Trauerkunde.
Annie, unser gutes, herziges, kleines Mädchen, ist tot! Kann man es fassen, daß plötzlich starr und leblos das kleine Wesen daliegt, welches immer so fröhlich und munter um uns herumsprang, verstummt der Mund, der so herzlieb plauderte, gebrochen die Augen, die in so hellem Glänze strahlten, wenn hier auf diesem runden Tische das Weihnachtsbäumchen für sie strahlte oder dort auf der Kommode ihr Geburtstagskuchen mit dem Lichtchen erglänzte?
Und gerade heute ist ihr Geburtstag. Meine arme Frau war Vormittag in das Kinderheim gegangen, um zu versuchen, ob sie an diesem Tage ihr Kind wenigstens für einen Augenblick sehen könne. Fröhlichen Herzens und lächelnden Mundes fragt sie nach dem Kinde. Da nach einer Pause — sie mußte Namen und Wohnung wiederholen — schneiden ihr die kalten Worte in das Herz, das Kind sei über Nacht an der Bräune gestorben, die Mitteilung wäre soeben an die Eltern abgesandt worden.
Meine Frau sinkt starr auf einen Stuhl zurück, dann aber gibt ihr die Mutterliebe übermenschliche Kraft, sie kann es nicht fassen, daß Annie, ihr Kind, gestorben sein soll, es wird, es muß ein Irrtum sein. Sie stürzt der Aufseherin nach in den Leichenkeller. Da liegt das arme Würmchen in seinem langen roten Nachtröckchen. Alles Anrufen, Küssen und Klagen der Mutter vermag es nicht aufzuwecken.
Wie das alles so rasch gekommen ist bei der tückischen Krankheit, wer vermag es zu sagen? Eine Erklärung war vorhergegangen, wahrscheinlich über Nacht. Das Kind strampelte sich ja auch bei uns nachts immer so blos, oder dort wachte kein Mutterauge sorgsam neben dem Bettchen jedes Einzelnen unter den Hunderten von kleinen Wesen. Die vorgeschriebene Ventilation bringt stets einen frischen Luftzug in die Schlafstube. Vielleicht war auch das Kind beim Baden, nicht rasch und sorgsam genug abgetrocknet, es muß ja in solchen großen Anstalten gar manches etwas summarisch besorgt werden. Vielleicht auch hat die veränderte Ernährungsweise das Kind schwächer und daher empfindlicher gemacht, als es bei uns zu Hause war. Doch was hilft uns jetzt alles Nachforschen und Grübeln; unsere teuere Annie kann dadurch nicht wieder lebendig werden.
Wie wird meint teuere Frau solches Leid überstehen? Sie war so erschüttert und gebrochen, daß sie aus dem Kinderheim zu Wagen direkt in die Krankenanstalt übergeführt werden mußte. Ich selbst kam erst später hinzu. Annie war unser Nesthäkchen, ein Spätling, als einzige Tochter nach den Jungen. Was Alles haben wir von dem Kinde gehofft und geträumt, wenn es erst erwachsen sein würde.
Ernst, der gute Junge, soll es, erst morgen durch mich erfahren. Großvater darf es gar nicht wissen; er hatte Annie seit Mutters Geburtstag nicht mehr gesehen. Nun kann er ihr nicht mehr Geschichten erzählen, wie so oft, wenn sie auf seinem Schoße saß und immer wieder aufs Neue von Rotkäppchen und dem Wolf zu hören verlangte. Franz und Agnes in ihrem Amerika haben natürlich keine Ahnung. In zehn Tagen werden sie erst meinen Brief erhalten. Franz liebte seine kleine Schwester so zärtlich. Fast jedesmal brachte er ihr etwas mit, wenn er von der Arbeit heimkehrte. Das wußte der kleine Schelm und stürmte ihm schon auf der Treppe entgegen, sobald er Franz kommen hörte ober sah. Vorbei, Alles vorbei mit so manchem Anderen innerhalb einiger Monate.
Und gerade heute ist ihr Geburtstag. Meine arme Frau war Vormittag in das Kinderheim gegangen, um zu versuchen, ob sie an diesem Tage ihr Kind wenigstens für einen Augenblick sehen könne. Fröhlichen Herzens und lächelnden Mundes fragt sie nach dem Kinde. Da nach einer Pause — sie mußte Namen und Wohnung wiederholen — schneiden ihr die kalten Worte in das Herz, das Kind sei über Nacht an der Bräune gestorben, die Mitteilung wäre soeben an die Eltern abgesandt worden.
Meine Frau sinkt starr auf einen Stuhl zurück, dann aber gibt ihr die Mutterliebe übermenschliche Kraft, sie kann es nicht fassen, daß Annie, ihr Kind, gestorben sein soll, es wird, es muß ein Irrtum sein. Sie stürzt der Aufseherin nach in den Leichenkeller. Da liegt das arme Würmchen in seinem langen roten Nachtröckchen. Alles Anrufen, Küssen und Klagen der Mutter vermag es nicht aufzuwecken.
Wie das alles so rasch gekommen ist bei der tückischen Krankheit, wer vermag es zu sagen? Eine Erklärung war vorhergegangen, wahrscheinlich über Nacht. Das Kind strampelte sich ja auch bei uns nachts immer so blos, oder dort wachte kein Mutterauge sorgsam neben dem Bettchen jedes Einzelnen unter den Hunderten von kleinen Wesen. Die vorgeschriebene Ventilation bringt stets einen frischen Luftzug in die Schlafstube. Vielleicht war auch das Kind beim Baden, nicht rasch und sorgsam genug abgetrocknet, es muß ja in solchen großen Anstalten gar manches etwas summarisch besorgt werden. Vielleicht auch hat die veränderte Ernährungsweise das Kind schwächer und daher empfindlicher gemacht, als es bei uns zu Hause war. Doch was hilft uns jetzt alles Nachforschen und Grübeln; unsere teuere Annie kann dadurch nicht wieder lebendig werden.
Wie wird meint teuere Frau solches Leid überstehen? Sie war so erschüttert und gebrochen, daß sie aus dem Kinderheim zu Wagen direkt in die Krankenanstalt übergeführt werden mußte. Ich selbst kam erst später hinzu. Annie war unser Nesthäkchen, ein Spätling, als einzige Tochter nach den Jungen. Was Alles haben wir von dem Kinde gehofft und geträumt, wenn es erst erwachsen sein würde.
Ernst, der gute Junge, soll es, erst morgen durch mich erfahren. Großvater darf es gar nicht wissen; er hatte Annie seit Mutters Geburtstag nicht mehr gesehen. Nun kann er ihr nicht mehr Geschichten erzählen, wie so oft, wenn sie auf seinem Schoße saß und immer wieder aufs Neue von Rotkäppchen und dem Wolf zu hören verlangte. Franz und Agnes in ihrem Amerika haben natürlich keine Ahnung. In zehn Tagen werden sie erst meinen Brief erhalten. Franz liebte seine kleine Schwester so zärtlich. Fast jedesmal brachte er ihr etwas mit, wenn er von der Arbeit heimkehrte. Das wußte der kleine Schelm und stürmte ihm schon auf der Treppe entgegen, sobald er Franz kommen hörte ober sah. Vorbei, Alles vorbei mit so manchem Anderen innerhalb einiger Monate.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder