Der Beanus

Der Bacchant, der Zögling der Lateinschule, ist nicht mehr der wüste Herumtreiber, unter dessen scheußlichen Rohheiten z. B. ein Thomas Platter als kleiner wehrloser Schütze seufzte. Die Reformation hat dafür gesorgt, daß überall die Landesfürsten darauf bedacht gewesen sind, Partikularschulen, Pädagogien, Gymnasien zu errichten, die der Schüler erreichen kann, ohne zu weiten Wanderungen durch das Reich hin genötigt zu sein, auch ist die Weise des Unterrichts besser geworden, und der Schüler heilt gern auf einer Schule bis zum Schlusse aus. Aber trotzdem gelten in der Lateinschule derbe Bräuche, und manche heimliche Träne wird dem Jüngeren durch die Misshandlung des älteren ausgepresst. Ist er aber selbst bis zur Würde eines Bacchanten vorgedrungen, so ist er der große Mann der Stadt, bewundert von den Kleinen, durchdrungen von der Fülle feiner Bedeutung und seines Wissens. Und so zieht er dann mit geschwelltem Busen und hocherhobenem Haupte, sorgfältig die Locken gekräuselt, in die Ferne, nachdem noch zuguterletzt die Bewunderung der Mutter für ihren vielversprechenden Sprössling sich darin geäußert hat, daß sie die Ersparnisse vieler Jahre in seine Tasche leerte. Mit gespreizten Schritten wandert er in das Tor der Universitätsstadt, überzeugt, daß männiglich in den Ruf ausbrechen wird: „Den Schaut an! Das ist ein ganzer Kerl“ In wenigen Tagen aber —

„Er ist dahin der schöne Glaube
An Wesen, die mein Traum gebar,
Der rauhen Wirklichkeit zum Raube,
Was einst so schon, so göttlich war.“


Es begegnet ihm ein freundlicher junger Mann, der sich teilnehmend erkundigt nach dem Woher, ob von der Schola Doelpelhusensis, Bubenckorfensis, Stockfischhusensis, Pickclhäringensis? Nein, dann vielleicht von der zu Saufurt, Stierfurt oder Hasfurt? — Er erbietet sich, ihm die Stadt zu zeigen. „Dort jenes Haus ist von einem italienischen Baumeister gebaut.“

„Ei,“ sagt der Neuling, „also nicht von einem aus dieser Stadt?“

„Nein, er hat es in Florenz gebaut. Zufällig war ich dabei. Italien habe ich lange durchstreift.“

„Hat der Herr auch Venedig gesehen?“

„Ei freilich, bin mit der Post hindurchgefahren.“

„Nicht möglich, die Stadt liegt ja auf Inseln und wird auf Kanälen befahren.“

Mit einem sonderbaren Blicke misst der Fremde den Ankömmling, daß diesem ganz ängstlich zu Mute wird, endlich sagt er: „Es war im Winter und alles mit Eis befroren. Soll ich dem Herrn aber Gutes raten, dann mag er seine großen Kenntnisse nicht so herausfordernd zur Schau tragen, denn nicht jeder hier kann es vertragen, in den Schatten gestellt zu werden. Hat denn der Herr schon seine Hörner deponiert?“

Verständnislos sieht der Neuling den Sprechenden an, und mit unerschütterlichem Ernste fährt dieser fort:

„Dort kommt uns ein hochangesehener Professor der Akademie entgegen, ich rate aber dem Herrn, im Vorübergehen nicht den Hut abzuziehen, sondern nur vorsichtig den Rand zu berühren, damit man seine Hörner nicht entdeckt. Da — hat der Herr es wohl beachtet? — Der Herr Professor sah so finster drein —- er hat einen scharfen Blick, denn er entdeckte die -Spitzen der Hörner unter dem Hute des Herrn.“ Der Ankömmling faßt bestürzt nach seinem Kopf, aber mit ruhiger Überlegenheit beweist ihm sein Begleiter, daß dieser Kopfschmuck stets den verrate, der der Rute des Schulmeisters eben entronnen sei, nicht sichtbar dem einfältigen Auge, nicht fühlbar der groben Hand, vielmehr nur dem Kenner bemerkbar, nicht dem Träger; aber er sei ein so gefährlicher Auswuchs, daß, wenn nichts zur Abhilfe und Deponierung der Hörner geschehe, unfehlbar der Untergang herbeigeführt würde. Er zeigt ihm in der nahen Kirche eine Stelle irgendwo in einem Gange, die freilich ganz wie der übrige Boden mit Steinen belegt ist und durchaus sich nicht abhebt. Aber welcher hohe Ernst lagert über und welches Elend unter diesem Platze! Hier liegt ein hoffnungsvoller Jüngling, der unter keinen umständen seine Hörner ablegen wollte und darum elendiglich sterben mußte, und der Stein, der sein Grab decken sollte, ist von seinen nächsten Freunden, deren Rat er verschmähte, bei dem besten Steinmetz in Arbeit gegeben und soll die Inschrift tragen:

Natura quae prokuderat
Solers et mihi dederat,
Cornua, non volui
Deponere, sed renui
Opem juvantis medici,
O miser, et me perdidi
Post putrefactis cornibus
Et intus natis vermibus,
Summo dolore perii.
Cave, Lectur, cave tibi.
Nunc mortuus hic jaceo
Exeinplum, quamvis taceo.
Rogo, velis deponere,
Ut releveris onere. *

*) Die Hörner, die verschwenderisch
Natur mir gab erfinderisch,
Die wollte ich behalten
Und ließ darum nicht walten

(Andere Spottverse auf den Beanus lauten:

Heustu, qui praeterie, gradum
Siste, considera fatum,
Nefandum, miserabile.
Durum, inexorabile.
Johannes Guckinsmus genannt,
Qui natus est im Hörnerlandt,
Hic dum vellet deponere
Cornua, prae magno onere,
Propter ingentes moerores
Et maximos dolores,
Mortuus est et jacet in pace.
Jam abi domum mox et tace.

Si non fuissem arrogans
Et cornuum perperamans,
Non essem esca vermibus
Et mortuus cum cornibus,
Quare, quincunque praeteris,
Si ictum hominem sequeris,
Ne cornu, rogo, teneas
Et sicut ego pereas.)

Des hilfsbereiten Arztes Hand,
O weh, das war mein Untergang!
Die Hörner wurden durchaus brandig,
Und innen drin der Wurm einfand sich.
Ich starb in großen Schmerzen.
Nimm's, Leser, dir zu Herzen.
Hier lieg' ich nach des Todes Willen,
Ein Beispiel noch, wenngleich im stillen.
O deponier`, ich bitt' dich bloß,
Daß du doch jene Last rauft los.

Dem ganz verwirrten Jüngling setzt er dann, immer sehr ernst redend, auseinander, daß an der Hörnerkrankheit schon viele zu Grunde gegangen. Zur Beseitigung des Übels sind drei Dinge nötig: die Herausziehung des Krankheitsstoffes, die Abtragung der Hörner und endlich die Stärkung des Hirnes. Zur Herausziehung hat man früher Ochsenziemer, Enden von Schiffstauen, große Schlüssel und dergleichen benutzt ohne wesentliche Erfolge; dagegen hat sich ein Sirup von vielfachem Knüppelholz, gemischt mit Wagenschmiere und den Spitzen von Sonden und Messern, sehr gut bewährt. Dann geht es an die Hörner-Abtragung. Man bindet dem Kranken die Hände auf den Rücken, fesselt die Füße, klemmt das Haupt zwischen zwei Stangen, so daß er sich nicht rühren kann, und haut nun dem Knieenden eine Sprosse nach der anderen fort, worauf man den Stumpf mit Haue und Feile entfernt. Einige Tage liegt der Kranke dann auf einem Bette von täglich viermal erneuten Brennnesseln. Zur Stärkung des Gehirns dienen endlich Konfekte aus Rutenstrauch und Steineiche, gewürzt mit Fäden und Fasern, Morsellen aus Aloe, Koloquinthen, dazu Assafötida in Tabletten.

Dem Hörer ist bei diesen Worten der Angstschweiß auf die Stirn getreten. Wenn seine Mutter wüsste, welchem entsetzlichen Schicksale er verfallen! Mit gesteigertem Ernste stellt ihm nun sein Begleiter die Frage, ob er wohl wüsste, was ein Beanus sei.

Er stammelt und stottert, da ruft der andere plötzlich: „Beanus Est Animal Nesciens Vitam Studiosorum!“ (Beanus ist ein Geschöpf, das der Studenten Leben nicht kennt.) Bei jedem Worte versetzt er ihm einen kraftvollen Schlag auf die Schulter, und beim letzten schlägt er ihm den Hut tief über den Kopf. Ein schallendes Gelächter — und der Beanus steht noch lange verdutzt auf seinem Platze und sagt sich die tiefe Weisheit: daß es in der Welt doch sehr oft anders kommt, wie man sich eigentlich gedacht hat. — —

Mit unendlicher Geringschätzung sieht der Studiosus auf den Beanus. Der Spottname stammt aus entlegener Zeit. Er ist angeblich, wie der Name Bursche, einst von den französischen Universitäten nach Deutschland mit herübergebracht und lautet ursprünglich bec jaune, Gelbschnabel. Je nach seinem Witze leitet der eine das bedeutungsvolle Wort auch von bos et asinus ab, der zweite von bis asinus, ein dritter gar von anus. Ein vierter weiß nur zur Erklärung der Bedeutung die deutschen Wörter Lanip, Gehörnte, Wilde, Geschossene. Aber alle sind darin einig, daß der Beanus das ist, was jemand in einem fürchterlichen Herameter ausdrückt, der wie ein rechter Beanus über seine Füße stolpert: Monstrum horrendum, ingens, informe, bove atque asino ortum. Oder man denkt ihn sich coecus, ineptus, iners, stolidus, temerarius, andax. Und diese außerordentliche Fülle von Untugenden muß ein Beanus, bevor er in die Gemeinschaft der Studenten eintreten darf, ablegen, sie überragen ihn wie Hörner. Ihn erwartet also, wie der übliche Ausdruck lautet, die Deposition. Sehen wir hierbei einmal zu.

Der Beanus, so nehmen wir an, meldet sich bei seiner Nation, die ihm verspricht, ihn von den Hörnern zu befreien, dieweil es ein gutes Werk sei. Nach Prüfung der Personalien trägt sie die Sache dem Depositor vor, der nun die Zeit zu der feierlichen Handlung, die öffentlich in Gegenwart der Studenten, niemals heimlich in den vier Wänden zu geschehen hat, ansetzt. Die Landsleute kommen zur Stunde irgendwo auf einer Stube zusammen — denn wo ein Aas ist, sammeln sich die Adler, setzt ein Berichterstatter sehr fein hinzu — und beglückwünschen den Beanen. Der Depositor, der „die Nase eines Rhinozeros oder eines Jagdhundes“ hat, weiß sehr wohl die Herausgabe der Mutterpfennige für Bier und Wein zu erlisten und empfiehlt seinem Zögling mit treuherzigem Wort und väterlichem Rat, für alle Fälle sein Testament zu machen und es so einzurichten, daß jedem der Anwesenden etwas unter dem Namen eines Legates nach der Deposition zufällt. Der Beanus denkt auf den Scherz einzugehen und verteilt seine Güter. Zu seinem Schrecken wird er später merken, daß er halten muß, was er versprach; allerdings servus juris communionem non habet, mortuo comparatur et pro nihilo habetur, aber hier entscheidet das Gewohnheitsrecht. Hatte der Beanus einen schlauen Ratgeber zur Seite gehabt, so hätte der ihm vorher empfohlen, unmögliches oder unschickliche Dinge zu vermachen, quarum generaliter nulla est obligatio.

