Stürmischen Winde aus Westen

Er war nun immerhin vierundsechzig Jahre alt geworden, und sein Herz machte ihm oft zu schaffen. Dazu wurden die Zeiten unruhig. Die stürmischen Winde aus Westen bliesen bereits weithin in das deutsche Land, selbst kluge Männer redeten am Biertisch von dunklen Wolken; es war gut, wenn sein Kind in sicherer Hut geborgen war, ehe das Wetter vielleicht auch über das Mecklenburger Land hereinbrach.

Es heulte um die Dächer, und die See rörte.
In schweren, dumpfen Stößen gingen die Wogen gegen das Land.


Mieken - - seit ihr Mann sie so nannte, war der Kindername wieder in sein altes Recht getreten. Mieken Düvel stand in der kleinen Küche am Herd und sah auf den Rauch, der den Aufweg nicht nehmen wollte. Ein Kienspan brannte an der Wand im eisernen Halter, sein Schein drang spärlich durch den Qualm, der den Raum erfüllte.

Die Tür zum Gang wurde geöffnet, Dorte steckte den Kopf herein, hustete, wehrte mit den Händen gegen den Dunst und sagte: „Dein Seewolf will keine Ruhe geben. Die Flasche hat er ausgetrunken, aber nun liegt er in der Wiege und brüllt.“

,,Kann ihm nicht helfen. Laß ihn brüllen, das weitet die Lunge. Es ist heute verhext mit dem Feuer. Naendlich, Gott sei Dank, nun hat der Rauch den Weg gefunden.“ Sie stieß das Fenster auf, eisig blies es in die Küche. Dorte wickelte die Schürze um die Arme. ,,Du frierst wohl überhaupt nicht, Mieken?“

„So leicht nicht. Mein Blut ist so warm, ich könnt’ die noch was davon abgeben.“ Sie knackte eine Handvoll Reisig und schob sie unter den Topf, in dem die Abendsuppe kochte. „Hättest doch besser getan, Dort’, wenn du heut wieder mit nach Rostock gefahren wärst. Der Vater wird denken, ich bring’ dich hier um in unserer Seewüste.“
„Ach, Mieten, wo du so allein bist.“
„Deern, fang bloß nicht an zu flennen, das kann ich nicht vertragen. Die ,Luise Bollerjan‘ wird schon kommen. Mack läßt sich nicht von den Seeweibern runterholen.“

Sie rührte Ei und Mehl zusammen und ließ es in die kochende Milch laufen, die beliebte Klütersuppe war fertig. Dorte trug Teller und Löffel in die Vorstube und stellte mit Genugtnung fest, daß der Seewolf eingeschlafen war. Nur hin und wieder kam aus der Kammer noch ein Ton, wie ihn verweinte Kinder im Schlaf ausstoßen.

Der Wind stieß gegen die Scheiben. Er kam steif aus Norden, und wenn die „Luise Bollerjan‘ Kurs auf Warnemünde hatte, mußte er sie heranjagen. Man schrieb den 3. Dezember, und noch war Mack Düvel nicht zurück von der letzten Reise, die er im August angetreten. Da hatte er frischgeernteten Roggen nach Petersburg geladen und wollte Pelze nnd Fett zurückbringen.

Am ersten November hätte er da sein können, aber er war auch Allerheiligen, den elften, noch nicht zurück, als in den Rostocker Kirchen gedankt wurde, daß in diesem Jahr keins der ausgefahrenen Schiffe untergegangen sei. Sie waren alle zurück bis auf die „Luise Bollerjan“. Doch Hans Bradhiring war ihr begegnet nnd hatte berichtet, sie habe Havarie gehabt und Wisby anlaufen wollen, obgleich das ein Umweg war, um sich das Loch im Bug, von einem treibenden Wrack gerissen, flicken zu lassen.

Dann waren die Winde immer aus Südosten gekommen, und Mieken hatte sich weiter keine Sorgen gemacht. Nur daß ihr die Zeit lang geworden war, so lang.

Aber jetzt wehte es seit vierzehn Tagen aus der günstigsten Himmelsrichtung, und doch kam die ,,Luise Bollerjan“ nicht.

Die Frauen begannen sie so mitleidig anzusehen, wenn sie am Strom hinging, und als vor zwei Tagen der Vater kam und Dorte brachte, ,,daß du doch nicht immer so allein bist, Kind“, war ihr gewesen, als begrüben die schon alle ihren Mann und zögen ihr in Gedanken die Witwenkleidung an.

Nein, sie gab sich nicht. So schnell nicht. Darum hatte sie nicht gefreit, um nach zwei Jahren als Witwe zurückzubleiben. Ihre Mutter hatte das tragen müssen, aber ihre Mutter hatte wohl besser tragen können, still und in sich, wie sie gewesen war. Doch sie und Mack - sie waren beide heißes Leben, sie waren so brennend heiß, daß sie dem Tod nicht nachgeben würden, nicht auf der See und nicht im Krankenbett. Sie küßten sich und sie stritten sich, aber nie schmeckten die Küste süßer als nach solchem Streit. Wenn er hinausging und sie ihm vom Strande aus nachsah, weinte sie nicht; er konnte heulende Weiber nicht ausstehn. Aber wenn er wiederkam, flog sie ihm an den Hals und erstickte ihn fast mit ihren Küsten.

Dorte hatte das einmal gesehen und sich entsetzt. So etwas! Aber so etwas tat man doch nicht!

Dorte sah wieder in die Küche. ,,Ist die Suppe gut? Soll ich dir den Suppennapf zureichen?“ Sie reckte die Hand empor und wollte den Napf vom Küchenbord nehmen, da - - es mußte wohl ein Nagel nicht ordentlich eingeschlagen sein, gab es einen entsetzlichen Krach, Klirren, Schmettern, und alles Geschirr lag in Trümmern auf dem Boden.

Schneeweiß stand Dorte und sah auf die Scherben. Solcher Lärm, solche Trümmer! Hatte sich da was angesagt? Mieken fuhr zu. ,,Wie stehst du denn da? Sei doch kein altes Weib! Herrgott, dich muß es auch noch mal ganz umkrempeln, eh’ du in die Welt paßt. Wegen den paar Schüsseln und Pötten!“ Sie lachte kurz auf, es klang nicht ganz echt. ,,Wenn Mack sich ansagen wollt’, der machte andern Skandal!“ Mit schnellen Fingern fegte und raffte sie alles zusammen, und warf es in den Schutteimer. ,,Nimm ‘ne Blechschale, Deern, die tut’s auch, oder ist dir das nicht fein genug?“

Dann saßen sie in der Vorstube am Tisch, zwischen den hellen Wänden, die unten mit rötlichem Tannenholz und oben mit bunten Kacheln bedeckt waren. Auf dreiarmigem Leuchter brannten drei Lichter, denn Mieken, so sparsam sie sonst war, wollte an diesem Tage helles Licht um sich haben.

Wie sie aßen, schlug jemand an die Haustür.

Die junge Frau öffnete den Fensterladen und fragte: ,,Wer kommt da noch? Du, Großvater? Täuw en Ogenblick, ick mak furts apen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Stranddistel. Roman