Über den Einfluss Moskaus im Jahre 1813, und die Verhältnisse, in denen die französische und russische Armee sich befanden, als sie Moskau erreichten

Moskau, die Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements und zweite Hauptstadt des Reiches, liegt im Mittelpunkte eines ungeheuer ausgedehnten, von der sarmatischen Tiefebene erfüllten, natürlich begrenzten Raumes.

Die Betrachtung der durch die geografischen Verhältnisse überhaupt, insbesondere aber durch den Lauf der Flüsse, diese ersten Vermittler des menschlichen Verkehrs, bedingten Entwicklung des Handels und seiner Wege, macht die naturgemäße Notwendigkeit klar, dass eben in jenem Raume, innerhalb dessen Moskau liegt, eine bedeutende Stadt entstehen musste.


Die zentrale Lage dieser Stadt war besonders zu einer Zeit von Belang, als Eisenbahnen und Telegrafen, und mit ihnen die Mittel zur Beschleunigimg der Bewegung und Gedanken-Vermittlung noch ganz fehlten; denn gerade dieser Umstand setzte diese Stadt in ziemlich gleiche Beziehungen zu allen jenen Punkten der Peripherie des weiten Reiches, wo dieses bedroht werden konnte.

Zudem hatte Moskau, als die ehemalige Hauptstadt des alten Russlands, und als der Kern des Stockrussentums, bei dem entwickelten Nationalbewusstsein dieses Volkes eine nicht geringe politische, zugleich aber auch durch seine Größe und seinen Reichtum an Ressourcen, den die Stadt selbst sowie die benachbarte und besonders die gegen Süden sich erstreckende fruchtbare Gegend einer Armee zu bieten vermochte, eine sehr hohe militärische Bedeutung.

Der Angreifer wird sich bestreben, den Schwerpunkt der feindlichen Macht, in politischer, militärischer und kommerzieller Beziehung, auf dem kürzesten Wege zu erreichen; er wird daher eine Richtung einschlagen, die der Bewegung und Erhaltung seines Heeres nicht nur keine Hindernisse bereitet, soudern dieselben fördert, die also den gangbarsten und fruchtbarsten Landstrich durchzieht; und auf diesem relativ besten Wege, wird er das Reich teilend, zu des Gegners Hilfsquellen zu gelangen suchen. Anderseits wird der Verteidiger von dem Gedanken geleitet sein, seine Hilfsmittel zu schützen.

Diesen Gesichtspunkten entsprach im Jahre 1812 die Operationslinie vom Niemen über Wilna, durch das Tor Altrusslands zwischen Düna und Dniepr hindurch, und bis Smolensk.

Hier war den Russen zum letzten Male die Gelegenheit geboten, die für die Fortsetzung ihrer Operationen ersprießlichste Richtung zu wählen. Wir haben in den früheren Abschnitten gezeigt, welche diess war; wir haben dargetan, dass bei weiterer Fortsetzung ihres Rückzuges in nordöstlicher Richtung, entsprechend ihrem Bestreben auszuweichen, Moskau der äußerste Punkt war, über welchen hinaus weder die Richtung auf Wladimir, noch jene auf Rjäzan die Möglichkeit bot, eine große Armee zu erhalten; und wie die anerkannte Notwendigkeit, den Krieg in die Länge zu ziehen und sich den, nur von Süden, nicht aber von Norden, herankommenden Verstärkungen zu nähern, besonders aber Verpflegungsrücksichten dafür sprachen, von Smolensk aus in die Gegend von Kaluga-Tula und südlich davon zurückzugehen, wo alle Bedürfnisse des Heeres für längere Dauer leichtere und sichere Befriedigung finden konnten.

Allein, wie wir gesehen, forderten die politische Meinung und der Wille der Armee selbst, die direkte Deckung Moskaus durch eine Schlacht zu versuchen. Durch diesen Entschluss wurde Moskau naturgemäß das Hauptsubjekt der Verteidigung und die Russen hatten, in logischer Konsequenz, bedeutende Mittel daselbst angehäuft, die Straße dahin als Etapenlinie eingerichtet, sie mit den erforderlichen Vorräten versehen und die anrückenden Verstärkungen gegen dieselbe dirigiert.

Hieraus haben wir zuerst Gelegenheit, den mächtigen Einfluss zu erkennen, den Moskau ausübte, indem es in Folge seiner politischen Bedeutung und seiner Ressourcen und obgleich die Russen immer die Möglichkeit vor Augen haben und sich wahren mussten, den Krieg fortzusetzen und sich daher auch jene Mittel zu erhalten, durch welche dieser Zweck erreicht werden konnte, dennoch die Armee von der Operationslinie Smolensk-Kaluga, ab und an sich heran zog.

Jener korrekte Gedanke, der die Entschlüsse des russischen Feldherrn hätte bestimmen sollen, musste in analoger Weise auch Napoleons Handlungen leiten; für ihn kam es darauf an, den Russen die Zeit und die Mittel zu nehmen, welche sie befähigten, jene Entscheidung hinauszuschieben, die er gerade zu suchen hatte, und dies konnte in dieser letzten Strecke am besten durch ein Abschneiden des Feindes von seinen Hauptverbindungen bewirkt werden. Einen Weg hierzu bot die Straße Wiäzma-Malo-Jaroslawetz.

Doch auch für die Franzosen war zu dieser Zeit und für diesen Fall der Einfluss Moskaus ein mächtiger; denn geschwächt, wie die Armee war, konnte sie wohl nicht ihre einzige Rückzugsstraße verlassen, um auf Malo-Jaroslawetz zu marschieren, weil sie damit dieselbe gegen eine offensive Umkehr der Russen völlig blosgestellt haben würde.

Die Hoffnung mit dem Besitze Moskaus den Frieden zu erlangen, der Napoleon immer nötiger wurde, war ein so bedeutender Faktor, dass er alle anderen Rücksichten in den Hintergrund drängen musste.

Der Versuch der Russen, trotz materieller, moralischer und geistiger Inferiorität, der französichen Armee bei Borodino den Weg nach Moskau zu verlegen, war fehlgeschlagen; mit der Schlacht von Borodino, die recht eigentlich ein von der allgemeinen Stimmung provoziertes und dem russischen Feldherrn octroyirtes, notwendiges Übel genannt werden kann, war auch Moskaus Schicksal entschieden, dessen Verlust sie, trotz Allem doch nicht befürchtet zu haben scheinen, da sie sonst nicht in solchen Massen Vorräte aller Art dort aufgehäuft haben würden.

Bis nach Moskau war das Ausweichen der russischen Armee in östlicher Richtung vorgesehen gewesen, darüber hinaus aber nicht; und als sich nun die Notwendigkeit ergeben hatte, den Rückzug noch weiter fortzusetzen, entstand natürlicherweise die Frage, welche Richtung nunmehr einzuschlagen sei.

Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass die südlichen Provinzen weitaus wichtiger waren, als die Gegend östlich von Moskau, indem aus jenen die meisten Zuzüge an Kriegsbedürfnissen und an lebendiger Kraft, mithin an Allem, was die Stärke eines Landes für den Krieg ausmacht, zu erwarten waren.

Das Zurückgehen der Russen auf Rjäzan in den ersten Tagen nach der Räumung Moskaus war aus diesem Grunde völlig ungerechtfertigt. Es versetzte sie, als die bessere Erkenntnis zum Durchbruche gelangt war, in die unangenehme Lage, einen Flankenmarsch machen zu müssen, eine Operation, die fatale Folgen haben konnte, wenn der Feind rasch eingriff, was er leicht konnte.

Mit Beziehung auf diese Verhältnisse bezeichnet das Erreichen von Moskau einen Wendepunkt in den Operationen; denn es zeigte sich faktisch, dass der Rückzug der Russen gegen Osten hier sein äußerstes Ende gefunden hatte; waren sie bis dahin noch nicht in die Lage gekommen, nicht allein zu ihrem eigenen Vorteile den Kampf suchen, sondern auch die Entscheidung zu ihren Gunsten erlangen zu können, so musste von Moskau an nun unbedingt ihre Armee sich südwärts wenden, was die große Bedeutung dieses Punktes klar macht.

Die hier entwickelten Umstände erhoben aber auch die Wichtigkeit Moskaus für Napoleon zu einer bedeutenden. Hier war der Kulminationspunkt des französischen Angriffes erreicht; denn die bis dahin stattgehabte Schwächung der eigenen Kraft; die sich immer mehrende Empfindlichkeit der Flanken, welche im Rücken der Armee durch Tschitschakoff und Wittgenstein beunruhigend umschlossen wurden; das schon eingetretene Ende der guten Jahreszeit und die begreiflichen Besorgnisse vor dem frühen und rauhen russischen Winter; die ungeheuere Länge der Operationslinie und mit ihr die täglich wachsende Schwierigkeit des Nachschubs und der Ergänzung; die nachteiligen Rückzugsverhältnisse; endlich das noch immer fortgesetzte Ausweichen der Russen, und zwar diesmal nach einer Gegend, die ihren Plänen förderlich war; dies Alles bezeichnet Moskau als die Grenze des Angriffs, als die Grenze des Raumes, innerhalb welches, sollte überhaupt der Feldzug ein erfolgreiches Ende finden, die Entscheidung stattfinden musste.

War sie bis dahin nicht gefallen, hatte Napoleon Moskau erreicht, ohne die Russen entscheidend geschlagen zu haben, so stand er am Ende der Möglichkeit, dies überhaupt tun zu können und man kann sagen, dass er mit dem Gewinnen von Moskau Alles verloren hatte; denn er sah seinen Gegner neuerdings entschlüpfen, ohne selbst seine Absicht weiter verfolgen zu können.

Die Wahrheit dieser Worte beweisen seine wiederholten Friedensanträge.

Der Flankenmarsch der Russen von der Straße nach Rjäzan auf jene nach Kaluga, in gefährlicher Nähe der bei Moskau konzentrierten französischen Armee ausgeführt, wäre für Napoleon eine letzte Gelegenheit zur Führung des vernichtenden Schlages gewesen; mit dem Momente wo die russische Armee die flankierende Aufstellung bei Tarutino erreicht hatte, war dagegen für die Franzosen die Wahrscheinlichkeit des Erfolges wesentlich herabgedrückt, die Hoffnung auf eine günstige strategisclie Kombination entschwunden und nur noch die Möglichkeit eines taktischen Schlages ohne besondere strategische Unterlage übrig geblieben; und auch das nur dann, wenn die Russen es nicht vorzogen, durch ein weiteres Ausweichen diesen Kampf zu vereiteln, da Napoleon nicht gut in der Lage war, ihnen zu folgen.

Während er aber zu diesem vernichtenden Schlage faktisch nicht mehr genügende Kräfte besaß, war der Kampf selbst sehr nötig geworden, und zwar durch die Beziehungen, in welche die russische Armee zu seiner Rückzugsstraße gelangt war, und durch die bereits fühlbare Wirkung gegen diese, in der Richtung auf Wereja und Moshaisk.