Über die Operationen Davousts und Jérômes gegen Bagration

Wie im vorhergehenden Kapitel besprochen wurde, führte das Streben nach schneller Entscheidung, begünstigt durch die ausgedehnte Aufstellung des Gegners, zum Durchbruche und weiter zur Teilung in zwei Hauptgruppen, um beide russischen Armeen, im strategischen Sinne gleichzeitig zu schlagen.

Die südliclie Gruppe bestand aus dem combinierten Corps unter Davoust *) mit etwa 40.000 Mann und dem Heeresteile unter Jérôme **) mit ungefähr 80.000 Mann.


Was war nun ihre Aufgabe?

Davoust war die Spitze des französischen Riesenkeiles, der sich zwischen die getrennten russischen Armeen einschob, um ihre Vereinigung zu verhindern, speziell um ein Ausweichen Bagrations nordwärts unmöglich zu machen. Davousts anfängliche Bestimmung konnte daher wohl nur die sein, durch rasches Vordringen gewisse Punkte schnell zu erreichen, um die gegen Nord gerichtete Bewegung Bagrations zu hindern; denn die eigentliche und wirkliche Barriere, welche diesen von Barclay abhalten sollte, war die ganze französische Hauptarmee, deren Avantgarde als Keilspitze Davoust bildete.

Sein Corps wurde schwach gehalten, vermutlich darum, weil es wünschenswert schien, ihn zu raschen Bewegungen zu befähigen. Um ihn jedoch im Beginne seiner Operation gegen einen Misserfolg zu schützen, folgte Eugen als Unterstützung nach und blieb in diesem Verhältnisse so lange, bis der erste wahrscheinlichste Versuch Bagrations, nach Norden durchzudringen, vereitelt und dieser genötigt war, seinen Rückzug in südöstlicher Richtung fortzusetzen.

Hiemit war der erste Teil der Davoust gestellten Aufgabe gelöst und der Vice-König von Italien wurde, da seine Unterstützung hier nicht weiter nötig, zur Hauptarmee gezogen.

Der zweite Teil der Aufgabe Davousts war sodann, gemeinschaftlich mit Jérôme im Sinne der doppelten Umgehung Bagration zu schlagen.

Jérôme war anfangs eine demonstrative Rolle zugefallen; er hatte im Aufmarsche zurückzubleiben, eine refüsierte Staffel bildend, um Bagration zu dem beabsichtigten Einbrüche in Polen oder doch mindestens zum Stehenbleiben zu veranlassen, was begreiflicherweise zur Förderung des Durchbruches beitragen musste. Demzufolge überschritt Jérôme auch später als Napoleon den Niemen.

*) 2 Divisionen, Desaix und Compaus, und 2 Cavallerie-Brigaden des 1. Corps; Division Claparède, Weichsellegion der Garde; Divisionen Chastel und Lahoussay vom 3. Reiter-Corps unter Grouchy.

**) Das 5 Corps, Polen, unter Poniatowsky,
Das 7. Corps Sachsen, unter Reynier,
Das 8. ,Corps Westphalen, unter Vandamme, später Junot.


Der folgende wesentliche Teil der Bestimmung Jérômes bestand darin, Bagration teils direkt zu folgen, teils ihm ein Ausweichen nach Südosten unmöglich zu machen, mithin die Umgehung seiner südlichen Flanke zu bewirken. Die günstigste Zeit hiezu war, so lange der russische General im Beginne seiner Bewegungen nordwärts auswich, um sich mit Barclay, seinem natürlichen Schwerpunkte, zu vereinigen. Wollte Jérôme diese vorteilhaften Momente nicht ungenützt verstreichen lassen, so war große Tätigkeit und rasches Handeln geboten; jedenfalls aber musste er Bagration auf dem Fuße folgen, und da es vorauszusehen war, dass die Durchführung der Aufgabe, das direkte Folgen sowohl, wie das Umklammern des linken russischen Flügels und das Vereiteln des Versuches, in südöstlicher Richtung auszuweichen, entscheidende Gefechte herbeiführen werde, war Jérôme eine so bedeutende Truppenmasse zugewiesen worden.

Betrachtet man Jérômes Durchführung der Operation, so findet man, dass derselbe seiner wichtigen, die augestrebte schnelle Entscheidung in so hohem Grade bedingenden Aufgabe nicht entsprach; seine Wahl war ein Missgriff Napoleons, der mit der Ausführung einer so wichtigen Aufgabe einen erprobten General, nicht aber den unerfahrenen Jérôme hätte betrauen sollen.

Das Gelingen derselben forderte energisches Handeln und eine scrupulöse Ausnützung von Zeit und Raum, um Bagration auf dem Wege in südöstlicher Richtung, etwa in der Gegend von Nieswiez, zuvorzukommen, ihn auf Davoust zu treiben und mit diesem in Gemeinschaft vernichtend zu schlagen, oder endlich, falls Bagration ostwärts auswich, ihn südlich zu cotoyiren, dazu aber mit diesem, so wie im Interesse des Schlagens — im Sinne der theoretischen Lehre von der doppelten Umgehung — auch mit Davoust stets Fühlung zu behalten.

Blieb bei solcher, richtig kombinierten Tätigkeit der französischen Generale Bagration noch ein Rettungsweg in der Richtung gegen Osten offen, so verengerte sich doch immer mehr der gefährliche Kreis der ihn Verfolgenden und leicht konnte es diesen gelingen, jenen bei einem Flussübergange über die Berezina oder über den Dniepr zu vernichten. Dazu gehörte aber Tatkraft und übereinstimmendes Handeln der umgehenden Teile. Die Tatsachen zeigen, wie wenig Jérôme den Forderungen seiner Aufgabe nachkam. Am 30. Juni hatte der König von Westphalen Grodno erreicht, war aber am 4. Juli noch nicht darüber hinaus und gelangte erst am 11. nach Nowogrodek, nachdem Bagration und Platow es schon passiert hatten und in Nieswiez und Mir eingetroffen waren.

Da es von Grodno bis Nowogi'odek etwa 17 Meilen sind, konnte Jérôme am 6. Juli daselbst sich dem an diesem Tage von Nikolajew zurückkehrenden Bagration vorlegen, oder ihn, wenn derselbe den schlechten Landweg längs des Niemen einschlug, während seines Flankenmarsches nach Mir über Nowi-Mjesto anfallen und vernichtend schlagen.

Aber freilich erforderte das eine große Energie und rastlose Tätigkeit, Eigenschaften, die Jérôme nicht besaß.

Smitt sagt darüber treffend: „Sein neuester Lob- und Geschichtsschreiber Ducasse sucht ihn wegen dieses unverzeihlichen Zeitverlustes damit zu entschuldigen, dass in diesen vier Tagen eiu entsetzliches Wetter geherrscht habe Es ist wahr, ein kalter Regen ergoss sich; wo hat aber ein Regen je die Operationen tüchtiger Feldherrn aufgehalten? Der Krieg weiß keinen Unterschied zwischen Regen und Sonnenschein; was notwendig ist, muss ausgeführt werden, wenn sich auch alle Schleusen des Himmels öffneten.“

„Nur Stutzer und Frauen, sagte Suworow in seinem Tagesbefehle an Melas, *) verlangen immer schönes Wetter; der Dienst des Kaisers kümmert sich darum nicht; wer schwach von Gesundheit ist, kann zu Hause bleiben.“

So benutzte Bagration die Zeit und den Weg, welche Jérôme ihm gelassen hatte und trachtete, in starken Märschen den Dniepr zu erreichen.

In Nowogrodek und Nieswiez hört die Wirksamkeit des Heeresteiles Jeromes auf.

Davoust hingegen führt trotz seiner Schwäche, seine Aufgabe mit viel Geschick durch; nachdem sein Erscheinen in Witznew den Marsch Bagrations über Nikolajew nordwärts verhindert hatte, sperrte er ihm bei Minsk neuerdings den Weg, was Bagration zwang, von Nowi Swierzno nach Nieswiez in die südöstliche Richtung zu gehen.

Das Zurückbleiben des Heeresteiles Jérômes, der bei Wiederbeginn der Bewegung am 16. Juli, mit Ausnahme des 4 Reiter- Corps Latour-Maubourg, der Richtung Davousts nachfolgte, gestaltete die Lage des letztem zu einer exponierten, sehr gefährlichen; sie musste Vorsicht hervorrufen und das Vermeiden eines entscheidenden Kampfes empfehlen.

*) Als Melas für die Langsamkeit der Bewegung der unter seinem Befehle stehenden österreichischen Colonne vom Mincio gegen die Adda, im Feldzuge 1799, das eingetretene Regenwetter als Grund angab.

Demungeachtet sehen wir, dass dieser General, durchdrungen von der Größe seiner Aufgabe, seinen Gegner fortwährend im Auge behält, gegen den Dniepr rasch vordringt und bei Mohilew am 23. Juli Bagration wieder den Weg vertritt.

Dieser hatte die Absicht gehabt, über Orzsa Barclay die Hand zu reichen, als er bei Mohilew auf seinen unermüdlichen Dränger stieß, dessen Stärke er nicht genau kannte und die er bedeutend überschätzte, indem er annahm, Davoust habe alle 5 Divisionen seines Corps, also 70.000 Mann, bei sich.

Trotzdem muss man Bagrations Versuch durchzubrechen als berechtigt erkennen, indem er ja nicht wissen konnte, ob ihm sein Gegner nicht auch in der Richtung auf Smolensk zuvorkommen und ihn zu einem noch weiteren Ausweichen zwingen werde.

Gelang es Bagration, Davoust zu werfen, dann war ihm der Weg über Orzsa oder Dubrowna, auf einem oder dem andern Dniepr-Ufer nach Witebsk, der im Augenblicke wichtigsten Gegend, geöffnet; scheiterte aber der Versuch, so erleichterte er sich doch den Marsch auf Smolensk, indem er den Augriff als Demonstration ausnützte, die einen südlichen Übergang vorbereitete und Davoust über die Richtung der ferneren Bewegung in Ungewissheit erhielt.

Davoust selbst führte seine Aufgabe durch sein Standhalten bei Mohilew bis zur äußersten Grenze durch; nachdem er auf die Mitwirkung des 5., 7. und 8. Corps nicht mehr rechnen konnte, das 3. Reiter-Corps und die Weichsellegion bereits zur Armee gezogen worden und vom eigenen Corps in Folge von Entsendung und zurückgelassenen Besatzungen nur mehr 20 Bataillone und 28 Escadronen, etwa 12.000 Mann Infanterie und 3.000 Reiter, übrig waren, konnte Davoust wohl nicht mehr daran denken, auch östlich des Dnieprs spaltend vorzudringen. Dass Napoleon selbst diese Idee aufgegeben hatte, nachdem Jérômes Tätigkeit so unrühmlich geendet, beweist das Abberufen Grouchys und der Garde-Division.