Stambul

Reise-Erinnerung, Hausschatzsammlung
Autor: May, Karl (1842-1912), Erscheinungsjahr: 1881-1882
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Da saßen Zwei in einem Zimmer des Hôtel de Pest in Pera, tranken den famosen Ruster, den ihnen der Wirth, Herr Totfaluschi, eingeschenkt hatte, rauchten dazu und langweilten sich entsetzlich, wie es schien.

Sie sahen nicht gar sehr ‚geschniegelt und gebügelt‘ aus. Das Äußere des Einen bestand in langen, starken Juchtenstiefeln, einer braunen Hose, braunen Jacke, sonnverbranntem Gesichte und braunen Beduinen–Händen. Das Äußere des Andern war ‚grau in grau gemalt‘, die Nase ausgenommen, welche sich mit einem ausdauernden holden Erröthen präsentirte. Sie tranken und rauchten, und rauchten und tranken in allertiefster Schweigsamkeit. War es wirklich aus Langeweile, oder trugen sie sich mit großen, weltbewegenden Gedanken, für welche die Sprache der Menschen glücklicher Weise keinen passenden Ausdruck fand?

Es schien das Letztere der Fall zu sein, denn plötzlich öffnete der Graue seinen Mund, schüttelte die Nase und schloß die Augen; er konnte es nicht länger verhindern; einer seiner großen Gedanken befreite sich und riß sich los in den siegreich hervorgestoßenen Worten:

„Master, was haltet Ihr von der orientalischen Frage?“

„Daß sie nicht mit einem Frage-, sondern mit einem Ausrufzeichen zu markiren ist,“ lautete die Antwort des Braunen.

Der Graue that seinen Mund wieder zu, riß die Augen auf und machte ein Gesicht, als habe er soeben einen Band von Keladi's ‚Sprüche eines Weisen‘, Großfolio und in Schweinsleder gebunden, verschlingen müssen.

Der Graue war Sir David Lindsay, und der Braune, der war ich. Ich habe mich niemals leidenschaftlich mit Politik beschäftigt, und die orientalische Frage ist mir gar ein Gräuel. Wer sie erst definiren kann, der mag sie darnach lösen. Sie und der sogenannte ‚kranke Mann‘ haben mich selbst in der lebhaftesten Gesellschaft stets zum sofortigen Schweigen gebracht. Ich habe nicht politische Medizin studirt und kann also nicht sagen, an welcher Krankheit dieser Mann leidet; aber ich meine sehr, daß grad ganz in seiner Nähe Zustände herrschen, welche ich nicht gesund nennen möchte.

Der Türke ist ein Mensch, und einen Menschen macht man nicht damit gesund, daß die Nachbarn sich um sein Lager stellen und mit Säbeln ein Stück nach dem Andern von seinem Leibe hacken, sie, die sie Christen sind. Einen kranken Mann macht man nicht todt, sondern man macht ihn gesund, denn er hat ein ebenso heiliges Recht, zu leben, wie jeder Andere. Man entzieht seinem Körper die Krankheitsstoffe, welche ihm schädlich sind, und reiche ihm dagegen das Mittel, welches ihn heilt und wieder zu einem leistungsfähigen Menschen macht. Der Türke war einst ein zwar rauher, aber wackerer Nomade, ein ehrlicher, gutmüthiger Gesell, der gern einem Jeden gab, was ihm gehörte, sich aber auch Etwas. Da wurde seine einfache Seele umsponnen von dem gefährlichen Gewebe islamitischer Phantastereien, Lügen und Widersprüche; er verlor die Klarheit seines ja sonst schon ungeübten Urtheiles, wollte sich gern zurecht finden und wickelte sich desto tiefer hinein. Da ward der bärbeißige Gesell zornig, zornig gegen sich und Andere; er wollte sich einmal Gewißheit schaffen, wollte einmal sehen, ob es wahr sei, daß das Wort des Propheten auf der Spitze der Schwerter über den Erdkreis schreiten werde. Er hing sich den Köcher um, griff zu Speer und Bogen, bestieg sein zottiges Roß und nahm den ersten, den besten Nachbar beim Schopfe. Er siegte und siegte wieder; das begann ihm zu gefallen. Er fühlte mit den Siegen seine Kräfte und sein Selbstvertrauen wachsen; darum marschirte er mit kühnen Schritten weiter. Es lagen ihm Tausende zu Füßen; er konnte in Gold und Perlen wühlen, aber er aß seinen trockenen Schafkäse zu dem harten Haferbrode nach wie vor, denn das gab ein festes Knochengerüste und eine eiserne Muskulatur.

Das blieb so, bis er gezwungen wurde, bis an den Leib in dem Sumpfe byzantinischer Heuchelei und griechischer Raffinerie zu waten. Man schmeichelte ihm, man machte ihn zum Halbgott; man zerstreute ihn durch hundert Aufmerksamkeiten; man erfand tausend Sünden, um Einfluß auf ihn zu gewinnen, und lehrte ihn Bedürfnisse, die ihn zu Grunde richten mußten. Seine Natur widerstand lange; aber als er einmal zu siechen begann, nahm die Krankheit Riesenschritte an, und nun liegt er da, umgeben von eigennützigen Rathgebern, welche sich sogar nicht scheuen, noch zu seinen Lebzeiten sein Erbe an sich zu reißen.

Nur ein Einziger steht von ferne, mit christlicher Theilnahme im Herzen. Er war ihm einst ein ehrlicher Feind und möchte ihm nun auch ein ehrlicher Freund sein. Er hat eingesehen, daß der Türke ein ebenso großes Recht hat, sein Land zu behalten, wie Preußen sein Schlesien, Sachsen und Hannover behalten hat. Dem Kranken, um welchen die Geier lauern, ist schon der aufrichtige Blick dieses Einen eine Bürgschaft der Genesung, und darum fühlt er sich bereit, ihm zu Liebe selbst das zu thun, was er sich von Anderen nie erzwingen ließe.

Dieser Einzige ist der Deutsche. Ist dem Germanen wirklich die weltgeschichtliche Rolle zugetheilt, der Träger christlicher Humanität zu sein, so ist er sicher überzeugt, daß Mekka einst veröden wird, wenn die Liebe dem Hasse das Schwert aus der Hand gewunden hat. Oder ist es vielleicht Wahnsinn, zu glauben, daß der Türke ein Christ werden könne? Das hieße nichts Anderes, als die Macht des Evangeliums verleugnen. – – –

Warum aber diese Einleitung? Einfach darum: Ich hasse den Türken nicht, sondern er dauert mich, weil ich ein Christ bin, und es thut mir immer wehe, wenn ich einen Türkenfresser behaupten höre, daß dem Osmanen nicht zu helfen sei. Das ist Pharisäer–Hochmuth, aber kein Christensinn. Die Streiter unserer heiligen Kirche besitzen mächtigere Waffen, als Schwerter und Kanonen es sind. Diese Waffen haben Weltreiche ohne Blut erobert. Warum soll diese Eroberung des Friedens nicht still und kräftig weiter schreiten? Das ist die Lösung der orientalischen Frage, wie der Christ sie sich denkt. – – –

Drunten im goldenen Horn liegt die ‚Bouteuse‘. Sie hat die Flügel eingezogen und sich an die Kette legen lassen. Vorher aber war sie eine gute Seglerin und zeigte sich unserem amerikanischen Klipper gewachsen, denn sie war einen vollen Tag eher als wir in Stambul angekommen.

Als wir an das Land stiegen, war mein erster Ausflug zur ‚Bouteuse‘. Der Kapitän derselben empfing mich mit der liebenswürdigen Freundlichkeit, welche den Franzosen im gesellschaftlichen Leben eigenthümlich ist.

„Sie wünschen, mein Schiff zu besehen?“ fragte er mich.

„Nein, Kapitän; ich wünsche, mich bei Ihnen nach einem Ihrer letzten Passagiere zu erkundigen.“

„Ich stehe zu Ihren Diensten!“

„Es ist in Tripoli ein Mann bei Ihnen an Bord gegangen – –“

„Ein einziger, ja.“

„Darf ich fragen, unter welchem Namen?“

„Ah, Sie sind Polizist?“

„Nein, ich bin ein einfacher Deutscher; der Mann, nach dem ich frage, hat in Damaskus einem Freunde von mir sehr werthvolle Pretiosen gestohlen. Wir folgten ihm, kamen aber in Tripoli erst an, als Sie im Begriffe standen, die See zu gewinnen. Wir konnten nur in Beirut Gelegenheit finden, Ihrem Curs zu folgen. Das die Gründe meines Besuches auf Ihrem Fahrzeug.“

Der Mann strich sich sehr nachdenklich das Kinn.

„Ich bedauere Ihren Freund von Herzen, weiß aber nicht, ob ich Ihnen von Nutzen werde sein können, so gern ich das auch möchte.“

„Dieser Mann ist sofort vom Bord gegangen?“

„Sofort. Ah, da fällt mir ein, daß er einen Hammal 1) an Bord winkte, um sich seine Sachen tragen zu lassen; sie waren nicht bedeutend, denn er hatte nur ein Packet. Ich würde diesen Hammal wieder erkennen. Der Mann nannte sich Afrak Ben Hulam.“

„Das ist ein falscher Name!“

„Wahrscheinlich. Kommen Sie einmal wieder an Bord. Ich will Ihnen versprechen, diesen Hammal anzureden, wenn er mir begegnen sollte.“

Ich ging. Die Anderen erwarteten mich am Ufer. Jacub Afarah stellte sich an unsere Spitze, um uns nach dem Hause seines Bruders zu führen. Weder ich, noch Lindsay hatte die Absicht, die Gastfreundschaft desselben zu benutzen; aber uns ihm vorzustellen, das konnten wir schon wagen.

Maflei, der Großhändler, wohnte in der Nähe der Jeni Dschami, der neuen Moschee, und das Äußere seines Hauses ließ keinen Schluß auf die Größe seines Reichthums machen. Wir wurden, ohne daß wir unsere Namen nannten, in das Selamlik geführt, wo wir nicht lange auf den Eintritt des Hausherrn warten durften.

Er schien über den zahlreichen Besuch erstaunt zu sein; als er jedoch seinen Bruder erkannte, vergaß er ganz die dem Moslem sonst so unveräußerliche Gravität und eilte mit großen Schritten auf ihn zu, um ihn zu umarmen.

Maschallah, mein Bruder! Begnadigt Allah meine Augen mit wahrem Lichte?“

„Du siehst richtig, mein Bruder!“

„So segne Allah Deinen Eintritt und den Deiner Freunde!“

„Ja, es sind Freunde, welche ich Dir bringe.“

„Kommst Du in Geschäften nach Stambul?“

„Nein. Doch davon sprechen wir weiter. Ist Isla, der Sohn Deines Herzens, in Stambul oder auf Reisen?“

„Er ist hier. Seine Seele wird sich freuen, Dein Angesicht zu sehen.“

„Er wird auch noch andere Freude empfinden. Rufe ihn!“

Es vergingen einige Minuten, ehe Maflei zurückkehrte. Er brachte Isla Ben Maflei mit, und ich trat bei seinem Anblick ein wenig zur Seite. Der junge Mann umarmte seinen Oheim und sah sich dann im Kreise um. Sein Blick fiel auf Halef, und sofort erkannte er ihn:

„Allahu! Hadschi Halef Omar Agha, Du hier? Du bist in Stambul!“ rief er erstaunt. „Sei mir gegrüßt, Du Diener und Beschützer meines Freundes! Hast Du Dich von ihm getrennt?“

„Nein.“

„So ist er auch in Stambul?“

„Ja.“

„Warum kommt er nicht mit Dir?“

„Sieh Dich um!“

Isla wandte sich um und lag mir im nächsten Augenblick an dem Halse.

„Effendi, Du weißt nicht, welche Freude Du mir bereitest! Vater, sieh Dir diesen Mann an! Das ist Kara Ben Nemsi Effendi, von dem ich Dir erzählt habe, und das ist Hadschi Halef Omar Agha, sein Freund und Diener.“

Jetzt gab es eine Scene, bei welcher selbst das Auge des Engländers leuchtete. Diener mußten springen, um Pfeifen und Kaffee zu holen. Maflei und Isla schlossen sofort ihr Geschäft, um sich nur uns zu widmen, und bald saßen wir erzählend auf den Polstern.

„Aber wie kommst Du mit dem Effendi zusammen, Oheim?“ frug Isla Ben Maflei.

„Er war mein Gast in Bagdad. Wir trafen uns in der Steppe und sind Freunde geworden.“

„Warum bringst Du uns nicht Grüße von Afrak Ben Hulam, dem Enkel meines Oheims?“

„Grüße kann ich Dir nicht bringen, aber Nachricht habe ich für Dich.“

„Nachricht, aber keine Grüße? Ich verstehe Dich nicht.“

„Es ist ein Afrak Ben Hulam bei mir angekommen, aber es war der richtige nicht.“

„Allah 'l Allah! Wie ist das möglich? Wir gaben ihm einen Brief mit. Hat er ihn Dir nicht überbracht?“

„Ja. Ich nahm ihn auf, wie Ihr es begehrtet; ich gab ihm einen Platz in meinem Hause und in meinem Herzen, aber er war nur dankbar, indem er mir für viele Beutel Diamanten stahl.“

Die beiden Verwandten vermochten bei dieser Kunde kein Wort zu sagen, so erschracken sie. Dann aber sprang der Vater auf und rief:

„Du irrst! Das thut kein Mensch, der das Blut unserer Väter in seinen Adern hat!“

„Ich stimme Dir bei,“ antwortete Jacub. „Der, welcher mir Deinen Brief brachte und sich Afrak Ben Hulam nannte, war ein Fremder.“

„Glaubst Du, daß ich einem Fremden solche Briefe gebe?“

„Es war ein Fremder. Früher hieß er Dawuhd Arafim, dann nannte er sich Abrahim Mamur, und jetzt – –“

Da sprang Isla auf.

„Abrahim Mamur? Was sagst Du von ihm? Wo ist er? Wo hast Du ihn gesehen?“

„In meinem Hause war er, unter meinem Dache hat er gewohnt und geschlafen; ich habe ihm Schätze anvertraut im Werthe von Millionen, ohne zu ahnen, daß es Abrahim Mamur war, welcher Euer Todfeind ist!“

„Allah kerihm! Meine Seele wird zu Stein!“ meinte der Alte. „Welch ein Unglück hat da mein Brief angerichtet! Aber wie ist er in seine Hand gekommen?“

„Er hat den ächten Afrak Ben Hulam ermordet und ihm den Brief abgenommen. Nachdem er diesen gelesen hatte, entschloß er sich, als mein Verwandter zu mir zu gehen und meinen ganzen Laden zu leeren. Nur diesem Effendi allein danke ich es, daß es nicht geschehen ist.“

„Was hast Du mit ihm gethan?“

„Er entfloh uns, und wir sind ihm nachgejagt. Er ist gestern mit einem französischen Schiffe hier angekommen, wir aber kamen erst heut.“

„So werde ich mich gleich bei dem Franzosen erkundigen,“ meinte Isla, sich erhebend.

„Du kannst bleiben,“ sagte ich. „Ich war bereits dort; der Dieb hatte das Schiff sofort verlassen, aber der Kapitän versprach, uns behülflich zu sein. Er hat mich eingeladen.“

„So martert unsere Seelen nicht und erzählt diese Begebenheit, wie sie geschah,“ bat Maflei.

Sein Bruder kam dieser Aufforderung nach und erzählte in der ausführlichsten Weise die ganze Begebenheit, welche natürlich die größte Bestürzung hervorbrachte. Maflei wollte sofort zum Kadi und zu allen oberen Richtern gehen; er wollte ganz Stambul nach dem Verbrecher durchsuchen lassen. Er schritt im Selamlik umher, wie ein Löwe, welcher seinen Feind erwartet.

Auch Isla war im höchsten Grade erregt. Als das zornige Blut ruhiger durch die Adern floß, kam auch die Überlegung zurück, welche nothwendig war, über einen solchen Gegenstand einen Beschluß zu fassen.

Ich rieth von jeder Herbeiziehung der Polizei für jetzt ab; ich wollte sehen, ob es mir oder einem Andern von uns nicht gelingen könne, eine Spur des Verbrechers zu entdecken. Diese Ansicht kam zur Geltung.

Als ich mit Halef und dem Engländer aufbrechen wollte, gaben dies Maflei und Isla um keinen Preis zu. Sie verlangten unbedingt, daß wir während unsers Aufenthaltes in Stambul ihre Gäste sein sollten. Damit wir ungestört wohnen könnten, boten sie uns ein abgesondert gelegenes Gartenhaus an, und wir waren gezwungen, zu willfahren, wenn wir sie nicht auf eine unverzeihliche Weise beleidigen wollten.

Dieses Haus stand im hintersten Theile des Gartens; seine Räumlichkeiten waren nach türkischer Weise sehr gut ausgestattet, und wir konnten in unserer Abgeschlossenheit ganz nach unserm Wohlgefallen leben, ohne unsere Freiheit durch die Gebräuche des Orientes beeinträchtigt zu sehen. Wir hatten Zeit, uns vollständig auszuruhen und die Art und Weise zu besprechen, wie wir die Spur unseres Feindes entdecken könnten. Das war für Constantinopel, in dessen Gedränge der Einzelne so leicht verschwinden kann, eine sehr schwierige Aufgabe. Es blieb uns nicht viel Anderes übrig, als uns auf den Zufall zu verlassen und daneben die Stadt in allen ihren Theilen fleißig zu durchsuchen. Es schien, daß wir Glück haben sollten, denn bereits am dritten Tage nach unserer Ankunft kam zu uns ein Hammal, welcher erklärte, daß er einem Schiffskapitän begegnet sei, der ihn zu uns geschickt habe.

Ich fragte ihn nach dem Passagier, dessen Gepäck er vom Schiffe jenes Kapitäns getragen habe, und hörte, daß derselbe in ein Haus der großen Perastraße gegangen sei. Der Lastträger behauptete, sich dieses Hauses ganz genau erinnern zu können, und erbot sich, mich zu führen.

Natürlich machte ich von diesem Anerbieten sofort Gebrauch.

In dem Hause wohnte ein Kitak 2) welcher sich allerdings genau besinnen konnte, daß zu der angegebenen Zeit ein Mann bei ihm gewesen sei, der ihn nach einer zu vermiethenden Wohnung gefragt habe; er sei darauf mit ihm gegangen, um ihm verschiedene Häuser zu zeigen, doch habe dem Fremden keine von all diesen Wohnungen gepaßt; sie waren nach der Bezahlung des Agenten aus einander gegangen, ohne sich weiter um einander zu kümmern.

Das war Alles, was ich erfahren konnte. Dafür aber hatte ich auf dem Heimwege eine sehr interessante Begegnung, welche mich entschädigen zu wollen schien. Ich trat nämlich in ein Kaffeehaus, um mir eine Tasse Mokka nebst einer Pfeife geben zu lassen, und hatte mich kaum auf mein Polster gesetzt, als ich seitwärts von mir eine Stimme in deutscher Sprache rufen hörte:

„Hurrjeh, is et möglich oder nich? Sind Sie dort wirklich, oder is et een Anderer?“

Ich drehte mich nach dem Sprecher um und erblickte ein dicht bebartetes Gesicht, welches mir allerdings bekannt vorkam, ohne daß ich mich aber sofort zu besinnen vermochte, wo ich es gesehen hatte.

„Meinen Sie mich?“ fragte ich den Mann.

„Ja, wem denne sonst! Kennen Sie mir nicht mehr?“

„Freilich müßte ich Sie kennen, doch bitte ich Sie, meinem Gedächtnisse ein wenig zu Hülfe zu kommen!“

„Haben Sie denn Hamsad al Dscherbaja verjessen, der Ihnen da droben am Nil dat schöne Lied von Kutschke vorgesungen hat, und nachher mit – –“

Ich unterbrach ihn schnell:

„Ah, richtig! Ihr großer Bart machte mich irre. Grüß Sie Gott, Landsmann; setzen Sie sich an meine Seite! Sie haben doch Zeit?“

„Mehr als genug, wenn Sie so gut sein wollen, meinen Kaffee zu bezahlen. Ik bin nämlich, so was man sagt, een Bisken abjebrannt.“

Er nahm an meiner Seite Platz und wir konnten uns unterhalten, ohne besorgen zu müssen, daß unser Deutsch von den anwesenden Muselmännern verstanden werde.

„Also Sie sind ein Bißchen abgebrannt! Wie kommt das?“ frug ich. „Erzählen Sie mir, wie es Ihnen ergangen ist, seit wir uns nicht gesehen haben!“

„Wie soll es mich jegangen sind? Schlecht! Damit is Allens jesagt. Dieser Isla Ben Maflei, dem ich bediente, hat mir fortgejagt, weil er meinte, daß er mir nich mehr brauchte. So kam ik nach Alexandrien und jing mit einem Griechen nach Candia und von da aus als halber Matrose nach Stambul, wo ik mir etablirt habe.“

„Als was?“

„Als Vermittler von Vieles, als Führer durch die Stadt, als Jelegenheitsdiener und Aushülfe für Allens, womit ik mich Jeld verdienen kann. Aber es jiebt Keinen, dem ik vermitteln soll; sie laufen Alle ohne mir durch die Stadt; ik finde keine Jelegenheit, Jemand auszuhelfen, und so jehe ik spazieren und hungere, daß der Magen pfeift. Ik hoffe, daß Sie sich meiner annehmen werden, Herr Landsmann, denn Sie wissen ja, wie jut ik Ihnen bei dem damaligen Abenteuer an die Hand jegangen bin!“

„Wir werden ja sehen! Warum haben Sie sich hier nicht einmal an Isla Ben Maflei gewendet? Er ist ja hier in Stambul.“

„Danke sehr! Von ihm mag ik nichts wissen. Er hat mir jekränkt; er hat mir bei meiner Ehre anjegriffen und verletzt; er soll nie nicht dat Verjnügen haben, mir bei sich zu sehen!“

„Ich wohne bei ihm,“ bemerkte ich.

„O, dat is unanjenehm, denn da kann ik Ihnen nicht besuchen!“

„Sie besuchen ja nicht ihn, sondern mich.“

„Wenn auch! Ik werde sein Haus unter keinem Umstande betreten; aber lieb wäre es mich, wenn ik Ihnen auf irjend eine Weise dienen könnte.“

„Das können Sie. Erinnern Sie sich noch genau jenes Abrahim Mamur, dem wir das Mädchen nahmen?“

„Sehr jenau. Er hieß eijentlich Dawuhd Arafim und ist uns ausjerissen.“

„Er ist hier in Constantinopel, und ich suche ihn.“

„Daß er hier ist, weiß ik janz jenau, denn ik habe ihm jesehen.“

„Ah! Wo?“

„Droben in Dimitri, wo ik ihm bejegnet bin, ohne daß er mir erkannt hat.“

Ich wußte, daß Sankt Dimitri nebst Tatavola, Jenimahalle und Ferikjöi zu den verrufensten Stadttheilen gehört, und frug daher:

„Sind Sie oft in St. Dimitri?“

„Sehr. Ik wohne da.“

Nun wußte ich genug. Dieser Barbier aus Jüterbogk hatte sich bei dem griechischen Gesindel Dimitri's eingebürgert, welches den verkommensten Theil der Bevölkerung Stambul's bildet. Dort ist das Verbrechen ebenso zu Hause, wie in der berüchtigten Wasserstraße New York's oder in den Blackfriarsgäßchen London's. Des Abends ist es gefährlich, sich dort sehen zu lassen, und selbst am Tage öffnen sich bei jedem Schritte rechts und links die Höhlen, in denen das Laster seine Orgien feiert oder unter den ekelhaftesten Krankheiten sein Dasein verjammert.

„In St. Dimitri wohnen Sie?“ frug ich deßhalb. „Gab es keinen andern Ort, wo Sie eine Wohnung finden konnten?“

„Jenug Orte, aber in Dimitri is et janz schön, besonders wenn man Jeld hat, um diese Schönheit zu jenießen.“

„Haben Sie Abrahim Mamur vielleicht beobachtet, als Sie ihm begegneten? Es kommt mir sehr darauf an, seinen Aufenthaltsort zu erfahren.“



1) Lastträger.
2) Agent.

Karl Friedrich May

Karl Friedrich May