Studentenleben im 17. Jahrhundert

Autor: Beyer, Konrad (1834-1906) Deutscher Schriftsteller und Dichter, Erscheinungsjahr: 1899
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Studenten, Universität, Pennal, Bacchanten, Luther, Studentenleben, Verbindungen, Bräuche, Bruderschaften, Erziehungsmittel, Zuchtlosigkeit, Berufsgenossen, Vereinsmeierei, Mannhaftigkeit, Freundschaft, Studentenleben, Landsmannschaften,
Einführung

Den Jüngling, der der Universität zuzieht, um sich dort zu einem tüchtigen Diener seines Vaterlandes heranzubilden, begleitet unser Volk mit herzlicher Teilnahme, dem wilden Ungestüme kräftig gärender Jugend schaut es lächelnd zu und stellt sich so in stillen Gegensatz zu der ernsten Miene, die das Gesetz dazu machen muß. Der eigenartigen Sprache, die aus dem eigenartigen Leben erwachsen ist, lauscht es gern, denn es hat seinen Wortschatz mit vielen Ausdrücken aus der Studentensprache bereichert, Kommerse feiern hat das entlegenste Städtlein gelernt, und auf Kenntnis des studentischen Komments sind sogar oft die jungen Damen stolz, sie befolgen ihn mit freundlichem Lächeln, dem Vater, dem Bruder oder - einem anderen zuliebe. Die Träger der bunten Mützen und der blitzenden Schläger möchte das Volk bei den Festen zu Ehren des Vaterlandes oder seiner großen Männer niemals missen.

Wir können nicht mehr lagen, daß bei dieser Vorliebe der Umstand ins Gewicht fiele, daß die edelsten Kräfte und Geister des Volkes auf den Universitäten gebildet werden. Die Zeiten sind lange vorbei, in denen der Besuch der Hochschule allein zu dem Ansprüche berechtigte, als Gebildeter angesehen zu werden. Heer, Marine, Verkehrsanstalten, Industrie und Handel suchen für die leitenden Stellen gleichfalls nur hoch veranlagte Männer, fördern und bilden die jüngeren Kräfte gleichfalls zu besonderer Höhe, ohne daß der Dienst der Universität zur Hilfe herbeigezogen wäre. Vielleicht aber vermag die Romantik, die noch heute unbeirrt durch die Nüchternheit unserer Tage über dem Studentenleben liegt, dem Volke bis Herz so leicht abzugewinnen, denn für diese hat der Deutsche immer Vorliebe gehabt. Und die Studentenverbindungen mit ihren sorgsam bewahrten Überlieferungen, ihren Formeln und Formen und ihrem erziehenden Zwange kommen der Vorliebe unseres Volkes für Vereinigungen entgegen und wecken, gerade weil sie so fest noch immer bestehen und so hell und frisch in die Öffentlichkeit hinausglänzen, die geheime Sehnsucht nach einem in Überhastung der zur Entwicklung drängenden Zeit unbesonnen darangegebenen Gute.

Es gab einst Zeiten, wo der einzelne nichts war, die Verbindung mit Standes- und Berufsgenossen aber gewaltige Macht verlieh. Damals, als der Krämer, der Handwerker, der Kaufmann mit Andacht die Formeln erlernte und die altüberlieferten Bräuche sich einprägte, die ihm als Erkennungszeichen in der Ferne dienten und ihm sofort bei den Zünften ober Verbänden in entlegenen Gauen Aufnahme und Beistand verschafften, fühlte er zuweilen wohl mit Verdruss den Zwang, der ihn durch die starren, unveränderlichen Formen einengte; aber weit mehr noch empfand er mit Stolz und Freude die Kraft, die ihm aus dem Ganzen zuströmte. Große Handelsstädte, über die Länder weit zerstreute Ritterschaften strebten zu fester Vereinigung und gewannen so staunenswerte Macht und Einfluß auf die Entwickelung der Staaten, ja, großer Königreiche; sogar zum Zwecke gegenseitiger Förderung und Unterstützung in der Not und Sorge um die Seele und in der mühseligen Pilgerfahrt auf den Himmel zu traten mächtige Bruderschaften zusammen. Später wurde eine Verbindung nach der andern vernichtet, oft durch raue Faust eines Mächtigen, oft durch den still nagenden Zahn der Zeit, oft nur durch Unbesonnenheit der Genossen.

Ein höchst bedeutendes Erziehungsmittel ist dadurch geschwunden, wir sehen darum die Zuchtlosigkeit der Jüngeren, die Ratlosigkeit der Älteren wachsen. Man merkt überall, daß wiederum der einzelne in der Erkenntnis, daß er für sich unbedeutend und nicht hinreichend widerstandskräftig ist, nach der Verbindung mit gleichstrebenden Berufsgenossen Sucht. Die Vereinsmeierei unserer Tage, die oft sich unliebsam in den Vordergrund drängt und doch so hohl und einflusslos ist, kommt hier nicht in Betracht, wohl aber verfolgen wir alle aufmerksamen Auges das Bemühen der Arbeiter, der Handwerker, der Landleute und anderer Berufsgenossen, ernste Verbindungen zu gründen, um Einfluß in entscheidender Stunde zu haben. Freilich scheint es, als ob die Zeit, zu den neuen Formen auch die einheitlichen Formeln zu finden und durch diese zu binden, vorüber ist, daß es wahrscheinlich unmöglich wird, den Vereinigungen ihren alten erziehlichen Einfluß wieder zu sichern. Nur das Offizierkorps hegt bei seiner festen Geschlossenheit seinen besonderen Geist, den es in seinen jungen Kräften herausbildet und festigt, und das Studentenleben hat eine ähnliche Macht über die Gemüter dort, wo die Verbindungen allen voran führend dastehen. Sie bringen mit ihrer lachenden Lust am Leben allerdings große Gefahren, gar mancher hat der täglichen Versuchung zum ungebundenen Leben nicht genügend Widerstand entgegensetzen können und ist so tief gefallen, daß er sich nicht wieder aufrichten konnte. Es ist aber anzunehmen, daß die Haltlosen auch ohne die Verbindung später erlegen wären, und daß die Universität zum Heile des Ganzen rechtzeitig wie ein Sieb sichtete. Mancher bewahrte Mann wird sich dagegen mit Dank erinnern, wie damals, als der junge Student gar zu arg tollte, der ältere Verbindungsbruder ihn bei günstiger Veranlassung beiseite nahm und ihn mit wenigen ernsten Worten von dem Abgrunde zurückdrängte.

Mögen die Verbindungen immerhin in ihren Neigungen so mannigfaltig sich zeigen, wie die Farben Ihrer Bänder und Mützen, mögen sie sich um Grundsätze streiten und ihre Sache trotzig und herausfordernd mit dem Schläger vertreten, dennoch sind sie in entscheidender Stunde einig im Geiste. Altüberlieferter Brauch ist für alle gültig und im Komment gefestigt, und die jungen Kräfte spüren, sobald sie in die Verbindung eingegliedert werden, überall die erziehliche Macht des Ganzen sehr nachdrücklich. Fuchs zu sein, ist nicht immer angenehm; wer am Gymnasium sich viel einbildete auf den besten Aufsatz und sich ein großer Held dünkte wegen tadelloser Zeugnisse, von den Lehrern gelobt und von Eltern verzogen und von Geschwistern bewundert wurde, wird in der Verbindung in wenigen Wochen sehr demütig gemacht, sinkt in nichts zusammen, muß gehorchen und dienen lernen. Der Zaghafte dagegen wird ermuntert, angestachelt, durch das Vorbild älterer zur Nachfolge gereizt, oft schlägt er plötzlich um und zeigt nun Neigung, ein Durchgänger zu werden, dem wieder die Zügel fester anzulegen sind. Der Gang durch die Fuchszeit, die es giebt, so lange es Studenten gibt, hat großen Einfluß auf den Charakter, so daß man noch im späteren Leben die Wirkung davon spürt.

Diese Bewahrung alten Brauches in einer Zeit, wo das Neue sich oft recht unangenehm geltend macht und zerstört, ohne dafür genügend auszubauen, die Achtung vor den Verbindungen, die schon zu der Urväter Zeiten die Jünglinge aus allen deutschen Gauen umschlossen und mit einheitlichem Geist erfüllten, beides miteinander wird dem Studentenleben die Teilnahme des Volkes in weiteren Kreisen erhalten, so lange die Studenten sich selbst solche Güter nicht nehmen lassen. Und sie werden sie sich bewahren. Wo frische Jünglinge sich zusammenfinden, die Blüte des Volkes, lebenssprühend, sorglos, selbstbewusst, erfüllt mit dem Drange nach Erkenntnis und Wissen und die Augen auf die höchsten Ziele gerichtet, dabei alle Deutsche, die, losgelöst von der engeren Heimat und von der Lust der Fremde umweht, andersartige Sitten und Mundarten und Trachten rings um sich bemerken, da werden sie immer Zusammenschluss mit Gleichdenkenden suchen; und wenn auch nur drei gute Gesellen zu treuer Freundschaft sich in der Ferne zusammenfinden, so halten „drei Gesellen ein feines Kollegium“, oder tres facium collegium . Und steigt die Zahl, flugs ist schon eine Verbindung da, die wohl auf einen ungewöhnlichen Namen sinnt, aber den alten Studentengeist unter sich walten läßt. Wir wollen nicht lange nach Statuten und Prinzipien fragen, durch welche die Verbindungen glaubten und glauben, sich Selbst fest zusammenschließen und gegen den Außenstehenden abschließen zu müssen. Ob die Pflege der Mannhaftigkeit, Fröhlichkeit und Freundschaft oder das Streben nach wissenschaftlicher, sittlicher und körperlicher Ausbildung zu Grunde liegt; ob man den Mut lernen soll, die Ehre mit der Waffe zu verteidigen, ober den nicht geringeren Mut, Spott, ja, Verachtung zu ertragen, weil man mit redlicher Überzeugung jenen Gebrauch der Waffe verwirft: immer steht im tiefsten Grunde der warme Drang stark empfindender junger Herzen zu einander. Und ob sich nun die Verbindungen zerteilen und befehden ober zusammenschließen zu großen Verbänden, wählerisch ober weitherzig sind bei der Aufnahme ihrer Mitglieder, sie bilden doch in den Augen des ruhig Beobachtenden ein Ganzes, das das Heil des Vaterlandes als höchstes Gesetz ansieht und reiche und große Kräfte demselben zur rechten Stunde zur Verfügung stellt.

Wer dem Studentenleben seine Teilnahme gönnt, den wird es sicher auch anziehen, zu erfahren, in welcher Weise die Grundlagen zu ihm in früheren Zeiten gelegt wurden.

Kann man die Korps, die ja den festesten Zusammenschluss sich bewahrt haben, als eine Fortführung jener Landsmannschaften betrachten, welche im vorigen Jahrhundert allbeherrschend dem Studentenleben sein Gepräge gaben, so darf man wiederum diese aus den Nationalisten des 17. Jahrhunderts ableiten, und wenn sich der letzteren Ursprung auch rückwärts ins Dunkle hinein verliert, so ist doch das sicher, daß sie auf den evangelischen Universitäten allein sich ausbildeten; mochte die neue Freiheit hier zuweilen missverstanden, oft gemißbraucht werden, so entwickelte sich doch nach längerer
Gärung der edle Wein. Wir dürfen also die Verbindungen als Erzeugnisse reformatorischen Geistes ansehen.

Es soll nun versucht werden, Bilder aus dem Studentenleben jener Zeiten zu entwerfen, in denen beim Zusammenbruch des Alten sich allmählich unter den Ruinen die Kraft hervorarbeitete, die rüstig an den Neubau ging. Wir gehen also zurück auf den Anfang des rechten Studentenlebens, und es wird sich zeigen, daß, wie immer in solcher Zeit, die Verirrungen in Rohheiten schlimmster Art häufig sind, aber den aufmerksamen Augen wird es hoffentlich auch gelingen, manches zu entdecken, was gut ist, sich darum erhält und noch in dem Studentenleben unserer Tage deutlich zu erkennen ist, trotzdem Jahrhunderte sich dazwischen aufgebaut haben.

Student von Heidelberg

Student von Heidelberg

Die alte Universität zu Jena im 17.Jahrh.

Die alte Universität zu Jena im 17.Jahrh.

Abschied des Burschen von Jena

Abschied des Burschen von Jena

Inneres einer Studentenbude im Jahre 1829

Inneres einer Studentenbude im Jahre 1829

Martin Luther, (1483-1546) dt.Reformator

Martin Luther, (1483-1546) dt.Reformator