Strike in Sicht.

Das neue Programm des Reichskanzlers zur Deckung des Milliardendefizits ist in Berlin fast überall nur mit Hohn und Spott aufgenommen worden. Was daraus weiter folgt, vermag Niemand abzusehen. Schon lange bestand eine besondere Gährung unter den Metallarbeitern, insbesondere auch unter den Maschinenbauern. Sie rühmen sich, bei der großen Umwälzung das Beste getan zu haben, und behaupten jetzt, um die Erfüllung der Versprechungen, weiche die Sozialdemokratie ihnen früher gemacht, schmählich geprellt zu sein. Man hat ihnen allerdings vor der großen Umwälzung stets „den vollen Ertrag ihrer Arbeit“ versprochen. Ausdrücklich und wiederholt, so sagen sie, hat dies Schwarz auf Weiß im „Vorwärts,“ gestanden. Nun aber erhalten sie nur dieselben Arbeitslöhne wie alle andern.

Wenn man den vollen Wert der aus ihren Werkstätten hervorgegangenen Fabrikate und Maschinen auf sie verteilte, nach Abzug der Kosten der Rohstoffe und Hilfsstoffe, so lagen sie, gebühre ihnen ein Vielfaches von dem, was sie jetzt erhalten.


Vergebens hat der „Vorwärts“ ihnen ihre Auffassung als Missverständnis auszureden versucht. Die Sozialdemokratie hätte, so meint jetzt der „Vorwärts“, nicht den Arbeitern jedes einzelnen Berufs den vollen Ertrag ihrer besonderen Berufsarbeit versprochen, sondern nur der Gesamtheit aller Arbeiter den vollen Ertrag der Arbeit des ganzen Volkes. Was aus den Werkstätten der Metallarbeiter hervorgeht, entstehe doch nicht bloß durch Menschenarbeit, sondern auch durch Mitwirkung vieler kostspieligen Maschinen und Werkzeuge. Große Gebäude und Betriebsmittel sind dazu erforderlich. Alles dies ist doch nicht durch die zur Zeit in diesen Werkstätten tätigen Arbeiter geschaffen worden. Dafür, daß die Gesellschaft dieses gesamte Anlage- und Betriebskapital stellt, gebührt ihr auch aus dem Arbeitsertrage dasjenige, was nach Auszahlung der für alle Arbeiter in der Gesamtheit gleichen Löhne an die einzelnen übrig bleibt.

Das will nun den Eisenarbeitern nicht in den Sinn. Sie meinem, daß, wenn jetzt der Staat oder die Gesellschaft diejenigen Dividenden schluckt, welche früher die Aktionäre ihrer Anlagen bezogen für Hergabe des Kapitals, so sei dies für sie „Hose wie Jacke“. Dafür hätte es nicht gelohnt, die große Revolution zu machen.

Seitdem nun die Ausdehnung der Arbeitspflicht auf täglich 12 Stunden in Sicht gekommen, sind die Eisenarbeiter noch erbitterter. Täglich 12 Stunden am Feuer und an Metall arbeiten ist doch etwas ganz anderes, als 12 Standen in Laden auf Kunden lauern oder Kinder warten.

Kurz und gut, sie verlangen den „vollen Arbeitsertrag“ in ihrem Sinne, und zwar bei höchstens 10 stündiger Arbeitszeit. Zur Nachtzeit haben schon große Versammlungen der Metallarbeiter in der Jungfernheide und in der Wuhlheide stattgefunden, um die gewaltsame Durchführung ihrer Forderungen zu beraten. Man spricht von einer bevorstehenden Arbeitseinstellung der 40.000 Metallarbeiter und Maschinenbauer, die in Berlin tätig sind.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder