Über die Gefechte bei Krasnoj und deren Bedeutung

Die Hoffnungen, welche Napoleon auf Smolensk gesetzt hatte, waren nicht in Erfüllung gegangen; Victor war zur Unterstützung Oudinots nach Csaszniki geeilt, das bedeutende Magazin in Witebsk an ein Streif-Commando Wittgensteins verloren gegangen, jenes in Smolensk durch das 9. Corps und die Durchzüge stark in Anspruch genommen worden. Zudem war die Armee physisch und moralisch stark herabgekommeu, zuletzt durch die Unglücksfälle Augereaus bei Lyächowo und des Vicekönigs am Wop.

Sie zählte sammt den wenigen Verstärkungen, welche sie in Smolensk gefunden, 42.000 Mann unter den Waffen, worunter noch 5.000 Reiter, dann noch ungefähr 30.000 Nachzügler, welche dem Heere folgten. Allein auch die unter den Waffen Befindlichen waren in einem erschöpften, traurigen Zustande und die Kraft Vieler hatte eben nur bis Smolensk gereicht.


Fünf Tage blieb Napoleon in Smolensk, um seine Armee nur einigermaßen zu ordnen, und brach, sobald es möglich war, in der Richtung gegen Orzsa auf, wo er Magazine zu finden hoffte, da dieselben nur an dieser Straße etabliert worden waren; auch rechnete er auf die Vereinigung mit Oudinot und Victor jenseits des Dniepr.

Ungeachtet es dringend nötig schien, bald dahin zu kommen, fand der Abmarsch in Echelons mit einem Tagmarsch Abstand statt, weil Napoleon bei einem Gesammt-Aufbruche größere Unordnungen befürchtete.

Es verließen daher Smolensk:

am 12. November das 5. und 8. Corps, die unberittenen Reiter und die Artillerie der Garde;
am 13. November die Weichsel-Division der jungen Garde;
am 14. November die junge und alte Garde;
am 15. November das 4. Corps;
am 16. November das 1. Corps und
am 17. November das 3. Corps.

Als das 5. Corps, die Spitze, am 15. November Lyädy erreicht hatte, standen noch 2 Corps in Smolensk; die Armee hatte sonach eine Tiefe von 9 Meilen oder 3 Märschen und am 17. zwischen Orzsa und Smolensk von 19 Meilen.

Die Lage der französischen Armee hätte die Russen um so mehr zur Entscheidung drängen sollen, als die Unbilden der Jahreszeit auch bei ihnen einen starken Reibungs-Koeffizienten bildeten.

Kutusow jedoch zeigte keine Eile; denn ungeachtet der fünftägigen Ruhe der Franzosen bei Smolensk, traf er am 14. und 15. November, als er sich von Süden kommend Krasnoj näherte, die Franzosen bereits im Marsche.

Wiewohl die Franzosen Smolensk, ihr erstes Ziel, erreicht und somit jenen Abschnitt, in welchem die Russen die größten Erfolge erlangen konnten, auf ihrem Rückzuge schon durchschritten hatten, musste der wesentliche Gedanke der Russen noch immer das Zuvorkommen an einem günstigen Punkte und der Anfall der feindlichen Flanke sein.

Sie fanden die Verhältnisse zwischen Orzsa und Smolensk günstig, den Gegner geschwächt, geteilt und im Flankenmarsche ohne Deckung begriffen, dem Flussübergange bei Orzsa zustrebend.

Hier galt es die größte Kühnheit und Energie an die Stelle der bisherigen Vorsicht zu setzen und mit dem linken Flügel sich Orzsas zu bemächtigen, um dem Kriege mit einem Schlage ein glänzendes Ende zu machen.

Es folgt nun eine Reihe von Gefechten, aus denen allerdings das Bestreben der Russen sichtbar wird, diese günstigen Verhältnisse auszunützen, die aber, matt und ohne Energie geleitet, nicht zu dem gewünschten Resultate führten.

Die Gefechte am 13. und 14. gegen die Tête der französischen Armee bezeichnen den bedeutungsvollsten Moment, sowohl bezüglich der Zeit, als auch der Richtung, weil ein Erfolg mit der Hauptkraft hier erkämpft, geeignet gewesen wäre, die Katastrophe zu beschleunigen; sie bestanden aber nur in Kämpfen mit Kosaken und dem Streifcorps Ozarowski; ebenso begnügte sich Ostermann am 14. November, die Garde bei Korytnia zu kanonieren, ohne weiter ihren Marsch zu stören.

Auch am 15. war es nur eine Kanonade, mit der Miloradovitsch aus der Stellung bei Merlino die Garde belästigte.

Das Gefecht zwischen Miloradovitsch und Eugen am 16. hatte schon einen ernsteren Charakter; jedoch gelang es dem Vicekönig, unter dem Schutze der Nacht nach Krasnoj zu kommen, weil Miloradovitsch im Auftrage Kutusows die Straße eiligst frei geben musste.

Napoleon blieb den 16. mit der Garde in Kiasnoj und ergriff selbst, um den Anschluss des 1. und 3. Corps noch zu ermöglichen, am 17. die Offensive, nachdem er schon in der Nacht vom 15. zum 16. das Streifcorps Ozarowski überfallen hatte, was die Vorsicht Kutusows nur noch mehr steigerte.

Während Napoleon sich anschickte, mit nur 14.000 Mann Infanterie, 2.200 Keltern und 30 Geschützen seinem Gegner kühn und rücksichtslos auf den Leib zu gehen, hatte Kutusow 80.000 Mann zur Verfügung, welche bereits seit dem 14. knapp vor Krasnoj und an der Rückzugsstraße gestanden hatten, ohne es zu wagen, die halberfrorenen Trümmer der großen Armee durch einen einfachen Druck zu zermalmen.

So groß war die Furcht Kutusows vor Napoleons Namen, dass dessen Anwesenheit allein ausreichte, um Kutusow von einem umfassenden Angriff abzuhalten.

Am 16. stand der linke russische Flügel unter Tormassow vor Krasnoj, das Zentrum, wo sich das Hauptquartier befand, bei Schilowo, der rechte Flügel bei Merlino, als Kutusow, durch seine Umgebung gedrängt, für den 17. die Dispositionen zum Augriffe traf, um allen französischen Abteilungen, die Krasnoj noch nicht passiert hatten, den Rückweg zu verlegen — eine Idee, die, wenn sie beim ersten Gefechte durchgeführt worden wäre, der ganzen französischen Armee jenes Schicksal bereitet hätte. Tormassow sollte hierzu nach Dobroje auf die große Straße rücken, der Angriff konzentrisch erfolgen und Miloradovitsch die Vereinigung der noch zurück befindlichen französischen Corps mit Napoleon verhindern.

Als Kutusow aber die entschlossene Haltung der gegenüber stehenden furchtbaren französischen Garde erblickte und die Anwesenheit Napoleons nicht mehr bezweifelt werden konnte, widerrief er, trotz seiner fünffachen Überlegenheit, alle Angriffsbefehle, zog Miloradovitsch näher an sich heran, und schickte Tormassow die gemessene Weisung, den Franzosen ja nicht den Weg zu verlegen.

Den Seelenzustaud Kutusows bezeichnet treffend nachfolgende, von Beitzke wiedergegebene Erzählung Toll's:

„Es war ein bayrischer Offizier gefangen und zu Kutusow geführt worden. Der russische Oberbefehlshaber sprach sehr geläufig deutsch und begann den gefangenen Offizier auszufragen. Er wollte vor allen Dingen wissen, wer bei Krasnoj den Oberbefehl führe? Der Offizier erwiderte, er habe den Mann wohl gesehen, kenne ihn aber nicht. Kutusow scheute sich wohl, unmittelbar auszusprechen, was ihm auf dem Herzen lag; er suchte auf Umwegen zum Ziel zu gelangen und begann dem Offizier Napoleons Signalement abzufragen. Ein oder zwei Mal erhielt er Antworten, die ihm bedenklich schienen; mit einem Gesicht, auf dem der Schrecken nur allzudeutlich zu lesen war, wendete er sich zu seiner Umgebung und sagte; „c'est lui“. Der Eeldmarschall fragte weiter. „Ist er klein von Wuchs? Nein, er ist sehr groß, antwortete der Baier, der vielleicht den fast riesigen Mortier an der Spitze der jungen Garde gesehen haben mochte. Da klärten sich Kutusows Züge plötzlich auf und mit großer Befriedigimg äußerte er nun gegen seine Umgebung: „Non, ce n'est pas lui“.

„Die Szene hatte für die russischen Offiziere, die zugegen waren, etwas sehr Peinliches. Doch sollte sich der Schrecken Kutusows bald wiederholen. Es wurde ein Bauer herbeigeführt, der aus Krasnoj entsprungen war. Dieser berichtete bestimmt: Napoleon selbst befinde sich in der Stadt, die von Leuten mit Bärenmützen besetzt sei. Die französische alte Garde war also nicht zu verkennen! Nun war kein Halten mehr und keine Einrede galt. Kutusow entsandte seine Adjutanten rechts und links an Tormassow, Miloradovitsch etc., augenblicklich inne zu halten und dem Feinde den Weg nach Orzsa frei zu lassen.“

„Er vermochte seine eigene große Aufregung nicht zu verbergen.“

Nachdem es also keinem Zweifel unterliegen kann, dass es auf Seite Kutusows nur Besorgnis vor Napoleon und seinen sieggewohnten Schaaren war, die ihn abhielt, die reife Frucht zu pflücken, nach der er nur zu langen brauchte, so erübriget nur noch, die von Kutusow und seinen Anhängern versuchte Motivierung seines Benehmens einer widerlegenden Betrachtung zu unterziehen.

Der Ausspruch Kutusows, er müsse seine Armee schonen, er gäbe nicht einen Russen für zehn Franzosen, widerlegt sich schon durch die Tatsache, dass die Russen von den 110.000 Mann, welche die Armee bei Tarutino hatte, bei aller Schonung und trotz Vermeidung von Gefechten nur etwa 40.000 Mann nach Wilna brachten. Diess macht einen Verlust von 70.000 Mann aus, und rechnet man dazu noch den Abgang bei Tschitschakoff und Wittgenstein, der durch die Friktion verursacht wurde, so wird man der Ziffer 100.000 nahe kommen.

Dieser enorme Verlust wäre zu vermeiden gewesen, wenn Kutusow sich bestrebt hätte, die Sache bei Krasnoj zum Abschlusse zu bringen, was ganz in seiner Hand lag.

Er hätte den Krieg mit Ruhm geendet, während bei seinem Benehmen die französische Armee, obwohl durch die Macht des Winters so zu sagen zerstört, dennoch ihre Ehre und ihren Ruhm unbefleckt über den Niemen zurückbrachte.

Der allerdings sichern, aber langsamen Wirkung der Jahreszeit, des Hungers, der Not die Vernichtung der französischen Armee allein überlassen zu wollen, war ein Gedanke, der weder groß, noch logisch richtig, noch praktisch genannt werden kann, da Kutusow die Möglichkeit besaß, in der nächsten Stunde dieses Ende herbeizuführen.

Die Jahreszeit und die Entbehrungen reduzierten nicht allein in furchtbarem Maße die feindlichen Kräfte, sondern auch die eigenen auf ein Dritteil ihres Bestandes und von den Franzosen retteten sich immerhin noch eine beträchtliche Anzahl von Generalen, Offizieren und Unteroffizieren, welche die Rahmen und die Führer der neuen Aufstellungen abgaben.

Ein vernichtender Schlag bei Krasnoj hätte, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Kriege 1813, 1814 und 1815 unmöglich gemacht.

Es bewahrheitet sich auch hier der Erfahrungssatz, dass nicht jene Kriege die blutigsten und opfervollsten sind, in welchen der Feldherr zu rechter Zeit und mit Entschiedenheit die nötigen Opfer zu bringen versteht.

Jene Führer, die sich scheuen, große Erfolge durch große Opfer zu erkaufen, gehören in die Klasse der kleinen Charaktere, die der Armee und ihrem Lande durch ihre kleinlichen Anschauungen nur schaden, indem sie durch einen verlängerten Krieg die Opfer vervielfältigen und den Enderfolg doch noch in Frage stellen.

Günstige Gelegenheiten, wie sie z. B. die Russen bei Krasnoj hatten, wiederholen sich selten; es gehört daher zu den gröbsten strategischen Fehlern, solche Anlässe nicht zu benutzen.

Ebensowenig stichhaltig wie der erste, war der zweite Einwurf, dass Kutusow nämlich den Zustand des französischen Heeres nicht kannte und dessen Kraft überschätzte.

Da er seit 23. Oktober mit dem Gegner in Fühlung stand, ja ihn eben desshalb auch direkt verfolgen ließ, und zahlreiche leichte Reiterei und Parteigänger zur Verfügung hatte, konnte er doch wohl über den Zustand der Franzosen nicht in bedeutendem Zweifel sein.

Aber, selbst wenn dem so gewesen, so hätte Kutusow eben bei Krasnoj die beste Gelegenheit gehabt sich darüber Klarheit zu verschaffen, ohne etwas Besonderes dabei zu wagen; er brauchte dann eben nur den Gegner, der getrennt marschierte und in einer Flankenbewegung begriffen war, rücksichtslos anzufallen.

In einer solchen Lage, wo der Feind in einer ihm nachteiligen Bewegung begriffen ist, wo der Angreifer, wenn er kühn darauf losgeht. Alles gewinnen kann, ohne viel einzusetzen, weil der Feind, selbst als Sieger, gar nicht im Stande ist, seinen Erfolg auszunützen, in einer solchen Lage ist zaghaftes, vorsichtiges Handeln fast mehr als fehlerhaft; und selbst, wenn der Einsatz groß, das Resultat weniger sicher gewesen wäre, hätte Kutusow sich zu energischer Tat aufraffen müssen; galt es ja doch große Erfolge zu erringen.

Welchen Wert hat denn überhaupt die parallele Verfolgung, wenn der Verfolgende sich damit begnügt, den Feind auf Parallel-Wegen zu cotoyiren, den entscheidenden Kampf aber vermeidet und so das, was der parallelen Verfolgung eigentlichsten Wert ausmacht, die günstigsten Verhältnisse, die sie für den Kampf schafft, ungenützt lässt?

Der einschüchternde Überfall in der Nacht zum 16. und die Offensive Napoleons am 17. mit seinen Elitetruppen erfüllten ihren Zweck durch die moralische Wirkung, welche ein solches Handeln stets im Gefolge hat.

Der Anschluss Davousts wurde möglich und der Weg nach Orzsa frei.

Es ist ein ergreifender Gedanke, dass die Macht des Namens eines einzigen Mannes, dessen Genie allerdings auf allen Schlachtfeldern Europas geglänzt hatte, genügte, um die Trümmer seines Heeres bei Krasnoj vor dem unvermeidlichen Untergange zu retten.

Die Resultate des Kampfes und die Gefahr, Orzsa zu verlieren, machten es aber Napoleon unmöglich, länger auszudauern; er musste Ney seinem Schicksale überlassen.

Wenn wir die Anordnungen Napoleons für den Marsch seiner Armee von Smolensk nach Orzsa in Betracht ziehen, so müssen wir annehmen, dass in dieser Jahreszeit die Beschaffenheit der Wege auf dem rechten Ufer des Dniepr keine solche war, welche es gestattet hätte, so schnell als notwendig auf denselben fortzukommen und zugleich den Train mitzuführen, wiewohl es bei der Stellung beider Armeen für Napoleon wünschenswert gewesen wäre, seinen Flankenmarsch durch das immerhin nennenswerte Hindernis, welches der Dniepr bieten konnte, zu decken; dagegen glauben wir, dass der gleichzeitige Abmarsch des 4., 1. und 3. Corps am 15., die Lage der Franzosen wesentlich gebessert haben würde.

Von den Russen nur durch Parteigänger matt verfolgt, kam der Rest der Armee nach Orzsa.

Kutusow ließ seine Armee ruhen und marschierte dann nach Kopys, wo er am 24. eintraf; er brauchte sonach zum Zurücklegen einer Strecke von zehn Meilen die Zeit vom 18. bis 24. November, also sieben volle Tage, und das zu einer Zeit, wo die äußerste Anstrengung geboten war, um, im Vereine mit Tschitschakoff und Wittgenstein, Napoleon zu vernichten.

Die unter Yermoloff gebildete Avantgarde bekam den Feind nicht mehr zu sehen.