Die Slowaken

Wahrscheinlich um dieselbe Zeit, wo die Czechen das westliche Gebirge überschritten und sich in der alten Bojerheimat festsetzten, geschah es, dass auch die Morawanen und Slowaken ihr Stammland Weiß-Kroatien jenseits der Tätern verließen und längs der March (Morawa) und der Wag bis gegen die Donau hin sich niederließen. Bei dem Einbruche der Awaren mochten sie wohl die schwere Geißel dieser barbarischen Horden, wie Schafarik sagt, auch „gekostet“ haben; aber durch die Anstrengungen Karls des Großen (796) wurde auch ihr Schicksal erleichtert, und obgleich sie alsbald unter die Verwaltung eines deutschen Markgrafen kamen, so war dieses Verhältnis immer weniger drückend, da fiel es nur kurze Zeit anerkannten. Denn schon im nächsten Dezennium machte sich ihr Fürst Mojmir faktisch unabhängig von den Deutschen, und 855 gründete Rastic, nachdem er den König Ludwig bis hinter die Donau verfolgt, das großmährische Reich. Um diese Zeit brachten die beiden Slawenapostel Cyrill und Methodios den Mähren und Slowaken das Christentum, welches von ihnen auch zu den benachbarten slawischen Stämmen überging und nicht wenig zu dem Glanze beitrug, den das großmährische Reich unter Rastics Enkel Swatopluk entfaltete. Aber unter dessen Söhnen sank die Macht des mährischen Reiches schnell herab; der hinterlistige Kaiser Arnulph wusste zwischen ihnen gar bald Feindschaft zu stiften, und als der eine Bruder, Swatopluk, von dem andern, Mojmir, schon überwunden war, trat er auf die Seite des Geschlagenen, um durch längeren Kampf beide Teile zu schwächen; dann trennte er das Bündnis mit dem böhmischen Fürsten und rief endlich, seinen Taten die Krone aufzusetzen, die wilden Horden der Madscharen herbei. Aber der Lohn folgte bald; die furchtbare Niederlage bei Preßburg 907 vernichtete die Macht der Mähren, aber auch die der Deutschen; der junge König Ludwig entging kaum der Lebensgefahr, Luitpold von Bayern und der tapfere Mojmir fielen mit dem Schwerte in der Hand. „Das war der Todesschlag für das Slawentum,“ sagt Schafarik (§.41, No. 5). „Was von den alten Bewohnern dem Tode oder der Knechtschaft entrann, floh in die Tatern, zu den Bulgaren, Chorwaten und andern Völkerschaften; in dem Lande aber, das der Schweiß und das Blut der Slawen urbar gemacht und der Geist des heiligen Konstantin und Methodios erleuchtet hatte, schlug die uralische Wildheit ihren eisernen Thron auf.“ Die Folge der Ereignisse und die schwere Hand des Schicksals hat die Bestialität dieser asiatischen Horden zwar in etwas gemildert, ja sie haben von den durch sie geknechteten Slawen und Deutschen sogar mit der Zeit das Christentum angenommen, aber ein unvertilgbarer Zug jener Rohheit hat sich auch noch im Charakter ihrer späten Enkel erhalten; und unwillkürlich steigt dem Menschenfreunde das Bild jener finsteren Tage vor die Seele, wenn er von der fanatischen Wut hört, mit welcher noch jetzt, im neunzehnten Jahrhunderte, der Madschare den armen, wehrlosen Slowaken und den durch den Zorn des Schicksals in seine Nachbarschaft geschleuderten Deutschen verfolgt.

Die Slowaken bewohnen den ganzen Landstrich, der im Nordwesten von der oben bezeichneten Grenze gegen die Böhmen-Mähren, im Norden durch den Kamm der Karpaten bis an die Stadt Pownoëna gegen die Polen in Galizien, im Osten durch die Städte Bordijow, Humené und den Lauf des Flusses Ondawa gegen die Kleinrussen in Galizien und Ungarn, im Süden durch die Städte Se?owce, Kaschau, Tornala, Filekowo, den Lauf der Eipel bis nach Hont hinab, dann durch die Städte Cewica, Neuhäufel (bis nahe an Komorn hinab), und Preßburg; hier endlich durch die Donau bis zur Einmündung der March in dieselbe gegen die Madscharen, im Westen endlich durch das Strombett der March gegen die Deutschen im Erzherzogtum abgegrenzt ist. In diesem weit ausgedehnten Raume, der sich über 15 Gespannschaften ausdehnt, von denen die Trencziner, Turczaner, Orawer, Liptawer und Zwolensker ganz, die andern zum größten Teil von ihnen besetzt sind, fitzen sie rein und unvermischt mit andern Völkerschaften. Aber außerdem sind fiel auch noch durch ganz Mittelungarn zu beiden Seiten der Donau und im Südwesten des Königreichs in zahlreichen, bisweilen über mehre 10 Quadratmeilen ausgedehnten Kolonien zerstreut. So besteht allein in der Pesther Gespannschaft fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus Slowaken. Die Gesamtzahl der Slowaken in Ungarn beträgt 2.753.000, davon sind 1.953.000 Katholiken und 800.000
Protestanten.


Der größte Teil dieser ungarisch-slawischen Völkerschaft beschäftigt sich mit Ackerbau und Viehzucht; ein anderer Teil treibt die Gewerke auf dem flachen Lande oder in den Städten, welche hier viel weniger mit Deutschen untermischt sind, als mit Böhmen und Mähren; wieder Andere endlich, und sie sind sehr zahlreich, ziehen des Handels wegen durch ganz Europa und weite Strecken von Asien und Afrika. Der von den Slowaken bewohnte Teil von Ungarn ist zwar größtenteils gebirgig; bei weitem weniger fruchtbar, als andere Gegenden; trotz dem aber findet man ihn vielmehr bevölkert und angebaut, als die von den Madscharen oder Wallachen besetzten Länderstriche in den fruchtbarsten Komitaten. Und wenn auch der Boden, besonders am Fuße der Karpaten, nicht alle die zahlreichen Einwohner ernähren kann, so entschädigt die Natur doch wieder durch ihren Reichtum an Holz und Metall, so wie besonders an schönen Weidetriften für jenen Mangel zum großen Teil, so dass auch diese Gegenden keinen wirklichen Mangel leiden. Die nordöstlichen Komitate, wie das Sempliner, wo die Stadt Tokay ist, sind ebenfalls zumeist von Slowaken bewohnt und der ganze Weinbau ist fast ausschließlich in den Händen derselben, da das Liptauer und die umliegenden Komitate Jahr aus Jahr ein ganz Ungarn mit Weinbergs-Arbeitern versorgen. Die Landwirtschaft ist aber bis diesen Augenblick noch auf einer sehr niedrigen Stufe; denn in ganz Ungarn wagt noch keine ackerbauende Seele von dem abzuweichen, was der Vater und der Großvater getan. Die Zipser Gespannschaft ist sehr ergiebig an Flachs und somit das Mutterland der großen Linnenbereitung, welche ausschließlich nur die Slowaken in ihren Händen haben. Die Ausfuhr in diesem Artikel ist außerordentlich und die Leinwandhändler (platenicy) von Oraw durchziehen nicht nur ganz Ungarn von einem Ende zum andern, sondern auch in allen Seehäfen und großen Handelsstädten Deutschlands, Polens, Russlands und der Türkei, bis tief in Asien und sogar in Afrika hinein findet man Slowaken in ihrem Nationalkostüm, welche daselbst die ausgebreitetsten Leinwandgeschäfte machen. Mit welcher Einfachheit und geringen Umsicht fiel diesen Handel treiben, sieht man z. B. aus den Worten eines alten Slowaken, der sich in der Welt viel umgesehen hatte und nun feinen Kindern und Freunden die Schicksale erzählte, die ihn betroffen; die ganze Welt, meinte er, sei eigentlich von Slowaken bewohnt, denn überall, wohin er gekommen, habe er Slowaken angetroffen, nur ein einziges Mal, in Tiflis, da sei Niemand zu finden gewesen, bis er endlich zum König dort (zum russischen Gouverneur) gekommen, der sei wieder ein Slowake gewesen, und lange Zeit habe er slowakisch mit ihm gesprochen; das Reich (Deutschland) dagegen sei wieder fast nur von Schwaben bewohnt. So ist die Einfachheit dieser Menschen so groß, dass sie alle Deutschen für Schwaben und alle Slawen wieder für Slowaken halten, und dennoch sind ihre Geschäfte ungeheuer ausgebreitet. Ehedem war auch die Tuchfabrikation in den Komitaten von Trenczin, Nitra und andern bedeutend, nun ist sie im Verfall. Dagegen sind die Slowaken bei dem Bergbau in den Gewerken um Kremnitz und Schemnitz sehr beteiligt. Überhaupt betreiben fiel fast durch ganz Ungarn in allen größeren und kleineren Städten die niederen Gewerbe, sowie den kleineren Handel, während die höheren Gewerbe und Künste in den Händen der Deutschen, der ergiebigere Handel in denen der Juden ist. Letztere sind hier eben so wahre Saugegel des Landes, welche die besten Säfte des Volkes aussaugen und die Entwicklung eines Mittelstandes unmöglich machen, wie in Polen. Denn der ungarische Adel, der bei seinem Luxus und seiner Unkenntnis jedes Sparens gar oft in Geldverlegenheit ist, gibt den Kindern Israels, die mit ihrem Geldsacke überall zur Hand sind, nicht bloß die Schenken, Kramladen, Gasthäuser, Brennereien, Brauereien, sondern selbst ganze Güter in Pacht. Wie fiel nun solche Pachtungen auszubeuten wissen, ist leichter zu denken als zu beschreiben. Der Jude dominiert hier wie in Polen durch sein Geld und leider zum unabsehbaren Schaden nicht bloß derer, mit denen er zu tun hat, sondern zum Nachteil des ganzen Landes, dessen Aufblühen in gewerblicher und industrieller Hinsicht er untergräbt. Wer die Verhältnisse der magyarischen Aristokratie zu den Juden mit eigenen Augen zu sehen Gelegenheit hatte, für den wird sich manches Rätsel des gegenwärtigen sozialen Zustandes der einzelnen Stände Ungarns aufklären, er wird auch leicht begreifen, wie derselbe Reichstag, welcher dem bei weitem größeren Teile seiner Staatsbürger, welche mit der Aristokratie. Eines Glaubens und teilweise, einer Abstammung sind, wir meinen den Slawen und Deutschen, welche zusammen wohl 2/3 , sicherlich aber 3/7 der Einwohnerzahl ausmachen, nicht einmal einen vollkommenen Rechtszustand zu geben für gut findet, wie derselbe Reichstag andererseits mit aller Gewalt dahin trachtet, die Juden in die Reihe der bevorzugten Stände des Staates zu erheben.

Bei aller dieser gewerblichen und industriellen Entwicklung ist der Slowake doch geistig wenig ausgebildet. „Er arbeitet gern mit Händen und Füßen,“ sagt Czaplowicz in einem Gemälde von Ungarn Bd. II, „und während den Magyaren fast ausschließlich die Landwirtschaft und die Viehzucht, den Deutschen teils Gewerbe und Handel, teils auch Gruben- und Feldbau beschäftigt; während der Armenier und Jude pachten und schachern, legt sich der Slowake allein auf die mannichfaltigsten Erwerbszweige. Er baut ein Feld, züchtet Vieh, handelt, treibt Gewerbe, arbeitet in Bergwerken, ist ein geschickter Fuhrmann zu Wasser und Land, Jäger und Vogelfänger usw.“, das sicherste Zeichen der ungemeinen geistigen Fähigkeiten des Volkes, dem es aber leider an Gelegenheit und Mitteln fehlt, fiel zu entwickeln. Die Schulen stehen auf einer sehr niedrigen Stufe. Die Gehalte für die Lehrer sind so niedrig, dass sich Niemand von einigem Talent dazu hergibt; Lehrerseminarien oder dergleichen Erziehungsinstitute gibt es gar nicht; und wenn auch in der Neuzeit einzelne, vom Nationalgeiste beseelte Lehrer zusammentreten, um durch pädagogische Vereine auf eine Verbesserung des Zustandes der Schulen hinzuarbeiten, so sind die Folgen solcher an sich höchst ehrenwerter Bestrebungen immer nur sehr gering anzuschlagen. Die Dorfschulen sind natürlich slowenisch, bis auf die Orte, wo die Slowaken mit den Magyaren zusammen wohnen, da muss auch magyarisch gelehrt werden. In rein slawischen, nur von Slowaken bewohnten Städten sind die Normalschulen auch slowenisch; nur in den höheren Klassen wird Latein, etwas Magyarisch und Deutsch gelehrt. In Städten von gemischter Bevölkerung sind die niederen Schulen für die einzelnen Nationalitäten getrennt. Die höheren Lehranstalten, wie Gymnasien, Lyceen (d. i. Gymnasien mit einzelnen Fakultäten, besonders der philosophischen und theologischen, als auch der juridischen), sind überall von verschiedenen Nationalitäten besucht, selbst Leutschau und Preßburg sind nicht rein slowenisch, da man hier Studenten von allen Nationen in Ungarn findet. An diesen wurde früher alles nur lateinisch, jetzt zum Teil auch magyarisch vorgetragen; und es zeigt sich überall, wie man mit Gewalt dahin arbeitet, das Latein gänzlich zu verdrängen. Die Lehranstalten stehen insgesamt unter der Leitung der Kirchenvorsteher, und zwar gehören fiel der Kirche an, in deren Sprengel sie sind. Nur zum Teil unterstehen die höheren Lehranstalten dem Distriktual- oder dem Generalkonvente.

Bei allem Mangel einer durchdachten Volkserziehung und bei dem oft unglaublichen Druck, unter welchem die ungarischen Slowaken schmachten, ist es in der Tat ein Wunder, dass sich bei dem Volke ein so schöner Fonds für Sittlichkeit und Religiosität erhalten hat, wie wir ihn daselbst finden. Es ist bekannt, wie man in Ungarn mit der größten Vorsicht reifen muss, will man sich nicht der Gefahr aussetzen, von herumstreifenden Vagabunden bestohlen und beraubt und ausgeplündert zu werden; denn Ungarn ermangelt nicht nur jeder Landespolizei, wie sie in den meisten Ländern Oestreichs fehlt, sondern die Schwäche der Gerichtspflege, die weiten Haiden und Forsten gewähren bei dem geringen Grade der Kultur allerhand Landstreichern und liederlichem Gesindel einen so ausgedehnten Schutz, dass das Land in dieser Hinsicht schon sehr das Gepräge des Osten trägt. Die einzigen Gegenden des Nordwesten, wo die Slowaken wohnen, machen hiervon eine ehrenwerte Ausnahme. Unter diesem Volke hört man nur selten von einem schweren Verbrechen, und ein Mord fällt fast nie vor; so dass die Gefängnisse und Zuchthäuser so zu sagen leer stehen. Zuvorkommenheit und Gastfreundschaft sind die herrschenden Tugenden, Keuschheit, Reinlichkeit, Arbeitsamkeit eine schönsten Eigenschaften, biedere Heiterkeit, Gesangeslust und Gesprächigkeit feine charakteristischen Merkmale: häusliches Glück und vernünftige Frömmigkeit, eben so fern vom Pietismus als von Unglauben, der Grundstein ihres ganzen geistigen Zustandes. Ihre Religiosität ist frei von jeder Überspanntheit; der gemeine Mann weiß die Persönlichkeit des Geistlichen so genau von dem Kultus selbst zu unterscheiden, dass, wenn auch der Prediger ein Taugenichts wäre, feine Gemeinde wohl Anstoß daran nehmen, nie aber zur Verachtung der von ihm repräsentierten Sache sich würde verleiten lassen. Ist aber der Geistliche ein würdiger Hüter seiner Herde, wie dies bei den meisten der Fall ist, so bilden Gemeinde und Pfarrer eine einzige, sich liebende und achtende Familie, wo Einer, den Bedürfnissen des Andern mit freundlicher Zuneigung entgegen kommt. Solche Beispiele sind nicht selten, und wirken ungemein auf die Moralität, welche bei dem Drucke von Seiten der Aristokratie und dem allseitig verderblichen Einfluss der habsüchtigen Juden gewiss schon längst vernichtet wäre, wenn sie nicht solche Bande an das Volk ketteten.

Was die höhere geistige Bildung anlangt, so waren die Slowaken von jeher die Träger derselben in Ungarn; aus ihrer Mitte gingen die größten Männer im Staate, in der Wissenschaft und Kirche hervor, und der slowakische Adel behauptete in geistiger Hinsicht feit jeher ein unbedingtes Übergewicht. Erst in der neuesten Zeit hat sich dies geändert. Durch ein glückliches Zusammentressen von Umständen wurde der magyarische Adel aus seiner lethargischen Ruhe aufgerüttelt; ein begeisterter Patriotismus entzündete alle Herzen, und rief in einzelnen Köpfen Kraftentwickelung und Bestrebungen hervor, wie man sie niemals erwartet hätte; es ist das ein freudiges Ereignis in der Geschichte Ungarns, und wenn es auch für den Augenblick der unterdrückten Partei manchen Seufzer kostet, so muss sich doch der Freund des Fortschrittes darüber freuen; denn auch das ist ein Mittel, die Nationalität zu wecken. Die Slawen werden allmählich schon einsehen, dass es mit bloßen Seufzern nicht getan ist, dass man auch das freie Wort, wo es nottut, männliche Standhaftigkeit und Kraftanstrengung müsse walten lassen; und dann dürften die ungarischen Zustände wohl bald aus der Einseitigkeit gerissen werden, in der sie jetzt darnieder liegen. Die größte Schuld aller Leiden trägt der slowakische Adel, der bei einer gänzlichen Apathie gegen alles Nationale keinen festeren Schritte tut, feine Rechte geltend zu machen; ja aus ihm sind sogar die wütendsten Fanatiker f?r den Madscharismus und die kräftigsten und intelligentesten Köpfe hervorgegangen, welche gegenwärtig für die Gegenpartei wirksam sind, wie Kout, Szechényi, Weselenyi, Zay und Andere.

Einen großen Anteil an der Höhe der geistigen Kultur bei den Slowaken hat ihre Verbindung mit den Czechen, mit denen sie, wie wir eben sagten, eine gemeinsame Sprache und Literatur haben. Aber sie haben zur Hebung derselben auch ihren Pflichtteil beigetragen. Bereits in der Blütenzeit der böhmischen Literatur hatten Slowaken glänzende Namen in ihr, wie ein Benedikt von Nedožer († 1615), ein Tranowsky († 1637). Als aber die gewaltigen Stürme der späteren Zeiten das Aufblühen des Czechentums knickten, lebte es in Ungarn ruhig und weniger gefährdet fort; ja gegen Ende des XVII. und zum Beginne des XVIII. Jahrhunderts schrieb man in Ungarn reiner und besser böhmisch, als in Böhmen selbst, und die Schriften eines Kerman, Bela, Ambrosius, Hruschkowic und Anderer ragen in jener Zeit weit über alle Andern empor. Noch glänzender sind die Verdiente der Slowaken um die böhmische Literatur in der Neuzeit, Kollar, der größte Dichter, Schafarik, der größte Gelehrte, sind durch Europa bekannt, neben ihnen haben Tablic und Palkowicz ein vorzügliches Verdienst. In der Gegenwart hat man auch angefangen, den slowakischen Dialekt in der Schrift zu gebrauchen. Bernolak schrieb eine Grammatik (1790), ein Lexikon (1825) und übersetzte die Bibel (1829). Tablic, Palkowicz und vor Allen Fejerpataky (Bielopotocky) erwarben sich durch eine Reihe von populären, belehrenden und unterhaltenden Schriften den Dank ihrer Landsleute. Den höchsten Ruhm aber erlangte Holy; seine Dichtungen (1824, 1827), große epische Gedichte im Volksdialekte, machen Kollar den Ruhm der ersten Größe streitig und hätten gewiss eine größere Anerkennung gefunden, wenn nicht die Besorgnis, es könnte der Dialekt neben der Hauptsprache sich zum Schaden dieser als eigene Sprache erheben, die Begeisterung sehr herabgestimmt hätte. Einen wichtigen Einfluss behaupten jetzt die Kalender, welche von Fejerpataky, Palkowicz und Kuzmány in der Volkssprache ausgegeben, in vielen tausend Exemplaren über die Slowakenlande sich ausbreiten und überall hin die schon halb erstorbene Liebe für das Nationale zu frischem Leben erwecken. Mit dem Journalwesen aber geht es noch sehr flau. Palkowicz versuchte zwar, eine politische Zeitung herauszugeben; allein fie hörte bald wieder auf; die Gründe sind uns unbekannt. Kuzmány begann eine Zeitschrift gemischten Inhaltes in zwanglosen Heften, unter dem Titel: Hronka, d. i. „das Mädchen vom Flusse Hron“, aber auch sie ging bald wieder zu Grunde. Palkowicz gründete eine ähnliche Zeitschrift mit dem Titel: Tatranka, „das Mädchen von den Tatern (Karpaten).“ Sie hatte reißenden Abgang; ihr Erscheinen musste aber wegen mancherlei eingetretener Hindernisse eine Zeit lang sistiert werden, bis es durch die Bemühungen des eben so kräftigen als eifrigen und begeisterten Schtur nun wieder ermöglicht wurde. Derselbe Schtur ist jetzt im Begriffe, eine politische Zeitung im Volksdialekte unter dem Titel: „Slowenische Nationalzeitung“ mit einem Beiblatte: dem „Adler von den Tatern,“ in Perth herauszugeben, was gewiss von unberechenbar wohltätigen Folgen für Ungarn wäre, weil dann die inneren Zustände des Staates auch von einem andern, als dem einseitig-magyarischen Gesichtspunkte aus beleuchtet und der öffentlichen Beurteilung und Kenntnisnahme näher gebracht würden. Es fehlt nur noch die allerhöchste Konzession, welche sicherlich nicht ausbleiben wird, da der österreichischen Regierung hierin nur ein neuer Kampfgenosse mit frischen Kräften gegen die überschwängliche Magyaromanie ersteht.

Das magyarische Element hat erst seit etwa einem halben Jahrhunderte angefangen, Lebensspuren von sich zu geben. Kaiser Joseph wollte wie bekannt das Deutsche auch in Ungarn herrschend machen, dem widersetzte sich der magyarische und der slawische Adel. Letzterer aber war schwach und hatte keine Stimmführer; daher wusste ihn die magyarische Aristokratie bald auf ihre Seite zu bringen, und die Slawen blieben ohne alle Vertretung auf den Reichstagen. Auf den drei letzten Landtagen trug das Magyarentum einen vollständigen Sieg davon; die magyarische Sprache wurde für die Staatssprache erklärt und gesetzlich in allen öffentlichen Angelegenheiten des Staates, in der Gesetzgebung, in der Verwaltung, in den Kongregationen (den Gespannschaften), in allen amtlichen Zuschriften der Komitate und der Landesregierung eingeführt, ja sogar die Forderung aufgestellt, dass auch die kirchlichen Korporationen, die Seniorate, die Distriktual-Konvente usw. mit den Komitaten oder dem königlichen Rat magyarisch korrespondieren sollten. Vom Jahre 1823 an, wurde bestimmt, müssen alle Matriken in den Kirchen in dieser Sprache geführt, und Niemand zum geistlichen oder einem andern Amte zugelassen werden, der sich nicht mit der Kenntnis des Magyarischen auszuweisen im Stande sei. Diese Verordnungen fanden zwar vielseitigen Widerspruch, selbst auf den Reichstagen; mehrere katholische slawische Bischöfe, so wie die Deputierten von Kroatien und Slawonien traten mit vieler Kraft gegen die Annahme dieses Gesetzes auf; allein bis auf diesen Augenblick ohne Erfolg. Eben so widersetzten sich viele sogenannte königliche Städte (deren es in Ungarn überaus viele gibt) dem Einführen des Magyarischen; allein sie konnten nicht durchdringen, da sie insgesamt nur Eine Stimme haben. Und so entschloss man sich lieber gar nicht mit abzustimmen.

Das Übelste bei der Sache ist, dass die Slowaken auch durch Religionsverschiedenheit sich von einem gemeinschaftlichen Wirken gegen die Magyaren abhalten lassen. Die Katholiken sind bei weitem zahlreicher, wie wir oben sahen, und dennoch leisten fiel nur geringen Widerstand, ja in den höheren katholischen Schulen findet man das Magyarische bereits fast überall schon eingeführt. Nur allmählich scheint auch bei ihnen sich die Abneigung gegen dasselbe zu regen und eine größere Anhänglichkeit für das Slawische zu erwachen. Namentlich hat bereits die Gesellschaft der Freunde slawischer Literatur in Peth unter den Katholiken zahlreiche Mitglieder und vielseitige Unterstützung gefunden; auch hat die neue Prachtausgabe von Holys Werken, welche dem Bischof von Neufohl gewidmet ist, unter der katholischen Geistlichkeit sehr bedeutenden Abgang gehabt. Am meisten scheint dazu das wahrhaft donquichott-artige Auftreten der magyarischen Partei gegen die katholische Kirche beigetragen zu haben. Je vernünftiger und ruhig gesinnter die katholische Geistlichkeit Ungarns ist, desto weniger wird sie eine so öffentliche Verletzung der alten Anhänglichkeit an Rom gutheißen können, und wenn fiel auch keinerlei Abhängigkeit vom Papste duldet, so wird sie damit sich doch noch nicht losreißen wollen von dem allgemeinen Bande, welches der Katholik, selbst der freisinnigste, immer für einen ehrwürdigen, hochachtbaren Überrest aus den ersten Zeiten des Christentums wert hält.

Viel kräftiger ist die evangelische Kirche aufgetreten. Zwar hat auch hier die aristokratisch-magyarische Partei das Übergewicht; denn die Inspektoren der einzelnen Kirchen, gewöhnlich aus dieser Partei, haben auf die Geistlichen, so wie auf die Lehrer einen großen Einfluss und bemühen sich mit allen Mitteln, das Magyarische den Schulen und Kirchen aufzudringen; allein bisher haben fiel sich keines Erfolges zu erfreuen gehabt, außer wenn ihnen vielleicht das Vergnügen gemacht hätte, dass die Kinder ein oder zwei magyarische Worte herplappern können, die ihnen der schwache Lehrer eingepaukt, um sich dem gnädigen Herrn Inspektor zu empfehlen, oder dass, wenn der „Kantor“ (Vorfänger) ein aus dem Slowenischen übersetztes Kirchenlied in magyarischer Sprache anstimmt, das Volk dasselbe Lied nach seiner ihm seit Jahrhunderten bekannten Melodie in der Originalsprache ihm nachsingt. Von der Kanzel herab aber hat es bisher noch kein Geistlicher in einer slowenischen Kirche gewagt, ein magyarisches Wort zu sagen; das Volk würde sich dem alsbald widersetzen; und das macht auch die Geistlichen immer entschlossener, den fanatischen Bestrebungen der Aristokratie entgegenzutreten, da es unter diesen Umständen ihre heiligste Pflicht ist. In den Senioratskonventen haben die Inspektoren ebenfalls einen großen Einfluss, und die Geistlichen lassen sich von ihnen nicht selten an der Nase herumführen; jetzt ist es bereits dahin gekommen, dass fast in allen Senioraten die Protokolle magyarisch geführt werden. Nur die beiden Seniorate von Liptaw und Nitra haben sich bis diesen Augenblick frei erhalten von allem Einfluss der Aristokratie. Die Senioratskonvente senden ihre Deputierte in die Distriktualkonvente; hierin herrscht nur in der evangelischen Kirche bedeutende Unordnung; die Aristokraten wissen die Verwirrung trefflich zu benutzen, und so bringen solche Distriktualkonvente in der Regel wenig Erfreuliches. Indes je mehr die Entschlossenheit der evangelischen Geistlichkeit zunimmt, ihre Nationalität und das Wohl der ihnen anvertrauten Gemeinden bis auf den letzten Atemzug zu verteidigen, desto lebhafter werden auch die Diskussionen auf diesen Zusammenkünften; und wenn die slawische Partei in dem Kampfe bisher nicht durchgedrungen, so wächst doch ihr Ansehen und ihre Macht mit jedem Jahre. Am schwierigsten ist die Stellung der Slowaken bei den Generalkonventen; zu diesen senden nicht bloß die einzelnen Distrikte ihre Abgeordnete, sondern auch die Seniorate haben das Recht dazu. Diese Generalkonvente werden nur in Perth gehalten, und das tut den slawischen Geistlichen am meisten Abbruch, denn nicht nur dass hier der Zentralpunkt aller magyarischen politischen Notabilitäten ist, welche die Deputierten nicht ermangeln mit allen, guten und schlechten Mitteln zu bearbeiten, so liegt auch Peth mitten in dem von Magyaren besetzten Landstriche und die magyarischen Geistlichen strömen haufenweise herbei, während die slowenischen wegen der weiten Entfernung und der Unmöglichkeit, die Kosten einer solchen Reise und des teuren Aufenthaltes in der Hauptstadt zu bestreiten, nur in ganz unbedeutender Anzahl bei denselben zu erscheinen im Stande sind. Unter diesen Umständen ist es noch ein wahres Glück zu nennen, dass in Ungarn die Gesetze nur dann Geltung sich verschaffen, wenn sie. Jemand mit Gewalt ausführt; sonst bleiben sie fast immer nur auf dem Papiere stehen. Dadurch wird nun der ungünstige Einfluss der auf diesen Conventen gefassten Beschlüsse gewissermaßen wieder unschädlich gemacht. So um nur ein Beispiel anzuführen, wurde auf dem Generalkonvente von 1841 auf das Strengste verboten, in den höheren Schulen, Gymnasien, Lyceen, welche, wie wir oben sagten, teilweise von den Kirchengemeinden abhängen, in denen sie sind, irgend wie die slowenische Sprache zu lehren; aber das hinderte die Jugend nicht, öffentliche Zusammenkünfte zu halten, um sich in ihrer Muttersprache zu üben. Als oberste Wortführer der magyarischen Ultrapartei sind die von Slawen erst zu Magyaren gewordenen Szechenyi, Kochut und Zay zu nennen. Letzterer ist gegenwärtig Generalinspektor für die ganze evangelische Kirche und einer der wütendsten Magyaromanen in ganz Ungarn. Er war es, der ein Staatsverbrechen, einen Vaterlandsverrat, einen Muttermord darin sah, dass ein Professor in Leutschau mit seinen Schülern Übungen in der slowenischen Sprache veranstaltete, er war es, der im Verein mit Kochut – dem wütend-radikalen Redakteur des Pesti Hirlap, der nichts als Freiheit und Gleichheit auf den Lippen führt und dennoch die Unverschämtheit hatte, bei dem Generalkonvente zuerst den Vorschlag zu machen, es möchte in allen höheren Schulen gesetzlich verboten werden, die Volkssprache der Slowaken zu lehren – durch die wahnsinnigen Forderungen und die grenzenlose Wut, mit der Beide über Alles herstürzten, was slawisch oder slowakisch ist, die Slowaken doch endlich dahin zwang, in Ermangelung alles Rechtszustandes sich an den König zu wenden. Die evangelische Geistlichkeit wählte aus ihrer Mitte eine Deputation von fünf Männern, an deren Spitze die beiden ausgezeichnetsten Vertreter des Slawentums in Ungarn, Josefy und Chalupka, standen. In der Stille gingen diese Männer nach Wien und brachten hier ihre Beschwerden über Zurücksetzung in jeder Hinsicht und über die Unterdrückung der slawischen Nationalität zu den Füßen des Thrones vor. Sie wurden von dem Kanzler der ungarischen Hofkammer und dem Fürsten Metternich auf das Freundlichste empfangen und erhielten die Zusicherung, dass die Regierung entschlossen sei, sie in allen ihren Rechten zu schützen, und dass ihre Beschwerden schon beim nächsten Landtage in Untersuchung gezogen werden sollten. Dass ein solcher öffentlicher Schritt in den Magyaren die höchste Wut rege machen würde, war vorauszusehen; der Pesti Hirlap, der Hirnök und Konsorten gebärdeten sich wie wahnsinnig bei der Nachricht, dass die Deputation bereits in Wien angekommen, ohne dass sie eine Ahnung davon gehabt. „Verrat,“ „Hinterlist,“ „Heimtücke,“ schallte es an allen Ecken und Enden und die Stimme dieser Schreihälse pro patria versetzte jene beiden Männer in den Anklagezustand, ehe sie ihre Wünsche. Sr. Majestät eröffnet hatten. Jetzt hört man, der letzte Generalkonvent habe einen Ausschuss erwählt, um die Beschwerden der Slowaken zu untersuchen und zu entscheiden, ob fiel das Recht hatten, ihre Sache vor den König zu bringen. Das sieht nun freilich sehr freundschaftlich aus und der Generalkonvent tut, als wolle er die Slowaken auf ein Mal emanzipieren, wie der Adel die Juden; allein wir sind fest überzeugt, das friedliche Benehmen ist nur ein Vorwand, hinter der Untersuchung wird man feine ganze Rache und seinen Hass verbergen, und in dem wichtigen Schritte, der folgetan, Dinge suchen und finden, an die kein Vernünftiger gedacht hat. Ein Glück, dass an der Spitze jener Deputation Männer stehen, die fähig sind, jede unbefugte Behauptung und jede grundlose Beschuldigung – die auf keinen Fall fehlen werden – mit gehöriger Kraft und dauerndem Nachdruck zurückzuweisen. Ihnen steht ein harter Kampf bevor, sobald sie in ihr Vaterland zurückkehren; aber sie scheuen ihn nicht, denn sie fechten für eine gerechte Sache, und zu dieser gibt der Allmächtige feinen Segen.
Bevor wir diesen Artikel schließen, geben wir noch einige Schriften an, in denen der Kampf der Nationalitäten in Ungarn einigermaßen besprochen ist. 1. „Sollen wir Magyaren werden?“ 2. Über den Verfall der latenischen Sprache in Ungarn. 3. Bendeguz, Don Quichottiade nach der neuesten Mode. 4. Schreiben des Grafen Karl Zay an die Professoren zu Leutschau. 5. Slawismus und Pseudomagyarismus. 6. Magyarismus. 7. Einiges über Ungarn von Grafen St. Szechenyi. 8. Der Sprachenkampf in Ungarn. Diese zuletzt genannte Schrift ist in Agram, die vorhergehende in Peth, die übrigen meist bei Wigand in Leipzig erschienen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Slawen, Russen, Germanen.