Für seine reichen Versprechungen schmückt der Depositor den Beanen liebevoll mit einem hölzernen Halsband und einer frischen Ochsenhaut mit langen Hörnern oder auch nur einer gehörnten Mütze, gibt ihm Narrengestalt und weist ihn nun an, mit geschwärztem Gesicht und mit sonderbarem Geschrei durch die Gassen zu laufen und in dem Saal, der zur Handlung bestimmt ist, seinen Platz hinter dem Ofen einzunehmen, worauf dann freudenvoll die ganze Schar langsam folgt. Beim Eintritt erzählt der Depositor, der seinen Witz au diesem Tage hell leuchten lassen soll, kräftige Possen, wie man einen Beanen betrogen, und schildert in vielen bunten Sticheleien und scharf gepfefferten Reden dessen Untugenden und unleidliche Eigenschaften. Allmählich beginnt er zu schnüffeln und hebt die Nase hoch empor und beschwert sich über den sonderbaren Bocksgeruch im Raume, und indem er seiner Witterung folgt, entdeckt er den unglücklichen in seinem Versteck. Mit Hohngeschrei packt er ihn bei ben Ohren und der Nase und schleppt ihn heraus, ohrfeigt ihn tüchtig wegen seiner Zudringlichkeit und Anmaßung, daß er als unreines Geschöpf sich in solche Gesellschaft drängt, stoßt ihn herum und gebärdet sich, als wolle er ihm das Fell abziehen, das heißt das wirkliche Beanenfell. Endlich fordert er ihn auf, einen ziemlich schweren Korb, der draußen hinter der Tür sieht, hereinzuholen. Langsam packt er vor den Augen des Entsetzten allerlei gräuliche Marterwerkzeuge aus:

Säge und Picke und Zahn, Kamm, Hacke, Knüttel und Messer, Meißel und Bohrer dazu, mit der Feile den Hammer und Ambos, Karste mit Sticheln dabei und Gabeln und Zwingen und Zangen.

Mit schauriger Stimme hebt er sie alle auf und nennt sie und schildert ihren Gebrauch, und dann heißt er das Opfer sich rücklings auf dem Boden ausstrecken und gleich einem Toten daliegen.

Anfangs überschütten die Umstehenden mit beistimmenden Reben und wetteiferndem Spott den Beanus, dann hebt die Runde das Depositionslied an, und aus den rauhen Kehlen wird wenig tröstlich dem Zagenden zugesungen:

Reanus iste sordidus,
Spectandus altia cornibus,
Ut sit novus Scbolasticus
Providerit se sumtibus u. s. w.

(Der schmutzige Beanus dort,
Kenntlich am hohen Horn sofort,
Der will sich zum Studentlein wandeln,
Da wird sich's um die Kosten handeln) u. s. w.*)

*) Die übrigen Verse lauten:

Mos est cibum Magnatibus,
Condire morionibus:
Nos dum jocamur crassius
Bonis studemus moribus.


während der Depositor beginnt, an ihm, zu hacken und zu feilen, zu hobeln und zu glätten, zu stemmen und heraus zu meißeln, denn er will im redlichen Gewissen alles, was auf der Schule an Untugenden angeflogen ober eingewurzelt ist, beseitigen und einen recht glatten, makellosen Menschen herstellen - aus einem Monstrum. Das ist eine fürchterliche Arbeit, die mit lebhaftem Danke entgegengenommen werden müsste. Was? -Stöhnen, Winseln und gar Tränen? Wehe! Traue du den Tränen der Schulfüchse! Die sind ja vom Lehrer unter der Rute dazu abgerichtet, daß sie sofort nach Belieben weinen können. — Widerstand? Doppelt wehe! Zwar Defensio est juris naturae; aber wo ein Depositor im Schweiße seines Angesichts für seinen Mitmenschen sich abarbeitet, da muß der Beanus von seinem eigenen Heil gewaltsam überzeugt werden, wie ein unmündiger Junge.

Ubi malignus nodus est,
Quaerendus asper clavus est.
Ut haec dometur bestia,
Addeuda verbis verbera.

Lignum furcamus horridum,
Crassum dolamus rusticum,
Curvum quod est, hoc fIectimus.
Altum quod est, deponimus.

Ut hunc novum ceu militem
Novum referre in ordinem
Queamus, eque stipite
Formare doctum Pallade.

Contraria contrariis
Curanda mala pharmacis;
Ferox asellus esurit
Lactuca labris convenit.

