Familiensorgen.
Das war ein Sonntag nicht wie ehedem. Endlich war es meiner Frau heute Nachmittag vergönnt gewesen, Annie zu besuchen. Die Ordnung in den großen Anstalten gestattet den Eltern nur Besuche in einer gewissen Reihenfolge. Wie hatte sich meine Frau das Wiedersehen mit dem Kinde ausgemalt! Näschereien und allerlei Spielzeug, wie es Annie stets liebte, wurden sorgfältig eingepackt und mitgenommen. Aber zu ihrem großen Schmerz mußte Mutter die Sachen am Eingang zurücklassen. Besonderes Spielzeug dürften einzelne Kinder nicht haben, solches vertrage sich nicht mit der Erziehung im Sinne der sozialen Gleichheit. Mit Kuchen sei es nicht anders. Das gebe nur Veranlassung zu Zank und Streit und störe die regelmäßige Ordnung und Ernährung in der Anstalt. Meine Frau hatte von dieser neuen Verfügung noch keine Kenntnis, da sie in ihrer Anstalt neuerlich in der Küche und nicht bei den Kindern tätig ist.
Auch die Freude des Wiedersehens hatte sich meine gute Frau von Seiten Annies stürmischer, lebhafter und zärtlicher vorgestellt. Das Kind war in des neuen Umgebung zur Mutter weniger zutraulich als sonst. Allzu lange freilich hat die Trennung nach nicht bestanden. Aber bei kleinen Kindern heißt es nun einmal: Aus den Augen, aus dem Sinn. Dazu war bei Annie unglücklicherweise der Gedanke an das Wiedersehen der Mutter stets mit der Vorstellung des Mitbringens von Süßigkeiten und Spielsachen verknüpft worden. Nun kam meine Frau mit leeres Händen zu dem Kinde. Zur Fortsetzung des Spiels mit den andern Kleinen zog es Annie mindestens ebenso hin, wie zu den Liebkosungen der Mutter.
Meine Frau fand Annie etwas blaß aussehend und verändert. Vielleicht hat nur die veränderte Lebensweise und die andere Ernährungsweise daran schuld. Strenge Ordnung herrscht in der Anstalt. Aber es geht, wie es überall in unsern Anstalten der Fall sein soll, noch etwas knapp ja, und der Großbetrieb gestartet keine allzu sorgsame Behandlung des Einzelnen. Indes das Aussehen der Kinder verändert sich ja oft sehr rasch. Wäre Annie noch bei uns, so würde es die erfahrene Mutter nicht beunruhigen. In der Abwesenheit ist es freilich anders. Da malt sich die Mutter leicht eine entstehende Krankheit aus, der sie nicht entgegenwirken kann.
In besondere Erregung versetzte meine Frau noch ein Gespräch mit einer Kindergärtnerin der Anstalt. Dieselbe schnitt die Klagen meiner Frau über die Trennung der kleinen Kinder von den Eltern barsch mit den Worten ab: Solchen Jammer hören wir nun alle Tage hier. Sogar das unvernünftige Vieh verwindet es bald, wenn man ihm sein Junges nimmt Wie viel leichter sollten sich Frauen darin finden, die zu den denkenden Wesen gehören.
Meine Frau wollte sich über die Rohheit dieser Dame bei der Direktion beschweren. Ich riet ihr ab, weil die Person es dann Annie entgelten lassen würde. Die Dame hat nie ein Kind gehabt und kann auch jetzt keinen Mann bekommen, obgleich sie von der neuen Gleichberechtigung der Frauen wiederholt dahin Gebrauch gemacht haben soll, ihrerseits Heiratsanträge zu stellen.
Meine Frau war von dem weiten Weg von der Anstalt noch nicht zurückgekehrt, als Großvater ankam. Der alte Mann hatte sich mühsam die steilen dunkeln Treppen zu unserer neuen Wohnung heraufgefunden. Es war mir doch lieb, daß meine Frau nicht anwesend war, denn ihres Vaters Klagen hätten ihr das Herz noch schwerer gemacht.
Es waren ja freilich nur Äußerlichkeiten und Nebendinge über die er klagte. Aber alte Leute hängen nun einmal an solchen kleinen Gewohnheiten, wie sie hier etwas rauh durchbrochen worden sind. Auch mit der Gesundheit, so meinte Großpater, gehe es ihm schlechter. Hier und dort schmerzt, zwickt und sticht es ihn. Äußerlich nahm ich keine Veränderung wahr, aber Großvater hat jetzt mehr Zeit, über sich selbst nachzudenken, als früher, wo ihn in unserem Familienkreise bald dies, bald jenes abzog. Gern war er auch früher bei mir in der Werkstatt und suchte sich nützlich zu machen. Was er arbeitete, wollte ja nicht viel bedeuten, aber es beschäftigte ihn doch. Für alte Leute ist das Nichtstun keine Wohltat, denn eine auch noch so leichte Arbeit erhält ihr Lebensinteresse aufrecht, verknüpft sie mit der Gegenwart bewahrt sie vor raschem körperlichen und geistigen Verfall.
Ich konnte den alten Mann, der sich in unserer kleinen Wohnung über die fehlenden alten Möbel sehr erregt zeigte, nicht allein in seine Anstalt zurückgehen lassen.
Unglücklicherweise hat, während ich Großvater begleitete und meine Frau noch nicht zurückgekehrt war, unser Ernst uns besuchen wollen. Er ist vor die verschlossene Tür gekommen. Wie er einem Nachbarssohn und früheren Gespielen erzählte, hat ihn unbezwingliches Heimweh während einer freien Stunde zum Besuch der Eltern getrieben. Er kann auch jetzt noch ganz und gar nicht in die Anstalt sich schicken. Das ewige Lesen, Schreiben und Auswendiglernen, kurzum das Studieren, gefällt ihm nun einmal nicht. Er will Handwerker werden und nur lernen, was darauf Bezug hat. Ich bin überzeugt, er würde auch ein tüchtiger Handwerker werden. Unser Unterrichtsminister aber ist mit Bebel der Ansicht, daß alle Menschen mit dem nahezu gleichen Verstande geboren werden, und deshalb soll allen, bis mit dem 18. Lebensjahr die Fachbildung beginnt eine gleichmäßige geistige Ausbildung zu Teil werden als notwendige Grundlage für die spätere soziale Gleichheit.
Auch die Freude des Wiedersehens hatte sich meine gute Frau von Seiten Annies stürmischer, lebhafter und zärtlicher vorgestellt. Das Kind war in des neuen Umgebung zur Mutter weniger zutraulich als sonst. Allzu lange freilich hat die Trennung nach nicht bestanden. Aber bei kleinen Kindern heißt es nun einmal: Aus den Augen, aus dem Sinn. Dazu war bei Annie unglücklicherweise der Gedanke an das Wiedersehen der Mutter stets mit der Vorstellung des Mitbringens von Süßigkeiten und Spielsachen verknüpft worden. Nun kam meine Frau mit leeres Händen zu dem Kinde. Zur Fortsetzung des Spiels mit den andern Kleinen zog es Annie mindestens ebenso hin, wie zu den Liebkosungen der Mutter.
Meine Frau fand Annie etwas blaß aussehend und verändert. Vielleicht hat nur die veränderte Lebensweise und die andere Ernährungsweise daran schuld. Strenge Ordnung herrscht in der Anstalt. Aber es geht, wie es überall in unsern Anstalten der Fall sein soll, noch etwas knapp ja, und der Großbetrieb gestartet keine allzu sorgsame Behandlung des Einzelnen. Indes das Aussehen der Kinder verändert sich ja oft sehr rasch. Wäre Annie noch bei uns, so würde es die erfahrene Mutter nicht beunruhigen. In der Abwesenheit ist es freilich anders. Da malt sich die Mutter leicht eine entstehende Krankheit aus, der sie nicht entgegenwirken kann.
In besondere Erregung versetzte meine Frau noch ein Gespräch mit einer Kindergärtnerin der Anstalt. Dieselbe schnitt die Klagen meiner Frau über die Trennung der kleinen Kinder von den Eltern barsch mit den Worten ab: Solchen Jammer hören wir nun alle Tage hier. Sogar das unvernünftige Vieh verwindet es bald, wenn man ihm sein Junges nimmt Wie viel leichter sollten sich Frauen darin finden, die zu den denkenden Wesen gehören.
Meine Frau wollte sich über die Rohheit dieser Dame bei der Direktion beschweren. Ich riet ihr ab, weil die Person es dann Annie entgelten lassen würde. Die Dame hat nie ein Kind gehabt und kann auch jetzt keinen Mann bekommen, obgleich sie von der neuen Gleichberechtigung der Frauen wiederholt dahin Gebrauch gemacht haben soll, ihrerseits Heiratsanträge zu stellen.
Meine Frau war von dem weiten Weg von der Anstalt noch nicht zurückgekehrt, als Großvater ankam. Der alte Mann hatte sich mühsam die steilen dunkeln Treppen zu unserer neuen Wohnung heraufgefunden. Es war mir doch lieb, daß meine Frau nicht anwesend war, denn ihres Vaters Klagen hätten ihr das Herz noch schwerer gemacht.
Es waren ja freilich nur Äußerlichkeiten und Nebendinge über die er klagte. Aber alte Leute hängen nun einmal an solchen kleinen Gewohnheiten, wie sie hier etwas rauh durchbrochen worden sind. Auch mit der Gesundheit, so meinte Großpater, gehe es ihm schlechter. Hier und dort schmerzt, zwickt und sticht es ihn. Äußerlich nahm ich keine Veränderung wahr, aber Großvater hat jetzt mehr Zeit, über sich selbst nachzudenken, als früher, wo ihn in unserem Familienkreise bald dies, bald jenes abzog. Gern war er auch früher bei mir in der Werkstatt und suchte sich nützlich zu machen. Was er arbeitete, wollte ja nicht viel bedeuten, aber es beschäftigte ihn doch. Für alte Leute ist das Nichtstun keine Wohltat, denn eine auch noch so leichte Arbeit erhält ihr Lebensinteresse aufrecht, verknüpft sie mit der Gegenwart bewahrt sie vor raschem körperlichen und geistigen Verfall.
Ich konnte den alten Mann, der sich in unserer kleinen Wohnung über die fehlenden alten Möbel sehr erregt zeigte, nicht allein in seine Anstalt zurückgehen lassen.
Unglücklicherweise hat, während ich Großvater begleitete und meine Frau noch nicht zurückgekehrt war, unser Ernst uns besuchen wollen. Er ist vor die verschlossene Tür gekommen. Wie er einem Nachbarssohn und früheren Gespielen erzählte, hat ihn unbezwingliches Heimweh während einer freien Stunde zum Besuch der Eltern getrieben. Er kann auch jetzt noch ganz und gar nicht in die Anstalt sich schicken. Das ewige Lesen, Schreiben und Auswendiglernen, kurzum das Studieren, gefällt ihm nun einmal nicht. Er will Handwerker werden und nur lernen, was darauf Bezug hat. Ich bin überzeugt, er würde auch ein tüchtiger Handwerker werden. Unser Unterrichtsminister aber ist mit Bebel der Ansicht, daß alle Menschen mit dem nahezu gleichen Verstande geboren werden, und deshalb soll allen, bis mit dem 18. Lebensjahr die Fachbildung beginnt eine gleichmäßige geistige Ausbildung zu Teil werden als notwendige Grundlage für die spätere soziale Gleichheit.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder