St. Petrus und die Maltaberger

Autor: Ueberlieferung
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Es sind nun bald an die zweitausend Jahre her, da wandelte der heilige Petrus im Auftrag des Herrn aus dem Morgenlande, wo er den Heiden das Evangelium verkündet hatte, in das Kärntnerland, um auch die Älpler an den heiligen Wahrheiten teilhaben zu lassen. Hügelauf, hügelab, über Berg und Tal, durch Felder und Wälder ging sein Weg, schon zeigten sich die mächtigen Riesen der Alpenberge den Blicken des müden Wanderers. Aber nicht schroffe Wände und steinige Halden waren es, die sich drohend zum Himmel reckten, sondern grüne Hänge und saftige Weiden bedeckten damals die Berge, und Palmen und andere südliche Gewächse wiegten sich im sanften Hauch kosender Lüfte.
St. Petrus war nicht allein. Der Herr hatte ihm einen Begleiter auf den Weg mitgegeben, der ihm Schutz und Sicherheit bot vor Regen und Unwetter. Eine Baßgeige war es, unter deren mächtigen Rücken er Unterschlupf fand, wenn der Himmel seine Schleusen öffnete, die aber auch das ihre tun mußte, die Herzen der Heiden für die Aufnahme des göttlichen Wortes durch ihren freundlichen Klang empfänglich zu stimmen. Überall, wo sich dem Apostel auf seinem Weg durch das Land Gelegenheit bot, verkündete er die Lehre des Meisters. Es geschah nicht allzu oft, denn die Gegend war dünn besiedelt. Heute aber erblickte er wieder menschliche Wohnungen auf einem Berg, der heutzutage Maltaberg. heißt Dort hausten derbe, ungeschlachte Leute, die es nötig hatten, sich zu bekehren und Buße zu tun. Die jungen Burschen waren nur hinter den Mädchen her, die Alten aber jammerten den ganzen lieben Tag über ihr schlimmes Los an der Seite ihrer Ehefrauen. Zu diesen Leuten kam nun der heilige Petrus.
Mit der Baßgeige auf dem Rücken schritt der Apostel schnaufend den steilen Hang hinan. Die Sonne brannte auf seine Glatze hernieder, Schweißtropfen perlten von seiner Stirn; alle Augenblicke mußte er stehenbleiben, um wieder Atem zu bekommen. Endlich war die erste Hütte erreicht. Erleichtert klopfte er an die Tür, doch niemand ließ sich blicken. Er wanderte ein Stück weiter, um wieder die gleiche Erfahrung zu machen. Bei den nächsten Häuschen erging es ihm nicht besser. Endlich trat ihm ein altes buckliges Weiblein in den Weg, das ihn mit scharfer Stimme anfuhr: »Was willst du da? Mein Mann ist nicht daheim!« Auf seine Fragen erfuhr er, daß alle Leute beim Tempel unter der »Glockenspitze« seien. Dann schlug sie ihm barsch die Tür vor der Nase zu, und Petrus konnte abziehen. Tief aufseufzend setzte er seinen Weg bergauf fort, alle warnenden Worte des Herrn über die Steilheit der Alpen fielen ihm ein.
So war der Apostel keuchend eine ziemliche Strecke bergan gestiegen, da hörte er in der Ferne ein tolles Jauchzen und Singen. Er beschleunigte seine Schritte, so gut es ihm möglich war, und stand bald an dem Ort, woher das Gejohle ertönte. Es war eine freie Grasfläche, die von hohen Bäumen umstanden war. Eine große Menge Volkes war da versammelt, alte Männer, junge Burschen und übermütige Mädchen. Während die Alten in einer Ecke beisammenstanden und anscheinend ernste Dinge besprachen, drehten sich die Jungen beim Klang der Musik paarweise im Kreis, heitere Weisen ertönten, und heller Jubel stand in den fröhlich lachenden Gesichtern. Durch die Zweige der Bäume schimmerte der hölzerne Tempelbau.
Mit finsteren Blicken hatte Petrus das lustige Treiben des Völckleins betrachtet. Alles, was er sah, dünkte ihm Teufelswerk. Als die Musik schwieg und die Paare im Tanz innehielten, trat er vor die Fröhlichen hin und wollte ihnen seine Meinung sagen. Da erblickte die tanzfreudige Jugend den Mann mit der großen Geige, und einstimmig scholl ihm ein jubelndes »Mach auf, mach auf!« entgegen. Sie meinten damit, der Fremde möge ihnen zum Tanz aufspielen. Petrus aber verstand die Mundart der Bergler nicht und glaubte, sie hätten ihn als den himmlischen Torhüter erkannt, der ihnen das Himmelstor aufmachen sollte, »Was«, rief er ihnen unwirsch zu, »aufmachen soll ich euch nichtsnutziger Bande? Da könnt ihr lange warten. Erst muß ich euch bekehren!«
»Aufmachen, aufmachen!« erscholl es aus der Menge.
Aber Petrus blieb standhaft: »Nicht eher, als bis ihr euer sündiges Treiben eingestellt, Buße getan und den heidnischen Götzentempel dort dem Erdboden gleichgemacht habt.«
Da stutzten die Zuhörer, und einige raunten sich zu: »Der ist nicht ganz normal!« Andere aber riefen dazwischen. »Aufmachen, aufmachen!«
Zornesröte übergoß jetzt das finstere Antlitz des würdigen Apostels ob solcher Hartnäckigkeit der Heiden, und in grimmigem Ton fuhr er sie an:
»Vom Erdboden vertilgt gehört ihr, wenn ihr das Wort Gottes nicht hören wollt!«
»Oho!« tönte es zurück, und kräftige Hände griffen nach Wehr und Waffen. Drohend wurden derbe Knüttel geschwunden. Während der weibliche Teil der eben noch fröhlichen Gesellschaft sich nach rückwärts verzog, packten die derben Hände der rauflustigen Männer den scheltenden Heiligen, der vergebens versuchte, sich verständlich zu machen. Bevor er recht wußte, wie ihm geschah, lag er am Boden, und die Hiebe der Männer sausten hageldicht auf ihn nieder. Zwar stöhnte er noch einige Worte von der Strafe des Herrn, aber bald ging sein Stöhnen in klägliches Gewimmer und hilfloses Flehen über.
»Zerschlagt ihm sein Werkzeug!« schrien sie, und bald lag seine Baßgeige, die treue Begleiterin seiner Fahrten, in tausend Trümmer zersplittert am Boden. Erst als schon die Arme vom Zuschlagen müde wurden, beendeten sie ihr grausames Spiel.
Mühsam erhob sich der heilige Petrus. Seine Kleider waren zerrissen, Beulen und blaue Flecken bedeckten den Körper, alle Knochen im Leib taten ihm weh. Und seine treue Baßgeige war dahin! Wo sollte er sich jetzt vor dem Regen schützen, wie die Heiden das Evangelium lehren, wenn Worte allein nicht ausreichten, sie zu überzeugen? Stöhnend kniete er auf den Erdboden nieder, erhob die Augen zum Himmel und bat recht inbrünstig um Schutz für sich und Strafe für die Frevler.
Da zeigte sich in der Ferne ein leichtes Wölkchen am klaren sommerlichen Himmel. Rasch vergrößerte es sich, und bald stand dunkles Gewölk dräuend in den Bergen. Ein Windstoß fegte heran, der erste Bote des kommenden Sturmes. Um die Glockenspitze ballte sich die unheilverkündende Wolkenmasse zusammen und hüllte den Gipfel bald in schaurige Nacht. Der Sturm toste von allen Seiten heran, entwurzelte ganze Bäume, knickte die stärksten Stämme, und die Lüfte waren erfüllt von schrecklichem Heulen. Nun züngelte ferne der erste Blitzstrahl durch das dunkle Gewölk, und drohend grollte der Donner. Ängstlich flohen die Menschen in ihre Hütten oder verbargen sich im Schutz der Felsklüfte. Schon fuhren, von prasselndem Donnerkrachen begleitet, ganze Feuergarben von Blitzen hernieder, die Erde schien in Flammen zu stehen, und selbst Petrus, der Wettermacher, verkroch sich in einem Felsloch. Brausend entströmten den Wolken ungeheure Gewässer über die Berghänge in das Tal hinab, rissen das Erdreich von den Felsen weg und schwemmten Berge von Steinen und Felsgeröll mit sich über die fruchtbaren Wiesen und Weiden. Mit einem ungeheuren Krachen stürzte die Glockenspitze in sich zusammen, gewaltige Massen an Schutt und Lawinen nach allen Seiten ausspeiend. Hochragende Bäume, liebliche Almen und Tritten, Gärten und Hütten, alles wurde in dieser schrecklichen Gewitternacht vernichtet Zuletzt fielen endlose Mengen von Eiskörnern vom Himmel herab und hüllten den ungeheuren Greuel der Verwüstung in schimmerndes Weiß.
Als das Unwetter ausgetobt und die Wolken sich verzogen hatten, beleuchteten die Strahlen der Sonne ein weites glitzerndes Eisfeld. Unten im Tal schmolz zwar der eisige Panzer, aber der üppige Wuchs südlicher Bäume und Pflanzen, der bisher die Hange geschmückt hatte, kam nicht wieder zum Vorschein; zu nahe waren die Felder der ewigen Schnee- und Eisregion; nur dunkle Tannen und Fichten wagten sich im Lauf der Zeit die Lehnen hinan. Oben auf den Gipfeln und Graten und in den Mulden dazwischen liegt heute noch Schnee und Eis. Petrus zog nach dieser stürmischen Nacht nach dem Süden zurück. Sooft ihn auf seiner Wanderschaft Regen und Stürme überraschten, mußte er unter Tannen und Fichten Schutz suchen; denn die geliebte Baßgeige war nicht mehr.
Wie aber erging es den Maltabergern weiter? Die einzige Unheilnacht hatte genügt, innen für immer Kummer und Sorge zu bringen. Als sie am Morgen nach jener Nacht aus ihren Schlupfwinkeln hervorkrochen, sahen sie mit Tränen in den Augen das Bild der Verwüstung. Ihre Hütten und Häuser, ihre Felder und Almen waren vernichtet. Sie mußten zunächst trachten, sich wieder ein starkes Dach über ihren Köpfen zu schaffen. Aber die leicht zu bearbeitenden südlichen Bäume, die ihnen bisher ihr Bauholz geliefert, waren verschwunden, und das knorrige Holz der Tannen und Fichten und der astigen Ahornbäume, die da wuchsen, machte ihre Äxte schartig, als hieben sie damit gegen Felsen, und preßte innen manchen Schweißtropfen aus. Fluchend verrichteten sie ihre Arbeit. Und die Maltaberger Holzknechte fluchen wohl auch heute noch, wenn ein besonders harter Lärchenstamm ihren Axthieben widersteht »Du verfluchter Peter!«.