Neues Geld.

Die Photographen haben viel Arbeit bekommen. Alle Deutschen im Alter vorn 21. bis 65. Lebensjahr, also alle diejenigen, welche nicht in Staatsanstalten unterhalten werden, sind angewiesen worden, sich photographieren zu lassen. Es ist dies notwendig, um die neuen Geldzertifikate, welche an Stelle der bisherigen Münzen und Kassenscheine treten sollen, einzuführen.

In ebenso scharfsinniger wie kluger Weise, so führt der „Vorwärts“ aus, hat unser Reichsschatzsekretär das Problem gelöst, ein Tauschmittel herzustellen, welches die legitimen Zwecke eines solchen erfüllt und doch das Wiederaufkommen einer Kapitalistenklasse völlig ausschließt. Das neue Geld hat nicht wie Gold oder Silber an sich einen Wert, sondern besteht nur in Anwendungen auf den Staat als den nunmehrigen alleinigen Besitzer aller Verkaufsgegenstände.


Jeder Arbeiter im Dienst des Staates erhält von 14 zu 14 Tagen ein Zertifikat ausgestellt, welches auf den Namen lautet und zur Verhinderung eines Gebrauchs durch andere Personen gleich den früheren Abonnementsbillets bei der Berliner Stadtbahn mit der Photographie des Inhabers auf dem Deckel versehen sein muß. Zwar die für Alle gleichmäßig vorgeschriebene Arbeitszeit verhindert bei gleichem Lohn. daß soziale Ungleichheiten aufkommen in Folge der verschiedenen Befähigung und des verschiedenen Grades, wie von diesen Fähigkeiten Gebrauch gemacht wird. Es gilt aber noch, ebenso wie bei der Produktion auch die Möglichkeit auszuschließen, daß sich durch Verschiedenheit der Konsumtion Werte in den Händen einzelner sparsüchtiger oder bedürfnisloser Personen ansammeln können. Auch hierdurch hatte ja eine Kapitalistenklasse Eingang finden können, welche im Stande gewesen wäre, weniger sparsame und deshalb ihren Lohn konsumierende Arbeiter allmählich in Abhängigkeit von sich zu bringen.

Damit das Zertifikat im ganzen und in seinen einzelnen Coupons nicht Dritten überlassen werden kann, sind die einzelnen Coupons bei dem Gebrauch nicht von dem Inhaber, sondern in Gegenwart desselben von dem den Coupon in Zahlung nehmenden Verkäufer oder sonstigen Beamten des Staats loszutrennen. Die Coupons, welche von 14 zu 14 Tagen in dem auf dem Deckel mit der Photographie des betreffenden Inhabers versehenen Büchlein von dem zuständigen Staatsbuchhalter neu eingeheftet werden, sind verschiedenartig eingerichtet. Ein Wohnungscoupon oder eine Wohnungsmarke ist durch den Portier desjenigen Hauses, in welchem die Wohnung angewiesen ist, regelmäßig loszutrennen. — Die neue Wohnungsverteilung soll kurz vor der Eröffnung der Staatsküchen stattfinden, weil alsdann die bisherigen Küchen außer Gebrauch gesetzt werden können — eine Essmarke ist bei Entnahme des Mittagsmahls in den Staatsküchen vom Buchhalter daselbst loszutrennen, eine Brotmarke beim Empfang der Brotportion (700 Gr. pro Kopf und Tag). Die Geldmarken, welche sich außerdem noch in dem Zertifikat befinden, haben einen verschiedenen Nennwert und können vom Inhaber, je nach seinem persönlichen Belieben, verwandt werden zur Anschaffung von Früh- und Abendmahlzeiten, von Tabak und geistigen Getränken, für Reinigung der Wäsche und Ankauf von Kleidungsgegenständen, kurzum für alles, was sonst sein Herz an Waren begehrt. Alles wird ja in den Staatsmagazinen und Verkaufsstellen zu haben sein. Der Verkäufer hat stets nur die dem festgesetzten Preis entsprechenden Coupons loszutrennen.

Da jeder Coupon die Nummer des Zertifikats trägt und der Inhaber desselben in der Liste vermerkt ist, so läßt sich aus den angesammelten Coupons entnehmen, in welcher Weise jeder seinen Lohn konsumiert hat. Die Regierung ist also in den Stand gesetzt, jedem nicht blos auf die Haut, sondern gewissermaßen bis in den Magen hineinzusehen, was die Organisation der Produktion und Konsumtion in hohem Maße erleichtern muß.

Die für den Coupon gekauften Waren kann der Käufer selbst gebrauchen oder anderen überlassen. Der Inhaber kamt sogar diese Ware durch schriftliche Aufzeichnung für den Todesfall beliebig vererben. In einer die Gegner und Verleumder der Sozialdemokratie wahrhaft beschämenden Weise ist somit, mit der „Vorwärts“ treffend bemerkt, durch diese Einrichtung dargetan, daß die Sozialdemokratie keineswegs jedes Privateigentum und jedes Erbrecht beseitigen will, sondern das individualistische Belieben nur soweit einschränkt, wie es die Fernhaltung eines neuen Privatkapitalismus und eines Ausbeutersystems bedingt.

Wer innerhalb 14 Tagen, also bis zur Ausfertigung eines neuen Zertifikats, seine Coupons nicht vollständig verbraucht hat, erhält aus dem nächsten Zertifikat den unverbrauchten Teil gut geschrieben. Aber freilich muß auch hier Vorkehrung getroffen werden, daß sich nicht solche Restbeträge bis zu wirklichen Kapitalien anhäufen können. Ein Betrag von sechzig Mark gilt mehr als ausreichend, um es dem einzelnen zu ermöglichen, sich auch größere Kleidungsstücke aus den Ersparnissen der Zertifikate anzuschaffen. Was über diesen Ertrag hinaus erspart wird, verfällt daher der Staatskasse.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder