Auswärtige Verwicklungen.

Die gesamte Kriegsflotte, welche uns die frühere Regierung hinterlassen wirk jetzt Hals über Kopf wieder ausgerüstet und in Dienst gestellt. Auch das stehende Heer, welches zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern an den Grenzen zuletzt wieder auf die Stärke von 500.000 Mann gebracht war, erfährt auf Betreiben des neuen Reichskanzlers eine Erweiterung angesichts drohender auswärtiger Gefahren.

In der Rede vor dem gesetzgebenden Ausschuß, in welcher der Minister des Auswärtigen diese Maßnahmen befürwortete, weist derselbe darauf hin, daß leider die zunehmenden Reibungen, Verwicklungen und Zwistigkeiten mit dem Auslande zu solchen Sicherheitsmaßregeln zwingen. Dem auswärtigen Ministerium darf man deshalb keinen Vorwurf machen. Dasselbe hat in der sozialisierten Gesellschaft den gesamten Güteraustausch mit dem Auslande von Staat zu Staat zu vermitteln. In Folge dessen sind stets alle Klagen über mangelhafte Beschaffenheit oder unpünktliche Lieferung von Warensendungen im diplomatischen Notenwechsel zu erledigen. Spannungen über abgelehnte oder abgebrochene Geschäftsbeziehungen, oder über eine ärgerliche Konkurrenz, wie sie früher in privaten Handelskreisen auch unvermeidlich waren, übertragen sich jetzt auf die Beziehungen von Staat zu Staat. Das liegt einmal in der Natur der neuen Einrichtungen.


Aber das internationale sozialdemokratische Bewußtsein — so führte der auswärtige Minister mit Recht aus — das Gefühl der Brüderlichkeit aller Völker sollte doch hierbei in ganz anderer Weise, wie es leider der Fall ist, ausgleichend, schlichtend und Frieden stiftend wirken Freilich bei den Engländern, diesen egoistischen Manchesterherren, welche mit ihren Vettern, den Amerikanern, von der Sozialdemokratie durchaus nichts wissen wollen, kann solches nicht Wunder nehmen. Sie können es nicht verwinden, daß das sozialdemokratische Festland in Europa durch Annullierung aller Staatspapiere, Aktien u. s. w. sich auch von der Schuldknechtschaft gegenüber den englischen Besitzern solcher Schuldtitel des Kontinents befreit hat. Aber selbst diese hartgesottenen Geldmenschen müßten einsehen, daß Deutschland bei dieser Annullierung gegenüber dem Ausland weit mehr Milliarden verloren, als gewonnen hat, da auch sämtliche im deutschen Besitz befindlichen rassischer, österreichisch-ungarischen italienischen u. s. w. Papiere von den dortigen sozialdemokratischen Regierungen für null und nichtig erklärt worden sind.

Freilich Dank wissen diese sozialdemokratischen Regierungen uns Deutschen auch nicht, daß wir im erhabenen Bewußtsein der internationalen Bedeutung der Sozialdemokratie die Aufhebung der Zinsansprüche aus unserem Besitz an ausländischen Papieren ohne Murren hingenommen haben. In ihrem rücksichtslosen Egoismus gehen diese sozialdemokratischen Regierungen neuerdings so weit, daß sie die Artikel, welche Deutschland von ihnen bedarf und die wir früher teilweise durch die Hinübersendung unserer Zinskupons beglichen, in der Regel nur gegen bar oder Zug um Zug gegen Austausch anderer Güter an uns ablassen wollen. Die Barzahlung machte ja unserer Regierung solange keine Schmerzen, als wir noch die bei uns entbehrlich gewordenen Bestände an gemünztem und umgemünztem Gold und Silber zur Ausgleichung der Valuta hingeben konnten.

Nachdem wir aber dergestalt unser ganzes Edelmetall losgeworden sind, stoßen mir bei den sozialdemokratischen Nachbarstaaten nicht minder, wie bei den Herren Engländern und Amerikanern auch noch auf große Schwierigkeiten, um unsere Fabrikate in gewohnter Weise an dieselben abzusetzen und dafür aus jenen Länden unsern Bedarf einzutauschen an Getreide, Holz, Flachs, Hanf, Mais, Baumwolle, Wolle, Petroleum, Kaffee u. s. w. In der sozialistischen Gesellschaft ist gerade der Bedarf an solchen Artikeln nicht geringer geworden. Im Gegenteil! Die sozialdemokratischen Nachbarstaaten aber sagen, daß sie nach Einführung der sozialisierten Gesellschaft jetzt an deutschen Fabrikaten, wie Putz- und Konfektionswaren, Stickereien, Plüschen und Schals, Handschuhen, Klavieren, feinen Glaswaren und dergleichen ganz und gar keinen Bedarf mehr haben. Ihre eigene Produktion sei nach Herstellung der sozialen Gleichheit für diese Artikel jetzt mehr als ausreichend.

Die Herren Engländer und Amerikaner aber de ihrer Feindseligkeit gegen die Sozialdemokratie werden nicht müde, uns zu versichern, daß die deutschen Fabrikate, insbesondere Eisenwaren und Textilwaren, ja sogar Strumpfwaren und Spielwaren bei der jetzigen, neuen Fabrikationsweise so mangelhaft und nachlässig hergestellt werden, daß sie die früheren Preise nicht mehr anlegen und auf anderweitige Versorgung Bedacht nehmen wollen. Dabei kommt unsere Regierung bei den höheren Produktionskosten schon jetzt kaum mehr auf die Kosten. Alle Vereinbarungen inbetreff der internationalen Einführung eines Maximalarbeitstages sind gescheitert, da die sozialdemokratischen Regierungen in ihrem nationalen Egoismus vorgehen, daß in dieser Beziehung die Besonderheiten jedes Landes inbetreff des Klimas, des Volkscharakters u. s. w. maßgebend sein müßten.

Was soll unsere Regierung nun machen! Daß wir jetzt auch unsrerseits nach der Sozialisierung der Gesellschaft vom Auslande keine Seide und keinen Wein mehr brauchen, kann doch den Milliardenausfall bei unserer Ausfuhr nicht decken. Kein Wunder daher, daß der diplomatische Notenwechsel tagtäglich einen gereizteren Charakter annimmt. Schon sind im Westen und Osten Anspielungen gefallen, daß Deutschland, wenn es seine Bevölkerung nicht mehr ernähren könne, doch an die Nachbarstaaten Landstriche abtreten möge. Ja, es wird sogar die Frage erörtert, ob nicht zur Deckung der aufgelaufenen Warenschulden Deutschlands an die Nachbarstaaten es sich empfehle, solche Landstriche vorläufig in Pfandbesitz zu nehmen.

Die durch Annullierung von deutschen Wertpapieren geschädigten Ausländer versuchen sich schadlos zu halten durch Beschlagnahme auf deutsche Waren und deutsche Schiffe, wo sie irgend solcher habhaft werden können. Die Begünstigung flüchtiger deutscher Auswanderer durch ausländische Schiffe gibt unausgesetzt zu gereizten Verhandlungen Veranlassung.

Kurzum, die Hoffnung, daß die Aufrichtung der Sozialdemokratie gleichbedeutend sei mit dem ewigen Völkerfrieden, droht in ihr Gegenteil sich zu verkehren. Der gesetzgebende Ausschuß werde deshalb — so schloß der Minister seine Darlegungen — der Notwendigkeit sich nicht verschließen können, die Kriegsflotte wieder herzustellen und zugleich eine Erhöhung des stehenden Landheeres auf eine Million Köpfe zu bewilligen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder