Die Zeit ist hin, wo Bertha spann

Die noch bis heute beliebteste Deutung dieses Sprichwortes, nämlich eine Zeit zu charakterisieren, welche sich als vorzugsweise gute Zeit zu erkennen gab, und wo redliche Arbeit auch redlichen Lohn gefunden hat, stimmt nicht mit allen geschichtlichen Erklärungen überein. Einige geben der Sache folgenden Hintergrund: Bertha, die Gemalin Königs Rudolph von Klein - Burgund, spann, u. z. nach der damaligen Sitte (Bertha starb 970) so fleißig, dass sie auf ihren Reisen im Lande, wenn sie zu Pferde saß, unterwegs nicht müßig war und dem Volke überall mit dem guten Beispiele voranging. Der Wirt in Payerne, wo 1818 Berthas Grab in der alten Abtei wieder aufgefunden und ihre Gebeine auf Befehl des Staatsrates des Waadtlandes in einem neuen steinernen Sarkophag beigesetzt wurden, zeigt den Reisenden noch immer den Sattel der Königin, in welchem man die Öffnung für ihren Rocken sieht.

So wurde Bertha auch mit den Merkmalen dieser Beschäftigung in Denkmälern verewigt. Nach Andern wieder sei Bertha erste Gemalin des Königs Robert und Witwe des Grafen von Blois gemeint, welche in Folge der ihr von Papst Gregor V. auferlegten Kirchenstrafe ihren zweiten Gemahl habe verlassen müssen, und diese Bertha wäre es auch, deren Bild man an den Portalen mehrerer französischen Kirchen mit einem Gänsefuß erblicke. Es wäre damit nur der graue Nebel einer weit hinter uns liegenden Vergangenheit bezeichnet, und die Tatsache des Spinnens, das damals eben allgemeine Frauensitte war, nicht speziell hervorgehoben.


Im Sinne der obigen Deutung tritt nun eine zweite Darstellung auf. Eine aus Montagna gebürtige italienische Bäuerin zeichnete sich durch Fleiß und Geschicklichkeit im Spinnen so sehr aus, dass ihr in Padua, wohin sie ihr Gespinst brachte, die Anerkennung der Gemalin Kaiser Heinrichs IV. zu Teil ward. Der Kaiser selbst belohnte die Jungfrau auf eigentümliche Weise. Er erlaubte ihr nämlich mit ihrem Gespinste so viel Land zu umspinnen, als der Faden eben dazu ausreiche, und dieses Land als ihr Eigenthum zu behalten.

Ganz von dieser Auffassung abseits geht aber eine dritte Version und zwar, wie es scheint, die historisch richtigste. Dieses Sprichwort ist nämlich auch in Frankreich und Italien zu Hause. Der gelehrte Franzose Haudiuns, der dem Ursprunge nachforschte, fand in Toulouse als Volksredensart den Schwur: „Par la quenouille de la reine Pédauque“ zu deutsch: „Bei dem Spinnrocken der Königin Gänsefuß“, und kam dadurch auf jene Bertha und den Spruch vom Spinen. Die Königin „Gänsefuß“ in Kirchenstatuen vielfach verewigt, geht stark durch die Sagen des französischen Volkes. Sie war niemand geringerer, als die schöne und fromme Mutter Carls des Großen, welche Bertha hieß und die Tochter eines armen Grafen von Laon oder wie Einige wollen, des fabelhaften Königs Florian von Ungarn gewesen sein soll. Da ihr die Natur etwas lange Füße gegeben hatte, so legte man ihr den Namen Gänsefuß bei und bildete sie auch so ab. Der Spinnrocken aber deutet offenbar nur auf das Festhalten an dem, was man damals als ein Merkmal häuslicher Zucht und hausfraulicher Tätigkeit ansah. Noch bleibt uns einer mythologischen Deutung zu gedenken übrig; es sei nämlich hier die alte deutsche Göttin Berhta, Perahta die Glänzende, welche dem Ackerbau und dem Spinnen vorsteht, gemeint. Sie hat sich bis auf den heutigen Tag in der Nikolofrau, welche besonders die Mädchen zur fleißigen Handarbeit ermahnt, erhalten. So hieß auch das Fest der Erscheinung des Herrn lange noch in Oberösterreich der Perch- oder Prehentag. In diesem Falle wäre unter „hin ist die Zeit, da Bertha spann“ jene mythische goldene Zeit gemeint, als die Götter noch aus Erden wandelten und die Menschen in den verschiedenen Verrichtungen unterwiesen. Das wäre freilich eine goldene Zeit gewesen.

Übrigens kommt es bei der Erklärung dieses Sprichwortes unseres Bedenkens noch darauf an, ob man die Betonung auf das Wort Bertha oder auf spann lege, in welch' letzterem Falle jedenfalls das Preiswürdige des Arbeitens hervorgehoben sein will und bedauert wird, dass unsere Berthen nicht mehr so wie die historische, zumal wenn sie eine Königin gewesen, spinnen und arbeiten.