Der Magister

Der Magister Panthenius kam fast jede Woche zur Tante Friede, und die Tante war nach solchen Besuchen immer sehr erregt, soweit das bei ihr möglich war. Sie rief dann nach Maria, die wunderlicherweise stets ausgegangen war, wenn der Magister kam, und sie redete nachher lange und eifrig mit dem Mädchen, das aus alle Reden immer nur das eine antwortete: ,,Er soll doch einsehen, daß es Gott nicht wohlgefällig sein kann, für sich ein Mädchen zu begehren, das ihn nicht mag. Wollte der Herrgott mich ihm geneigt machen, hätte er wohl eine Inklination in mir geweckt.“ Die Tante litt unter solchen Worten. „Es bedarf bei einem tugendhaften Mädchen solcher Inklination gar nicht. Das ist ein Sentiment, wie man es bei Mägden findet. Die Werbung eines solchen Mannes ehrt dich und das Haus. Ich habe dem Magister zugesagt, mit deinem Vater zu reden.“
„Der Vater ist gütig, er wird mich nicht zwingen zu einer Sache, die mir so ärgerlich ist.“
Und um der Tante zuvorzukommen, ging sie selber hin und fragte den Vater, ob sie denn eine Last im Hause sei, die er los sein wolle, denn ehe sie den Magister Panthenius heirate, da - da -
Von der Mauer fiel aus den Wolken. Er lebte in seinen Gedanken und hatte nicht achtgehabt, daß neben ihm ein junges Leben in die Jahre gekommen war, wo die Falter und Käfer beginnen, um die erblühende Knospe zu schwärmen. Aber gütig und immer seines Wortes gedenkend, dem Kinde der geliebten Frau ein zärtlicher Vater zu sein, versprach er, nie zugunsten des Magisters einen Druck auszuüben.
,,Sehen Sie, Tante,“ kam Maria zurück, ,,der Vater gibt mich Ihrem Protégé nicht. Ich bitte Sie, lassen Sie den Magister das spüren.“
„Maria,“ sagte die alte Dame kummervoll, ,,es ist ein schweres Leid, das du einem braven Manne zufügst. Und denke nicht, daß ich nicht weiß, was dich so trutzig macht, warum der Magister dir so wenig aimable erscheint. Es ist da - ich schäme mich, es aussprechen zu müssen – ein anderer, der deinen Augen angenehmer ist. Ein Mann, nicht aus unserem Stande -“
"Ich bitte die Tante -“
„Nein, da wir einmal so weit gegangen sind, will ich ausreden. Der Mann hat weder Vermögen noch Namen, noch Herkunft, er wird deinem Vater nie konvenieren.“
Der blonde Kopf flog in den Nacken.. "Die Tante vergißt, daß ich keine von der Mauer bin. Mein Vater hieß Jochen Jungmann und war Steuermann und starb als Seemann draußen im Kanal. Und meine Mutter war eine Bauerntochter - ich kann der Tante nicht helfen“ - die machte ein Gesicht wie bei Zahnschmerzen -, „es ist doch einmal so die Wahrheit. Und wenn der Kapitän Düvel hier so oft um das Haus streicht und die Tante das gesehen und ihre Schlüsse gezogen hat, so ist es keine Schande für mich. Ich habe mich immer honett benommen, es kann mir niemand etwas nachsagen. Aber wenn ich denn sagen soll, wie es ist, nun also, der Kapitän mit seinen vier Schillingen ist mir lieber als der Magister mit zehntausend Talern.“

„Gib mir mein Riechfläschchen,“ sagte die alte Dame, „du hast mich schwer aigriert.“
„Es tut mir leid, aber ich bin ein Seemannskind, und ich kann nicht leben, wenn ich immer zwischen Mauern sitzen soll.“


Die Tante winkte ihr zu schweigen.

Mack Düvel aber, dessen Schiff wieder znm Auslaufen beladen und versichert im Strom lag, faßte sich eines Tages ein Herz und ging zu Thomas Lembke. Er hatte wohl erfahren, welche Rolle der vor Jahren bei der Werbung in Peter Jungmanns Hause gespielt hatte, denn diese Sache war in Warnemünde unvergessen, und da er den Advokaten, der im Rat saß und die Warnemünder Angelegenheiten zu vertreten hatte, seit seiner Kinderzeit kannte, hielt er ihn für den rechten Mann, nun auch seine Sache in die Hände zu nehmen.

Da wurde von der Mauer zum zweitenmal in kurzer Zeit aus seinen Träumen auf die Erde gezogen.

„Es ist wohl nicht zu denken, Thomas. Der junge Mensch, ich weiß, er soll ein tüchtiger Seemann sein, aher der hat sich seine Bewerbung doch wohl nicht überlegt. Denke dir, wie Maria erzogen ist, wie sie lebt, wie sie die Wahl haben kann zwischen den angesehensten Familien hier in der Stadt, denn ich werde sie gut aussteuern.“

„Fritz,“ lachte der Advokat, „hattest du nicht auch die Wahl? Und war der Unterschied zwischen dir und deiner Frau nicht viel größer? und wolltest doch keine andere. Laß doch die Maria gewähren, wenn sie den Düvel will. Sie ist nun mal Strandgewächs, sie hat es im Blut, und ihre Augen sind so hell und scharf wie Möwenaugen, laß sie dahin, wohin sie ihrer Art nach gehört. Wenn ich jung wäre und lange Röcke trüge, ich nähme auch lieber den Düvel als den Panthenius.“

Von der Mauer seufzte und verlangte drei Tage Bedenkzeit.

Als die drei Tage um waren, gab es im Hause am Schilde ein großes Backen und Braten und Blumenwinden und viel Silber und Kristall auf allen Tischen, und man feierte mit allem Pomp die Verlobung der Jungfer Maria Jungmann mit dem Kapitän Düvel.

Schon am andern Morgen stach der in See.

Am Verlobungstage aber war Dorte, die, sonst immer die erste im Hause, jetzt einmal zweite Violine spielen mußte, etwas geschehen, das ging ihr lange nach.

Sie hatte bei dem feierlichen Essen, wo der Vater und der Vogt aus Warnemünde als Vater des Bräutigams und ein paar sogenannte Onkel lange Reden hielten, zwischen der Jugend unten am zweiten Tisch gesessen. Da war es zwar lustig, aber doch mit einer gewissen gedämpften Heiterkeit zugegangen, denn dies alte Patrizierhaus lud nicht zu lautem Lärmen und Lachen ein. Neben Dorte saß ein Sohn des Advokaten Lembke, drei Jahre älter als sie und ihr gut bekannt. Sie redeten zusammen von seiner bevorstehenden Reise nach Hamburg, wo er in die Kaufmannslehre sollte, und redeten von Dortes Einsegnung und daß sie eine erwachsene Demoiselle sein würde, wenn er einmal heimkam. Und was so junge Leute reden, wenn sie viel lieber tanzen und singen möchten.

Dazwischen gingen Dortes Augen immer einmal über den Tisch ein bißchen höher hinauf zum Vetter Hagedorn. Der führte die Tochter des Bürgermeisters, ein stattliches und stolzes Mädchen, und sah selber aus wie ein Graf in seinem blauen Frack mit dem schneeigen Spitzenjabot und dem funkelnden Brillanten am kleinen Finger.

Die Bürgermeisterstochter hatte denn auch sehr geneigte Augen und Ohren und nahm alle Komplimente ihres Partners, von seiner Geigenstimme in ihr Ohr gesungen, mit viel Scharm entgegen.

Etwas brannte in Dortes vierzehnjährigem Herzchen. Irgend etwas stach da, und das schöne Fest zu Ehren der Schwester wollte ihr gar nicht so gefallen, wie sie gedacht.

Das Mahl naiste sich dem Ende.

Herr Thomas Lembke, dem es längst zu feierlich zuging, stimmte an:
„Lasset die feurigen Bomben erschallen,
Piff, Paff, puff und juvallerallera!
Unser Brautpaar, das soll leben,
Es lebe das ganze Jungmannsche Haus,
Und ihr Düvel (hu! Hu! Hu! heulten etliche junge
Vettern) auch daneben,
Drauf trinkt sie ihr Gläschen aus.“

Dann begannen die Rundgesänge.
„Bruder, deine Liebste heißt?“ Und jeder nahm sein Gläschen in die Hand, nannte verschämt oder heiter einen Namen und trank auf das Wohl eines schönen Kindes oder einer korpulenten Ehehälfte.
Nur Manfred Hagedorn sagte, als die Reihe an ihn kam, und dabei redeten seine Blicke Bände zur Nachbarin: „Es ist gegen mein Empfinden, ein zartes Sentiment so an die Öffentlichkeit zu zerren.“
Dortes Tischherr, mit seinen siebzehn Jahren noch ein recht derber Junge, aber rief laut dazu: „Die Jungfer Christiansen ist’s, die Jungfer Christiansen.“

Scharf und hart kam die Stimme seines Vaters vom Nebentisch: „Wenn da einer zuviel getrunken hat, soll man ihn hinausbringen.“

Paule Thomas wurde rot bis hinter die Ohren und duckte sich. Manfred Hagedorn sah ihn nur verächtlich von der Seite an.

Man ging über den kleinen Zwischenfall fort. Doch als Dorte im großen Vorderzimmer, der Eßsaal lag im Flügel, allein mit ihrem Partner am Fenster stand und auf die Menschen sah, die die Straße zum Strand niedergingen, konnte sie es nicht lassen zu fragen: „Wer ist denn die Jungfer Christiansen?“

„Hast nicht von der gehört? Na, ja schon, was hört ihr Mädchen? Ist doch die Tochter vom Pedellen an der Universität.“

„Was hat denn der Manfred mit der zu schaffen?“

„Ich hab’ sie bei Abend miteinander vor dem Tor getroffen, wo sie scharmuzierten. Sie ist doch alleweil die Liebste von einem der Herrn Studenten.“

Dorte stand starr. Der Manfred! Ihr stolzer, wunderschöner Vetter Manfred!

Ein Götterbild stürzte plötzlich vom Postament.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Stranddistel. Roman