Wer Öl ins Feuer gießt, wundere sich nicht, wenn die Lohe ihn stark versengt. Im Notfall wird er mit gemeinsamen Kräften gebändigt, dann aber dreimal wehe! Der Depositor darf mit ihm machen, was er will, nur daß er ihm keine Wunden zufügt, die Narben hinterlassen, das ginge über sein Recht. Die Arbeit gipfelt in der Abnahme der Hörner, die nach versuchsweiser Anwendung von Zangen und Stemmeisen endlich nicht anders beseitigt werden können als durch Absprengen mit Schlägen.

Taumelnd erhebt sich der Befreite. Aber was seh' ich? Schmutz und Staub noch überall im Gesicht des nun durch so mühsame Bildner-Arbeit herrlich Geformten? Her mit der Wunderseife (aus Kohle und Wagenschmiere) und dem scharfen Schermesser (von Holz), dem keine Borsten widerstehen. Einige Eimer Wasser spülen nach, und ein grobes Sackleinen fährt sänftiglich über das wunde Kinn, und ein mächtiger Kamm, der einem Schabeisen sehr ähnlich sieht, glättet das Haar. Ja, Bruder, das erfrischt — ei, wie freundlich du nun plötzlich aus den Augen siehst! Du denkst wohl, daß du nun mit allem fertig bist? Nicht aus jedem Holz wird ein Merkurius, nicht aus jedem Beanus ein Student. Nur die Würdigen sollen den Lohn der Tugend haben. Also ruft jetzt der Depositor den Beanus zum Examen. Da gilt es zu explizieren und zu skandieren, und alle Depositionspossen sind so eingerichtet, daß kaum eine Antwort gelingt, die nicht alsbald verdreht werden kann, oft in recht unflätiger Weile, und abermals ist ein Vorwand zum Prügeln gefunden. Einst hat der Beanus sich so viel auf seinen Scharfsinn eingebildet und mit seiner Grammatik geprahlt. Und nun versagt das alles plötzlich. Aber er ist vielleicht befangen, man will ihm Gelegenheit geben, in anderer Weise sich in besserem Lichte darzustellen. Er soll zeigen, daß er wenigstens fertig schreiben kann. Gebt ihm Feder und Papier und ein Tintenfaß und lasst ihn schreiben, was der Depositor ihm vorspricht! Was? Er kann nicht einmal den Pfropfen vom Tintenfaß lösen? Hei, vorwärts! Man schlägt ihm mit Stäben auf die Finger und ist entrüstet über seine Heuchelei, da er tat, als sei er fleißig und hat noch nicht einmal gelernt, ein Tintenfaß zu Öffnen!

Der Beanus ist jetzt ganz stumm, er wagt sich nicht zu verteidigen durch die Bemerkung, daß das Tintenfaß überhaupt nicht zu öffnen sei. Aber das ist doch Offenbarung eines recht störrischen Wesens. Oder sollte ihm das Sprechen vielleicht überhaupt schwerfallen? Wir schauen ihm in den Mund — wahrlich, da sitzt ja noch der großmächtige Bacchantenzahn, und wenn mir den vergessen hätten, dann wäre das Rettungswerk nur halb gelungen. Da wird schon der Sessel herbeigebracht, zwei Füße hat er nur, und es ist schwer, darauf das Gleichgewicht zu halten, und wer fallt, fällt recht hart, und raue Fäuste reißen ihn unwillig empor und stoßen ihn auf seinen Platz zurück. Also jetzt ein recht freundliches Gesicht, den Mund recht weit geöffnet und einen Augenblick Geduld — einen Augenblick! Drei Zangen gleiten ab und fassen nicht — endlich die vierte, die größte, tut's! Der Stuhl fällt um, und der Beane hinterher, aber die Operation ist gelungen: der Zahn, den der Depositor jetzt vorweist, hat Ähnlichkeit mit einer langbewurzelten Rübe. Und damit er auch ja nicht wieder wachse, stopfen wir Asche auf die Stelle, die er so schändlich bedeckte, recht reine, trockene Holzasche. Während der Beanus willenlos alles über sich ergehen läßt, sind etliche Hände beschäftig, in seinem Gewande zu suchen, denn was man dort während der Deposition findet, ist der Gesamtheit verfallen. Ein goldener Ring kommt zum Vorschein, der Neuling hat ihn lange sorgsam verborgen, denn er wußte wohl, daß der Beanus noch kein Gold tragen darf, jetzt fliegt der Ring zu dem Geld in den großen Sack. Da der Depositor weiter in den Taschen sucht, findet er einen Brief (ob er ihn vorher heimlich hineingeschoben hat, wird er ja allein missen), der von der Mutter an ihr Söhnchen geschrieben ist. Sie setzt ihm auseinander, wie sie ihn geboren, genährt, gehegt und geküsst hat, nennt ihn „mein Herzchen“ und „mein Lämmchen“ in jeder Zeile zweimal und jammert, was die Studenten in der Deposition mit ihrem Zuckerkind anfangen, und die Zuhörer wollen sich ausschütten vor Lachen.

Endlich ist das Ende der langen Pein gekommen. Der Beanus, schon mehr tot als lebendig, fällt auf seine Knie, macht die Sache sehr natürlich und bekennt, daß er sterben will.

„Wie willst du sterben?“
„Wie ein Bacchant.“
„Und wie willst du auferstehen?“
„Wie ein novellus Studiosus.“

Feierlich umringt ihn der plötzlich zum Ernst übergehende Haufen. Der Depositor heißt ihn aufstehen, denn zur Durchführung eines so hohen Vorsatzes bedarf es noch besonderer Hilfe. Ein würdiger Zug geleitet ihn über die Straßen zu einem Professor oder Magister der Philosophie. Dieser beginnt eine längere Rebe, führt ihn in die Geheimnisse der Musen und Chariten ein und stellt vor allem mit ihm ein ernstes Examen an, worin er sich von seinen Kenntnissen überzeugt und feststellt, ob er auf der Lateinschule fleißig gewesen ist und so viel gelernt hat, daß er nun zu einem höheren Stande übergehen konnte. Dann wird Salz und Wein herbeigebracht, Salzkörner gibt der Sprecher ihm in den Mund, damit seine Rede ferner immer lieblich und mit Salz gewürzt sei, gießt ihm Wein über den Kopf, damit er in Zukunft auf dem Mittelwege zwischen Freiheit und Freude dahingehe. Dann spricht er ihn feierlich vom Beanismus frei, und die übrigen beglückwünschen das neugeschaffene Studentlein und führen es im Zuge auf den Saal zurück, in dem das Gelage beginnt. — —

Der Brauch, den Bacchanten deponieren zu lassen, zur Ablesung feines ungeschliffenen Wesens und seiner Überhebung zu nötigen, ist auf den deutschen Universitäten schon im Mittelalter eingeführt, und das siebzehnte Jahrhundert zeigt ihn uns offenbar schon in seiner Ausartung. Absichtlich sind bei obiger Ausführung allerdings die schlimmsten Dinge zusammengetragen, und es ist leicht ersichtlich, daß manches gräulicher sich anhört, als es in Wirklichkeit sich macht. Sonst wäre es sicherlich nicht vorgekommen, daß die Deposition sich an manchen Orten zu einem öffentlichen Feste gestaltete, an dem die Eltern der Bacchanten, die von fernher zureisten, teilnahmen. Zartfühlende Jungfrauen wurden sogar zum Zuschauen eingeladen, und wenn auch einige Grobiane murrend behaupteten, daß die Frauen auch keine Menschen wären und also mit dem Beanus auf einer Stufe ständen, so fand doch diese Ansicht keinen Beifall. Der vernünftige Erzieher sagte, daß man in der Deposition alles anwenden müsste, was die Besserung des Beanen befördere, der aber empfände die Plagen in Gegenwart der Mädchen hundertmal mehr. Wenn nun letztere mit weichem Gemüt Fürbitte beim Depositor einlegten, daß milder
mit den Armen verfahren würde, wie bann? Nichts von dem, was zum Wesen der Handlung gehörte, durfte abgelassen werden, aber es würbe wie ein Sakrilegium sein, den Mädchen, denen die Studenten ja zu dienen verpflichtet sind, eine Bitte abzuschlagen. Man gewähre also gern, was zu gewähren ist.

Schneiden wir die hässlichen Auswüchse heraus, so erkennen wir das Sinnvolle der Handlung sehr deutlich, es entspricht durchaus dem deutschen Wesen, daß eine Genossenschaft, bevor sie einen Neuling in ihre Mitte aufnimmt, ihn einer ernsten Prüfung unterwirft, ihm Gelegenheit gibt, seine ehrlichen, mannhaften, zuverlässigen Geist zu bewahren, und ihn hernach durch bestimmte Bräuche und Sprüche bindet. Darum fand die Deposition auch die Billigung ernster Männer, ja deren Mithilfe. Wir haben aus älterer Zeit den besten Beleg dafür in unserem Luther. Er läßt sich bereit finden, die Beanen, die ihm zugeführt wurden, nachdem sie in Gegenwart ihrer Eltern die Hörner deponiert haben, nach der Sitte zu prüfen und in die Zahl der Studenten aufzunehmen. Dazu spricht er in geschickter Verwendung des Bildes: „Diese gegenwärtige Demütigung und Deposition ist nichts weiter, Knabe, als der Anfang jener Depositionen, welche für dich das ganze Leben hindurch bleiben. Hier setzt dir ein geringer Mensch für eine halbe Stunde Hörner auf und verspottet dich. Aber glaube mir, es kommt noch weit ärger. Der nächste Depositor, der dich täglich deponiert, wird dein Präzeptor ober Magister sein und wird alles, was an dir in Sitte und Glauben bäurisch ist, abhauen, nicht mit einem Schlage oder Hieb, sondern durch häufige und viele, bis er dich ein wenig zugestutzt hat und dich dem Pastor oder Prediger übergibt. Der wird nun auch, soviel er kann, bei dir versuchen, aus einem Gottlosen einen Frommen zu machen und zu festigen. Auf diesen folgt nun Rektor und Konzil, die werden dich, wenn du anhältst nichtsnutzig zu sein, noch härter anfassen. Bist du zunächst über diese Depositionen weg und ein wenig geübt, dann gehst du zu wichtigeren über, das heißt, du nimmst wohl eine Gattin, die nach ihrer Weise dich immer deponiert, bis sie dich sanftmütiger macht, um nicht davon zu reden, wie viel Depositionen du merken wirst, wenn du zu Ämtern und Diensten in Staat und Kirche herangezogen wirst. Guter Gott, wieviel Schwierigkeit und Herzeleid, was alles du für eine Art der Deposition halten magst, musst du da durchmachen! Bauern, Ritter, Bürger, ja deine Diener und untergebenen werden dir übergenug Hörner aufsetzen. Bist du dahin gekommen, so sagst du wohl: „Ja, ja, zu Wittenberg hub mein Deponiertwerden an, und nun dauert es das ganze Leben hindurch.“ — und nun sage mir etwas aus den Autoren her, die du gelernt hast, damit ich höre, wie fleißig du gewesen bist, ob du auch die Grammatik repetiert habest.“ Also Luther; und wir dürfen gewiß sein, daß nach ihm noch viele ernste Professoren zur rechten Stunde ein rechtes Wort gefunden haben, das das Studentlein nicht so leicht in den Wind schlug.

Was Luther zum Schluss seiner Ansprache verlangte, war ein richtiges Antrittsexamen, das später fiel und durch das Abgangsexamen ersetzt wurde.

