Die neue Häuslichkeit.
Die große Wohnungslotterie hat stattgefunden und die nette Wohnung ist von uns bezogen worden. Freilich verbessert haben wir uns nicht gerade. Wir wohnten Berlin SW., drei Treppen im Vorderhause und haben — zufällig in demselben Hause — eine Wohnung angewiesen erhalten drei Treppen im Hinterhause. Meine Frau ist ein bischen stark enttäuscht. Sie hatte zwar den Gedanken an eine kleine Villa aufgegeben, aber wohl noch immer auf eine halbe Belletage irgendwo gehofft.
Auf die Wohnung habe auch ich immer viel gegeben. Wir hatten bisher für uns 6 Personen 2 Stuben, 2 Kammern und die Küche. Die beiden Kammern, in denen Großvater und die Kinder schliefen, brauchen wir allerdings jetzt nicht mehr. Der Küche bei den Wohnungen bedarf es auch nicht weiter, da morgen die Staatsküchen eröffnet werden sollen. Aber auf 2 bis 3 hübsche Stuben hatte ich mir im Stillen selbst Hoffnung gemacht. Statt dessen haben wir eine einfenstrige Stube und eine Art Mädchengelass, wie man es früher nannte, zugeteilt bekommen. Etwas dunkler und etwas niedriger sind die Räume, auch Nebenräume sind nicht dabei.
Indes Alles ist mit rechten Dingen zugegangen. Unser Magistrat ist ehrlich, und nur ein Schelm gibt mehr, als er hat. Wie gestern in der Stadtverordnetenversammlung dargelegt wurde, hat Berlin bisher laut dem früheren Mietssteuerkataster für seine 2 Millionen Einwohner eine Million Wohnzimmer zur Verfügung gehabt. Nun ist aber der Bedarf an Räumen für öffentliche Zwecke in unserer sozialisierten Gesellschaft außerordentlich gewachsen. Die zu öffentlichen Zwecken schon vorhanden gewesenen Räume einschließlich der Ladenlokale vermochten deshalb nur einen winzigen Bruchteil des jetzigen Bedarfs zu decken. War doch schon eine Million junger und alter Personen in Erziehungs- und Verpflegungsanstalten unterzubringen. Krankenhäuser mit 80.000 Letten sind jetzt reserviert.
Solche öffentliche Zwecke müssen aber den Privatinteressen vorangehen. Mit großem Recht hat man deshalb vorzugsweise die größeren und besseren Häuser, namentlich in den westlichen Stadtteilen, dafür in Beschlag genommen. In den inneren Bezirken liegen desto mehr Bureaus und Verkaufsmagazine. In den Erdgeschossen sind überall die Staatsküchen und Speisehäuser für diejenige Million Einwohner eingerichtet, welche nicht in öffentlichen Anstalten untergebracht ist In den Hinterhäusern befinden sich auch Generalwaschanstalten für dieselben. Wenn dergestalt für so viele besondere Zwecke auch besondere Räumlichkeiten reserviert werden mußten, so ergab sich daraus von vornherein eine Beschränkung der Privatwohnungen.
Bei Übernahme der Regierung sind wie gesagt im ganzen eine Million verfügbarer Wohnzimmer vorgefunden worden. Es sind davon nach Deckung des Bedarfs für öffentliche Zwecke 600.000 mehr oder weniger kleine Wohnzimmer übrig geblieben nebst einigen hunderttausend Küchenräumen und andern Nebenräumen. Für die in Privatwohnungen unterzubringende Million Einwohner entfiel daher pro Kopf eine Räumlichkeit. Um jede Ungerechtigkeit zu verhindern, sind diese Räume verlost worden. Jede Person von 21 bis 45 Jahren, männlich oder weiblich, erhielt ein Los. Das Verlosen ist überhaupt ein vorzügliches Mittel, um dem Prinzip der Gleichheit bei ungleichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Die Sozialdemokraten in Berlin hatten schon in der früheren Gesellschaft solche Verlosungen eingeführt bei Theaterplätzen.
Nach der Verlosung der Wohnungen war Umtausch der zugelosten Räume gestattet. Diejenigen, welche beisammen bleiben wollten wie Eheleute, aber nach Straßen, Häusern oder Stockwerken getrennte Räume zugelost erhalten hatten, tauschten mit anderen. Ich konnte freilich neben der für meine Frau ausgelosten Stube nur noch das Mädchengelass bekommen, indem ich dafür die für mich an Nachbarhause zugeloste Stube einem jungen Mann überließ, welcher das Mädchengelass erlost hatte. Indes die Hauptsache ist doch, das wir beide zusammen geblieben sind.
Allen Eheleuten ist ein entsprechender Zimmertausch freilich noch nicht geglückt. Manche geben sich vielleicht auch keine rechte Mühe, wieder zusammenzukommen. Die Ehe ist Privatsache und deshalb können von Amtswegen nicht besondere größere Wohnungen für Eheleute und kleinere Wohnungen für Einzelpersonen verlost werden. Wäre letzteres der Fall, so würde ja beispielsweise die Auflösung einer Ehe, welche doch an jedem Tage möglich sein soll, bis zum Freiwerden von Wohnungen für Einzelpersonen hinausgeschoben werden müssen. Jetzt dagegen kann jede bei Eingehung der Ehe nach privater Entschließung von zwei Personen zusammengelegte Wohnung ebenso wieder bei Auflösung der Ehe in ihre beiden ursprünglichen Teile zerlegt werden. Man teilt die zusammengestellten Möbel ab, und alles ist wieder vorbei.
So ist in der neuen Gesellschaft auch hier alles auf das folgerichtigste und scharfsinnigste geordnet worden. Wie beschämend sind doch diese Einrichtungen, welche jede persönliche Freiheit für Mann und Weib garantieren, wiederum für diejenigen, die stets behauptet haben, daß die Sozialdemokrat eine Knechtschaft des Einzelwillens bedeute.
Für meine Alte und mich sind dies natürlich kein praktischen Fragen. Wir halten wie bisher in Freud und Leid bis zu unserm Lebensende treu zusammen. Das sind nur schwache Naturen, bei welchen der innere Herzensbund auch noch der äußeren Klammern, wie in der alten Gesellschaft bedarf, um nicht auseinander zu fallen.
Leider haben wir beim Umzug wieder einen weiteren Teil unseres Hausrats im Stich lassen müssen. Die neue Wohnung war zu klein, um auch nur den Rest unseres Mobiliars, der uns nach dem Umzugstage unserer Lieben gebliebem vollständig aufnehmen zu können. Wir haben natürlich in die beiden Gelasse hineingesteckt, was von unsern Sachen hineinging, sodaß wir in der Bewegung etwas beengt sind. Aber das ehemalige Mädchengelass ist doch gar zu klein und hat auch zu wenig Wandfläche. Sehr vielen anderen ist es auch nicht besser ergangen. Beim Wohnungswechsel blieben daher sehr viele Sachen auf der Straße stehen, welche in den neuen Räumen von ihren bisherigen Besitzern nicht untergebracht werden konnten. Diese Sachen sind sämtlich ausgeladen worden, um die noch sehr mangelhafte Einrichtung in unseren großen öffentlichen Anstalten nach Möglichkeit zu vervollständigen.
Darüber wollen wir uns aber nicht betrüben. Es gilt, in der neuen Gesellschaft an Stelle einer beschränkten kümmerlichen Privatexistenz ein großartiges öffentliches Leben zu organisieren, das mit seinen auf das vollkommenste eingerichteten Anstalten für leibliche und geistige Nahrung jeder Art, für Erholung und Geselligkeit allen Menschen ohne Unterschied dasjenige zu Teil werden läßt, was bis dahin nur eine bevorzugte Klasse genießen konnte. Der morgigen Eröffnung der Staatsküchen soll demnächst auch die Eröffnung der neuen Volkstheater folgen.
Auf die Wohnung habe auch ich immer viel gegeben. Wir hatten bisher für uns 6 Personen 2 Stuben, 2 Kammern und die Küche. Die beiden Kammern, in denen Großvater und die Kinder schliefen, brauchen wir allerdings jetzt nicht mehr. Der Küche bei den Wohnungen bedarf es auch nicht weiter, da morgen die Staatsküchen eröffnet werden sollen. Aber auf 2 bis 3 hübsche Stuben hatte ich mir im Stillen selbst Hoffnung gemacht. Statt dessen haben wir eine einfenstrige Stube und eine Art Mädchengelass, wie man es früher nannte, zugeteilt bekommen. Etwas dunkler und etwas niedriger sind die Räume, auch Nebenräume sind nicht dabei.
Indes Alles ist mit rechten Dingen zugegangen. Unser Magistrat ist ehrlich, und nur ein Schelm gibt mehr, als er hat. Wie gestern in der Stadtverordnetenversammlung dargelegt wurde, hat Berlin bisher laut dem früheren Mietssteuerkataster für seine 2 Millionen Einwohner eine Million Wohnzimmer zur Verfügung gehabt. Nun ist aber der Bedarf an Räumen für öffentliche Zwecke in unserer sozialisierten Gesellschaft außerordentlich gewachsen. Die zu öffentlichen Zwecken schon vorhanden gewesenen Räume einschließlich der Ladenlokale vermochten deshalb nur einen winzigen Bruchteil des jetzigen Bedarfs zu decken. War doch schon eine Million junger und alter Personen in Erziehungs- und Verpflegungsanstalten unterzubringen. Krankenhäuser mit 80.000 Letten sind jetzt reserviert.
Solche öffentliche Zwecke müssen aber den Privatinteressen vorangehen. Mit großem Recht hat man deshalb vorzugsweise die größeren und besseren Häuser, namentlich in den westlichen Stadtteilen, dafür in Beschlag genommen. In den inneren Bezirken liegen desto mehr Bureaus und Verkaufsmagazine. In den Erdgeschossen sind überall die Staatsküchen und Speisehäuser für diejenige Million Einwohner eingerichtet, welche nicht in öffentlichen Anstalten untergebracht ist In den Hinterhäusern befinden sich auch Generalwaschanstalten für dieselben. Wenn dergestalt für so viele besondere Zwecke auch besondere Räumlichkeiten reserviert werden mußten, so ergab sich daraus von vornherein eine Beschränkung der Privatwohnungen.
Bei Übernahme der Regierung sind wie gesagt im ganzen eine Million verfügbarer Wohnzimmer vorgefunden worden. Es sind davon nach Deckung des Bedarfs für öffentliche Zwecke 600.000 mehr oder weniger kleine Wohnzimmer übrig geblieben nebst einigen hunderttausend Küchenräumen und andern Nebenräumen. Für die in Privatwohnungen unterzubringende Million Einwohner entfiel daher pro Kopf eine Räumlichkeit. Um jede Ungerechtigkeit zu verhindern, sind diese Räume verlost worden. Jede Person von 21 bis 45 Jahren, männlich oder weiblich, erhielt ein Los. Das Verlosen ist überhaupt ein vorzügliches Mittel, um dem Prinzip der Gleichheit bei ungleichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Die Sozialdemokraten in Berlin hatten schon in der früheren Gesellschaft solche Verlosungen eingeführt bei Theaterplätzen.
Nach der Verlosung der Wohnungen war Umtausch der zugelosten Räume gestattet. Diejenigen, welche beisammen bleiben wollten wie Eheleute, aber nach Straßen, Häusern oder Stockwerken getrennte Räume zugelost erhalten hatten, tauschten mit anderen. Ich konnte freilich neben der für meine Frau ausgelosten Stube nur noch das Mädchengelass bekommen, indem ich dafür die für mich an Nachbarhause zugeloste Stube einem jungen Mann überließ, welcher das Mädchengelass erlost hatte. Indes die Hauptsache ist doch, das wir beide zusammen geblieben sind.
Allen Eheleuten ist ein entsprechender Zimmertausch freilich noch nicht geglückt. Manche geben sich vielleicht auch keine rechte Mühe, wieder zusammenzukommen. Die Ehe ist Privatsache und deshalb können von Amtswegen nicht besondere größere Wohnungen für Eheleute und kleinere Wohnungen für Einzelpersonen verlost werden. Wäre letzteres der Fall, so würde ja beispielsweise die Auflösung einer Ehe, welche doch an jedem Tage möglich sein soll, bis zum Freiwerden von Wohnungen für Einzelpersonen hinausgeschoben werden müssen. Jetzt dagegen kann jede bei Eingehung der Ehe nach privater Entschließung von zwei Personen zusammengelegte Wohnung ebenso wieder bei Auflösung der Ehe in ihre beiden ursprünglichen Teile zerlegt werden. Man teilt die zusammengestellten Möbel ab, und alles ist wieder vorbei.
So ist in der neuen Gesellschaft auch hier alles auf das folgerichtigste und scharfsinnigste geordnet worden. Wie beschämend sind doch diese Einrichtungen, welche jede persönliche Freiheit für Mann und Weib garantieren, wiederum für diejenigen, die stets behauptet haben, daß die Sozialdemokrat eine Knechtschaft des Einzelwillens bedeute.
Für meine Alte und mich sind dies natürlich kein praktischen Fragen. Wir halten wie bisher in Freud und Leid bis zu unserm Lebensende treu zusammen. Das sind nur schwache Naturen, bei welchen der innere Herzensbund auch noch der äußeren Klammern, wie in der alten Gesellschaft bedarf, um nicht auseinander zu fallen.
Leider haben wir beim Umzug wieder einen weiteren Teil unseres Hausrats im Stich lassen müssen. Die neue Wohnung war zu klein, um auch nur den Rest unseres Mobiliars, der uns nach dem Umzugstage unserer Lieben gebliebem vollständig aufnehmen zu können. Wir haben natürlich in die beiden Gelasse hineingesteckt, was von unsern Sachen hineinging, sodaß wir in der Bewegung etwas beengt sind. Aber das ehemalige Mädchengelass ist doch gar zu klein und hat auch zu wenig Wandfläche. Sehr vielen anderen ist es auch nicht besser ergangen. Beim Wohnungswechsel blieben daher sehr viele Sachen auf der Straße stehen, welche in den neuen Räumen von ihren bisherigen Besitzern nicht untergebracht werden konnten. Diese Sachen sind sämtlich ausgeladen worden, um die noch sehr mangelhafte Einrichtung in unseren großen öffentlichen Anstalten nach Möglichkeit zu vervollständigen.
Darüber wollen wir uns aber nicht betrüben. Es gilt, in der neuen Gesellschaft an Stelle einer beschränkten kümmerlichen Privatexistenz ein großartiges öffentliches Leben zu organisieren, das mit seinen auf das vollkommenste eingerichteten Anstalten für leibliche und geistige Nahrung jeder Art, für Erholung und Geselligkeit allen Menschen ohne Unterschied dasjenige zu Teil werden läßt, was bis dahin nur eine bevorzugte Klasse genießen konnte. Der morgigen Eröffnung der Staatsküchen soll demnächst auch die Eröffnung der neuen Volkstheater folgen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder