Sonntagsandacht in einem Salonwagen der Union-Pacific-Eisenbahn

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1875
Autor: O. M., Erscheinungsjahr: 1875

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Eisenbahn, Pullmann-Luxus-Salonwagen, Reiselust der Amerikaner, Erfindungsgeist, Bequemlichkeit, Russland, Dampfboote, Expresszüge, Bahnreisen,
Wir haben in diesen Blättern schon mehrfach der ungeheuren Fortschritte gedacht, welche die Amerikaner in Bezug auf Erhöhung der Behaglichkeit des Reisens durch ihre neueren Einrichtungen, namentlich die äußerst elegant und bequem eingerichteten Pullman‘schen Salonwagen oder Palace Cars, geschaffen haben, die neuerdings auch in Europa und zwar zuerst in Russland sich eingebürgert. Man wird uns daher eine detaillierte Beschreibung derselben umso mehr erlassen, als dieselbe in verschiedenen früheren Jahrgängen schon in Wort und Bild geliefert worden ist.

**************************************************
Bei den großen Reisestrecken und der allgemeinen Reiselust der unstäten und beweglichen Amerikaner war es sehr erklärlich, dass sie ihren Erfindungsgeist anstrengten, um die Pracht und Behaglichkeit, womit ihre Dampfboote eingerichtet sind, auch so viel wie möglich auf ihre Eisenbahnwagen zu übertragen, und da diese ihre Waggons gewöhnlich nicht unter 52 Fuß lang und 8 ½ Fuß breit sind, so war es möglich, ihren Expresszügen auf den Hauptrouten immer einen oder zwei Wagen einzuverleiben, welche die Stelle der Salons auf Dampfbooten versehen und den Reisenden auf der langen Route von 3.000 englischen Meilen zwischen New-York und San Francisco Gelegenheit geben, um ihr Geld sich auch all den Luxus, die Behaglichkeit und räumliche Bequemlichkeit zu beschaffen, welche man zu Schiffe genießen kann und die allein eine Reise von sechs Tagen und sechs Nächten erträglich machen. Der Amerikaner ist gleich dem Briten gewöhnt, seine Sitten und Bräuche wie seine Lebensgewohnheiten überall hin mit sich zu nehmen.

Wer schon mit Amerikanern über den Ozean gereist ist, der wird erfahren haben, wie streng der Amerikaner selbst auf der Reise seinen Sonntag feiert und mehrmalige Andachten und Gottesdienste nach dem Ritus der Methodistenkirche abhält, zu welcher die überwiegende Mehrzahl der Protestanten in den Vereinigten Staaten sich bekennt. Unser schönes und charakteristisches Bild S. 413 führt uns nun die Art und Weise vor, in welcher selbst auf diesen Zügen quer durch den nordamerikanischen Kontinent der Sonntag von der gebildeten Klasse der Reisenden gefeiert wird. Jeder der eigentlichen Salonwagen Pullmann's enthält ein Harmonium und eines oder mehrere Pianinos. Wer nun am Sonntag sich auf dem Express-Zug befindet, der zieht zur gewohnten Stunde sein Gebetbuch hervor, irgend ein musikalisch gebildetes Individuum unter den Passagieren setzt sich an das Piano oder Harmonium und spielt einen Choral oder Psalm, um den frommen Gesang der übrigen Mitreisenden zu begleiten, verliest dann die für den betreffenden Sonntag als Perikope und Epistel vorgeschriebenen Bibelstellen und versucht entweder frei darüber zu predigen, worauf sich in jenem Laude und bei der allgemein verbreiteten Rednergabe auch viele Laien trefflich verstehen, oder gibt das Wort irgend einem zufällig unter den Mitreisenden befindlichen Geistlichen, und alle Anwesenden lauschen dieser Predigt mit der größten Andacht, welche selbst auf minder religiöse Gemüter des tiefsten Eindrucks nicht verfehlt, weil ein aufrichtiger lebendiger Glaube diesem scheuen Brauch zu Grunde liegt.

Sonntagsfeier in einem Salonwagen der Union-Pacific-Eisenbahn

Sonntagsfeier in einem Salonwagen der Union-Pacific-Eisenbahn

Sonntagsfeier in einem Salonwagen der Union-Pacific-Eisenbahn_

Sonntagsfeier in einem Salonwagen der Union-Pacific-Eisenbahn_