Es wird begreiflich sein, daß bei der Wichtigkeit, die man der Sache beilegte, maßgebende Stimmen sich mit der Mahnung erhoben, die Behörden sollten das Ihre dazu tun, die Verlockung zu Ausschreitungen rechtzeitig zu beseitigen, und so gab es Universitäten, wo die Deposition geradezu amtlich geregelt wurde (was sicher weiser war, als sie, wie es anderswo geschah, einfach gesetzlich zu unterdrücken, wo sie denn heimlich und doppelt roh getrieben wurde). In Kursachsen war z. B. die Deposition per decretum visitationis aulicum öffentlich bestätigt. Es stand dort nicht etwa jedem zu, ein Depositor (domitor cornutorum moustrorum, pater beanorum) zu sein. Sobald die Studenten ihn erwähnten, sondern es wurde ein bewährter, zuverlässiger Charakter dazu ausgesucht, und er führte sein Amt auf Weisung und mit Zustimmung der philosophischen Fakultät, zu deren Obliegenheiten die Ordnung der Deposition gehörte, und verwaltete es wohl fünf Jahre hindurch. Vielleicht war er ein gelehrter Magister, sonst ein alter Student, und erst später, als die Deposition mehr verfiel, zog man Pedellen hinzu, die dann auch zur Haltung der Geräte verpflichtet waren. An einigen Orten wurde der Depositor eidlich verpflichtet, er dürfte die Handlung niemals außerhalb der Universitätsstadt vornehmen, die bewährten Vorschriften nicht überschreiten, auch nicht beliebig Stellvertreter für sich einschieben. Für seine Arbeit erhielt er dann besondere Besoldung. Natürlich war er Versuchen, ihn zur milderen Amtsführung zu bestechen, seitens der ängstlichen Beanen ausgesetzt; er nahm dann wohl das Geld und wandte es den allgemeinen Gelagekosten zu, zog den Frechen aber nur um so stärker heran. Verbarg er die Summe und es kam heraus, so unterlag er dem Urteile der Studenten und mußte wenigstens Schorum geben, das heißt einen Schmaus für die Schoristen.

Die Folgerung aus dieser Einrichtung war natürlich, daß sich niemand der Deposition entziehen durfte. Drückeberger gab es natürlich zu allen Zeiten. Einzelne Beanen verbargen ihren Stand und gaben an, daß sie anderswo schon deponiert hätten, der Beanismus aber war hauptsächlich eine innere Eigenschaft, die man nicht mit den Sinnen wahrnehmen konnte. Dem Verdächtigen mußte also mit Aufmerksamkeit nachgespürt werden. Verdächtig machte z. B. ein Verkehr mit Beanen, Unkenntnis des Komments und sonstiger studentischer Sitte oder Unsicherheit im Benehmen gegenüber dem Erfahrenen. Da galt es also, in der Heimat, bei Hausgenossen oder Landsleuten nachzufragen, oder man sagte es auch wohl dem Verdächtigen auf den Kopf zu, daß er Beanus sei. Das war freilich eine heikle Sache, denn bei gutem Gewissen durfte man solche unerhörte Beleidigung mit einer Ohrfeige niederschmettern. Dann aber mußte man auch mit guten Gründen sich rechtfertigen können, am sichersten durch Zeugnisse von dem Orte her, wo man die Hörner deponiert hatte; andernfalls konnte auf Indizien hin Verurteilung erfolgen. Der Schuldige wurde auf allen einzelnen Stufen der Deposition mit dem Doppelten belegt, allerdings eine harte Strafe der Überhebung. Um den Gerechten zu schützen, war es darum auch ein gutes Ding, daß an einigen Orten der Name dessen, der die Deposition geduldet hatte, dem Rektor mitgeteilt wurde, der dann erst die Einzeichnung in die Liste der Studenten vornahm, ja, in Leipzig wollte man noch 1688 niemanden zum membrum Academiae erklären, der nicht beim Zuzug von anderer Universität dem Rektor das Zeugnis der Deposition einhändigen konnte. So nur ist es verständlich, daß man z. B. in Jena jemanden, der schon lange auf anderen Universitäten gewesen war, Frau und Kinder hatte, nötigte, die ganze Deposition durchzumachen, bevor er eine ihm zugedachte Stelle annehmen konnte. Elias Butschius hatte zu Leyden, wo es keine Deposition gab, sein Triennium absolviert, war schon als Schriftsteller berühmt und wurde doch noch zum Deponieren auf deutschen Universitäten gezwungen. Kein Beanus konnte Doktor ober Magister werden, ebensowenig wie ein Esel ein Mensch.

Infamibus non patent portae dignitatum. So konnte es kommen, daß jemand, der zur Stelle eines Pastors berufen wurde, sich deren in erwachtem Gewissen nicht für würdig hielt, da er noch nicht der Hörner beraubt war, er ließ also die Deposition an sich nachholen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Studentenleben im 17. Jahrhundert