Tafelgenuß.

Von 12 bis halb 2 Uhr, da zu Mittag gespeist wird, ist alles mit der Toilette heschäftigt, denn die Göttin des Dekorum’s herrscht hier mit aller Strenge und Jeder, der nicht ein hochzeitliches Kleid anhätte, würde sich schwerlich eine gute Aufnahme zu versprechen haben. Gut, daß es so ist, denn wo Salopperie im Anzuge geduldet wird, da herrscht nur zu bald Salopperie in den Sitten und diese gebieret nichts Gutes und entfernt, statt anzuziehen. Die Männer trifft man hier bloß anständig gekleidet, die Damen hingegen in hoher Parüre, wobei das Bestreben, sich einander zu überglänzen, unverkennbar ist. Dies sollte aber auch nicht seyn, und manches Frauenzimmer muß dem Vergnügen entsagen, sich zur Badezeit in Doberan sehen zu lassen, da der Aufwand für sie zu groß ist und keine Evenstochter sich gern in Schatten gestellt sieht. Besser würde es daher seyn, wenn für das gewöhnliche Erscheinen bei der Mahlzeit, auf Promenaden und im Comödienhause ein zierlicher weißer Anzug genügte. Wer Cour zu machen hat, einem Thee dansant, Bällen u. d. gl. beiwohnen will und darf, nun der muß freilich ein Uebriges thun, und kann sich von den Vorschriften der Etiquette nicht dispensiren.
Um halb 2 Uhr gehts zu Tische, wozu zum erstenmale um 1 Uhr, zum zweitenmale um halb 2 Uhr mit der Glocke signalisirt wird. Wer sich einen Platz im Logirhause erringen kann, welches nicht leicht, oft ganz unmöglich ist, zieht diesen mit Recht einem an den Tischen im Posthause vor; wer an beiden Orten nicht ankommen kann, wirft sich in die Arme des Restaurateurs im Zelte und findet allenthalten erträgliche Kost, die bei der Menge, die gesättigt seyn will, leichter zu tadeln, als besser zu liefern ist. Auch hierin prävalirt Doberan vor vielen andern Anstalten dieser Art in Deutschland, wo es schmale, schlecht appretirte Bissen für höhern Preis giebt. Der Wein im Logirhause ist gut, minder gut im Posthause; wie sich Bachus, der Freudenspender, beim Restaurateur aufführt, ist mir nicht bekannt, und so kann ich auch von der Aufwartung bei ihm nichts sagen; die im Logir- und Posthause aber ist so vortrefflich, als besäße Gott Merkur seine schnellfüßigen Stellvertreter leibhaftig und wartete in eigner hohen Person aus. Dem Verdienste seine Kronen, sagt Schiller, der viel zu früh - deß trauert Germania! -
Heimgegangene, und so werde auch ihrer hier ehrenvoll gedacht. - Die Unterhaltung am Tische hängt von Umständen ab; viel läßt sich von der Menge und den fehlenden Berührungspunkten der Tischgenossen nicht, und am wenigsten dann verlangen, wenn man sich nur einen oder zwei Tage aufhält. Beim langen Verweilen kann es gar nicht fehlen, daß gleichgestimmte Seelen sich finden und sich ihren Umgang verannehmlichen sollten; nur muß man aussuchen, denn entgegenträgt sich so leicht keiner, besonders in unserm Zeitalter, wo jeder sein werthes Ich gar zu hoch anschlägt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sonntags - Leben in Doberan.