Der Graduierte

Auf Grund der früheren Darlegungen könnte ein Leser zu dem Gedanken kommen, als ob wegen der vielen bösen Beispiele und Versuchungen auf der Universität der junge Student, oft zum Laster sogar gezwungen, notwendig immer verkommen müsste. Zur Beruhigung darf ich wohl sagen, daß es den meisten damals ging, wie es noch heute geht. Das Toben und Tollen hat nur eine Zeitlang Reiz, dann beginnt das Verständnis für die Pflicht sich durchzuringen. Ich will jetzt also ein freundliches Bild vorführen und stelle mir einen jungen Studenten vor, der durch Deposition und Absolution gegangen ist, auch in vollen Zügen eine Zeitlang das Studentenleben auf der Höhe genossen hat, dann sich angeekelt abwendet und nun in erwachendem Ehrgeize sich um die Erwerbung rechten Ansehens bemüht und festen Blickes auf die Stufen schaut, die er erklimmen muß, um den höchsten Rang unter den Graduierten, den Doktor, zu erlangen.

Da gibt`s genug Prüfungen, die durch ihre Gründlichkeit ursprünglich das noch nicht vorhandene Abiturienten-Examen, sowie die späteren Amtsexamina ersetzen. Der strebsame Jüngling wurde einst beim Beginn seiner Studien im Mittelalter Auditor grammaticorum und trieb als solcher lateinische Schriftsteller, wurde dann Studiosus laureae, indem er zur Philosophie, Mathematik, zum Griechischen und zum Disputieren überging, und erreichte durch eine Prüfung den Baccalaureus, den untersten Grad nach einem Studium von etwa zwei Jahren. Weiter drang er vor zum Candidatus magistcrii und erlangte durch eine Prüfung die Würde des Magisters. Später folgte die Licentia Doctorandi, Erlaubnis, den Doktorengrad zu erwerben, dann war er Licentiat. Den Schluß machte die höchste Würde, der Doktor. Im 17. Jahrhundert ist diese Ordnung vielfach verwirrt, oft ist der Baccalaureus mit dem Magister, der Licentiat mit dem Doktor verbunden, und da eigentlich einheitliche Praxis nur noch bei der Erteilung des letzten Grades bewahrt wird, so mag die Schilderung, wie jemand Doktor wird, hier nach einer Überlieferung aus Rostock folgen, die freilich erst von 1738 erhalten ist, aber die ursprünglichen alten Gebräuche deutlich darlegt.


Der Doktorand muß eingeschriebenes Mitglied der Universität sein, den Doctor in absentia, die Schmach späterer Zeit, kennt man zum Glück noch nicht. Er begibt sich zu dem Dekan, um seinen Namen anzugeben und die nötigen Ausweise über seine Person, seine bisherigen Würden, seine Lebensstellung u. s. w. vorzubringen, und dieser teilt alles dem Rektor zur genaueren Prüfung mit. Der Bewerber hat die Gebühren alsbald vorher zu bezahlen, weil es sonst wohl vorgekommen, daß einzelne vor Erledigung durchgebrannt sind, dem Fiskus der Fakultät 50 Gulden, an die Kanzlei l½, Gulden, dem Universitätsboten 7 Gulden und für Sonstiges 4 Gulden. Das ist freilich erst der Anfang der Kosten.

Der Examinand ladet die Examinatoren selbst ein, diese kommen zusammen und schwören in Gegenwart des Rektors vor dem Notar der Universität, daß sie frei von Haß und Gunst prüfen wollen, auch nicht Geld oder Geschenke vom Examinanden empfangen haben. Der Sekretär bringt letzterem die Nachricht, daß er kommen darf, ihm wird der Beschluss seiner Zulassung eröffnet, und er macht seinen Antrag in pleno, worauf er schwören muß, in keinerlei Weise, auch nicht auf Umwegen, den Examinatoren etwas geboten zu haben. Darauf fragt der Dekan zuerst, die übrigen Professoren der Reihe nach, nach Alter und Zeit der Aufnahme, jeder stellt meistens drei Fragen, worauf der nächste folgt, und dieses Examen rigorosum füllt zuweilen Vor- und Nachmittag. Zur Erfrischung gibt es zwischendurch auf Kosten des Examinanden eine sehr gute Mahlzeit, dazu Malvasier ober Claret, jedoch darf der Examinand nicht trinken.

Es folgt die Inaugural-Disputation, nachdem dieselbe zwei Sonntage vorher öffentlich am schwarzen Brett angekündigt mit genauer Angabe des Gegenstandes, des Vorsitzenden und des Zweckes. Bei dieser Gelegenheit opponierten zunächst zwei Professoren und der Rektor, darnach aus dem Haufen, wer da wollte. Auch diese Handlung war zuweilen über Vor- und Nachmittag ausgedehnt.

Die ganze Angelegenheit ging nun an den Prokanzler, der dem Dekan der Fakultät die Macht gab, das Doktorat zu erteilen (den Bewerber zu promovieren). Abermals werben die Programme ans schwarze Brett geheftet, der zu Promovierende geht mit einigen Studenten, welche Paranymphen genannt wurden, zunächst zum Rektor und erbittet die beiden Scepter, die Zeichen höchster akademischer Würde, eins zu strafen, eins zu verteidigen; sodann ladet er die wichtigsten Persönlichkeiten zur Teilnahme an der Feier ein und schreibt nach alter Sitte an die Türen: F. V. ad promot. D. (am fünften Wochentage zur Doktorpromotion). Meistens wählte man Dienstag ober Donnerstag zu dem Werke.

Um 10 Uhr versammelt sich das Corpus Acadeinicum im Kollegiengebäude, und es zieht eine feierliche Prozession von dort aus der Marienkirche zu, von der her die Glocken rufen. Voran gehen Musikanten mit Zinken und Posaunen, es folgen mit Wachskerzen Knaben, die zwei Altersgenossen umgeben, die in der Kirche hernach wichtige Aufgaben zu lösen haben. Sechs Paranymphen tragen silberne Becken mit den Fakultäts-Hüten, Handschuhen und Büchern. Der Rektor, Prokanzler und die Professoren führen den Bewerber, Doktoren, Prediger und Magister folgen.

In der Kirche ist mitten auf dem Hauptgange vor der Kanzel ein mit Decken verziertes Gehege errichtet, unterwärts nach der Orgel zu ist ein Katheder aufgestellt, mitten auf dem abgegrenzten Raume steht ein Tisch, auf den die Becken niedergesetzt werden, dazu wird ein rötliches Barett und ein Ring gelegt, ein anderer Tisch daneben trägt die Scepter.

Der Kandidat setzt sich unten an das Katheder, die andern ordnen sich auf den im Gehege befindlichen -Seitenplätzen, jetzt werden zwei Doktoren abgesandt, um die Gesandten des Landesherrn und der städtischen Obrigkeit einzuholen, die kommen und nehmen die für sie freigelassenen Plätze ein.

Von der Orgel her erschallt ein zu dieser Handlung gesetztes Gedicht. — Einer der oben erwähnten zwei Knaben tritt vor und spricht ein Gebet in lateinischen Versen. Der Dekan der Fakultät, zu welcher der Bewerber gehört, betritt das Katheder und hält eine kurze Rede, etwa von der behutsamen Wahl eines Studiums, und schreitet dann zur Creierung des Doktors. Der zu Promovierende muß zunächst öffentlich den Doktoreid leisten; indem er an den Tisch hinantritt und die Scepter anrührt, spricht er die formulierten Worte, die ihm der Pedell vorliest, nach. (Für diesen Dienst erhält der Pedell ein Geschenk in der Höhe eines Dukaten und bezeugt seine Freude, indem er ruft videte.) Es wird ihm ein offenes und ein zugeschlagenes Buch vorgelegt, mit dem Hinweise darauf, daß er bereits ohne Buch Wichtiges leisten kann, aber nicht aufhören darf zu lernen. Der Ring wird ihm angesteckt, damit er sich seiner bevorzugten Stellung bewußt werde, das Barett wird ihm aufgesetzt, und der Dekan spricht lateinisch: Ich N. N. mache (creiere) dich N. N. zum Doktor (beider Rechte, sowohl des kanonischen als auch des bürgerlichen), verkündige dich als solchen und mache diese Verkündigung öffentlich bekannt. Ich gebe und verleihe dir alle die dieser Würde zustehenden Rechte, Privilegien, Vorrechte, Freiheiten und Auskünfte u. s. w. im Namen der heiligen Dreieinigkeit. — Darnach verlässt der Dekan das Katheder, der neue Doktor besteigt es, ein zweiter Knabe tritt hervor und legt ihm eine natürlich vorher von der Fakultät formulierte Frage vor, die der Doktor sofort in ausführlicher Weise beantworten muß, er schließt mit dem Danke gegen Gott und alle Anwesenden, Rektor, Gesandte, Fakultät, schließlich auch an Zuhörer und Zuschauer seine wohl gesetzte Rede, wird nach dem Verlassen des Katheders von einem Diener an den ihm gebührenden Platz unter den andern eingewiesen und von den neuen Kollegen mit einem Kuss zum Zeichen der mit dem ganzen Orden zu haltenden Brüderschaft und mit Beglückwünschung empfangen. Es folgt nun eine Musik von der Orgel her, und die Paranymphen teilen die von ihnen herbeigebrachten Handschuhe aus; alle, die im Zuge zu schreiten berechtigt waren, vom Rektor bis zu dem Magister hin erhalten ein Paar, und der Rest wird von den Paranymphen im weiten Wurfe über die Köpfe der Umstehenden hinausgestreut, wobei es natürlich nicht an Stoßen und Drängen der im Wetteifer Zugreifenden fehlt. Etwa zwölf Dutzend Handschuhe kommen so zur Verteilung. Jetzt ordnet sich die Prozession wieder in früherer Weise, die Gesandten reihen sich diesmal auch ein, und der Zug bewegt sich zu dem Orte, wo das Gastmahl gehalten werden soll. Es mag hier bemerkt werden, daß der Rektor für die Verleihung der Szepter ein Geldgeschenk von nicht geringem Werte erhält, auch erwartet man von dem neuen Doktor, daß er an die Bibliothek etwas gebe. Der Dekan empfängt zwei Ellen Sammet im Werte von 10 Gulden, gleichfalls der Vizekanzler; dagegen Damast wird den Professoren zu teil und zwar denen von derselben Fakultät 4 Ellen, den übrigen 2 Ellen; den Konsuln, Sekretären jedem 1 Elle. Man darf annehmen, daß die Kosten einer Promotion sich auf 100 Gulden belaufen, denn es will jeder, der auch nur die geringsten Dienste leistete, bei dieser Gelegenheit etwas für sich herausschlagen, vom Höchsten an bis zu dem Küster, der beierte, und dem Diener, der die Plätze anwies, und wenn einer von diesen vergessen würde, so wäre es für den neuen Doktor arge Schmach, man darf aber annehmen, daß ein Übersehener sich schon wird gemeldet haben.

