Krim. - Sebastopol

Am nächsten Morgen kam gegen 8 Uhr die gelbe Küste der Krim bei herrlichem klaren Wetter in Sicht, voran das Cap Chersonesus mit seinem Leuchtturm, weiterhin die kahlen steinigen Höhen westlich von Sebastopol, eine Stunde später fuhren wir zwischen zwei drohenden Forts mit etagenförmig übereinander gelegenen Batterien hindurch in die Bucht ein, das Schiff wendete scharf rechts und mit einem Schlage lagen die Riesentrümmer Sebastopols vor unseren Augen. Es gibt wohl keinen Ort auf Erden, der nach fast zwanzigjähriger Frist das Bild der Zerstörung so zur Schau trägt, wie Sebastopol. Während um Strassburg und um Paris kaum noch eine Spur von den Verwüstungen der Belagerung spricht, liegt Sebastopol noch ganz so da, wie am Tage nach dem letzten Sturm; kaum ein Haus in der Stadt ist neu gebaut, jeder Schritt führt über Trümmer, und jenseits des Hafens zeigen die langen Mauern der Kasernen eine unabsehbare Reihe öder Fensterhöhlen. Das wenige Leben, welches übrig geblieben ist, konzentriert sich in den Straßen, welche dem Landungsplatz der Dampfschiffe zunächst liegen; zwei Gasthöfe stehen daselbst den Fremden zu Gebot, wir zogen in den des Herrn Wetzel und fanden dort ein zwar nicht sehr geräumiges, aber immerhin befriedigendes Unterkommen; der Wirt, ein Deutscher, war früher Pächter der Restauration im russischen Offiziersklub gewesen und dachte mit Wehmut an die goldene Zeit, wo er 260 Offiziere zu seinen täglichen Gästen rechnete; hierfür konnte ihn freilich der jetzt ziemlich rege Fremdenverkehr auch trotz der recht hohen Preise nicht entschädigen. Da das Wetter herrlich war, so säumten wir nicht, Wagen und einen Cicerone für die Tour um die Stadt zu engagieren; letzterer war ein Jude , der alle Sprachen der Welt missbrauchte, den Tod des General Cathcart beschrieb er wörtlich: ,,war e grausser Mann, e gesünder; kümmt er gegangen, gefahren szu reiten, wird er geschossen, is er gekümmen szu fallen todt vom Pferde herunter.“ Unser siebenstündiger Weg führte uns hoch über dem Hafen entlang zum großen Redan, wo die Parallelen und Approchen der Angreifer noch deutlich zu erkennen sind, sodann zum Malakoff, dem ein unbefangener Betrachter kaum seine Wichtigkeit, als Schlüsselpunkt der russischen Verteidigung anzusehen im Stande ist; ein kleines steinernes Werk und ein unansehnlicher Turm bezeichnen die historische Stätte. Weiter hinaus führte der Weg auf das Schlachtfeld von Inkerman bis zum Rande des Plateau’s vor Sebastopol, von wo ein herrlicher Blick in das Tal der Tschornaja hinunter, und auf die schöngeformten Bergmassen hinter demselben für die Hitze des Tages reichlich entschädigte. Die historische Mühle von jenem Schlachttage steht noch, und neben ihr ein kleiner Brunnen, wo ein verschleiertes Tatarenmädchen Wasser schöpfte, für uns das erste Anzeichen des Orients. Die englischen Gräber, welche wir auf dem Rückweg berührten, sind leider in einem Zustand gänzlicher Verwüstung; die steinernen Einfriedigungen sind zerstört, vielfach die Deck-Platten der Gräber abgewälzt und zerbrochen, die Monumente beschädigt und überall wucherndes Unkraut, ein trauriger Gegensatz zu dem wohlgepflegten russischen Kirchhof auf der Nordseite der Bai. Die weite Ausdehnung der Befestigungen verbot uns, die vollständige Runde derselben auch auf der Seeseite zu machen, und wir begnügten uns mit der am Südende gelegenen Flagstaff- und der Zentralbastion. Selbstverständlich ist ein eintägiger Besuch der Befestigungen nur für den Touristen genügend, ein Militär wird mit Interesse mehrere Tage auf eine detaillierte Besichtigung dieser historischen Punkte verwenden können, und wird ihm der gediegene Artikel in Murrays Russia hierzu, sowie überhaupt für eine Tour in der Krim, sehr dienlich sein.

In die Stadt zurückgekehrt, belohnten wir uns für die Hitze des Tages durch ein herrlich erfrischendes Bad im Hafen, und bestimmten den nächsten Tag zu einem Ausflug nach Baghtschesarai, der Residenz der weiland Chane der Tataren. Wir hatten hierfür die Wahl zwischen zwei Wegen, dem weiteren über Inkerman, und dem näheren über die Nordseite der Stadt Sebastopol; letzterer ist jedoch mit zwei Übelständen verknüpft: erstens muss man über die Bai zu Boot setzen, und zweitens findet man (was uns in Sebastopol verschwiegen worden war) auf der Nordseite keine vernünftigen Wagen, sondern nur tatarische Kasten ohne Federn von sehr primitivem Bau mit ebenfalls sehr primitiven Kutschern. Einen solchen Marterkasten, der zwar ein schön bunt bemaltes festes Verdeck in der Art einer schlesischen Plane hatte, dafür aber keine Sitze besaß, mussten wir besteigen, und legten in recht mäßigem Tempo die 4 1/2 Meilen bis Baghtschesarai in ebenso vielen Stunden zurück. Der Weg bot wenig Abwechslung; anfangs auf dem Plateau unweit des Meeres sich hinziehend, bog er bald rechts in das ziemlich öde Tal eines mageren Bächleins ein, dem einige Weidenbüsche und hin und wieder ein kleines Dorf mit seinen Gärten und alten Bäumen etwas Belebung verliehen, einen Glanzpunkt der Staffage bildeten dabei große Schwärme des schönsten der europäischen Vögel, der Mandelkrähe, welche in der ganzen Krim sehr häufig ist.