Letztes Kapitel.

Herrn Buchdruckereifaktor Franz Schmidt

New-York.


Mein teurer Bruder! Sei stark und fasse Dich, denn ich habe Dir trauriges zu melden. Unser guter Vater ist nicht mehr. Auch er ist ein unschuldiges Opfer des großen Aufstandes geworden, welcher seit Tagen Berlin durchtobte.

Vater wollte mich in der Erziehungsanstalt besuchen, um mich vor der Beteiligung an Straßenaufständen zu warnen. In der Nähe unserer Anstalt hatte vorher, was Vater offenbar nicht wußte, ein Gefecht mit der Schutzmannschaft stattgefunden. Ein Teil derselben war in unsere Anstalt geflüchtet. Die Gegner lagen im Hinterhalt. Wahrscheinlich hat einer derselben Vater für einen Sendboten der Regierung gehalten. Ein Schuß aus einem Bodenfenster traf ihn, und er verschied auf der Straße nach wenigen Augenblicken. Es war furchtbar, als man den Toten in unseren Hausflur brachte und ich den eigenen Vater erkannte.

Er ist ein Opfer seiner väterlichen Fürsorge geworben. Um der Zukunft der Seinigen willen war er Sozialdemokrat geworden, aber von seinen Irrtümern vollständig zurückgekommen.

Über den traurigen Zustand unserer geliebten Mutter und über Großvater hat Vater Dir noch selbst geschrieben. In meinem jähen Schmerz und in meiner Verlassenheit bist Du, geliebter Bruder, mein einziger Gedanke und meine Zuflucht. Wenn ich diesen Brief aufgebe, habe ich die deutsche Grenze schon hinter mir. Nach Holland zu soll dieselbe ganz unbewacht sein. Dort kann ich von der Geldanweisung, welche Du mir übersandtest, Gebrauch machen.

Hier geht alles drunter und drüber. An den Grenzen blutige Niederlagen, im Innern Anarchie und vollständige Auslösung. Wie alles so gekommen, darüber bringe ich Dir die Aufzeichnungen vom Vater, welche er noch bis zum Tage vor seinem Tode fortgeführt.

In Trauer und Wehmut küßt Dich und Agnes

Dein verlassener Gruß.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder