Westerland, am 18. August.

In der heißen Mittagsstunde lieb' ich es, zu den Ringhügeln zu gehen. Sie liegen seitab von meinem Häuschen, fern in der Heide, unter den Dünen. Ich sehe ihre sanften Wellen, wie sie sich mit dem spärlichen Grün ihrer Moosbekleidung gegen das matte Blau des Augusthimmels erheben. Mein Weg geht zuerst über Stoppelfelder, in welchen ein Weib arbeitend an der Erde kniet, oder ein Schaf weidet. Dann kommt der weiche Heideboden, mit seinem Geruch, wie der des Kirchhofs meiner Heimat; mit jenen gelb-rötlichen, kleinen Blumen, unter denen ich, in meiner ersten Jugend, auf den Hügeln, so gerne träumte. Die schönen, lächelnden Geister der Kinderzeit kommen und begleiten mich, hier an dem letzten Küstenrande der einsamen See, zu den gespenstischen Bramhügeln.

Ich ersteige die mäßige Höhe, und sehe nun, durch eine Senkung in den Dünen, einen Streifen blauen Gewässers, das vom Mittagsglanze schillert; ich sehe nordwärts im heißen Dufte, der sich, von dem Aushauch der Blüten voll, berauschend ausdehnt, eine gestaltenreiche Niederung — Heidegräber, Dünenhügel, und neblige Täler dazwischen und ein Dorf, dessen zerstreute Hütten auf dem traumhaft blauen Hintergrunde zu verdämmern scheinen. Kein lebendes Wesen, kein Wandersmann ist zu sehen, nur das Rauschen des Meeres wandert leise von Düne zu Düne, und sein kühler Atem, der sich flüsternd im Kraute verliert, streift zuweilen die Stirne des Ruhenden.


Solch' ein tiefer Frieden waltet hier oben! Das Herz ruht am Herzen der Natur, und über dem Haupte geben sich stille Blumen die Hände, und nehmen, schon jetzt, in ihren sanften Bund den Erdenpilgrim auf. Zwar mahnt noch Manches an Umkehr ins stürmische Leben. Wie ein Schatten wandelt die Feindschaft vorüber; wie ein Rosengewölk gegen Abend gaukelt Freundschaft und Liebe dahin und manch' ein blonder Engelskopf in ihrem Gefolge. Aber die Seele lächelt, indem sie die Erscheinungen sieht, und sie empfindet es, wie sanft sich's dereinst unter Blumen ruhen wird! —Die Ringhügel sind mir darum lieb geworden, und die Mittagsstille wird mir hier nie gestört. Denn die Leute fürchten sich vor der Nähe derselben, weil diese Anhöhen ehedem von den Hexen als Zusammenkunftsorte benutzt worden, und ihre Geister noch immerdar um die Moosfläche rundfahren. Ich aber, in der Einsamkeit der tiefstillen Insel, suche die andere Einsamkeit der Gespensterhügel und freue mich der Visionen, die von der brütenden Mittagssonne und dem aufsteigenden Moderduft der Heide geboren, meine Träume beleben.

Halbwach erhebe ich mich zuletzt und wandle — mir selber vorkommend wie ein Schatten, der über die breite, weite Heide schwankt — den Häusern von Westerland entgegen. Einzeln, hier und da, von der Windmühle herauf — deren Flügel sich matt drehen — bis zu den weihen Dünen liegen sie unter der Gleichmäßigkeit der hohen Sonne, wie ausgestorben und von allem Leben verlassen, eines wie das andere; und verwirrt von dem Lichtglanz der Fläche, dem melancholischen Stillstand der Landschaft, dem betäubenden Dufte des warmen Windes und dem schlaftrunkenen Rauschen der See würde ich das meine nicht finden, wäre es nicht um meinen ehrlichen Schlafrock, welchen zu dieser Zeit Brigitte vor die Tür zu hängen pflegt, und welcher mir alsdann mit dem Rot seines Unterfutters ganz in schwere Sonnenglut getaucht, als ein Signalfeuer der Heimkehr leuchtet.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Stillleben auf Sylt