Erste Fortsetzung

Aber der natürliche Hang und die Anlage der Juden zum Handel ist noch durch ihre geschichtliche Entwicklung, durch die Umstände, unter denen sie im Laufe von fast zwei Jahrtausenden in den europäischen Kulturstaaten zu leben hatten, im höchsten Maße begünstigt und entwickelt worden. Mit einer einzigen Ausnahme in der Geschichte Mittel- und Westeuropas, und zwar mit Ausnahme jener Periode, in der das muhamedanisch-arabische Reich im südwestlichen Europa und auf Sizilien die Herrschaft hatte – vom 10. Bis 13. Jahrhundert – gab es keine Periode in Europa, in der die Juden nicht systematisch und gewaltsam durch die herrschende Gewalten von jeder anderen Beschäftigung als dem Handel ausgeschlossen wurden. Nur in jenem durch die Araber begründeten Reiche waren die Juden völlig Gleichberechtigte. Dort hatten sie die Möglichkeit. In freier Tätigkeit sich zu entwickeln, und sie gelangten durch die ihnen innewohnende Intelligenz und Rührigkeit zu den höchsten Staatsämtern, sogar zum Vezirrat. Sie haben auch im Khalifenreich auf dem Gebiete der verschiedenen Wissenschaften, als Ärzte, Anatomen, Physiologen und Mathematiker, als Dichter und Denker eine hervorragende Rolle gespielt. Anders war es von Anfang an in der christlichen Kulturwelt. Judäa bildete die eigentliche Wiege des Christentums; sehr bald aber trat das Christentum in Feindschaft gegen das Judentum, aus dem es hervorgewachsen ist. Andererseits hegten die Juden einen tiefen Hass gegen die Christen, weil ein Teil der ersten Christen Juden waren und die Juden jene Abtrünnigen als räudige Schafe betrachteten und verfolgten. Nimmt man hierzu die Darstellung der christlichen Kirche, wonach die Verfolgungen und der Kreuzestod des Christus durch die Juden veranlasst wurden, so begreift sich, dass neben dem materiellen dieses religiöse Moment, das sie Massen vom Mittelalter bis auf den heutigen Tag Beherrschte, die größte Feindschaft gegen die Juden hervorrufen musste. Dazu kommt die fast überall bestehende Abneigung zwischen Menschen verschiedener Rasse, die namentlich bei Menschen auf niedrigerer Kulturstufe vorhanden ist. Wir sehen, wie noch heute in Europa sogar Nationalhass entflammt wird, den allerwärts die Bourgeoisie mit Vorliebe begünstigt. Galt es doch teilweise in Deutschland und in Frankreich bis vor nicht langer Zeit als eine Art Landesverrat, wenn man mit sogenannten Erbfeinden in Geschäftsverbindung trat, so sehr man sonst geneigt ist, Geschäfte und Profit zu machen. Rassenabneigung erklärt sich aber um so leichter, wenn es sich, wie hier, um Rassen handelt, deren Grundverschiedenheit in der Charakteranlage und im ganzen Wesen trotz zweitausendjährigem Nebeneinanderlebens in hohem Grade aufrecht erhalten worden ist. Hat dass noch der Jude das Malheur, durch sein Äußeres aufzufallen, so dass man ihm den Juden schon an der Nase ansieht (Heiterkeit), ist er also in den Augen seiner Feinde schon ein von der Natur Gekennzeichneter, so liegt hierin ein weiteres Moment zu Hass und Feindseligkeit.

Einer der Hauptvorwürfe, die man von antisemitischer Seite, scheinbar mit Recht, gegen das Judentum erhebt, ist, dass man sagt: wären die Juden nicht eine in jeder Beziehung eigentümliche Rasse, die grundverschieden von den Germanen ist und sein will, wie können sie dann noch heute ihre Separierung innerhalb der christlich-germanischen Gesellschaft aufrecht erhalten? Diejenigen, die so sprechen, vergessen, oder aber wissen nicht, dass die Juden bis in die neueste Zeit, besonders in Deutschland, gezwungen wurden, sich von der übrigen Bevölkerung getrennt zu halten, es sei denn, sie gaben ihren glauben auf. Durch das ganze Mittelalter war eine in den Einzelheiten wechselnde, im ganzen jedoch ständige Gesetzgebung vorhanden, die die Juden nach allen Richtungen unterdrückte und sie geradezu zwang, in der Vereinsamung, im engsten Kreise mit ihren Glaubens- und Stammesgenossen zu leben. Dieser anderthalb Jahrtausende hindurch fortgesetzte Druck hat aber selbstverständlich in außerordentlich hohem Grade dazu beigetragen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter sich und den Abschluss von der übrigen Bevölkerung zu begünstigen. Wird eine Rasse eine lange Reihe von Generationen hindurch verfolgt und abgeschlossen, wird sie durch den Zwang der Umstände genötigt, sich auf sich selbst zurückzuziehen, so ist nach dem Darwinschen Anpassungs- und Vererbungsgesetzen nur natürlich, dass die eigentümlichen Charaktereigenschaften dieser Rasse sich im Laufe der Zeit immer mehr entwickeln und vervollkommnen müssen. Die Verfolgung prägt dieser Entwicklung ihren besonderen Stempel auf, und so wurde das Judentum, was es heute ist. Die Gesetzgebungen des Mittelalters haben von Anfang gegen die Juden schwer gesündigt, indem sie dieselben nötigten, sich abzuschließen. Andererseits wurden damit aber auch selbstverständlich alle die Erscheinungen begünstigt, die man jetzt an den Juden in hohem Grade tadelt. Objektiv betrachtet, mit Unrecht, wenigstens nach m Auffassung. Nicht allein, dass man im Laufe der Jahrtausende durch die Gesetzgebung, namentlich in Deutschland, dem Judentum aufs feindseligste entgegengetreten ist und es mit Gewaltmitteln unterdrückte; es haben namentlich auch in der Periode vom zwölften bis zum vierzehnten Jahrhundert in Deutschland eine sehr große Reihe von Judenverfolgungen der gewalttätigsten Art stattgefunden, die notwendig das jüdische Volk zu der Entwicklung brachten, die bei ihm eingetreten ist. Von 1198 bis 1331, also in einem Zeitraum von 133 Jahren, haben in Deutschland nicht weniger als 52 große Judenverfolgungen stattgefunden, und an diesen haben sich alle Größere Städte der damaligen Zeit ohne Ausnahme beteiligt, so Köln, Mainz, Straßburg, Nürnberg, Augsburg usw. Ganz besonders auch Frankfurt a. M. , d. h. gerade jene Stadt, in der bis heute die Juden eine so erhebliche Rollen spielen. Und es waren nicht Verfolgungen, wie wir sie z. B. unter dem Sozialistengesetz kennen lernten, sondern es waren solche der brutalsten und gewalttätigsten Art. Die Juden wurden wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens und nicht zuletzt wegen ihrs Vermögens von Haus und Hof getrieben, geplündert, oft grausam misshandelt und gemordet. Es gab Judenverfolgungen, in denen die Zahl der Opfer über zehntausend betrug. Ich kann eine gewisse Bewunderung nicht unterdrücken für eine Rasse, die trotz all dieser Verfolgungen und Vergewaltigungen in ihrer Art sich dennoch weiter entwickelte und aufrecht erhalten hat. Es gibt in der ganzen Menschheitsgeschichte nur zwei Beispiele, das Völker, die zersplittert und zersprengt unter fremden Völkern leben, noch nach Jahrtausenden in voller Reinheit sich erhalten haben. Das sind die Juden und die Zigeuner. (Heiterkeit) Kein Volk, keine Rasse ist, soweit meine Kenntnis reicht, auf dem auf dem Erdboden vorhanden, von denen man ähnliches sagen kann.


Wurden aber einerseits häufig unter Billigung und Unterstützung der geistlichen und weltlichen Obrigkeit gegen die Juden Massenhetzen und Gewalttaten in Szene gesetzt, so war man andererseits an hoher Stelle auch öfter geneigt, den Juden eigenartige Begünstigungen einzuräumen. Das geschah besonders seitens einiger deutscher Kaiser. Da die Juden keinem deutschen Stamme angehörten, also in jener Zeit kein eigentliches Niederlassungsrecht besaßen, so waren sie der kaiserlichen Schutzherrschaft unterstellt. Das wollte freilich nicht allzu viel bedeuten, denn die deutschen Kaiser hatten bekanntlich häufig nur die formale Gewalt, und es fiel ihnen häufig schwer, gegen die Gewalt der Fürsten, der höheren geistlichen und weltlichen Herren aufzukommen. Die Juden galten nun als „des heiligen römischen Reiches Kammerknechte“, wie man sie nannte, und sie mussten, weil sie direkt unter kaiserlichem Schutze standen, jährlich ein bestimmtes Schutzgeld entrichten. Einzelne Kaiser benutzten diese Stellung der Juden und erhöhten das [/b]Schutzgeld[b], um höhere Einnahmen zu erzielen, wofür sie ihnen gestatteten, von ausgeliehenem Gelde doppelten Zins zu nehmen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratie und Antisemitismus