Statistik der Armenkinder im Großherzogtum Oldenburg.

Aus: Zeitschrift für das Armenwesen 1917
Autor: Wanderer, A., Erscheinungsjahr: 1917

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sozialgeschichte, Erster Weltkrieg, Nachkriegszeit, Not, Elend, Gemeinnützigkeit, Armenpflege, Kinderfürsorge, Wohltätigkeit, Sozialarbeit, Frauenbildung, Armut, Armenrecht, Mietzuschuss, Wohnungswesen, Sozialwohnungen, Sozialleistungen, Armenpflege, Kinderschutz, Jugenfürsorge, Flüchtlinge, Flüchtlingsfürsorge, Hinterbliebenenfürsorge, Kriegsinvaliden, Kriegswaisen, Versorgungsbehörden
Niemals ist das Interesse an dem Nachwuchs unseres Volkes so groß gewesen wie jetzt; außer den allgemeinen Fragen, die die Ertüchtigung und Wettbewerbsfähigkeit der künftigen Nation anstreben (Erhaltung und Verbesserung des vorhandenen Bevölkerungszuwachses, Vermehrung des letzteren), wächst in der Gesellschaft immer mehr das Pflichtbewusstsein, dem fürsorgebedürftigen Teile des Nachwuchses ganz besonders beistehen zu müssen und ihn zum vollwertigen Glied des Ganzen zu machen. Gesetzgeberische Maßnahmen, die diesen Bestrebungen den festen Rahmen, die Zieleinheit geben sollen, werden angestrebt; es gilt dazu, das soziale Gewicht der fürsorgebedürftigen Kinder und Jugendlichen abzuwägen, die seitherigen Leistungen auf diesem Gebiete einzuschätzen, insbesondere soweit die Öffentlichkeit diese übernommen hat, um einen Maßstab für die künftige Organisation tu gewinnen. In diesem Sinne hat vor kurzem eine Eingabe des Archivs Deutscher Berufsvormünder an den XVI. Ausschuss des Reichstags (Ausschuss zur Prüfung der Fragen der Bevölkerungspolitik) die Ausarbeitung einer Reichsstatistik der Kinderund Jugendfürsorge gefordert. Es würde sich lohnen, einmal rückblickend zu übersehen, ob und inwieweit ähnliche Forderungen in früheren Zeiten erfüllt wurden. Die Geschichte der Armenfürsorge ist auch die Geschichte der Kinderfürsorge, und hieraus wäre zu folgern, dass die Bearbeitung des einen Stoffes gleichzeitig auch die des anderen Stoffes bedeutete. Dieses trifft jedoch nur bedingt zu.

Die Armengeschichte klärt uns nur über einen Teil dessen, was wir von dem unterstützten Teile der Bevölkerung wissen müssen, auf. Sie vermittelt uns die Kenntnis des rechtlichen Systems der jeweiligen Armenpflege und ihrer tatsächlichen Handhabung. Uber die Anzahl und Art der Unterstützten sowie über die Kosten der Armenpflege und ihre Deckung, deren Klarstellung Aufgabe der Armenstatistik ist, gibt sie uns nur Bruchstücke, deren Zusammensetzung auch kein annäherndes Bild über den Umfang der Armenpflege im allgemeinen und noch viel weniger über Armenkinderpflege im besonderen ergibt. Wenn diese Tatsachen auch im letzten Jahrhundert durch die Ergebnisse der sich immer mehr entwickelnden statistischen Forschung eine bestimmtere Umgrenzung erhielten, so gingen sie bezüglich der öffentlichen Fürsorge für Kinder und Jugendliche nicht wesentlich über monographische Skizzen hinaus.

Die Armenstatistik will den Teil der Bevölkerung nachweisen, der außerstande ist, aus eigener Kraft sich die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens zu beschaffen, und der deshalb für seine Daseinsfristung Einrichtungen benutzt, die sich mit der Unterstützung dieses Bevölkerungsteiles befassen, sowie diese Einrichtungen nachweisen. Durch einfache Altersgliederung, wenigstens Feststellung der beiden Gruppen Kinder und Erwachsene schafft die Armenstatistik die Möglichkeit, beide Gruppen gesondert zu betrachten: Fürsorge für Erwachsene und Fürsorge für Kinder. Wenn gleich dieselbe Fragestellung für beide Gruppen ein brauchbares Ergebnis liefern kann, so wird uns die Stellung von Sonderfragen weiterführen: in den Armenstatistiken sind beide Arten vertreten.

Laufende und einmalige Erhebungen über den Umfang und die Art der Armenkinderfürsorge liegen in mehreren deutschen Staaten vor. Regelmäßige jährliche Veröffentlichungen bringen nur Bayern und Elsaß-Lothringen. Es darf nicht übersehen werden, dass die allgemeine armenstatistische Beschreibung Deutschlands immer noch als ungenügend bezeichnet werden muss, auch die Bearbeitung von Sondergebieten daher nur selten vorkommt. Einer der wenigen Bundesstaaten, die nach dieser Richtung hin Gutes geleistet haben, ist das Großherzogtum Oldenburg; hiermit ist untrennbar der Name Kollmann verknüpft. Kollmann als Statistiker begnügte sich nicht mit der theoretischen (Grundlegung der Armenstatistik, sondern schuf auch in dem von ihm geleiteten Amt nach dieser Richtung hin Vorbildliches.

Für die Frage der Armenkinderfürsorge kommen in Oldenburg zwei Veröffentlichungen in Betracht, deren Grundlagen geeignet gewesen wären, über die Armenkinder eingehende Tatsachen zutage zu fördern. Mehr noch trifft zu dieses bei der neueren Veröffentlichung von 1913 als bei der älteren von 1881.

Seit 1856 werden in Oldenburg lediglich zu statistischen Zwecken von den politischen Gemeinden resp. deren Armenkommissionen über die öffentliche Kommunalarmenpflege alljährlich Nachweisungen der Unterstützten geliefert. Da in Oldenburg auch die Landarmen durch die Gemeinden in der Hauptsache verpflegt werden, bringen diese Nachweise die Gesamtmasse der Armen zur Darstellung. Die ältere Bearbeitung dieser Nachweise, von 1856 bis 1880, fußte wohl hauptsächlich auf jenen Grundsätzen, die der 1. statistische Kongress im Jahr 1853 in Brüssel aufstellte, der über die Beschaffung international-vergleichbaren armenstatistischen Materials verhandelte. Für die öffentliche Armenkinderfürsorge waren dort folgende Forderungen aufgestellt worden: Darstellung des gesetzlichen Zustandes, Zahl der im Familienverband bis 16 Jahr alten mitunterstützten Kinder, der einzelunterstützten Kinder nach Zahl, Geschlecht, Ehelichkeit, Versorgungsart, Aufwand, Aufwandverteilung (Finanzstatistik), bei Anstaltspflege auch Zahl der Verpflegungstage, vorgekommene Krankheits- und Sterbefälle, Beschäftigung. Diese Forderung der internationalen Einheitlichkeit bei armenstatistischen Erhebungen wurde bisher in keiner Weise erfüllt.

Zwischen der Erkenntnis des Notwendigen und dem tatsächlich Erreichten klafft eben eine breite Kluft. So kommen in der älteren Oldenburger Statistik bezüglich der Armenkinder nur zur Darstellung: Die im Familienverband mitunterstützten Kinder, die Ausverdungenen (in fremde Familien- oder Anstaltspflege Untergebrachten) und das Geschlecht. Durch Inbezugsetzung dieser Daten mit einer Anzahl anderer lässt sich immerhin ein gedrängtes Bild über Umfang und Art der Oldenburger öffentlichen Armenkinderfürsorge geben (s. Tabelle I).

Tabelle I. Umfang der Oldenburger öffentlichen Armenkinderpflege in den Jahren 1869 — 1876.

Im Durchschnitt der angegebenen Jahre betrug die Zahl der einzelunterstützten (ausverdungenen) Armenkinder etwa 2.100. Von den Ausverdungenen waren 51,3 % Knaben und 48,7 % Mädchen. Über den Kostenaufwand lassen sich direkte Angaben nicht machen, soweit er die Kinder allein betrifft. Der Aufwand für einen Armen überhaupt betrug im Jahresmittel 1871/75 pro Kopf 46,89 M.

Außer den ausverdungenen Armenkindern gab es im ganzen Großherzogtum etwa 300 Kinder in Anstalten. Berechnet man das Verhältnis der öffentlichen Armenkinder zu den überhaupt in der Bevölkerung des Großherzogtums vorhandenen gleichalterigen Kindern, so ergibt sich, dass im Durchschnitt der Jahre 1869/75 etwa 21,40 vom Tausend der Gesamtkinderzahl (unter 14 Jahren) in öffentlicher Armenversorgung als Einzelunterstützte waren.

Die Anstaltspflege für öffentliche Armenkinder bildete die Ausnahme — zum Glück für die Kinder, denn die Armenhäuser, die diesem Zwecke dienten und in denen ein kleiner Teil der Kinder „zur besseren Beaufsichtigung und Erziehung" untergebracht war, galten hauptsächlich der Aufnahme von „arbeitsscheuen, trunkfälligen und überall durch eigenes Verschulden zurückgekommenen und hilfsbedürftigen Individuen und Familien". Immerhin sind einige dieser Anstalten durchschnittlich bis zur Hälfte mit Kindern belegt, die 1878 noch 35,8 % der Gesamtarmenhausinsassen im Großherzogtum darstellen. Wenn nicht gerade die oben ausdrücklich betonte besonders schlechte Qualität der erwachsenen Armen Vorbedingung für die Aufnahme in die Armenhäuser gewesen wäre, so könnte man sich die Anzweiflung der Eignung als Erziehungsort für Kinder ersparen, da die Hausordnungen dieser Häuser auch den weiteren Ansprüchen genügen. „Die Kinder haben sich in erster Linie mit ihren Schulaufgaben zu befassen, doch werden daneben in der Regel die Mädchen auch in der Haushaltung, die Knaben im Landbau verwertet, aber derart, dass ihnen eine angemessene Spielzeit bleibt. In Bezug auf die Kinder vertreten Hausvater und -mutter die Eltern. Im schulpflichtigen Alter sind die Kinder zum regelmäßigen Besuche der Schul- und Kinderlehre anzuhalten, auch dabei in nützlichen Beschäftigungen zu unterweisen. Möglichst ist Berührung mit erwachsenen Pfleglingen zu vermeiden". Auch bezüglich der in Familienpflege untergebrachten Kinder galten ähnliche Grundsätze, wenn auch die dargestellten Jahre die eigentliche Übergangszeit von der Versteigerung der Armen an den Mindestfordernden zur besseren Auswahl der Annehmer von Armenkostgängern sind. Besondere Vorsicht bei der Annahme und nachherige scharfe Aufsicht wurden gegenüber den Pflegefamilien der Jugendlichen empfohlen und auf menschenfreundliche und zugleich verständige Behandlung, angemessene Erziehung und Anhaltung zum Schulbesuch gesehen.

Als 1881 diese Statistik der Öffentlichkeit übergeben wurde, waren bereits die Grundsteine zu einer neuen verbesserten Materialsammlung gelegt, die hauptsächlich nach der Seite der Armenkinder eine bedeutende Verbesserung aufwies. Vor allem wurden die Listen nicht mehr summarisch angefertigt, sondern die Unterstützten mussten individuell nachgewiesen werden. Seit 1880 führen die oben erwähnten Nachweisungen folgende die Armenkinder in ihrer Eigenschaft als Selbstunterstützte betreffenden Punkte an: Name, Geschlecht, eheliche oder uneheliche Abstammung, Alter, Konfession, Geburtsort nach Staaten, körperlicher bzw. Gesundheitszustand, Erwerbsfähigkeit, Ursache der Unterstützungsbedürftigkeit, Art der Versorgung (Familien- oder Anstaltspflege), falls ausverdungen, Betrag des jährlichen Ausverdingungsgeldes, Anzahl der Unterstützungstage im Jahre, ob total-arm oder teil-arm, dauernd oder vorübergehend unterstützt und schließlich den Unterstützungswohnsitz. Bei den Mitunterstützten werden die im Familienverbande befindlichen Kinder unter 14 Jahren gesondert ausgezählt nach Geschlecht.

Die Anweisung zu diesem Nachweisungsformular enthält im § 3 folgende Bestimmung: Als Selbst-Unterstützte gelten: c) Jedes alleinstehende Kind (also z. B. Doppelwaise, Mutter tot und Vater Sträfling oder umgekehrt, eheverlassene Mutter gestorben). Bei Geschwistern, welche dauernd oder zeitweilig von ihren Eltern verlassen sind, ist jedes einzelne unterstützte Kind namentlich anzuführen. Im § 4 bestimmt Abs. 3: Bei selbstunterstützten Kindern (§ 3 c), welche also bei fremden Leuten in Kost und Pflege gegeben (ausverdungen) oder in einer Anstalt untergebracht sind, ist der Beruf der Eltern anzugeben ohne Rücksicht darauf, ob diese gestorben sind oder noch leben, z. B. „Vater war Tischlermeister" oder „die unverehelichte Mutter ist Dienstmagd". Desgleichen verlangt der § 5, dass die Verarmungsursache genau angegeben sei. Für die Armenkinder kämen als solche in Betracht vor allem alle Verarmungsursachen ihrer Eltern, verschuldete und unverschuldete, sodann als Generalursache die Verwaisung.

Der heikelste Punkt in der Annenstatistik dürfte die Feststellung der „Verarmungsursache" sein. Sobald bei der Beantwortung statistischer Fragen die unbedingte Sachlichkeit dieser Antwort nicht völlig garantiert ist, berechtigt das ganze Ergebnis zu Zweifeln. Gerade die Frage nach der Verarmungsursache ist so subjektiver Beurteilung unterworfen wie keine zweite Frage. Als Beispiele von Verarmungsursachen gibt der § 5 der Anleitung zu den Nachweisformularen an: Arbeitsscheu, Trunksucht, Verschwendung, liederlicher Lebenswandel; Krankheit, Altersschwäche, Arbeitslosigkeit, böswillige Verlassung seitens des Ehemannes, Freiheitsstrafe des Ehemannes, Verwitwung, Verwaisung usw. Allgemeine Angaben wie: „eigenes Verschulden" sollen keinesfalls genügen.

Ursache und Anlass einwandfrei auseinanderzuhalten, dürfte hier schlechthin unmöglich sein; die das Urteil abgebende Armenbehörde ist hierzu kaum imstande. Sicherlich können psychologisch geschulte Personen mittels induktiver Methoden annähernd objektive Ergebnisse erzielen. Diese Voraussetzungen treffen hier jedoch nicht zu. Ist es also sehr fraglich, ob bei dem Suchen der Ursache der Verarmung in rein subjektiven Gründen, die noch dazu subjektiver Beurteilung unterliegen, ein brauchbares Ergebnis erzielt wird, so müsste die Statistik nach einer Fragestellung streben, deren objektive Beantwortung zweifelfreie objektive Ursachen ergäbe. Die Armenstatistik bewegt sich z. B. in dieser Richtung, wenn sie sich der Frage des Berufswechsels oder der Verpflanzung von ländlichen in städtische Verhältnisse und umgekehrt zuwendet usw. Sie wird aber in dieser Beziehung kaum etwas Neues schaffen können oder Ergebnissen kommen, die nicht schon durch andere besondere Sozialstatistiken, z. B. Arbeitsstatistik, geliefert sind.

Das Armenkind spiegelt jedoch nicht nur die Folgen des Zustandes seiner natürlichen Fürsorge verpflichteten wider, sondern es können ihm auch hiervon unabhängig eine ganze Anzahl Eigenschaften anhaften, die mit ersterem nichts zu tun haben. Seine Armut (und deshalb seine öffentliche Fürsorgebedürftigkeit) wird nicht selten durch die Willkür seiner Eltern verursacht (Aussetzung, Verlassenheit), aber auch durch körperliche und geistige Zustände, deren Behebung und Pflege die Leistungsfähigkeit oder den Leistungswillen der natürlichen Fürsorgeverpflichteten übersteigt und die dann im Rahmen der öffentlichen Armenkinderfürsorge erfolgen muss.

Die Oldenburger Erhebung, wie sie seit 1880 erfolgt, wäre geeignet, nach beiden Richtungen hin Material zu beschaffen. Sie bietet reichliche Kombinationsmöglichkeiten und kann als eine gute Grundlage der Armenkinderstatistik angesehen werden, über ihren Wert äußerte sich Kollmann in Zahn, „Die Statistik in Deutschland“, II. Bd., S. 696: „In dieser weitgreifenden Erhebung dürften alle wesentlichen Gesichtspunkte Beachtung gefunden haben, welche, soweit sie die öffentliche Armenpflege angehen, für die Statistik in Frage kommen; und da die sämtlichen Momente für jeden Einzelfall auszuweisen sind, ist zudem die Handhabe geboten, durch die Verknüpfung und gleichzeitige Beobachtung mehrerer dieser Momente bestehende Beziehungen aufzudecken und überhaupt tiefer in das Material einzudringen.

In gleich gründlicher Weise ist es seit 1861 um die Veranstaltungen bestellt, welche den Haushalt und die Vermögenslage wie aller kommunalen Verbände, so auch der Armengemeinden und der Landarmenverbände zum Gegenstand haben. . . . Demgemäß lassen sich in den jährlichen Rechnungsauszügen die Einnahmen und Ausgaben nicht nur vollständig, sondern mit genauerer Unterscheidung der bedeutsamen Punkte feststellen. Das gilt zumal für die Angaben, die die verschiedenartigsten Aufwendungen zu Unterstützungszwecken auseinanderhalten."

Um so bedauerlicher ist es, dass bei der Veröffentlichung des Materials (Statistische Nachrichten über das Großherzogtum Oldenburg, herausgegeben vom Großherzogl. Statist. Landesamte, 27. Heft, Die öffentlich-rechtliche Armenpflege 1891 — 1905 auf stat. Grundlage dargestellt. Druck und Verlag von Ad. Littmann, Oldenburg i. Gr. 1913. Preis 4 M.) die Ergebnisse der öffentlichen Armenkinderpflege keinerlei Berücksichtigung fanden und lediglich nur die nackte Anzahl der Armenkinder ohne irgend welche andere Unterscheidung gebracht wird.

In den nachfolgenden Tabellen versuche ich, die Bedeutung dieser Ziffern durch Gegenüberstellung mit anderen Daten etwas zu heben.

Tabelle II. Umfang der Oldenburger öffentlichen Armenpflege in den Jahren 1891/1905.

Am auffallendsten ist die Feststellung, dass die Armenkinderzahl von 21,4 pro Tausend im Durchschnitt der Jahre 1869/75 auf 7,63 pro Tausend im Durchschnitt der Jahre 1901/05 gesunken ist, also im Verhältnis zur gleichalterigen Bevölkerung nur noch ein Drittel der früheren Höhe beträgt, während die Zahl der überhaupt Unterstützten auf die Hälfte herabgesunken ist (von 42,2 auf 20,0 der Bevölkerung). Oldenburg dürfte damit eine der geringsten Armenkinderziffern Deutschlands aufweisen. Allerdings ist das Verhältnis der im Familienverband unterstützten Kinder um 6 % gestiegen. Das bedeutet: über 500 Kinder werden mehr im Familienverband unterstützt, wie es nach dem alten Verhältnis sein würde. Da die Oldenburger Armenkinderziffer eine der niedrigsten im Deutschen Reiche ist, wäre aus vorstehendem das Bestreben zu schließen, die Kinder mehr im Familienverbande zu belassen, als dieses in anderen großen Armenverbänden Deutschlands der Fall ist.

Tabelle III. Gegenüberstellung des Umfanges und Aufwandes der Oldenburger öffentlichen Armenpflege und der im Familienverbande mitunterstützten Kinder in den Jahren 1871/75 und 1901/1905.

Auffallend gering ist die Zahl der Armenkinder besonders in dem so kinderreichen Fürstentum Birkenfeld. Der Anteil der unter 14 Jahre alten Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung beträgt dort 368 auf 1.000 und steht damit weit über dem Durchschnitt sowohl Oldenburgs wie Deutschlands. Die Armenkinderzahl beträgt jedoch relativ noch weniger •als die Hälfte jener Zahl im Herzogtum Oldenburg, nämlich auf 1000 gleichaltrige Bewohner nur 4,32 (im Herzogtum Oldenburg 8,88).

Tabelle IV. Verhältnis der öffentlichen Armenkinder zur Bevölkerung.

Tabelle V. Versorgungsart der öffentlichen Armenkinder.

Die Gesamtarmenziffer im Fürstentum Birkenfeld ist nach der neuen Statistik ähnlich der Durchschnittsziffer für das Großherzogtum, während sie nach der alten Statistik bedeutend darunter stand, nicht nur bezüglich der Zahl, sondern auch des Aufwandes (3,47 % der Bevölkerung mit 52,74 M. Kopfaufwand gegen 4,22 % und 46,89 M. Kopfaufwand im Durchschnitt des Großherzogtums). Diese Verschiebung scheint gerade in diesem Falle keine Verschlechterung des allgemeinen Wohlstandes zu bedeuten, sondern eher das Gegenteil. Das Fürstentum Birkenfeld ist auch heute noch ein wenig ertragreiches, infolge der Eigenart seiner Industrie den wirtschaftlichen Schwankungen besonders hart ausgesetztes Land. Früher mehr noch als heute aber war die Lebenshaltung eines großen Teiles der Bevölkerung auf einem so niederen Stand, dass die Einzelarmut nicht sehr auffiel. Die auch heute noch auffallend niedere Armenkinderziffer findet nur ihre Erklärung durch die dort weit verbreitete Heimindustrie, die in allen und gerade auch in den schlechtesten Zeiten die Kinder zur Heimarbeit anspannt und in ihnen ein wirtschaftliches Wertobjekt sieht, das man nur im alleräußersten Notfalle abgibt. Übrigens sind fast sämtliche Armenkinder in Familienpflege untergebracht, die Anstaltspflege verschwindet ganz. Beim Vergleich der älteren mit der neuen Statistik und den Verhältnissen in den übrigen Gebieten des Großherzogtums ergibt sich für Birkenfeld: Zunahme der Gesamtzahl der Armen; starke Abnahme der selbstunterstützten Kinder, die sich dadurch noch verschärft, dass auch die Zahl der im Familien verband unterstützten Kinder stark unter dem Durchschnitt des Großherzogtums steht (wirtschaftlich besseres Fortkommen durch größere Kinderzahl, die in der Heimindustrie Verwendung finden).

Ich habe im vorstehenden versucht, der nackten und toten Armenkinderziffer, wie sie in obiger Statistik mitgeteilt wurde, etwas Leben zu geben, indem ich sie soweit möglich zu einigen anderen Erscheinungen in Beziehung setzte. Auf die eigentliche Aufgabe, in das Wesen der öffentlichen Armenkinderfürsorge im Großherzogtum Oldenburg einzudringen, musste natürlich verzichtet werden. Ich kann nicht umhin, zum Schluss nochmals lebhaft zu bedauern, dass das sicherlich reichhaltig angesammelte Urmaterial, das eine geradezu glänzende Unterlage zu einer Armenkinderstatistik geben würde, bis dahin keine besondere Bearbeitung und Veröffentlichung erfuhr; hoffentlich geschieht dieses später doch einmal.