Was den Doktorschmaus anlangt, dessen Aufwand in obige Kosten noch nicht einbegriffen ist, so wurde er, da kein Privathaus die Teilnehmer fassen konnte, im sogenannten neuen Hause unter dem Rathaus abgehalten, und erst später, als man die Einladungen beschränkte, im Hause des Dekans. Am Eingange wurde jeder in feierlicher Weise zum Zutritt eingeladen. Die Zahl der Gäste ist selbstverständlich an den einzelnen Orten und in den wechselnden Zeiten verschieden, die Neigung zu Einladungen auch der ferner Stehenden lag in der Zeit, die ja die ganze Trostlosigkeit des öffentlichen Lebens gar gern bei Schwelgereien vergaß; man lud also vornehmlich die Frauen und Töchter der Professoren dazu, und es fehlt nicht an Nachrichten, daß zu dem Gelage an einigen Orten auch die Studenten sich drängten, die dann dafür sorgten, daß Lärm und Tanz bis nach Mitternacht nicht fehlten. In Rostock gab es bei dieser Gelegenheit noch einen feierlichen Fackeltanz, den der Dekan ehrenhaft hinter den mit brennenden Fackeln voran springenden Paranymphen anführte.

Wenn wir hören, daß die Kosten eines solchen Doktorschmauses sich leicht auf weitere 100 Gulden beliefen, so merken wir, wie sich alsbald ein Misston in die sonst so weihevolle und würdige Feier eindrängt. Und Es kommt unwillkürlich der Gedanke auf, daß Promovierung zu einer akademischen Würde wohl als ein gewinnbringendes und belustigendes Werk angesehen werden konnte. Die Versuchung zur Bestechung lag für den Ehrgeizigen, der nicht genug gelernt hatte, sehr nahe, und die Gier nach Gewinn in bedrückter dürftiger Zeit durchbrach die Schranke, die der Eid setzte. Ein Zeitgenosse schreibt: „Es missfällt mir der große Missbrauch, der mit dem Doktor-, Licentiaten- und Magisterhandwerk getrieben wird; die Universitäten prostituieren sich oftmals damit, indem sie Leuten solche gradus verleihen, die hienach zu solchen Dingen, die ihrem gradui nicht gemäß sind, gebraucht werden. Ich erinnere mich, daß einer bei einem vornehmen Herrn erst Hofprediger, ferner seiner Kinder Präceptor, Tafeldecker, Küchenschreiber und Kellermeister war, und wenn er gepredigt hatte, rief der Herr: Domine magister Johannes, lasset decken! Was für ein Missbrauch mit diesen gradibus zu Hamburg und in der ganzen Christenheit vorgehen, davon will ich nicht sagen.“

Nun gut, wenn jener so vorsichtig ist, zur rechten Zeit abzubrechen, So wird es für mich höchste Pflicht.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Studentenleben im 17. Jahrhundert