Erste Fortsetzung

In der Kommission haben Redner der verschiedenen Parteien bei der Beratung des Kultusetats ihrem lebhaften Bedauern Ausdruck gegeben über den Rücktritt des bisherigen Kultusministers, des Herrn O. v. Trott zu Solz, aus seinem Amte. Sie haben in lebhaften Worten die Verdienste gefeiert, die sich Herr v. Trott zu Solz um die Entwicklung des preußischen Schulwesens in allen seinen Zweigen erworben habe. Der Redner der konservativen Partei hat in der Kommission besonders lebhaft den Anlass bedauert, aus dem Herr v. Trott zu Solz aus seinem Amte geschieden sei. Dieser Anlass, der Herrn v. Trott zu Solz zum Rücktritt bewogen hat, war bekanntlich der Juli-Erlass, der das gleiche Wahlrecht in Preußen ankündigte. Meine Herren, es versteht sich von selbst, dass ich ganz im Gegensatz zu der Auffassung jenes konservativen Herrn Redners der Meinung bin, dass zu irgendeinem Schmerz über diesen Anlass des Ausscheidens des früheren Herrn Kultusministers nicht der mindeste Grund vorliegt. Im Gegensatz zu jenem konservativen Redner bin ich vielmehr der Meinung, dass dieser Erlass vom 11. Juli eine der erfreulichsten Kundgebungen war, die die preußische Staatsregierung seit langen Jahren erlassen hat, und ich hätte nur den dringenden Wunsch gehabt, dass der schöne Eifer und die Energie, die damals vor einem Jahre in unsern maßgebenden Kreisen hinter dem Gedanken des gleichen Wahlrechts gestanden hat, auch bis heute vorgehalten hätte. Wenn das der Fall gewesen wäre, dann würden wir wahrscheinlich nicht vor der traurigen Tatsache stehen, dass am ersten Jahrestage des Juli-Erlasses, nämlich am 11. Juli 1918, das gleiche Wahlrecht immer noch nicht zur Wirklichkeit geworden sein wird. Aber, meine Herren, wie dem auch sein mag, ich unterschreibe wenigstens insofern die Worte des konservativen Kommissionsredners, als er Herrn v. Trott zu Solz seine Anerkennung dahin, ? aussprach, dass er als aufrechter Mann gefallen sei und seiner Überzeugung kein Opfer gebracht habe. Meine Herren, ich wünschte nur, auch die heutigen preußischen Minister hätten, wenn auch nach einer andern Richtung hin, denselben Mut der Überzeugung. und blieben auch ihrerseits keinen Tag länger im Amte, wenn das gleiche Wahlrecht von der Mehrheit dieses Hasses verhunzt oder ganz zu Falle gebracht wird.

Aber, meine Herren, auch abgesehen von dem unmittelbaren Anlass für das Ausscheiden des Herrn v. Trott zu Solz aus seinem Amte haben wir bei diesem Ministerwechsel keinerlei Grund zur Trauer gehabt. So zweifellos Herr v. Trott zu Solz ein tüchtiger Fachminister gewesen ist und auf den verschiedensten Gebieten seines großen Ressorts zu Hause war, so wenig ist er doch seinem ganzen geistigen und politischen Wesenskern nach der Minister gewesen, den Preußen auf diesem ganz besonders wichtigen Posten in dieser Übergangszeit von einem alten, zu Ende gehenden Abschnitt seiner Geschichte in eine neue historische Epoche hinein brauchte. Es ist ein bekanntes Wort, dass man von Toten nur Gutes reden soll. Ich würde es für eine Heuchelei halten, dieses Wort auch auf den Amtstod von Ministern anzuwenden und auch von aus dem Amte geschiedenen Ministern nur Gutes zu reden. Dieses Motto: von den Toten nur Gutes, machen sich bei ministeriellen Sterbefällen ja auch die Parteien der Rechten keineswegs zunutze. Ich, erinnere nur an den Hass und die wüsten Beschimpfungen, mit denen Herr v. Bethmann Hollweg von der Rechten noch weit über sein amtliches Grab hinaus verfolgt wurde und wird.

Zu solchem Hass gegen den früheren Kultusminister, zu irgendwelchen Beschimpfungen über seinen amtlichen Tod hinaus haben wir unsererseits keine Veranlassung; aber ebensowenig haben wir Veranlassung, ihm irgendwelche Lobreden hinterdrein zu schicken. Bei der völlig verschiedenen Weltanschauung, die der frühere Kultusminister auf der einen Seite vertrat, und die meine Freunde auf der anderen Seite vertreten, war es unausbleiblich, dass wir mit ihm alle die Jahre hindurch in den heftigsten Fehden auf den allerverschiedensten Teilgebieten gestanden haben. Ich erinnere nur an die außerordentlich heftigen Debatten, die wir an dieser Stelle viele Jahre mit ihm hatten über seine Behandlung der freien Jugendbewegung, in der er eine schwere Staatsgefahr sah, und die er infolgedessen mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen und zu unterdrücken suchte. Ich erinnere weiter an seine unnachgiebige und unversöhnliche Haltung in der Frage des Religionsunterrichts der Dissidentenkinder. Ich erinnere weiter an seine durchaus konservative Haltung in der Gesamtfrage der Beziehungen von Staat, Kirche und Schule zueinander, die die Herren vom Zentrum ja durch die famosen sogenannten Sicherungen jetzt für die Dauer in ihrer bisherigen Form schützen wollen, (Zuruf) — famos natürlich in Anführungszeichen, Herr Kollege Heß die aber doch allen diesen „Sicherungen" zum Trotz, den veränderten Verhältnissen entsprechend, im neuer Preußen auf neue Grundlagen gestellt werden müssen, wobei vor irgendeiner „Religionsfeindschaft" durchaus keine Rede ist. Ich erinnere weiter an die Haltung des Kultusministers in der Frage der politischen Betätigung der Lehrer. Es war unter seinem Regime nicht möglich, dass Lehrer sich ungehindert z. B. sozialdemokratisch betätigten, und auch sonst wurden ihrer freiheitlichen Betätigung oft genug ernste Schwierigkeiten bereitet. Ich erinnere des weiteren an die Art und Weise, wie Herr v. Trott zu Solz dem Ausbau des volkswirtschaftlichen Unterrichts an den Universitäten ablehnend gegenüberstand. Wir haben uns ja über diesen Ausbau des Unterrichts besonders an der Universität Münster und über die von Herrn v. Trott zu Solz da gemachten Schwierigkeiten im vorigen Jahre und auch in diesem Jahre in der Kommission eingehend unterhalten.


Diese Kritik, die ich an der politischen Stellung des früheren Kultusministers zu üben habe, hält mich aber nicht ab, anzuerkennen, dass Herr v. Trott zu Solz in den letzten Jahren wenigstens den Einwirkungen des Krieges gegenüber nicht völlig unzugänglich gewesen ist, dass er, wenn auch sehr widerwillig und sehr schwächlich, doch in dem einen oder anderen Punkte in den letzten Jahren Ansätze zum Umlernen gemacht hat. Herr v. Trott zu Solz hat z. B. in den letzten Jahren — das ist von meinen Freunden im Plenum und in der Kommission offen anerkannt worden — den kleinlichen Polizeikampf gegen die freie Jugendbewegung völlig eingestellt, er hat die paritätische Behandlung der freien Jugendbewegung mit allen übrigen Zweigen der Jugendbewegung formell erklärt und auch praktisch gehandhabt und hat auch sozialdemokratischen Jugendheimen staatliche Unterstützung zuteil werden lassen, Herr v. Trott zu Solz hat auch in der Frage der Vorschule, die ja auch in den Debatten! dieses Hauses fast jedes Jahr eine große Rolle gespielt hat, in den letzten Jahren allmählich eingelenkt. Ich erinnere nur an seinen bekannten Erlass vom Jahre 1916. Auch in der Frage der freien Schulgemeinden, die ich mehrfach von dieser Stelle behandelt habe, hat Herr v. Trott zu Solz in den letzten Jahren ein wenig nachgegeben, indem er die Anerkennung der in diesen freien Schulgemeinden abgelegten Examina in Preußen in die Wege geleitet hat.

Besonders erfreulich war eine der letzten Amtshandlungen des früheren Kultusministers, nämlich der Erlass der Denkschrift über die Förderung der Auslandsstudien. Die Denkschrift war, wie ich bereits im vorigen Jahre mir hier auszuführen erlaubte, mit ihrer scharfen Betonung der Notwendigkeit, das deutsche Volk zu „Politisieren", eine der erfreulichsten Denkschriften, die überhaupt je aus dem preußischen Kultusministerium hervorgegangen sind. (Sehr richtig!)

Aber trotz alledem, und trotzdem mein Gerechtigkeitsgefühl mich treibt, diese Dinge auch heute offen anzuerkennen, bleibt doch bestehen, dass Herr v. Trott zu Solz alles in allem unser Feind, wenn auch unser ehrlicher und aufrichtiger Feind, gewesen ist, weil er eben eine durchaus konservativ gerichtete Persönlichkeit und als solche für diese Übergangszeit in Preußen für einen Ministerposten nach unserer Auffassung unbrauchbar war. Dass Herr v. Trott zu Solz eine Persönlichkeit gewesen ist in seiner Art, ein ganzer, voller Mann, das erkennen auch wir gern an. Wir hoffen nur, dass sich auch sein Herr Nachfolger, zu dem ich mich jetzt wenden darf, Herr Dr. Schmidt, in seiner Art als kräftige und in sich geschlossene Persönlichkeit zeigen möge, wenn wir auch den dringenden Wunsch haben, dass er diese starke Persönlichkeit nach einer ganz anderen Richtung hin betätigen möge als sein Herr Amtsvorgänger. Der neue Kultusminister ist in allgemeinen kulturpolitischen Fragen vorläufig noch ein unbeschriebenes Blatt. Ich würde, glaube ich, Herrn Dr. Schmidt Unrecht tun, wenn ich ihn beurteilen wollte nach der, wie soll ich sagen, einigermaßen dilatorischen Programmrede, die er bei Beratung seines Etats in der Kommission gehalten hat. Ich begreife durchaus die schwierige Lage, in der sich im Augenblick der preußische Kultusminister befindet, in diesem Augenblick, in dem eine alte Mehrheit in diesem Hause sich, wenn auch sehr widerwillig, anschickt, vom Schauplatz ihrer Tätigkeit abzutreten, und wo wir damit rechnen können, über kurz oder lang eine durchaus andere, eine ganz anders gerichtete Mehrheit in diesem Hause vorzufinden, die versuchen wird, in einem dem bisherigen schroff entgegengesetzten Sinne ihren Einfluss auf das Kultusministerium geltend zu machen. In dieser Zeit, wo solch gewaltige Änderungen bevorstehen, ist es natürlich für den Kultusminister, der heute noch mit der alten Mehrheit arbeiten muss und selbst davon überzeugt ist, dass er übers Jahr mit einer völlig anders gerichteten Mehrheit wird arbeiten müssen —, in einer solchen Lage ist es natürlich für den preußischen Kultusminister nicht ganz leicht, ein festes, in sich geschlossenes Programm zu entwickeln. Ich verstehe also völlig die Schwierigkeiten, die Herr Dr. Schmidt bei Entwicklung seines Programms in der Kommission hatte, und ich will ihn nicht nach dieser Programmrede beurteilen. Wir stehen dem neuen Kultusminister ohne jedes Misstrauen und ohne jede Voreingenommenheit gegenüber. Aber ebensowenig habe ich natürlich Anlass, ihm Vorschusslorbeeren zu erteilen. Unsere Stellung darf ich vielleicht mit dem Ausdruck kennzeichnen: wir stehen ihm gegenüber mit einer gewissen, wenn ich so sagen darf, abwartenden Reserviertheit. Wir werden ihn ausschließlich nach seinen Taten beurteilen. Erkennt der neue Kultusminister die großen schulpolitischen Notwendigkeiten dieser Zeit an, stellt der neue Herr Kultusminister die preußische Schule im weitesten Sinne des Wortes in den Dienst nicht etwa der sozialdemokratischen Partei — das verlangt niemand, daran denke ich nicht —, wohl aber in den Dienst des großen demokratischen Ausstiegs unseres Volkes auf der einen Seite und in den Dienst der sozialistisch organisatorischen Zusammenfassung aller Volkskräfte ans der anderen Seite, meine Herren, dann ist ihm unsere wärmste Unterstützung, unsere tatkräftigste Mitarbeit sicher. Stellt sich aber Herr Dr. Schmidt diesen großen geschichtlichen Notwendigkeiten hemmend in den Weg, so werden meine Freunde ihn ebenso scharf bekämpfen, wie wir seinen Herrn Vorgänger bekämpft haben, ja, wir werden ihn noch schärfer bekämpfen, einmal, weil die Anforderungen an den Minister in dieser Zeit größer geworden sind, und dann, weil später auch unsere Macht, auf das Kultusministerium Einfluss zu nehmen, größer als heute geworden sein wird.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratische Kulturpolitik