Sich den Bart um etwas wachsen lassen

Es bestand in früheren Zeiten die Sitte, sich, wenn man trauerte, in ernster, kritischer Lage war oder etwas großes vorbereitete, den Bart wachsen zu lassen. Man erzählt von vielen historischen Persönlichkeiten, dass sie um dies oder jenes hoch und teuer schwuren, sich nicht eher den Bart scheren zu lassen, als bis etwas, das sie erfüllt sehen wollten, geschehen wäre; oder sie verewigten sich auch mit langem Barte zur Erinnerung an ein schmerzliches, trauriges Ereignis. Als z. B. Papst Clemens VII. im J. 1525 in seiner Engelsburg von dem Kardinal Colonna belagert wurde, ließ er sich den Bart wachsen und in dieser Gestalt auf seiner Münze abbilden, deren Rückseite den Apostel Petrus darstellt, wie er von dem Engel aus dem Kerker geführt wird, mit der Umschrift: Dominus misit angelum suum et eripuit me de manu Herodis. Die Bedeutung dieser Sitte ist nun sprichwörtlich geworden, und man bedient sich dieser Worte um anzuzeigen, dass man Ursache habe, über etwas in Sorge und Trauer zusein.

Gleichbedeutend damit ist: „Sich ein graues Haar wachsen zu lassen.“ Bei Reinecke Fuchs liest man:


„Das sind noch eben keine Sachen,
Die mir graue Haare machen.

Die Entstehung grauer Haare, namentlich die vorzeitige, plötzliche, weist deutlich auf Sorge und Bekümmernis, da es physiologisch richtig ist, dass diese das Ergrauen der Haare beschleunigen.

Aber auch auf Weisheit und männliche Haltung deutet der lange und ergraute Bart, wie uns dessen die Antwort des Basler Professors Hieron. Rhetus belehrt, der einen sehr langen Bart trug und um die Ursache befragt, erwiderte er: „So oft ich meinen Bart beschaue, mag ich gedenken, dass ich nicht ein Weib, sondern ein Mann und zwar ein so alter Mann bin, dass Weibisches und Kindisches nun auf immer von mir ferne ist.“ Dem gleich heißt es auch: „Wo kein Bart, da ist auch kein Verstand.“ Endlich soll es auch Schlauheit und witzigen Hinterhalt anzeigen, denn ein altdeutscher Spruch besagt: „Wer einen Bart lässt wachsen, der hat ein schalckheyt gethan, oder hat einer willen.“