Kanzlerwechsel.

Mein heißer Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Der Kanzler ist aus dem Amt geschieden und der bisherige Reichstagspräsident zu seinem Nachfolger gewählt. Das Staatsministerium, welches auch eine teilweise Erneuerung erfuhr, hat in seiner Gesamtheit sich nicht entschließen können, dem Reichskanzler eine Dienerschaft zu seiner persönlichen Bequemlichkeit in seinem Privatleben auf eigene Verantwortung zur Verfügung zu stellen, weil die Folgen einer solchen Verletzung der sozialen Gleichheit unabsehbar sein würden. Wie leicht kann der ganze soziale Bau wieder zusammenstürzen, wenn in seiner folgerechten Gliederung auch nur ein einziger Stein gelockert wird. Schon Bebel schrieb in seinen Betrachtungen über diese Stiefelwichsfrage: „Arbeit schändet nicht, auch wenn sie im Stiefelputzen besteht. Das hat sogar schon mancher altadlige Offizier in Amerika kennen gelernt.“ Die Regierung war allerdings geneigt den von Bebel gegebenen Fingerzeig zur Lösung dieser Schwierigkeiten zu beachten und eine erhöhte Aufmerksamkeit der Frage zuzuwenden, wie das Stiefelwichsen und Kleiderreinigen durch Maschinen ausgeführt werden könne. Aber auf diese Aussicht der Bedienung durch Maschinen wollte sich der Reichskanzler nicht einlassen.

So ist er denn gegangen. Sein vorn gesetzgebenden Ausschuß gewählter Nachfolger gilt als eine weniger schneidige, und mehr vermittelnde Natur, als ein Mann, der es nach keiner Seite gern verderben und möglichst allen Wünschen gerecht werden will.


In etwas gar zu demonstrativer Weise erschien der Nachfolger des Reichskanzlers heute in der Küche seines Bezirks, speiste in der Reihenfolge seiner Nummer und spazierte zu Fuß Unter den Linden, ein großes Packet mit Kleidungsstücken unter dem Arm, welches er in die Reparaturanstalt des Stadtteils zum Reinigen und Ausbessern überbrachte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder