Zweite Fortsetzung

Wenn ich nun dazu übergehe, in ein paar ganz groben Strichen die großen Grundlinien des schulpolitischen Programms meiner Partei zu entwickeln, so möchte ich mich bei der heutigen Generaldebatte? ganz auf das Allgemeine beschränken; die Besprechung von Sonderfragen behalte ich für die Einzelberatung der nächsten Tage meinen Parteifreunden und mir vor. Meine Herren, ausscheiden will ich heute besonders die ganze Frage des Verhältnisses zwischen Kirche, Schule und Staat, die ja an dieser Stelle schon wer weiß wie oft erörtert worden ist. Ich Möchte dieses Parlament nicht noch mehr, als im Wesen des Parlaments überhaupt liegt, zu einer Halle der Wiederholungen machen. Ich will deshalb darauf verzichten, das über diesen Gegenstand 99mal Gesagte heute zum hundertstenmal zu wiederholen. Auch über den Antrag Friedberg, der sich mit dem Religionsunterricht der Dissidentenkinder beschäftigt, will ich mich heut< nicht verbreiten. Das habe ich im letzten Oktober ja sehr ausführlich getan. Ich will nur in aller Kürze mein lebhaftes Bedauern darüber aussprechen, dass der Mann, auf dessen Namen dieser Antrag läuft, Herr Dr. Friedberg, weder in seiner Eigenschaft als Mitglied des Hauses noch in seiner Eigenschaft als Vizepräsident des Staatsministeriums bisher Veranlassung genommen hat, etwas mehr Dampf hinter die Erledigung dieses seines eigenen Antrages zu setzen. Meine Herren, es ist bekannt, dass der Antrag im Oktober vorigen Jahres an die verstärkte Unterrichtskommission zur nochmaligen Beratung zurückverwiesen worden ist. Trotzdem seit dem Oktober 1917 nun fast Jahre verflossen sind, hat die verstärkte Unterrichtskommission noch nicht eine einzige Sitzung mit diesem! Antrage abgehalten. Meine Herren, ich bedauere diese Verschleppung an sich auf das Lebhafteste, aber ich erkenne an, dass sie im Endeffekt doch vielleicht insofern ihr Gutes hat, als die Frage nunmehr wahrscheinlich gar nicht mehr von diesem Haufe in seiner alten Zusammensetzung erledigt werden wird, wobei ja doch im besten Falle nur ein mehr oder minder faules Kompromiss herausgekommen wäre, sondern dass jetzt die Hoffnung vorhanden ist, dass diese ganze Frage mit sehr vielen andern Fragen dem neuen Hause, das auf Grund des gleichen Wahlrechtes gewählt sein wird, zur Beratung überlassen bleibt.

Wenn ich mich nunmehr zu unfern Grundgedanken über die Schulreform selbst wenden darf, so möchte ich von vornherein sagen, dass ich den Begriff „Schule" in seinem allerweitesten und umfassendsten Sinne auffassen möchte. Ich möchte die Schule begreifen, angefangen von den Kinderhorten an bis zu den Universitäten und Akademien hinauf.


Meine Herren, bei der Erwähnung der Kinderhorte darf ich in Parenthese vielleicht darauf hinweisen, dass für diese Kinderhorte ja in dem Dispositionsfonds des Herrn Ministers abermals eine Summe ausgeworfen ist, der zehnte Teil des eine halbe Million betragenden Dispositionsfonds, nämlich! 50.000 M. In der Kommission habe ich mir bereits darauf hinzuweisen erlaubt, dass diese Summe von 50.000 für die Kinderhorte ganz ungenügend ist. Durch die sozialen Anforderungen, die die Kriegsverhältnisse gestellt haben, durch das Fernsein der Väter von der Familie, durch die massenhafte Fabrikarbeit der Mütter sind die sozialen Aufgaben der Kinderhorte gegenüber der Friedenszeit ins Ungeheure gewachsen, und wie ich das schon in der Kommission getan habe, so möchte ich auch heute den Wunsch aussprechen, dass aus dem Dispositionsfonds schon in diesem Jahre eine größere Summe als jene 50.000 M für die Zwecke der Kinderhorte zur Verfügung gestellt und dass im nächsten Jahre von vornherein eine beträchtlich größere Summe für diesen Zweck ausgeworfen wird. Die nähere Begründung habe ich in der Kommission gegeben und ich darf auf das verweisen, was darüber in der Kommission von mir und auch von dem Herrn Abgeordneten Dr. Blankenburg ausgeführt worden ist.

Meine Herren, anknüpfen möchte ich zur Sache selbst nun an eine Äußerung, die der Herr Minister in der Kommission getan hat, als er sein schulpolitisches Programm entwickelte. Er sagte da: er werde es für seine Hauptaufgabe halten, die Schule völlig freizuhalten von dem Streit der Tagesmeinungen und vom Kampf der politischen Parteien; er werde sich ausschließlich die Pflege des rein pädagogischen Moments und die Fürsorge für das Schultechnische im engeren Sinne zur Aufgabe machen. Das war dem Sinne nach das, was der Herr Minister in der Kommission darüber sagte. Meine Herren, wenn das die große Richtlinie für die Schulpolitik des Herrn Kultusministers sein soll, so möchte ich sagen, dass diese Richtlinie richtig und falsch zugleich ist. Richtig ist sie insofern, als selbstverständlich auch unserer Auffassung nach die Schule unter keinen Umständen eine Parteischule im engeren Sinne des Wortes sein kann und sein soll. Meine politischen Freunde haben stets hier im Hause und außerhalb des Hauses den Missbrauch bekämpft, der oft genug mit der Schule zu parteipolitischen Zwecken getrieben worden ist. Wir haben es bekämpft, wenn etwa der Geschichtsunterricht, der Religionsunterricht in der Schule gelegentlich in den Dienst enger konservativer Parteianschauungen gestellt wurde, und umgekehrt verlangen wir natürlich auch durchaus nicht, dass die Schule in den Dienst der sozialdemokratischen Partei gestellt werde, dass etwa dem volkswirtschaftlichen Unterricht, dessen Ausbau wir fordern, das Erfurter Programm oder das kommunistische Manifest zugrunde gelegt werden, dass dem politischen, dem staatsbürgerlichen Unterricht, den wir gleichfalls fordern, das neue Aktionsprogramm meiner Partei oder die Agitationsschriften von Bebel, Lassalle und anderen zugrunde gelegt werden und dem Geschichtsunterricht die Werke etwa Herrn Dr. Mehrings. Davon kann keine Rede sein. Meine Herren, jedes Einpressen der Jugend in das Prokrustesbett bestimmter politischer oder religiöser Überzeugungen halten wir für außerordentlich verderblich. Die Jugend muss sich in späteren Jahren nach der Schulzeit ihre politischen ebenso wie ihre religiösen Anschauungen völlig selbständig erwerben. Eine in der Schule aufgepfropfte politische und religiöse Weltanschauung ist unserer Auffassung nach wertlos, Aufgabe der Schule kann und soll es nur sein, der Jugend Bausteine, Material, Mittel an die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie sich später eine selbständige politische und religiöse Weltanschauung zimmern kann. Es ist einfach ein grober Unfug, die Schuljugend bereits parteipolitisch nach der einen oder anderen Richtung hin abstempeln zu wollen. Dazu ist die Jugend noch nicht reif, und sie ist auch viel zu schade dazu.

Wenn also, in diesem engeren Sinne angesehen, die Richtlinie, die der Herr Kultusminister für sein schulpolitisches Programm aufgestellt hat, unzweifelhaft richtig ist, so wäre sie auf der anderen Seite durchaus falsch, wenn Herr Dr. Schmidt damit etwa hätte sagen wollen, dass er es für möglich oder gar für wünschenswert halte, die Schule als Ganzes völlig unberührt, zu bewahren vom Parteikampfe im großen historischen Sinne des Wortes, um mich einer Wendung zu bedienen, die Ferdinand Freiligrath einmal geprägt hat. Ich müsste dem Minister aufs schärfste widersprechen, wenn er etwa hätte sagen wollen, es sei möglich, die Schule als Ganzes frei zu halten von dem großen Kampf der Geister, von dem gewaltigen Ringen der Weltanschauungen. Meine Herren, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Schule — das wird mir auch der Herr Kultusminister zugeben — existiert nicht im luftleeren Raum. Die Schule ist ein ganz besonders wichtiger und bedeutungsvoller Teil des Volksorganismus selbst, und sie wird von allen Entwicklungen und von allen Erschütterungen, die den Volksorganismus treffen, in besonders intensiver Weise berührt. Ich möchte die Schule vergleichen mit einem sehr feinen und empfindlichen Seismographen, der ein Erdbeben in einem noch so entfernten Teile des nationalen Körpers sofort anzeigt, sofort darauf reagiert, oder, um ein anderes Bild zu gebrauchen: die Schule ist ein Spiegelbild der im sozialen, politischen und allgemein kulturellen Leben der Nation vorherrschenden und miteinander ringenden Tendenzen. Ändern sich diese Tendenzen, so ändert sich naturgemäß auch das Bild der Schule. Jeder gesellschaftlichen Umwälzung muss über kurz oder lang die Schule nachfolgen. Tut sie das nicht, zieht die Schule nicht im weitesten Sinne auch ihrerseits aus diesen großen gesellschaftlichen Umwälzungen die Konsequenzen, so wird sie unweigerlich im Laufe der Zeit zu einem rudimentären Organ, zu einem leblosen, bedeutungslosen Anhängsel am Volkskörper. Gewiss, meine Herren, erfolgt dieses Nachfolgen der Schule hinter den großen gesellschaftlichen Umwälzungen nicht immer von heute auf morgen, nicht automatisch; es entstehen Spannungszustände, Reibungen, genau wie im politischen Leben, wenn die politischen Einrichtungen den großen gesellschaftlichen Neuerungen folgen sollen. Solche Spannungszustände sehen wir sowohl in der allgemeinen Staatspolitik wie auch in der Schulpolitik gerade heute. Diese Krise ist ja gewissermaßen geradezu das Kennzeichen unseres heutigen Übergangszustandes in staatspolitischer wie in schulpolitischer Beziehung.
Meine Herren, es wäre an sich sehr verlockend, hier den Versuch zu machen, diese sehr engen Zusammenhänge zwischen der allgemeinen kulturellen Entwicklung eines Volkes und der Entwicklung seines Schulwesens im einzelnen an der Hand der Geschichte aufzuzeigen. Aber eine Parlamentsrede ist kein akademischer Vortrag und soll es nicht sein; ich verzichte deshalb darauf, Ihnen das an Hand der Entwicklung unseres Schulwesens, angefangen von den mittelalterlichen Klosterschulen bis hin zu den Technischen Hochschulen unserer Zeit, des näheren zu erläutern. Nur auf eins lassen Sie mich hinweisen, und darauf kommt es mir in diesem Zusammenhang ganz besonders an.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Kulturpolitik