Unheilvolle Nachrichten.

Der schlimmste Tag meines Lebens! Ich habe meine Frau besucht, sie kannte mich nicht mehr, redete irre. Ihr Gemütsleiden, die Folge des Todes von Annie und aller Aufregungen und Erschütterungen dieser Monate, hat, wie mir der Arzt sogt, sich als ein unheilbares herausgestellt. Sie leidet unter der Wahnvorstellung teuflischer Verfolgungen und soll noch heute hinausgebracht werden in eine Anstalt für Unheilbare.

Fünfundzwanzig Jahre lang haben wir Freud und Leid zusammen ertragen and in innigstem Gedanken- und Herzensaustausch gelebt. Vor mir zu sehen die Genossin meines Lebens, das alte, liebe Gesicht die treuen Augen, fremd und irre, es ist schrecklicher, als durch den Tod getrennt zu werden!


Draußen stürmt es von allen Seiten immer wilder. Doch was kümmert mich alles dies bei dem Seelenschmerz in meinem Innern! Es sollen in Ostpreußen und Elsaß-Lothringen unglückliche Gefechte stattgefunden haben. Unsere Truppen haben nach angestrengtesten Fußmärschen, schlecht genährt und mangelhaft bekleidet, trotz aller Tapferkeit keinen nachhaltigen Widerstand zu leisten vermocht. Der Aufstand in Berlin wird immer allgemeiner, er beherrscht schon das ganze rechte Spreeufer und diesseits die Stadtteile und Vororte jenseits des Landwehrkanals. Aus der Provinz kommt den Aufständischen immer mehr Zuzug. Die Truppen sollen teilweise zu denselben übergegangen sein.

Die Revolution ist also über den Kreis der Eisenarbeiter und ihrer besonderen Forderungen sogleich hinausgewachsen. Sie gilt jetzt der Beseitigung des sozialdemokratischen Regiments. Auch ich muß mich verfluchen, daß ich so viele Jahre hindurch dazu beigetragen habe, Zustände, wie wir sie in diesen Monaten erlebt, heraufzubeschwören. Ich tat es aber nur, weil ich davon eine glücklichere Zukunft für Kinder und Kindeskinder erhoffte. Ich verstand es nicht besser. Aber werden mir meine Kinder es je vergeben können, daß ich mitgewirkt zu den Ereignissen, deren Folgen ihnen die Mutter und die Schwester geraubt und unser ganzes Familienglück verrichtet haben?

Um jeden Preis muß ich meinen Ernst sprechen, mich drängt es zu ihm, ich will ihn warnen, sich hinauszubegeben auf die Straße, wozu solche junge Leute in der Aufregung der Tage nur zu leicht versucht sind. An freier Zeit, um die Erziehungsanstalt zu besuchen, fehlt es mir ja jetzt auch nicht mehr am Tage. Als politisch Verdächtiger bin ich meines Postens als Kontrolleur enthoben und zur nächtlichen Straßenreinigung versetzt worden. Ob dort meine Arbeit nicht eine Blutarbeit werden wird!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder