor, werden zurückgedrängt und drängen wieder an; dann entspinnt sich der Kampf auf der ganzen Linie, im entscheidenden Augenblicke werden die Reserven herangezogen, und der letzte Sturm verhilft zum Siege. Darnach deckt der Gegner seinen Rückzug, um sich, allerdings mit sehr geschwächten Kräften, immer aber noch trotzig, wieder zu sammeln. Man kann nicht sagen, daß die Universitätsbehörden allzu lange gezögert hatten, in den Kampf einzutreten, vielmehr lesen wir schon hier und da von 1610 ab Verbote des Pennalismus; die sehr scharfen Ausdrücke beweisen, daß man dessen Verderben für das Studium sehr klar erkennt und zum Eingriff sich rüstet. „Durch diese schlimme Krankheit,“ heißt es wohl, „dieser und anderer Akademien wird wie durch pestartigen Brand und Krebs diese Akademie aufgerieben und schwindet zusammen. Wiewohl wir wiederholt beschlossen haben, durch die allerschwersten Strafen ihre Urheber wie faule Leichname vom gesunden und unversehrten akademischen Körper abzuschneiden, unsere ernstesten Erlasse durch Gesetze gefestigt und durch Strafen ausgerüstet haben, hat dennoch die eisenfeste, ja stahlharte Bosheit bisher nicht unterdrückt werden können, daß sie nicht alle Augenblicke gleichsam wie eine Flut herausbräche.“ Man erinnerte die Studenten an ihren Eid, durch den sie bei Beziehen der Universität Gehorsam geschworen gegen bestehende oder zu erlassene Gesetze, verbot, sich um die Nation zu kümmern und drohte die Relegation cum infamia für alle Zeiten. — Insbesondere taten sich Jena und Rostock im Kampfesernst hervor, wo freilich auch wohl der Pennalismus die ärgsten Auswüchse trieb. Noch aber war die Zeit nicht urteilsreif. Wenn die Kunde von dem wüsten Studentenleben wirklich einmal in weitere Kreise hinausdrang, gedachte der Vater mit Lächeln seiner Jugend, wie er es auch nicht anders gemacht, der Pastor tröstete ein unruhiges Gemeindeglied, daß nach seiner früheren Erfahrung die Sache auf den Universitäten nicht Schlimmer sei als bei andern jungen Gesellen in Gewerk und Handel, die Zeit aber war dazu geneigt, ziemliche Rohheiten gelassen zu ertragen, als müßten sie so sein, ihre Nerven waren stark.

Hier und da erhob nun wohl ein ernster Rektor seine mahnende Stimme laut, ließ seine Öffentlich an der Universität gehaltene Rede drucken und sandte sie in die Welt hinaus. Er nannte die Schoristen dann rücksichtslos Wölfe an Raubgier, Ochsen wegen ihres nächtlichen Brüllens, Tyrannen durch ihre Härte, Spötter wegen ihrer Gottlosigkeit. Er erzählte, was er selbst gesehen oder glaubwürdig erfahren, daß z. B. die Schoristen im Auditorium, das Gott und dem Studium geweiht wäre, gesoffen und sich geprügelt hätten, die verschlossenen Türen an Sonntagen betrunken aufgesprengt, dann vom Katheder geredet und die Stimme der Lehrer nachgemacht. Ja er konnte Fälle berichten, in denen ein Pennal durch die Schoristen zu Tode mißhandelt war. — Oder einer jener wackern lutherischen Pastoren, die Menschenfurcht nicht kannten, kündigte in einer Predigt auf der Universitätsstadt an, daß er am nächsten Sonntage gegen das Unwesen predigen würde. Dann suchten sich etwa die Schoristen in seiner nächsten Nachbarschaft die Wohnung eines Pennals, zwangen diesen zum Traktieren und lärmten und schimpften laut und tranken tobend auf das Verderben aller Patrone der Pennale. Die Predigt wurde dennoch gehalten, war ehrlich gemeint, sie deckte rückhaltlos alle Schädlichkeiten und Gefahren auf, nahm auch die stets vorgeschützten guten Zwecke der Nationen vor, Hegung der Freundschaft, Unterstützung der Armen, Pflege der Kranken, Ausgleichung der Händel, Erziehung der Jugend, und zeigte schlagend, wie das Gute längst vergessen und überall vom Bösen verdrängt war. Die scharf Vernommenen waren ihm, wie er offen auf der Kanzel sagte, Saurüssel, Vollfresser, Schlingochsen, Gassenräuber, Geilspatzen. Er benutzte die Worte: „So oft ich mich diesen Guckucken, die ihren eigenen Namen immerdar, wiewohl über andern, im Schnabel führen, erinnere, kann ich mir keine Scythen, Goten, Tartaren, Mohren (denn sie sind Menschen), keine Wölfe, Bären, Basilisken (denn sie sind Tiere), keine Asmodi, Beelzebub, Satan, Belial, Behemoth, Leviathan (denn sie sind Teufel oder des Teufels Figuren) vorbilden, sondern weit hässlichere, garstigere und abscheulichere Dinger, daß auch in der Armut deutscher Zungen kein Wort zu finden, so die Bosheit genugsam ausspreche.“ Sein ehrliches Poltern hatte zunächst natürlich die Wirkung, daß in einer der nächsten Nächte ein fürchterliches Gebrüll vor seinem Hause sich erhob, man stieß arge Drohungen gegen ihn aus und warf ihm wohl die Fenster ein. Ja, es kam vor, daß ein Pastor, der nicht minder offen seinen Unwillen gegen die Schoristen ausgesprochen, beschimpft und in Gegenwart von Frau und Kindern geprügelt wurde.

Aber solche furchtlosen Zeugnisse machten doch Eindruck, zumal wenn sie gedruckt und reichlich verbreitet wurden. Sie schärften den Behörden die Gewissen und trieben sie bei gebotener Gelegenheit zu entschlossenem Vorgehen. Einer der Fälle, die zum Einschreiten Veranlassung gaben, mag hier genauer erzählt werden.

Im Jahre 1639 (man beachte, daß die hier geschilderten Kämpfe mitten in die heilloseste Zeit des großen Krieges fallen) kam Theodor Holtzdorf zum Rektor der Universität Rostock und beschwerte sich über Folgendes: Sein Pennaljahr sei jetzt auf itzliche Tage verflossen, er wolle nach Kopenhagen reisen, da er eine Kondition bekommen. Er sei zum Senior ihrer Nation (Märker), Höpner, gegangen und habe ihn gebeten, daß er möchte absolviert werden, der aber habe geantwortet, es wäre in der Nation beschlossen, sechs Wochen übers Jahr nachzubleiben. Darauf geht Holtzdorf mit zwei andern zu ihm und bittet, die Nation zu berufen, Höpner aber erklärt, er wollte es so haben: Hielte er nicht ein Jahr, sechs Wochen, sechs Tage, sechs Stunden, sechs Minuten aus, so sollte ihm nachgeschrieben werden. (Denn auch in Kopenhagen herrschte der Pennalismus, und jene Universität stand in Kartellverhältnis zu der deutschen). Holtzdorf bat zum dritten male und erhielt denselben Bescheid. Später sandte der geärgerte Senior ihm einen Konvokanten zu, ihn zu sich zu fordern. Er lehnte es ab, weil er keine Schuhe habe. Abermals schickte Höpner, er sollte kommen, sonst sollte ihm etwas widerfahren, auch sollte er den Brief von Kopenhagen mitbringen. Er antwortete, er käme nicht, er könnte es zulassen, daß er zu ihm käme; und als der Konvokant das Höpner sagte, schlug dieser ihm dafür ins Gesicht, aber der Getroffene wehrte sich. Höpner versuchte nun ein anderes Mittel, den Pennal in seine Gewalt zu bringen, ging zu einem Burschen, bei dem er noch mehrere zuzog aus einer andern Nation (Lüneburger) und bestellte Holtzdorf dorthin, dieser aber schob wieder seinen Schuhmangel vor. Man schickte ihm Schuhe, er verweigerte die Benutzung, denn er wußte, was man ihm zugedacht hatte. Die Lüneburger hatten vor einigen Tagen einen Junioren bekommen, dem sie Salz in die Nase gestopft und Hede darüber gestoßen mit einem Stock und also gerieben, daß er bluten müssen. Darnach hatten sie ihm Bricken an die Haare gebunden und ihm dieselben im Gesicht entzweigeschlagen. Andern hatten sie Haare und Bart weggenommen. (Weil er, Holtzdorf, hiervon solchen Abscheu gehabt, hatten sie 20 Reichstaler in die Nation gefordert, er habe es mit Tränen auf 4½ Reichstaler erhalten, auch gegeben.) — Darauf abends zwischen 9 und 10 Uhr kamen ihrer fünfe, darunter Höpner, mit bloßen Degen in seines Wirtes Haus, er aber versteckte sich. Jetzt klagten also der geängstigte Pennal und auch sein Wirt beim Rektor, der die Sache alsbald sehr ernst auffasste und seine Kollegen mit fortzog. Alle schoristischen und pennalistischen Handlungen wurden untersagt. Gegen die Übertreter des Verbotes sollten folgende Strafen in Anwendung kommen: Man wollte seitens der Behörde in ihre Heimat an Obrigkeit, Eltern und Verwandte schreiben, sie zurückzurufen. Geschähe solches nicht, sollten sie relegiert werden. Kein Professor sollte die Trotzigen an seinem Tische dulden, kein Konvikt sie speisen, sie sollten an keiner Disputation zugelassen werden und in Rostock gar keine Zeugnisse, Ehren, Titel und dergleichen von der Universität erhalten. Da ferner bei den frühem Verboten die Studenten den Ausweg gefunden, daß wohl der Pennalismus verboten sei, aber nicht die Verbindung, so wurde nun ausdrücklich allen aufgegeben, ihren Austritt aus den Nationen zu erklären. Die Senioren und Fiskale sollten ihre Titel ablegen, keine Neulinge aufnehmen, keine Zusammenkünfte mehr berufen, kein Geld mehr für die Kasse fordern usw.

Dieses anscheinend entschlossene Vorgehen hatte nur geringen Erfolg. Der Senior der Märker ging aus Rostock fort und vielleicht eine ziemliche Anzahl aus der Nation mit ihm. Drei Jahre später war das Unwesen in voller Blüte, unverkümmert bestanden die Nationen fort, unbeirrt wurde weiter pennalisiert. Abermals wurden Programme veröffentlicht, die das Verbot gegen die Versammlungen der schändlichen Schmarotzer, Prasser, geldverschlingenden Geier erneuerten. Bloße Anmeldung bei der Nation sollte mit Relegation bestraft werben, Eide wurden den Ankommenden abgenommen, den Verbindungen nicht beizutreten, und als neue Strafe drohte Kirchenzucht, Verweigerung der Absolution und Ausschließung vom Abendmahl. Der erste Angriff hatte aber die neun Nationen in Rostock zur festen Vereinigung getrieben. Der Eid wurde umgangen, indem man dafür sorgte, daß, ehe er geschworen wurde, schon die Anmeldung bei der Nation geschehen war, und gegen die Kirchenzucht und sonstigen Drohungen richteten alle Studenten einmütig ein sehr besonnen gehaltenes und geschickt abgefasstes Schreiben, worin sie erklärten: „Gegen Ausschreitungen wollten sie dem Rektor beistehen, die Pennalerei bekämpfen, aber der Respekt der Jüngeren vor den Älteren müsste bleiben, wenn die Akademie nicht auf den Stand der Trivial-Schulen herabsinken sollte. Die Zusammenkünfte zur Ergötzung zu verbieten, läge keine Ursache vor. Gegen die Schmähworte setzten sie ihre studentische Würde. Die einstigen Stifter der Nationen seien jetzt hochangesehene Männer in Ehren und Würden, ob diese denn zugäben, daß sie einst einer Schelmenzunft gedient hätten?“ Der Widerspruch stärkte sich schließlich so sehr, daß ein Auszug aus der Stadt zu drohen schien. Die Professoren bekämpften sich selbst im Konzil. Schließlich erreichten die Studenten einen Vergleiche in dem ihnen freundschaftlichen Zusammenschluss der Landsleute und gelegentliche Zusammenkünfte zugestanden wurden gegen Abtuung des Unfugs, d. h. es blieb eigentlich alles beim Alten.

In Jena kam es bald auch zu einer Auseinandersetzung 1644. Bei einem Pennalschmause brach Uneinigkeit aus, der Pennal, der der Gasigeber war schlug etliche nieder und suchte dann natürlich gegen die Wut der Burschen sein Heil in der Flucht. Er stürzte ins fürstliche Schloß. Seine Gegner wollten ihn herausholen und rannten gegen das Tor, einer brach hindurch, wurde nun inwendig festgenommen. Jetzt rotteten sich die Massen zusammen, schossen sogar gegen das Schloß und verlangten Herausgabe, und die Sache wurde so gefährlich, daß der Herzog Wilhelm, dem alsbald nach Weimar Bericht gesandt war, mit etlichen hundert Mann Landvolk und Soldaten, auch mit zwei Geschützen, anrückte, den Markt und die Gassen besetzte und sich so zum Herrn der Lage machte. Alle Studenten würden gezwungen, ins Kolleg zu kommen, und wurden dort entwaffnet, die Haupträdelsführer in Haft genommen. Mehr aber wagte man nicht gegen die Empörer zu tun, um den Bogen nicht allzu straff zu spannen. Man erneuerte die schon früher gegebenen Verbote und Drohungen, ähnlich wie in Rostock, und eigentlich blieb wieder alles beim Alten. —

In gleicher Weile wurde der Kampf auf der ganzen Linie betrieben, alle Universitäten versuchten den Angriff, und überall wurden zunächst die Behörden zurückgeworfen. Um die Möglichkeit eines jahrzehntelangen Widerstandes zu verstehen, muß man bedenken, welche Macht die Studenten auf den Universitäten stellten, sobald sie geschlossen vorgingen. Natürlich schwankten die Zahlen des Bestandes in der unsicheren Zeit, bald zogen sich die Studenten von der kriegsbedrängten Gegend fort, bald flüchteten sie vor der Pest. Aber immerhin dürfen wir annehmen, daß in der Kampfeszeit Rostock über 800, Jena gegen 1200 Studenten zählte. Leipzig brachte seine Zahl gar auf mehrere Tausende. Diese aber waren kräftige, waffenkundige junge Männer, die im tollen Mute vor Gefahren nicht zurückbebten, sondern sie oft herausforderten; dazu kam, daß sie völlig geordnet und gegliedert waren und in entscheidender Stunde geschlossen unter ihren Führern, den Senioren, dahermarschierten. Stürmten die Haufen unwillig, aufgeregt, erbittert durch die Gassen, dann bedeuteten sie eine Macht, vor der mehr als einmal Rektor und Konzil erbebten, der Ruf „Bursche heraus“ war den ruhigen Bürgern ein Schreckensruf, denn man konnte dann wohl annehmen, daß Blut geflossen war oder fließen würde. In Leipzig tobte einmal in den Straßen ein Kampf zwischen Studenten und Soldaten, erstere wurden zurückgedrängt und machten ihr Kollegiengebäude zur Festung. Karzerstürmen war nichts Seltenes. Die Ermahnungen der Pedelle wurden verlacht. Was hatte man aber für Strafen, den Trotz zu dämpfen? Im Anfange des Jahrhunderts war es in Rostock noch möglich gewesen, einem Gesetzesübertreter aufzugeben, eine Rede des Cicero auswendig zu lernen und sie später vor dem Konzil aufzusagen. Aber hernach wirkten selbst Geldbußen, die man ohnehin nicht so hoch bemessen konnte, und Relegationen nichts mehr. Die Betroffenen zogen lachend auf andere Universitäten, wo man sie als Helden feierte, oder die Studenten machten deren Sache zur gemeinsamen und erhoben sich und drohten im schlimmsten Falle mit dem Wegzuge. Nun aber lebten besonders die kleineren Städte ganz allein von den Studenten. Es war nichts Geringes, wenn plötzlich tausend Mann den Rücken wandten und sich über die anderen Universitätsstädte zerstreuten, natürlich erschraken die Bürger vor solcher Drohung noch mehr, als vor dem Toben der Aufgeregten.

Nicht leicht waren die Studenten mit der äußersten Maßregel bei der Hand, denn sie bedeutete doch zunächst für einen großen Teil eine lange Zeit der Entbehrung und des Mangels, aber es fehlt durchaus nicht an Versuchen, sie anzuwenden. Dabei ist zu beachten, daß die Pennale, um derentwillen zumeist der Krieg entbrannt war, unbedingt auf Seiten der Studenten standen, sie wollten gar nicht befreit sein; hatten sie so lange das Joch getragen, so wollten sie es noch weiter tragen bis ans Ende, um dann in die Vorteile einzutreten und nun wieder von dem Nachwuchse zu leben, oder sie waren zum blinden Gehorsam durch Furcht erzogen, genug, von den Pennalen wäre wohl kaum jemand bei einem Auszuge zurückgeblieben, schon in der Erkenntnis, daß er alsbald auf allen Universitäten verfehmt wäre.

Es ist erklärlich, daß gegenüber solcher Macht auch die Professoren oft verzagten und furchtsam zurücktraten oder kleinlaut den Kopf hängen ließen. Auch die Professoren waren Kinder der Zeit, die meisten hatten ein böses Gewissen, weil sie in ihrer Jugend einst das getrieben hatten, was sie nun anfochten, und die Studenten sagten es, wie ich bemerkt, gerade ins Gesicht. Ihr eigenes Leben war vielfach nicht derart angelegt, daß es die Prüfung eines scharfen Sittenrichters vertragen konnte. Wir erfahren, daß sie gelegentlich auf einer Universität die Zeit, wo alles drunter und drüber ging, wahrnahmen, um Kapitalien der Universität zu unterschlagen und unter sich zu teilen; Hunger und Darben, das sie mit ihren Familien zu ertragen hatten, beraubte sie wohl des frischen Mutes und des Ehrgefühls, sie gönnten sich oft gegenseitig das Brat nicht und versuchten sich die Zuhörer abspenstig zu machen, sie freuten sich über Niederlagen, die ihr Nebenbuhler erlitt, sie erhoben in den Konzilssitzungen gereizte Vorwürfe gegeneinander, wollten immer dem Nächsten die Schuld am Sittenverfall zuschieben — und sorgten wohl selbst dafür, daß die Studenten erfuhren, wie sie für die angefochtene Sache eingetreten, damit doch ja die Studenten dankbarerweise ihre Kollegien füllten und ihnen die Gulden zuwandten, die sie dem gehassten Gegner entzogen. War es nicht eine angenehme Sache gewesen, mit den Studenten bei den Pennalschmausen zu trinken, immer auf fremde Kosten? Hatte es sich nicht gelohnt, daß man gelegentlich einmal ein Auge zudrückte? — Die bessere Hälfte hatte es geraten und wie immer recht gehabt, denn die klingenden Talerstücke verkündigten ein sehr eindringliches Lob der Umsichtigen. Dazu kam, daß sie selbst daran dachten, nächstens einen Sohn auf die Universität zu schicken, für den man die Gunst der Studenten rechtzeitig erwerben mußte, daß man auf die Verwandtschaft und Freundschaft und die Gunst der Mächtigen Rücksicht nehmen mußte. Es geschah wiederholt, daß die Fürsten des Landes durch ihren Machtspruch die Relegation aushoben, ein Hofgerichtsrat drohte, es würde kein adliger Student mehr auf die Universität kommen, Magistrate der Städte nahmen zuweilen sich der Verurteilten an, von den Bürgern zu schweigen. Und endlich standen Universitäten gegen Universitäten. Wenn irgendwo scharfe Maßregeln gegen den Pennalismus ergriffen wurden, dann freuten sich wohl im stillen andere Hochschulen, denn dann durfte man erwarten, daß die eine Universität an Zahl gewinnen würde, was die andere verlor. Als der mutige Rostocker Pastor, von dem oben geredet, mächtig seine „Friedensposaune“ gegen die Studenten Schalen ließ und seine Schriften an andere Universitäten sandte, um sie alle zum Einschreiten aufzurufen, hielten die Leipziger Professoren ihn nicht einer Antwort wert. Der Schuster solle bei seinem Leisten bleiben, es gezieme sich nicht für einen Geistlichen, sich um die Sachen sehr zu bekümmern, die mit seinem Amte nichts zu tun hätten. Und als Wittenberg sie aufrief zu gemeinsamem Kampfe, lehnten sie ihn ab, weil sie nicht mit dem Auslande in Kartell treten wollten.

Aber das gemeinsame Vorgehen würde doch durchgesetzt. Es ging so, wie es heute geht mit dem Kampf zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. Anfangs sind die Arbeiter die starken, weil sie geschlossen marschieren und streiten, und ein Besitzer sieht mit gewisser Schadenfreude auf den durch den Streik Betroffenen, weil ihm mehr Arbeit zufließt. Dann aber allmählich fühlt jeder Besitzer an eigenem Leibe die wachsende Macht der Arbeiter, und durch die Not sehen sich dann die Arbeitgeber ihrerseits gedrängt, sich zu verbinden, und wenn sie fest zusammenhalten, gehört ihnen immer der Sieg.

Vom Jahre 1638 an betrieb besonders Wittenberg in beharrlicher Weise das Werk der Einigung der Universitäten gegen den Pennalismus. Die Vorschläge waren sehr verständig. Jeder Rektor, jeder Professor sollte die Sache zur eigenen machen, den säumigen Kollegen antreiben, und wenn es sich um das Gericht gegen solche handelte, die Tischburschen eines Professors waren, sollte letzterer nicht an der Beratung teilnehmen. Der Schorist sollte zum Ersatz des Schadens angehalten und dann relegiert werden, und das Urteil sollte in seine Vaterstadt gelangen und an alle vereinigten Universitäten, und nirgends sollte er wieder aufgenommen werden. Nur die relegierende Universität sollte einem ernstlich Reuigen nach freiem Ermessen Verzeihung gewahren dürfen. Alle Neuzuziehenden sollten mit der Ordnung bekannt und durch einen Eid gebunden werden. Wer aber zwei- oder dreimal als rückfällig relegiert war, sollte nie wieder aufgenommen werden. Alle Stadtobrigkeiten sollten um Beistand gebeten sein und die Pedelle zum eifrigen Nachspüren angetrieben.

Noch tobte der große Krieg, noch ging der Verkehr von einer Universität zur andern langsam und unsicher, es wurden von den lauernden Studenten Senatsbriefe aufgefangen und beseitigt; aber endlich war doch ein Bund von acht Hochschulen gegen den Pennalismus zustande gekommen. Damit war ein großer Schritt vorwärts getan. Diese Einsichtigeren setzten sich später in Verbindung mit den Landesfürsten, die sich nach dem Abschluß des westfälischen Friedens wieder mehr um die inneren Angelegenheiten kümmern konnten und drängten darauf, daß sie, wenn sie einen Reichstag bezögen, versuchen sollten, die Stände zum Beistande bei der Bekämpfung des Verderbens zu veranlassen. So setzten die Kurfürsten und Stände augsburgischer Konfession 1654 auf dem Reichstage zu Regensburg durch, daß Pennalismus und Nationalismus scharf bei Gefängnisstrafe verboten wurde; den Relegierten sollte im Staate kein Ehrenamt zugänglich sein und Ausschluss von Diensten im geistlichen und weltlichen Stande folgen. Solcher Beschluss ging nun zur Veröffentlichung am schwarzen Brett allen Universitäten zu.

Der Leser wird doch nicht etwa meinen, daß bei dem Auffahren schweren Geschützes die Studenten sehr schnell den Mut verloren hätten? Ich denke, er hat sie besser beurteilen gelernt. In demselben Jahre noch, als man in Jena den Studenten das Degentragen verbot, zogen sie durch die Stadt, und jeder ließ sich seinen Degen aus einem Schubkarren nachfahren. In Rostock aber sah man bei einem gleichen Verbote 1656 am dritten Tage die Bedrohten in langem Zuge aufziehen, zwei und zwei nebeneinander, stolz den Degen umgürtet; sie hielten eine Protestversammlung, in der es zur Erwägung stand, ob man nicht das Haus des Rektors stürmen sollte, und dann ließen die Professoren sich wieder zu Verhandlungen herbei, und die Studentenschaft siegte, indem man das Verbot nur für Kirche, Kolleg und Wirtshaus gelten ließ. In Jena mußte sich die Masse noch wiederholt in Tumulten austoben, bevor sie allmählich nachgab. Es war alte Sitte, daß Jenaer Studenten auf die Naumburger Messe zogen, um dort allerlei Unfug zu treiben. Damals nun ritt einer in gräulichem Narrenhabit auf einer langen Stange herum und sogar in die Kirche. Andere bestellten, weil einer unter ihnen unterwegs gestorben wäre, ein ordentliches Leichenbegängnis, bezahlten die Geistlichkeit und die Schule. Der Sarg wurde unter großem Geleite auf den Gottesacker gebracht, dort noch einmal geöffnet, und darin lag — ein Hering. — Durch einen Schwarm Studenten wurde der Wagen einer durchreisenden Fürstin angehalten, einer stieg hinein und drehte ihr den Hut um mit den Worten: „Ich geb einen Dreier und dreh einmal.“

Solcher Übermut gab Veranlassung, daß schärfere Verordnungen seitens des Herzogs gegen die Studenten ergingen. 1665 kamen zwei in Jena im Mai Relegierte im Juni schon zurück und trieben ihre Tollheiten noch ärger als vorher. Auf die Beschwerde des Konzils sandte der Herzog Wilhelm einige Räte aus Weimar zur Untersuchung, und da die Studenten ob dieses Eingriffes in ihr Vorrecht sehr unruhig waren, so wurde eine Bürgerwacht bestellt. Bald darnach brach in einer Nacht ein Tumult der über diese ungewohnte Sache erregten Studenten aus, und die Wache wurde beschimpft, indessen gelang es, einige Studenten zu fassen und auf den Karzer zu setzen, worauf ein Sturm ausbrach, der sich auf die Befreiung der Genossen richtete. Eingeschüchtert gab man nach und begnügte sich mit der Weisung an die Freigelassenen, Stubenarrest zu nehmen. Die Professoren traten dann zusammen zur Beratung über Bestrafung des einen Aufwieglers mit Relegation, aber gegen hundert Studenten drangen zu ihnen und drohten, daß sie sich des Gemaßregelten annehmen würden, weswegen man keine Relegation wagte. Der Herzog befahl Verstärkung der Bürgerwehr. In den nächsten Nächten entstand darob ein größerer Tumult, abermals ward die Wache beschimpft, und viele ehrliche Leute wurden gekränkt. Der Prediger bat am Sonntag mit Tränen von der Kanzel, von der gottlosen Weise abzulassen, vergebens; in der Nacht brach der Lärm wieder los, so daß der Fürst befahl, der ganze Bürgerschaftsausschuss sollte mit geladenem Gewehr antreten. Am Abend griffen die Studenten mit Steinen und Puffert an, der Offizier ließ feuern, und es fielen vier Studenten. Daraus absolvierten die Studenten alle Pennale und erklärten ihre Absicht, alle nach andern Universitäten zu ziehen; wer zurückbleibe, solle unehrlich sein. Der Herzog bot schnell aus der Ritterschaft und den Bauern eine große Mannschaft auf zu Fuß und zu Roß, zog heran, ließ die Rädelsführer fangen; die andern wurden gezwungen zu geloben, alles abzutun, was sie gegen die Universität gehabt hätten. Dann wurden die alten Gesetze gegen den Pennalismus verschärft und veröffentlicht. Kein Pennal solle sich in Zukunft noch durch seine Tracht kenntlich machen. Diese Niederlage scheint die Studenten in ihrer Widerstandskraft gebrochen zu haben.

In den Sechziger Jahren begegnen wir den letzten Zuckungen des Pennalismus. Hier und da wollen die Pennale ihrer absonderlichen Kleidung nicht entsagen, ja, sie gehen auf die Dörfer und leiden Hunger, nur um ihre Tracht zu behalten. Relegierung, Fenster einwerfen, Rotten, Relegierung — so ungefähr hört man es überallher schallen. 1662 müssen die Nationen in Rostock ihre Bücher, Laden und Siegel abliefern, und sie gehorchen. Das geschlossene Vorgehen der Behörden hat gesiegt. Man hört am Schluß des Jahrzehntes nirgends mehr etwas Wichtiges über den Pennalismus.

Sehr zu beklagen wäre es gewesen, wenn in diesem Kampfe, in dem die Nationen sich mit dem Pennalismus eins erklärt hatten, erstere mit letzterem zugleich verschwunden wären. Bald aber kann man merken, daß zunächst im geheimen, nach wenigen Jahren aber ganz öffentlich sich die Verbindungen an allen Universitäten wieder auftun, in Wirklichkeit waren sie wohl niemals ganz eingegangen. Senioren, Fiskale, Bücher, Konvente, Laden — alles fand sich wieder vor, nur daß das wüste Agieren der Pennale nicht wieder aufgenommen wurde und man etwa einen Professor ober Pastor am Orte um Übernahme des Patronates und Aufbewahrung der Lade in seinem Hause ersuchte. Schon daraus ergibt sich eine große Veränderung in der Lebensrichtung der Verbindung. Im Studenteneid stand allerdings die Formel: „Ich schwöre auch, daß ich mich von den nationalen Kollegien oder irgend welchen verbotenen Verbindungen durchaus fernhalten will, die Absolution nicht dulden und nicht erteilen und dazu für den Antritt und für den Abgang nichts erlegen, versprechen, anbieten oder auch von selbst Angebotenes zulassen, auch nicht über andere Studenten Herrschaft ergreifen oder den sich solche Anmaßenden gehorchen.“ Aber man sah die Verbindungen als neue an, die nicht zu den einst verbotenen gehörten; der Eidabschnitt wurde allmählich gegenstandslos, und es wurde dann wohl seine Aufhebung beantragt. Auf manchen Universitäten erhielt sich sogar der Beanismus und die Deposition bis tief ins nächste Jahrhundert hinein, so in Jena und Wittenberg, nur daß man eifrig und richtig versicherte, daß die Handlung mit dem Pennalismus und der Absolution nichts zu tun habe, und alles Rohe dabei wegließ, man zeigte z. B. nur noch alte Marterinstrumente vor und erklärte ihre Bedeutung, um Ermahnungen daran zu knüpfen. Bald fielen auch die Possen weg, kurz, man lenkte in das mildere Fuchswesen über. Dennoch entsinne ich mich gar wohl, daß ein alter Lehrer mir früher erzählte, daß es ihm noch vorgekommen sei als Fuchs, daß gelegentlich bemooste Häupter, die ihn besucht, ihm ohne weiteres einen ihnen gefallenden Pfeifenkopf, Tabaksbeutel oder dergleichen weggenommen hätten und gegen seine entrüsteten Proteste nur das Wort gehabt: „Schweig still, Fuchs!“ Da würde also noch in diesem Jahrhundert ein Rest des Pennalismus zum Vorschein gekommen sein.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Studentenleben im 17. Jahrhundert