Sprichwörter und Redensarten deutsch-jüdischer Vorzeit

Als Beitrag zur Volks-, Sprach- und Sprichwörter-Kunde
Autor: Tendlau, Abraham (1802-1878) deutscher Volkskundler, Publizist und Herausgeber, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Volkskunde, Kulturgeschichte, Volksmund, Sprichwörter, Volkstum, Brauchtum, Ethnologie, Volksreime, Klugheitsregeln, deutsch-jüdisch, Redensarten, Talmudische Persönlichkeiten und Ereignisse, Mythen, Sagen, Legenden, Anekdoten, Lebensverhältnisse
Aufgezeichnet aus dem Munde des Volkes und nach Wort und Sinn erläutert

„Gedenke der alten Zeiten,
Betrachte die Jahre voriger Geschlechter,
Frage Deinen Vater, er wird Dir's verkünden,
Deine Alten, sie werden Dir's erzählen.“
(S. B. M. S2, 7.)
„Sprichwörter sind die Weisheit, die auf der Gasse predigt.“
(Sailer.)
Vorwort.

Was der Verfasser seinem „Buch der Sagen und Legenden jüdischer Vorzeit“ (Stuttgart. Cast. 1842. Zweite vermehrte Aufl. 1845.) zur Einführung in die Öffentlichkeit als Vorwort vorausgeschickt, das findet großenteils auch auf die folgenden Sprichwörter und Redensarten deutsch-jüdischer Vorzeit seine Anwendung. Diese sind noch mehr als jene ein aus der Vorzeit herüberhallender Laut, vermögen noch mehr als jene ein zum großen Teil hingeschwundenes Leben uns zu veranschaulichen und, indem sie einen nicht unwichtigen Beitrag zur allgemeinen Sprichwörterkunde liefern, zugleich zur Volkskunde bedeutend beizusteuern, und sie verdienen um so mehr der Vergessenheit entrissen zu werden, als sie nur im Munde des Volkes und zwar des deutsch-jüdischen Volkes gelebt haben, wenig noch gesammelt oder auch nur aufgezeichnet sind, und selbst von dem altern Geschlechte nur selten noch vernommen werden. Bei den Sagen und Legenden standen dem Verfasser doch größtenteils schriftliche Quellen zu Gebote; hier aber mußte er sich teils an Erinnerungen aus seiner frühesten Jugendzeit halten, teils einigen versteinerten Personen seiner Umgebung hin und wieder ein Wort der Vorzeit ablauschen, und nur bei den Sprüchen und Redensarten, welche auf Sagen und Legenden beruhen und selbst unter diesen nur bei sehr wenigen fand er einige Beisteuer in den Volksbüchern jüdisch-deutscher Schriftart, besonders im Máase-Buch und im Simchath Nephesch.

Wohl gehört auch hier Vieles nicht dem jüdischen Boden an, so wie überhaupt Alter und Vaterland der Sprichwörter selten mit Bestimmtheit ermittelt werden kann; aber immer hat es, wenn auch ursprünglich auf anderem Boden entstanden, durch seine Verpflanzung auf jüdischen Boden eine eigentümliche Farbe angenommen und sich gewissermaßen jüdisch gestaltet. So stand der Verfasser auch nicht an, solche Sprichwörter und Redensarten aufzunehmen, die entschieden nicht dem Juden ausschließlich angehören, sobald er sich bewusst war, sie mehr als gewöhnlich vom Juden gehört zu haben, da er eben, wie gesagt, auch ein Charakterbild des deutschen Juden geben wollte. Bei vielen hat er die Gleichheit oder Ähnlichkeit mit echt deutschen darzutun gesucht, wobei ihm unter andern Lehmanns florilegium politicum oder politischer Blumengarten (Frankfurt a. 1630. 12.) und besonders die Sammlung von Eiselein: Die Sprichwörter und Sinnreden des deutschen Volkes (Freiburg 1840.) von Nutzen war, so wie es auch hin und wieder an einer Vergleichung mit schweizerischen und altenglischen Sprichwörtern nicht fehlt (Mr. J. Rays collection of Englisch Proverbs. 1737.). Aus demselben Grunde gestattete er auch mehreren Sprichwörtern, die sich in rabbinischen Schriften finden, hier Aufnahme, weil sie seines Wissens eben in das Volksleben übergegangen waren, oder vielmehr nahm er nur diejenigen rabbinischen Sprichwörter hier auf, die in dem Munde des Volkes Leben und Wirksamkeit gefunden; doch verfehlte er nicht, wo es tunlich war, auf Parallelen sowohl bei den Rabbinen als in den neutestamentlichen Schriften und auch in den neueren deutschen Klassikern hinzuweisen. (Eine ziemlich reiche und gute Sammlung von rabbinischen Sprichwörtern findet sich in der Rabbinischen Blumenlese von L. Dukes (Leipzig 1844.), von welchem wir indessen in Rücksicht auf Erklärung oder Übersetzung und mitunter auch auf Text nicht selten abzuweichen uns veranlasst sahen. — Von Nutzen war uns auch eine kleine handschriftliche Sammlung talmudischer Sprichwörter, wenn auch ohne jedwede Erklärung, die uns von freundlicher Hand zugekommen, und die, wenn wir anders recht berichtet sind, von dem Vater unseres lieben Freundes Herrn Leopold Beer, dem seligen H. Kann, herrühren soll). — Eine den Gelehrten eigentümliche und bei ihnen sehr beliebte Art, Sprichwörter und Sprüche zu bilden, war, einem Bibelverse oder talmudischen Ausspruche durch eine, je nachdem, besondere oder allgemeine Anwendung und Deutung, oft mit einer unscheinbaren Veränderung eines Buchstabens, einen ganz andern Sinn zu geben. —

Der Verfasser bedauert, dass es ihm nicht immer möglich war, das Kurze und Körnige des hebräischen oder auch nur jüdisch-deutschen Ausdrucks auch für das rein Deutsche zu gewinnen, und deshalb hat er auch, nachdem er lange geschwankt, sich endlich entschlossen, die Sprichwörter und Redensarten vollständig in ihrer ursprünglichen Form und gewöhnlichen Aussprache mit Beibehaltung selbst des verdorbenen deutschen Ausdrucks zu geben. Freilich wird Mancher sagen, man sollte diesen Jargon, diese Mauscheleien, statt sie festzuhalten und aufs neue zu beleben, ihrem Hinschwinden und Absterben überlassen. Wohl, auch wir wünschen von Herzen, dass alle Mauscheleien, wo sie noch zu finden, immer mehr und mehr aus Sprache und Leben schwinden mögen; aber — abgesehen davon, dass es gut ist, wenn auch der Schichte des Volkes, die noch auf dem Standpunkte der hingeschwundenen Zeiten steht, ihr Denken und Fühlen zum Bewusstsein gebracht wird — soll deshalb alles Kräftige und Treffende, was vom Volke seit Jahrhunderten nicht nur in Deutschland, sondern in allen jüdischen Gemeinden, die daher stammen, in dieser Mundart gedacht und gesprochen worden ist, vergessen werden? und wollten wir dieses recht charakteristisch geben, so musste auch der ursprüngliche Ausdruck in Form und Wendung völlig beibehalten werden. Zudem wird von dem Unkundigen gar Manches eben in Form und Wendung für Mauschelei gehalten, was, bei näherer Untersuchung, sich als altdeutsch oder auch als noch jetzt lebende Gauart (Provinzialismus) ergibt. Wir haben oft Gelegenheit gehabt, sowohl auf Schmies Schwäbisches Wörterbuch als aus Schweilers Bayrisches Wörterbuch, so wie auf Ziemanns mittelhochdeutsches Wörterbuch hinzuweisen, und sind der Überzeugung, daee selbst für die Kunde der deutschen Sprache Manches aus der Sammlung gewonnen werden kann. Man vergleiche z. B. die Artikel: anstellen, Ausfall, ausmeken, Bawel, chappen, vermehr, eseln, gakeln, gaukeln, Geläger, Geleit, geniet, Gimmgold, Gottschlag, herb, kippeln, königen, Kreis, maweln, Raupen, phanteln, plattschlagen, Schliwer, Schm?chel, schnorren, schofel, Schwanz, Sonntagskind, Spreiß, stiffen, strandeln, ungleich, uzen, verkrumpeln, wurmstichig, Z?che, und mitunter die Hinweisung rücksichtlich der Abstammung und Begriffsbildung auf Schwenks Wörterbuch der deutschen Sprache, wobei wir nur bedauern, dass uns die neuern, noch in der Vollendung begriffenen Arbeiten, nicht ganz zu Gebote standen. Gar viele altdeutsche Ausdrücke (Archaismen), welche aus der Schrift und aus dem Leben längst geschwunden sind, waren bei dem alten deutschen Juden, mit seinem eignen Stillstande im Gebiete der Kultur und mit seiner undurchdringlichen Abgrenzung im Leben, bis in die neue Zeit herein unverrückt stehen geblieben. „Allen,“ sagt Zunz in seinem trefflichen Buche: „Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden“ S. 438., „allen bis gegen den Schluss des Mittelalters verfassten Dokumenten zufolge standen die Juden in der Sprache — bis auf einzelne Redeweisen und hier und da die Aussprache — den deutschen Christen gleich.*) Aber schon im 16. und noch, stärker in den beiden folgenden Jahrhunderten bildete sich der Dialekt der Juden zu einem eigenen sogenannten Jüdisch-deutschen aus, in welchem hebräische**), eigene jüdische und veraltete deutsche Ausdrücke in gleicher Menge vorhanden waren.“ — (Vergl. noch Steinschneider: „Die fremdsprachlichen Elemente im Neuhebräischen“ IV gegen Ende und V, 6.). — Eben diese lange Abgeschlossenheit im Leben- und in der Wissenschaft macht es auch erklärbar, wie der deutsche Jude, um eine Bezeichnung für seine Begriffe und seine Denkweise zu finden, sich nicht nur des Hebräischen und des Deutschen bediente, so wie der Vermischung beider durch eigentümliche Zusammensetzung und Bildung (das Nähere hierüber bei den einzelnen Redensarten, so wie ein ziemlich vollständiges Beispiel Nr. 1029.), sondern auch nach Elementen fremder Sprachen griff, besonders nach polnischen und französischen, wie sie ihm eben der Zufall, sei es durch Bücher oder durch Lehrer und Rabbiner, welche aus der Fremde stammten, zugeführt hatte. —

*) Schon 1644. soll von dem Grammatiker R. Eliah Bachur eine deutsche Übersetzung des Pentateuchs und der fünf Megilloth in Constanz erschienen sein. Vergl. Mendelsohns Vorrede zu seiner Bibelübersetzung.

**) Nicht unwichtig wäre die Untersuchung, warum der alte Jude es liebte, gerade gewisse Begriffe hebräisch auszudrücken, auch wenn sonst keine äußere Veranlassung dazu da war, wie z, B. diejenigen, die sich auf geistige Anlagen beziehen: „Er besitzt die chochmah (Weisheit von ...),“ „ich Hab gar kein sikkaron (Gedächnis) mehr“, usw, — Vergl. Zunz I. c, S. 439. Aum. a-e.


Auch einem andern möglichen Einwande gegen die volle Beibehaltung des ursprünglichen Ausdrucks wollen wir begegnen, der ängstlichen Besorgnis nämlich, irgend ein Übelwollender, an denen der Jude ja noch keinen Mangel hat, möchte das Buch benutzen, um daraus judenfeindliche Pfeile zu schmieden. Aber gesetzt auch, es täte dieses ein solcher, um á la Itzig Feitel Stern sein Mütchen zu kühlen und so recht con amore zu mauscheln, in Gottes Namen! über solche Gemeinheit sind wir gottlob; soll es aber nur Spaß sein, so können wir, wenn anders Grund zum Lachen da ist, sogar mitlachen. — Denn was den Inhalt der Sprichwörter und Redensarten betrifft, der darf sich wohl mit den Anschauungen und Gesinnungen eines jeden Volksstammes in die Schranken stellen. Bei den wenigen Stellen, in welchen sich eine gewisse Bitterkeit gegen den Christen offenbart, bedarf es wahrlich des Beweises nicht, dass diese ein Wiederhall war und zum Teil noch ist jener Denk- und Handlungsweise, die sicher der sogenannten christlichen Liebe — wir reden nicht von der echten, wahrhaft menschlichen, sondern der sogenannten — nicht zur Empfehlung gereicht. — Wir haben nichts verschwiegen, nur das Obszöne musste weichen; einiges Derbe jedoch wollte der Verfasser eben seiner Derbheit wegen nicht ausschließen. Schon Agricola sagt: „Dieweil ich Sprichwörter schreibe, so kann ich nit allerwegs Seide spinnen; es wird auch grob Garn mitunterlaufen.“ — So haben wir auch stets die Volkssitte im Auge gehabt, sie, wo Gelegenheit sich zeigte, mitgeteilt, und, wo nötig, zu erklären gesucht. —
Zur leichtern Übersicht sind die Sprichwörter und Redensarten eingeteilt:

a) in solche, welche sich an biblische und talmudische Persönlichkeiten und Ereignisse anlehnen;
b) in solche, welche dem Leben entnommen sind, und zwar in Abteilungen je nach ihrem Bezug auf Geist, Gemüt, Charakter, Lebensverhältnisse usw.;
c) in Klugheitsregeln und Erfahrungen;
d) in solche, welche auf Mythen, Sagen, Legenden und Anekdoten beruhen. Bei einigen der letzten Art konnte der Verfasser keine genügende Erklärung über ihren Ursprung geben, und jede Mitteilung hierüber, so wie über einzelne ihm zweifelhafte Ausdrücke wurde derselbe mit dem verbindlichsten Dank entgegennehmen. Bei manchen darunter mag auch die Erzählung, als moralische Erfindung, erst aus dem Sprichworte entstanden sein. Auch hätte diese Abteilung noch bedeutend vermehrt werden können, besonders durch lokale Sprichwörter, die eben auf lokalen Anekdoten beruhen — unser liebes Frankfurt ist reich daran —; aber das Buch sollte nichts weniger als eine Anekdotensammlung abgeben, und selbst die wir aufgenommen haben, möchten Manchem schon zu viel erscheinen. —

Indem wir nun den Wunsch ausdrücken, dass auch diese Gabe einer spärlichen Muße dieselbe freundliche Aufnahme finden möge, deren sich das „Buch der Sagen und Legenden,“ so wie die „Mährchen und Geschichten aus grauer Vorzeit,“ unter dem Titel: „Fellmeiers Abende,“ erfreut haben, sei es uns noch gestattet, unserm gelehrten und hochgeehrten Freunde, Herrn Dr. J. M. Jost, hier unsern Dank auszusprechen für die Freundlichkeit, die derselbe hatte, in der Encyklopädie von Ersch und Gruber (Artikel: Judenteutsch) im Voraus auf diese Arbeit aufmerksam zu machen.
Frankfurt a. M. im April 1860.

068. Das Schlaraffenland. München, Alte Pinakothek.

068. Das Schlaraffenland. München, Alte Pinakothek.

069. Die Bauernhochzeit. Wien, Kunsthistorisches Museum.

069. Die Bauernhochzeit. Wien, Kunsthistorisches Museum.

070. Der Bauerntanz. Wien, Kunsthistorisches Museum.

070. Der Bauerntanz. Wien, Kunsthistorisches Museum.

058. Spielstreit. Gemälde. Kopie von Jan I Bruegel (?). Vorlage etwa von 1568. Wien, ehemaliges Hofmuseum

058. Spielstreit. Gemälde. Kopie von Jan I Bruegel (?). Vorlage etwa von 1568. Wien, ehemaliges Hofmuseum

052. Marktszene. Gemälde von Joachim Bueckelaer. Wien, ehemaliges Hofmuseum

052. Marktszene. Gemälde von Joachim Bueckelaer. Wien, ehemaliges Hofmuseum

051. Bauernszene. Gemälde von Lukas van Valkenborch. Wien, ehemaliges Hofmuseum

051. Bauernszene. Gemälde von Lukas van Valkenborch. Wien, ehemaliges Hofmuseum

050. Tanzender Bauer. Gemäldeskizze von Bruegel. Sammlung Yalkenhurg, Haag 83

050. Tanzender Bauer. Gemäldeskizze von Bruegel. Sammlung Yalkenhurg, Haag 83

049. Bauernhochzeit. Gemälde von Bruegel. Zwischen 1566 und 1569. Wien, ehemaliges Hofmuseum

049. Bauernhochzeit. Gemälde von Bruegel. Zwischen 1566 und 1569. Wien, ehemaliges Hofmuseum

048. Dorfkirmes. Gemälde von Bruegel. Zwischen 1566 und 1569. Wien, ehemaliges Hofmuseum

048. Dorfkirmes. Gemälde von Bruegel. Zwischen 1566 und 1569. Wien, ehemaliges Hofmuseum

047. Kirmes. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden

047. Kirmes. Kupferstich nach Bruegel von Peter van der Heyden

046. Bauernkirmes. Aquarell (Kopie von Peter II Bruegel nach Peter Bruegel dem Alten?). Wien, Albertina 78

046. Bauernkirmes. Aquarell (Kopie von Peter II Bruegel nach Peter Bruegel dem Alten?). Wien, Albertina 78

041. Marktszene. Federzeichnung mit Tusche von Bruegel. Wien, Albertina

041. Marktszene. Federzeichnung mit Tusche von Bruegel. Wien, Albertina

034. Das Martinsfest. Kupferstich nach Bruegel von N. Gaspard

034. Das Martinsfest. Kupferstich nach Bruegel von N. Gaspard