Arbeitsanweisung.

Die Heirat zwischen Franz und Agnes ist plötzlich in weite Ferne gerückt. Heute verteilte die Schutzmannschaft die Gestellungsordres zur Arbeit auf Grund der stattgehabten Berufswahl und des von der Regierung für die Produktion und Konsumtion im Lande aufgestellten Organisationsplans.

Franz ist allerdings als Setzer beordert, aber nicht in Berlin, sondern in Leipzig, Berlin bedarf jetzt nicht mehr den zwanzigsten Teil an Zeitungssetzern wie früher. Beim „Vorwärts“ werden nur ganz zuverlässige Sozialdemokraten eingestellt. Franz aber ist wegen Äußerungen auf dem Schlossplatz über die leidige Sparkassenangelegenheit irgendwo in Misskredit gebracht worden. Die Politik, so argwöhnte Franz, hat wohl auch sonst bei der Arbeitszuteilung mitgespielt. Die Partei der „Jungen“ in Berlin ist vollständig auseinandergesprengt worden. Ein Genosse muß als Tapezierer nach Inowrazlaw, weil dort an Tapezierern Mangel sein soll und hier ein Überfluss besteht. Franz meinte unwillig, das alte Sozialistengesetz mit seinen Ausweisungen sei dergestalt in neuer Form wieder lebendig geworden. Man muss eben dem Bräutigam, der plötzlich auf unabsehbare Zeit von der Braut getrennt wird, manches zu Gute halten.


Ich suchte Franz damit zu trösten, daß im Nachbarhause sogar ein Ehepaar getrennt worden sei. Die Frau kommt als Krankenpflegerin nach Oppeln, der Mann als Buchhalter nach Magdeburg. Wie darf man denn Eheleute trennen, das ist ja die reine Niedertracht, so rief Paula. Meine gute Alte vergaß, daß die Ehe in unserer neuen Gesellschaft ein reines Privatverhältnis ist, wie doch schon Bebel in seinem Buch von der Frau dargetan hat. Die Ehe kann jederzeit ohne Dazwischentreten irgend eines Beamten geschlossen und wiederum gelöst werden. Die Regierung ist also gar nicht in der Lage, zu wissen, wer alles noch verheiratet ist. In dem Namensregister wird daher ganz folgerichtig Jedermann nur mit seinem Geburtsnamen und zwar mit dem Familiennamen seiner Mutter aufgeführt. Das Zusammenwohnen der Eheleute kann sich bei einer planmäßigen Organisation der Produktion und Konsumtion nur nach den Arbeitsplätzen richten, nicht umgekehrt, denn die Organisation der Arbeit kann doch nicht auf jederzeit kündbare Privatverhältnisse Rücksicht nehmen.

Indess auch im früheren Beamtenstaate, so meinte meine Frau, hat man doch oft aus persönlichen Gründen unliebsame Versetzungen höheren Orts wieder rückgängig gemacht. — Das ist richtig, und so begab ich mich denn nach dem Rathaus. Ich erinnerte mich, daß ein alter Freund und Genosse, mit dem ich zusammen unter dem Sozialistengesetz in Plötzensee bekannt wurde, in der Gewerbe-Deputation des Magistrats jetzt eine einflussreiche Stellung inne hatte. Ich fand aber das Bureau im Rathause von Hunderten von Personen belagert, die mit ähnlichen Wünschen gekommen sein mochten. Auf dem Gange traf ich indess einen anderen Genossen, der in derselben Gewerbe-Deputation arbeitet und dem ich alles erzählte, was ich auf dem Herzen hatte. Er riet mir, später einmal, wenn über Franzens Beteiligung am Sparkassenkrawall Gras gewachsen, wegen seiner Rückversetzung nach Berlin vorstellig zu werden.

Ich klagte ihm dabei, dass ich selbst zwar als Buchbinder angenommen, aber nicht in meiner früheren Stellung als Meister, sondern als Gehilfe. — Das ginge nicht anders, meinte er. In Folge der Erweiterung des Großbetriebes in den Gewerben sei der Bedarf an Meistern ein sehr viel geringerer als früher. Er erzählte mir aber, daß in Folge eines Rechenfehlers eine Nachtragssorderung von 500 Kontroleuren kommen werde; er riet mir, um eine solche Stelle einzukommen. Dem Rat werde ich folgen.

Meine Frau ist als Krankenpflegerin angenommen, aber nicht dort, wo unser Jüngstes verpflegt werden soll. Man sagt, daß grundsätzlich zur Vermeidung von Bevorzugungen der eigenen Kinder und zur Fernhaltung der Eifersucht der anderen Mütter Frauen als Krankenpflegerinnen nur dort eingestellt werden, wo sich die eigenen Kinder nicht befinden. Das ist gewiss gerecht, aber Paula wird es sehr hart finden. Frauen sind nun einmal sehr geneigt, die Staatsraison ihren Privatwünschen unterzuordnen.

Meine Schwiegertochter ist als nicht Putzmacherin, sondern als Weißnäherin beordert. An Putzwaren hat die Gesellschaft viel weniger Bedarf. Der neue Produktionsplan, hörte ich, rechne nur mit dem Massenversuch. In Folge dessen ist besondere Handfertigkeit, Geschmack, überhaupt alles, was sich mehr dem Kunstgewerbe nähert, nur in ganz beschränktem Umfange erforderlich. Agnes meinte, es sei ihr gleichgültig, was aus ihr werde, wenn sie doch nicht mit Franz vereinigt werde. — Kinder entgegnete ich, bedenkt, dass selbst eine Gottheit es nicht allen recht machen könnte. — Dann sollte man, fiel auch Franz ein, doch jeden für sich selber sorgen lassen. So schlimm hätte es uns unter der früheren Gesellschaft nicht ergehen können.

Ich las ihnen zur Beruhigung den „Vorwärts“ vor, in welchem die Regierung zur Klarstellung eine Übersicht über die Berufsanmeldungen und die Arbeitsanweisungen gegeben hat. Als Jäger haben sich in Berlin mehr Personen gemeldet, als es auf 10 Meilen im Umkreise von Berlin Hasen gibt. Nach Maßgabe der Meldungen könnte die Regierung auch neben jede Tür einen Portier, neben jeden Baum einen Förster, für jedes Pferd einen Bereiter stellen. Kindermädchen sind weit mehr gemeldet als Küchenmädchen, Kutscher weit mehr als Stallknechte. Von Kellnerinnen und Sängerinnen liegen Anmeldungen in Hülle und Fülle vor, desto weniger von Krankenpflegerinnen. Verkäufer und Verkäuferinnen sind zahlreich gemeldet. An Aufsehern, Kontroleuren, Inspektoren, kurzum an Verwaltungsbeamten ist Überfluss sondergleichen, auch an Akrobaten fehlt es nicht. Aber für die harte, schwere Arbeit der Pflasterer, der Heizer, überhaupt alle Feuerarbeiter sind die Meldungen spärlich. Noch weniger Liebhaber haben sich für die Kanalreinigung gefunden.

Was sollte aber die Regierung tun, um ihren Organisationsplan für Produktion und Konsumtion mit den Meldungen in Übereinstimmung zu bringen? Sollte sie etwa auf einen Ausgleich hinwirken durch die Gewährung eines geringeren Lohnes für Berufsarten, zu denen Andrang besteht, und eines höheren Lohnes für die nicht gesuchten Arbeiten? Das würde doch den Grundlehren der Sozialdemokratie widersprechen. Jede Arbeit, die der Gesellschaft nützlich ist, ist, wie Bebel immer gesagt hat, der Gesellschaft auch gleich wert. Größere Anteile am Ertrage der Arbeit würden einen sehr ungleichen Lebensgenuss begünstigen oder bei den höher Gelohnten Ersparnisse ermöglichen, welche auf Umwegen wieder eine Kapitalistenklasse züchten, und damit das ganze sozialistische Produktionssystem zerstören würden. Oder sollte man etwa durch verschiedene Bemessung der Arbeitszeit einen Ausgleich herbeiführen? Dann würde der naturgemäße Zusammenhang, der verschiedenen Hantierungen untereinander bei der Arbeit zerstört. Das Spiel von Angebot und Nachfrage, welches unter der früheren Kapitalsherrschaft sein Wesen getrieben, soll und darf in der neuen Ordnung nicht auskommen.

Die Regierung behält sich vor, die unangenehme Arbeit den Sträflingen zuzuteilen, und beabsichtigt, wie dies schon Bebel empfohlen hat, einen häufigen Wechsel in den Beschäftigungen eintreten zu lassen. Vielleicht könnte derselbe Arbeiter künftig an demselben Tage zu verschiedenen Stunden verschieden beschäftigt werden.

Für jetzt könnte der Ausgleich nur durch das Los herbeigeführt werden. Unter Zusammenlegung verwandter Berufsarten ist daher aus der Gesamtzahl der Bewerber eine dem Bedarf des einzelnen Berufszweiges nach dem Organisationsplan der Regierung entsprechende Anzahl ausgelost worden. Aus denjenigen, welche hierbei Nieten zogen, hat man wiederum durch das Los diejenigen bestimmt, welche sich Arbeiten zu widmen haben, für die eine nicht genügende Zahl an Bewerbungen eingegangen war. Dabei soll mancher ein ihm wenig zusagendes Los gezogen haben.

Franz äußerte, Pferde, und Hundelotterien habe es ja immer gegeben, aber hier würden zum ersten Male auch Menschen verlost. Schon am Anfang sei man derart am Ende der Weisheit, dass man zum Lose greifen müsse.

Du siehst ja, entgegnete ich, dass künftig alles neu geordnet werden soll. Jetzt leiden wir noch unter den Nachwirkungen des Ausbeutungssystems und der Kapitalsherrschaft. Ist dagegen erst das sozialdemokratische Bewusstsein voll und ganz überall zum Durchbruch gelangt, so werden sich gerade für die schweren, gefährlichen und unangenehmen Arbeiten Freiwillige in großer Zahl melden, weil sie von dem Bewusstsein getragen sein werden, dass sie durch solche Arbeit nicht mehr, wie früher; schnöder Erwerbssucht von Ausbeutern dienen, sondern sich um das Wohl des Ganzen hochverdient machen.

Die Kinder aber schienen davon nicht recht überzeugt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Zukunftsbilder