Lehrtätigkeit und erste wissenschaftliche Bemühungen

Als Andreas Dulson das Zeugnis über den Abschluss der 6. Klasse des Gymnasiums erhalten hatte, kehrte er nach Krassnopolje zurück, wo er bis 1917 durch Privatunterricht seine Existenz bestreiten musste. Dann wurde er Lehrer an der Schule in seinem Heimatdorf. Für das Jahr 1918 hatte er vor, die Prüfungen für die Mittelschule abzulegen und sich an der Universität Saratow immatrikulieren zu lassen. Jedoch musste sich die Verwirklichung dieses Traums auf Jahre verschieben, denn das Externat in Marx wurde geschlossen.

Er setzte seine Arbeit in der Schule fort, lernte das Präparieren und die Anfertigung von verschiedenen Geräten zum Beobachten, zur Durchführung von Versuchen, das Verfahren der Mustersammlung, er führte zusammen mit seinen Schülern Experimente durch, die er als „Laboruntersuchungsmethode“ bestimmte. Das Ergebnis dieser Arbeit war, dass die Schule nun über eine Sammlung von Physik-, Chemie- und Naturkundegeräten verfügte. Dulson erkannte die Wichtigkeit der heimatkundlichen Kenntnisse der Schüler und ging auf den Vorschlag ein, als Schulinspekteur für Heimatkunde des Kreises Rownoje im außerschulischen Bereich der Volksbildung zu arbeiten. Dadurch wollte er die Möglichkeit haben, sein Lernverfahren zu propagieren und möglichst viel Heimatkundematerial zu sammeln. Wahrscheinlich hatte er gerade in dieser Zeit den Dozenten, später Professor der Universität Saratow und Direktor des Zentralmuseums der ASSRdWD Georg Dinges kennengelernt, der dann die Zentralstelle zur Erforschung der wolgadeutschen Mundarten gegründet und geleitet hat. Dieses Treffen bestimmte die wissenschaftliche Karriere von A. Dulson.


Diese Bekanntschaft konnte 1919 stattgefunden haben, als im Kreis Rownoje die ersten Expeditionen organisiert wurden, oder während der Lehrerfortbildungskurse, wo G. Dinges und A. Dulson für die Lehrer Vorlesungen hielten. Unberechtigt ist jedoch Dulsons Behauptung während seiner Verhaftung und Verhöre 1934, dass er G. Dinges im Lehrerseminar in Seelmann (Rownoje) kennengelernt habe, als er dort Schüler war, und Dinges dort unterrichtete. Das Pädtechnikum in Seelmann wurde erst im Oktober 1922 eröffnet und schon im nächsten Jahr nach Marxstadt umverlegt. Das Pädtechnikum in Rownoje wurde erst wieder im Jahre 1927 neu eröffnet. Diese Behauptung von Dulson wird auch durch die Tatsache widerlegt, die aus seiner 1924 geschriebenen Biografie stammt: „Ausbildung – 6 Klassen Gymnasium in Marxstadt und verschiedene pädagogische Kurse“ [OGU GIANP. R-847. Op. 1. L/s. D. 97. L. 1-3.] .

In Rownoje gründet A. Dulson eine Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der heimatlichen Geschichte, die eine Reihe Ausgrabungen im Kreis unternimmt. Er unterrichtet Chemie und Heimatkunde in einer Schule der 2. Stufe, hält Vorlesungen für Lehrkräfte in Fortbildungskursen der Volksbildung. Er wird unter den Mitarbeitern immer mehr geachtet. 1919/20 wird er zum Vorsitzenden der Kreisgewerkschaft der Pädagogen in Rownoje gewählt, und im nächsten Jahr zum Schulinstrukteur des Kreises Priwalnoje ernannt, von ihm wird erwartet, dass er seine approbierte Methode auch hier einsetzt. Später schrieb Dulson: „Ich habe mich bemüht, die Lehrkräfte für diese Untersuchungsmethode zu gewinnen, und sie dazu aufgerufen, das zu erforschen, was uns umgibt“. Nach der Abschaffung des Instrukteuramts arbeitete er als Inspekteur für Angelegenheiten der Kinder und später als Direktor des Kinderheims in Krassnopolje.

In den Jahren 1919 – 1924 befasste er sich mit der Ausgrabung der uralten skythisch-sarmatischen Grabstätten in der Wolgasteppe auf der Wiesenseite. Ihr Initiator war Paul Rau. Doch Dulson interessierte sich schon damals für eine andere Forschungsrichtung. Deshalb schied er nach einer sechsjährigen Tätigkeit aus dieser Gruppe aus und begann sein Sprachstudium an der Universität in Saratow.

1924 kehrt er wieder in die Siebenjahreschule in Rownoje (Seelmann) zurück, aber in demselben Jahr zieht er nach Pokrowsk um, in die Stadt, die zur Hauptstadt der ASSRdWD ernannt wurde. Hier wird er Inspekteur der Abteilung für sozialistische Erziehung im Volkskommissariat für Bildung der Republik der Wolgadeutschen. Der Fragebogen und der Lebenslauf, die A. Dulson bei der Anstellung im Volkskommissariat ausgefüllt hat, zeugen nicht nur von der Persönlichkeit des künftigen Wissenschaftlers, sondern auch von der Besonderheit jener Epoche, in der er lebte und wirkte. Über sein Verhalten zum Marxismus, zur kommunistischen Partei (Dulson war nie Parteimitglied) schrieb Dulson, dass er den Marxismus erst nach der Revolution kennengelernt habe, die Ziele der RKP(B) habe er erst 1919 akzeptieren können, aber „das Verhalten der Partei zu den Bauern hat mich wieder von der Partei entfernt, denn ich lebte unter den Bauern und konnte die Partei nicht verstehen“. Später wurde sein Verhalten zur Partei etwas milder: „Erst 1922 hat sich in mir die materialistische, marxistische Weltanschauung durchgesetzt“. Sogar in jenen Jahren klang das etwas kühn. Bei seiner Anstellung hat man auch sein Verhalten zur deutschen Frage nicht umgangen: „Ich verhalte mich zur Geschichte der wolgadeutschen Kolonisten ganz tolerant, jedoch habe ich manchmal ein trauriges Gefühl, dass sich unsere Geschichte, die Geschichte der Wolgadeutschen ausgerechnet so gestaltet hat, aber ich habe keine Meinungsunterschiede mit der Partei in dieser Frage“ [Erina 1995:91].

Diese Antwort von A. Dulson, die er in der Zeit der globalen kommunistischen Diktatur gegeben hat, muss man heute anders interpretieren. Er kannte nur zu gut diese Geschichte, hat viele Materialien über die ersten Auswanderer und ihre Mundarten gesammelt. Offensichtlich haben nicht alle Antworten die Kommissionsmitglieder befriedigt, denn seine politische und kulturelle Tätigkeit wurden mit der Note „4“, und die organisatorische und administrative – nur mit „3“ eingeschätzt, so wurde daraus die Durchschnittsnote „3,5“. So hat man die Persönlichkeit des künftigen Wissenschaftlers eingeschätzt [OGU GIANP. R-847. Op. 1. L/s. D. 97. L. 1-3].

In dem Hungerjahr 1921 traf die Familie Dulson ein schweres Unglück – die Eltern waren an Hunger gestorben. Im gleichen Jahr lernte er seine künftige Frau Viktoria Iossifowna Glock kennen. Sie wurde 1900 geboren, war Lehrerin und Erzieherin im Kinderheim in Preiß. Viktoria wurde nicht einfach seine Frau, sondern seine Freundin und Gleichgesinnte. Sie arbeiteten zusammen im Kinderheim in Krassnopolje. Später beteiligten sie sich an dialektologischen und ethnographischen Expeditionen 1924 – 1929, die unter Leitung von Georg Dinges durchgeführt wurden. Das ist in einem Schreiben von Dinges an den Rektor der Universität Saratow belegt.

In der Familie Dulson wurden am 20. Juli 1922 die Tochter Erika und zwei Jahre später die zweite Tochter Erna geboren. Dann kam noch der Sohn Alfred dazu. Nach dem Tod der Eltern hatte Andreas seine Schwester Marta, 16 Jahre alt, in die Familie aufgenommen. Über seine materielle Lage schrieb Dulson: „Ich besitze eine Kuh und zusammen mit meinem Bruder und drei Schwestern ein Haus und einen Stall, anderes Gut habe ich nicht…“. Trotz der familiären Sorgen ließ er den Wunsch weiter zu lernen nicht ins Wasser fallen. Im November 1924 wurde er an der physikalisch-mathematischen Abteilung der pädagogischen Fakultät der Universität Saratow immatrikuliert. Er setzte aber seine Arbeit als Inspekteur des Bildungskommissariats weiter fort [OGU GIANP. R-847. Op. 1. L/s. D. 97. L. 1-3].

1925/26 sollte er die Arbeit der Bildungsverwaltungen einiger Kantone prüfen. Seine Berichte darüber wiesen ein tiefes Analyse- und Einschätzungsvermögen aus [OGU GIANP. Op.1. o/d. D. 167. L. 30]. Allein im Jahre 1925 untersuchte der Inspekteur Dulson die Tätigkeit von 4 Kantonbildungsverwaltungen: Balzer, Solotoje, Pokrowsk und Wolsk. Dabei hat er die Tätigkeit von allen Grundschulen, 3 siebenjährigen Schulen, einer neunjährigen Schule, 1 Technikum, 8 Stellen zur Beseitigung des Analphabetentums, 4 Kulturhäuser, 5 Kinderheime, 3 Lesestuben, 5 Bibliotheken und 2 Häuser der Lehr -und Bildungskräfte kontrolliert [OGU GIANP. R-863. Op.1. D. 26. L. 38].

Schon bald wechselte A. Dulson die Fakultät und wurde Student der Abteilung für deutsche Sprache und Literatur. Seit den ersten Tagen seines Studiums an der Universität zeigte Dulson eine Zuneigung zur wissenschaftlichen Tätigkeit. Bald wird er nicht nur Schüler, sondern auch nächster Helfer und Mitstreiter von Georg Dinges im Bereich der deutschen Dialektforschung, die sich nun ab 1925 in der Zentralstelle zur Erforschung der wolgadeutschen Mundarten konzentriert. In seinem Bericht für die Jahre 1925/26 schrieb Dinges, dass sich an der Herstellung des Wolgadeutschen Sprachatlasses viele Studenten freiwillig beteilig haben, darunter erwähnte er Andreas Dulson, der sich mit der Mundart von Preiß befasste [R-847. Op.1. D. 235. L.24 ob.]. 1925 wird Dulson als Leiter der deutschen Abteilung der Arbeiterfakultät an der Universität Saratow angestellt. An dieser Abteilung unterrichteten Müller, Obert, Schmal und Stuber [OGU GIANP. Op.1. D. 270. L. 20]. Dulson setzte es durch, dass am 15. März 1929 das Präsidium des Zentralen Exekutivkomitees der ASSRdWD für die begabtesten Studenten der deutschen Abteilung „zu Ehren des 10. Gründungstags der ersten Arbeiterfakultät in der UdSSR“ vier Stipendien zu je 40 Rubel gestiftet hat. Im Februar 1928 wird A. Dulson Mitbegründer der Gesellschaft zur Erforschung der Heimatkunde der Wolgadeutschen Republik, zu der unter anderen G. Dinges, E. Dinges, P. Rau, E. Hummel, H. Schneider, J. Schwab, D. Schmidt, A. Lonsinger, J. Frei, A. Wegel, Kappes, Pron und Konstantinow gehörten. In einer Sitzung am 12. Februar 1928 wurde das Statut der Gesellschaft angenommen, jedoch war die Zeit ihrer Existenz aus bekannten Gründen sehr kurz bemessen [Op. 1. D.254. L. 130]. Dulson leitete 1930 – 1932 außerdem noch ehrenamtlich die ethnographische Abteilung im Zentralen Museum der ASSRdWD.

Georg Dinges äußerte damals den Gedanken, dass man den Mischprozess der Inselmundarten und seine Ergebnisse ohne Berücksichtigung der Herkunft der ersten Siedler nicht richtig einschätzen könnte. Das bewog den jungen Wissenschaftler, seine Bemühungen auf die Erforschung der Vergangenheit seines Volkes zu konzentrieren und die Namen der ersten Kolonisten der „Mutterkolonien“ korrekt wiederherzustellen. Im Archivbestand der Professoren G. Dinges und A. Dulson in Engels werden 5 Bände mit den Namen der ersten Siedler aus Deutschland aufbewahrt, die von Dulson aufgestellt wurden. Erst auf der Grundlage dieser korrigierten Namenslisten baute er seine Mundartforschungen auf.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sprach- und Kulturerbe der Wolgadeutschen