Die Böhmen und Mähren

Die Böhmen bewohnen unter dem Namen der Czechen das von ihnen besetzte Land bereits seit dem Ende des fünften Jahrhunderts. Anfangs unter verschiedene Teilfürsten geteilt, ja selbst nicht einmal von einerlei Stammvolke, da außer den Überresten der früheren Einwohner, der Markomannen, mit den Czechen zugleich auch noch andere Völkerschaften slawischen Stammes, wie die Dulebier, Chrowaten u. a. in das Land eingedrungen waren, wurden die heterogenen Elemente doch allmählich zu einem Ganzen vereinigt, und schon Boleslaw I. (936 bis 967) wusste sich die Oberherrschaft des ganzen Landes zu versichern. Die Einfälle der Deutschen, welche seit Karl dem Großen sich häufig wiederholten, wurden tapfer zurückgewiesen, und unter Bretislaw I. (1037–1055) Mähren gewonnen, um auf immer Böhmens Schicksal zu teilen. Unter den Ottokaren und den Luxemburgern erhoben sich beide Länder mit ungeahnter Schnelligkeit zur schönsten Blüte in Kunst und Wissenschaft. Die Prager Universität (1348 gestiftet) war die einzige in Deutschland und verbreitete böhmisches Wissen nach allen Gegenden Mittel-Europas. Böhmische Sprache und Literatur entfaltete sich mit jugendlicher Kraft, seit durch Huß und seine Schüler auch der freieren Besprechung der religiösen und durch die Hussiten der staatlichen Interessen ein größerer Spielraum geworden war. Durch das potenzierte geistige Leben drang die Bildung in die weitesten Kreise des Volkes, Gymnasien und Pfarrschulen waren überall, letztere selbst auf den Dörfern eingeführt und mancher ehrliche aber begeisterte Handwerker schrieb die heftigsten und nicht selten die schlagendsten theologischen Traktätchen, welche damals zu Tausenden erschienen. Zwar wurde die Macht der Hussiten gebrochen und ihre spärlichen Überreste leben nur noch in den sogenannten mährischen Brüdern fort; aber die besonders durch sie geweckte Literatur blühte fort, und die Periode von 1526 bis 1620 nennen die Böhmen das goldene Zeitalter derselben. Aber die Schlacht am weißen Berge, herbeigeführt durch die niedrigen Machinationen der „Gesellschaft Jesu“, welche kein Mittel zu schlecht hielt, die Protestanten aus Böhmen zu vertreiben, und das Land, wo Huß zuerst die Fackel der geistigen Freiheit geschwungen, ihrer „allein seligmachenden“ Kirche zurückzubringen, endete die Selbstständigkeit des böhmischen Staates, des böhmischen Volkes, vernichtete die geistige Kultur des Landes, vertilgte jede Spur der früher so schön entfalteten Literatur. 36.000 protestantische Familien, zumeist aus dem Adel, dem Bürger- und dem Gewerbestande, wanderten aus; von der zahllosen Bevölkerung blieben keine 800.000 zurück. Das Land stand verödet und man sah sich gezwungen, fremde Kolonisten herein zu ziehen. Diese besetzten den ganzen Nordwesten des Landes längs dem böhmisch-sächsischen Grenzgebirge, und nachdem in den folgenden Zeiten das Deutschtum auf das ganze Land immer größeren Einfluss gewann, wurden besonders in dieser Gegend die Überreste der böhmischen Bevölkerung in Kurzem germanisiert. Der Kern des Landes behielt aber seine slawische Bevölkerung und so bildeten sich allmählich die Grenzen aus, in denen die böhmische Sprache in unseren Tagen eingeschlossen ist. – Mähren hatte dasselbe Schicksal. Allein eine Bevölkerung war großenteils katholisch geblieben; daher wüteten die Jesuiten hier weniger, aber die Österreicher ließen es dagegen an nichts fehlen. So kam es, dass auch Mähren eine zahlreiche deutsche Bevölkerung erhielt, obgleich sie hier mehr unter den Slawen gemischt ist. Nur der Süden, von Znaym bis an die Grenze des Erzherzogtums ist völlig germanisiert.

Auf diese Weise nun ist die slawische Bevölkerung Böhmens und Mährens in folgenden Grenzen eingeschlossen: Nordöstlich von dem Abhange des Riesengebirges, wo die Städte Josephstadt, Königinhof böhmischer Seits, Turnau und Semil deutscher Seits die Endpunkte bezeichnen; von letzterem Orte windet sich die Grenze gegen Nordwesten, längs den Städten Aupa, Böhnisch Aicha, Libuchow, Leitmeritz, Theresienstadt, Laun, Pilsen, Mies, Bischofteinitz, bis gegen Klenz hin; von hier wendet sie sich längs dem Böhmerwalde südöstlich an den Städten: Winterberg, Krummau, Gratzen, Neuhaus, mähr. Budweis, Znaym, Lundenburg, bis nach Rabensburg an die March. Hier wendet sie sich nach Nordosten und berührt die Slowaken in ziemlich gerader Linie längs der Städte Holitsch, Straßnitz, Wselin bis an den Kamm der Tatarn hin, wo sie mit den Polen in Galizien zusammenstoßen. Nun bildet die Oder die reine Ostgrenze bis gegen Oderberg, so jedoch, dass noch in dem ganzen Bezirke von Troppau böhmisch-mährisch gesprochen wird. Dann zieht sich die Grenze wieder von Freiberg längs den Sudeten hin über Sternberg, mähr. Neustadt, bis Kirschberg und Königinhof hin. Der Flächeninhalt dieses nicht unbedeutenden Raumes beläuft sich auf 850 Quadratmeilen. In diesem Raume bildet die slawische Bevölkerung ein ununterbrochenes Ganze, nur hie und da stehen einzelne deutsche Kolonien, wie etwa die von Iglau an der mährisch-böhmischen Grenze, die von Zwittau und Müglitz in Mähren, und einige kleinere, auch sind in allen Städten dieser beiden österreichischen Länder Deutsche teils als Beamte und Soldaten, teils als Bürger und Gewerbeleute. Im Ganzen rechnet Schafarik 6.458.000 Einwohner, davon sind , nämlich 1.748.000*) Deutsche und zwar in Böhmen (1.145.000), in Mähren 603.000. Auch die 104.000 Juden (66.000 in Böhmen, 38.000 in Mähren) sprechen zumeist deutsch. Slawen dagegen sind 5/7, nämlich 4.414.000; nämlich fast 1/4 d. i. 3.016.000 in Böhmen, über 2/3 d. i. 1.354.000 Czecho-Mähren in Mähren und östreich. Schlesien, und 44.000 in preußisch Schlesien. In Mähren wohnen überdem auch noch 192.000 Polen, nämlich an der galizischen Grenze.


*) Schubert (1842) hat nur 1.400.000 genannt.

Die ungemein geistige Entwicklung, zu welcher sich das böhmisch-mährische Volk bereits im XV., XVI. und XVII. Jahrhundert erhoben hatte, ist, obgleich durch das unheilvolle Geschick der Nation in ihrem Fortschritte gehemmt, doch auf den großen Haufen nicht ohne wohltätigen Einfluss geblieben. Das geistige Leben des Volkes konnte mit feiner physischen Macht nicht zugleich vernichtet werden; der Eifer zu religiösem Disput erkaltete nur allmählich und in Jahrhunderten; die böhmischen Schulen lebten noch lange Zeit fort mit ihrem segensreichen Wirken und widerstanden so mit geistiger Kraft dem Eindringen des Deutschtums. Das böhmische Volk fand in geistiger Kultur höher, als die fremden Einwanderer, und darin liegt eines der wichtigsten Momente, welches die böhmische Nationalität trotz hundertjährigen Stürmen von fanatischer Wut und jesuitischer Hinterlist erhalten hat. Besonders waren es die protestantischen Gemeinden, welche zurückgeblieben im Lande, nun zwar von allen Seiten auf das heftigste bedrängt wurden, aber wahre Märtyrer ihrer Sache mit desto größerer Begeisterung ihrer Religion und Sprache anhingen, je mehr Unbill, Schmach und Unterdrückung fiel zu erdulden hatten. Noch heute leben in Böhmen und Mähren an 144.000 Protestanten (4.270.000 Katholiken) und fiel würden selbst jetzt noch viel zahlreicher sein, trotz der ungeheuren Auswanderung im Jahre 1620, wenn sie nicht durch die Gesetze (gemischte Ehen) in jeder Hinsicht übervorteilt, und seit jenem Augenblicke fast alljährlich in nicht unbedeutender Anzahl nach dem freieren Ungarn, zu ihren Slowakenbrüdern, ausgewandert wären.

Es war nun freilich vorauszusehen, dass die böhmisch-mährische Nationalität dem mächtigen Einfluss des Germanentums dennoch endlich erliegen müsse, und so hatten sich selbst die Besseren unter den Böhmen bereits in ihr Schicksal ergeben, und sich in Deutsche verwandelt. Kaiser Joseph II. glaubte die Macht der „Hussiten“ gebrochen, daher feine strenge Einführung des Deutschen. Aber Gewalt erzeugt Widerstand, eine allgemeine Bewegung zuckte durch das böhmisch-mährische Volk und der Phönix des Czechentums erhob sich wie ein Wundergebilde aus feiner Asche. Ein neues Leben begann nun für die Böhmen; anfangs bemüht zu retten, was dem Untergange nahe schien, daher die Sprachforschungen Dobrowskys, die antiquarischen Untersuchungen, das Aufzeichnen von Volksitten und dergl., welche „gewesen waren“; allmählich aber ein selbstständiges Leben entwickelnd, aber zart und schwach, gleichsam um Vergebung bittend, dass es da fei, in einzelnen Tönen, in Liederlein und Gesängelein sich ergießend; dann mit erwachendem Selbstbewusstsein (Puchmayer, Kamaryt, Marek, Hnewkowsky, Rosenkranz) neckend und spottend, den Gegner belächelnd in heiterer Satire (Schneider); nun aber mit Macht anschwellend, in lyrischer Begeisterung sein Recht vor Gott und der Menschheit ansprechend (Klicpera, Czelakowsky, Chmelensky, Holy, Kollar), es historisch erweisend (Jungmann, Schafarik, Palacky), und sich desselben würdig machend durch eine Reihe der schönsten Werke der Literatur und Kunst. So hat sich die böhmische Literatur in dem kurzen Zeitraume von etwa einem Vierteljahrhundert bereits zu einer Höhe emporgeschwungen, wie man im Anfange unseres Jahrhunderts wohl nicht geahnt hätte. Es ist nicht unsere Absicht, hier eine erschöpfende Würdigung der literarischen Bestrebungen der jungen Czechen zu unternehmen; im Gegenteil, uns liegt nur daran, die Richtung zu bezeichnen, welche sie jetzt eingeschlagen, den Geist anzudeuten, von welchem sie in der Gegenwart beseelt wird; und dazu wird es hinreichen, einzelne charakterisierende Erscheinungen hervorzuheben und ihren Zusammenhang unter einander mehr erraten zu lassen.

Der Mittelpunkt aller literarischen Bestrebungen für Böhmen, Mähren und die Slowaken ist Prag; hier das Herz, aus welchem das Lebenselement nach allen Seiten ausströmt. Brünn und Ollmütz in Mähren, und Preßburg und Pesth in Ungarn stehen weiterhin neben dem „alten Königsitze der Czechischen Herrscher“.

In Prag also nimmt vor allen das böhmische Journalwesen unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Eine endlose Reihe von jungen Männern, alle begeistert für ihr Volk und Vaterland, stehen hier an der Spitze und horchen jedem Pulsschlag des czechischen Nationalgeistes, um eine heiligen Offenbarungen durch die Schrift allen Gauen der Heimat zu verkünden. Es ist vorzüglich das innige, hochbegeiferte, allmächtige, allwaltende Nationalgefühl, welches diese Männer beseligt, und mit hinreißender Kraft fiel auf jedem ihrer Schritte leitet. Und sollte sich dasselbe bei Einzelnen auch bis zu einer schwindelnden Höhe steigern, wo Besonnenheit und allseitige Würdigung der gegebenen Verhältnisse außer dem Bereiche der Möglichkeit läge; so würden solche Männer wohl im Stande fein unter ihrem Volke eine Begeisterung für ihre Sache zu erwecken, welche wie ein elektrischer Schlag alle Gemüter aufzurütteln im Stande wäre; aber einen andern Einfluss auf die Staatsverhältnisse, oder eine politische Wirkung würden sie nie erringen; davon sind wir fest überzeugt. Denn der Czeche ist wohl geneigt sich von einer großartigen Idee einzunehmen, zu begeistern, ja bis zum Fanatismus sich hinreißen zu lassen, das beweisen die Hussitenkriege und so manches andere Ereignis der Landesgeschichte; aber um dahin zu kommen, bedarf es eines kräftigen Widerstandes, Vernichtung einer Rechte, gewaltsame Unterdrückung von Seiten feines Gegners. Und solange die österreichische Regierung diese Mittel nicht anwendet, die Czechen aufzureizen, so lange kann fiel ruhig und sorglos ihr Haupt in den Schoß der böhmischen Nation legen, und kein Haar wird ihr gekrümmt werden. Ja, der Czeche wird fiel mit seiner eigenen Brust beschützen und den letzten Blutstropfen für fiel vergießen; denn er liebt das Haus Österreich; und Dankbarkeit und Treue fesselt ihn an einen Thron, von welchem ein Volk eine endlose Reihe von Segnungen und Wohltaten, besonders in den letzten Jahren empfangen hat. Der Czeche ist ein schlechter Politiker, und wenn er seine Nation auch mit glühender Begeisterung liebt, so greift er doch nur im äußersten Notfall und erst, wenn er jeden andern Weg vergeblich versucht, nach einem gewaltsamen Mittel, dieselbe aus der Gefahr zu retten; denn vom Radikalismus ist er himmelweit entfernt, und ein Konarski wird nie bei ihm auferstehen.

Und darum ist es auch, dass die österreichische Regierung dem Erheben der czechischen Nationalität mit solcher Ruhe zusieht; sie weiß es, dass ihr keine Gefahr droht, solange sie selbst dieselbe nicht herbeiruft. Überdies bewacht fiel ja jeden Schritt, den die Czechen tun. Und sie muss es unter den gegebenen Umständen und kann es. Denn nicht allein die sämtlichen geheimen Mittel stehen ihr hier zu Gebote, sondern auch eine Reihe anderer Umstände ist es, welche ihr die Kenntnis dieser Vorgänge aufdringen. Erstens sind schon eine Menge der am meisten patriotischen Czechen zugleich österreichische Staatsbeamte und somit ihre eigene Existenz und das Interesse ihrer Familien mit dem Interesse der Regierung auf das Engste zusammenhängend; dann gibt ihr die Zensur und die Bewachung einer jeden geistigen und sozialen Bewegung (Bälle, Kasinos, Klubs, Zusammenkünfte jeder Art) eine umfassende Kontrolle in die Hand, und dergl. mehr... Was die Regierung aber vor jeder Gefahr von dieser Seite sicher stellt, ist jene begeisterte Anhänglichkeit und Thätigkeit für die Nationalität selbst. Denn je stärker das Gefühl ist, welches die Czechen beseelt, desto weniger ist es im Stande sich geheim zu halten. Und sind nicht gerade die „böhmischen Bälle“, die „böhmischen Réunionen“, die „böhmischen Konzerte“, die „böhmischen Soiréen“, die „böhmischen Kaffeehäuser“ und dergl. gesellige Verhältnisse, in welchen die Czechen öffentlich zusammentreten, der beste Beweis, dass diese Leute eben nichts zu verbergen haben? Und wenn sich nun gar jene Liebe zum Nationellen, jener Patriotismus in immer weitere Kreise verbreitet, wenn immer mehrere und verschiedenere Menschen an Charakter, Sinnesweife, amtlicher Stellung, politischer Gesinnung und dergleichen von diesem großen Bande des Czechentums umschlungen werden, wie dieß in unsern Tagen nicht mehr zu verkennen ist: wie wäre es da möglich, dass nicht jede staatsgefährliche Tendenz, indem sie selbst von einzelnen Mitgliedern ausgehend, gar bald sich weit ausbreiten müsste, sogleich oder doch ehe sie sich wirksam zeigte, bekannt und somit vernichtet würde? – Nein, das neu erwachte Czechentum ist dem österreichischen Staate nicht gefahrdrohend. Wir werden im zweiten Abschnitte dartun, dass es, bei weiter Benutzung der hier sich entwickelnden geistigen Kraft, sogar zur Erhaltung der Staatseinheit als ein wesentliches Moment von augenfälligem Nutzen werden muss.

Nach dieser notwendigen Diversion kehren wir zu dem böhmischen Journalwesen zurück. Drei Zeitschriften sind es besonders, in denen sich dieser nationale Geist am vollständigsten entfaltet: 1) die „Blüten“ Kwëty, eine Wochenschrift mit literaturhistorischen Beilagen, welche eine ungemeine Verbreitung (man sagt über 2.000 Exemplare), besonders auch in Ungarn, haben soll. Dieses Blatt hat sich's zur einzigen Aufgabe gestellt, jede Regung des böhmischen Nationalgeistes zu begleiten und sie in die Bahn zu weisen, in welcher sie dem gegenwärtigen Ziele des Czechentums: Verbreitung und Befestigung der Idee der Nationalität und Erweckung einer feurigen Liebe für dieselbe, förderlich sein kann. Neben den Blüten stehen die neugegründeten Monatsschriften: 2) „Vaterlandsfreund“ und 3) „Tagesstern;“ beide einer mehr ernsten Lektüre gewidmet, aber bisher ohne bestimmt ausgesprochene Haltung. Wissenschaftlich sind 4) „die Zeitschrift des böhmischen Museums,“ eine Quartalschrift gegenwärtig von Schafarik redigiert; hat die schönste und reinste böhmische Sprache. Für die Naturwissenschaften arbeitet: 5) „der Krok,“ eine in zwanglosen Heften erscheinende Zeitschrift, welche bereits seit einer Reihe von Jahren die allgemeinte Anerkennung genießt. Eine politische Zeitschrift: 6) „Prager Zeitung“ (Nowiny) wird zwar auch ausgegeben, hat aber weder Farbe noch Licht. 7) die „Biene“ ist ganz populär gehalten. In Brünn wird erst eine Zeitschrift vorbereitet; über die in Ungarn erscheinenden sprechen wir bei den Slowaken.

Neben der Journalistik hat sich auch eine hübsche Tätigkeit für die schöne Literatur entwickelt. Zu der Reihe der ausgezeichneten Dichter neben Kollar, Czlakowsky, Holy, sind in neuester Zeit zwei ungemein fähige und geistreiche Schriftsteller getreten: Rubesch in der scherzhaften und satirischen und Jablonsky Tupy in der ernsten, würdigen Dichtung; Sabina, Hajnisch u. a. stehen in zweiter Reihe.

Am sorgfältigsten wird noch die Erzählung gepflegt, Novellen und kleine Erzählungen erscheinen nicht bloß zahlreich in Zeitschriften und Almanachen, sondern auch in besonderen Bändchen. Des Originalen ist dabei wenig, das Meiste aus dem Deutschen und Englischen, auch Russischen und Polnischen übersetzt. Romane von ein und mehreren Bänden werden ebenfalls übersetzt und finden guten Abgang. Originalromane sind versprochen von Klicpera und Tyl; Letzterer ist unstreitig der beste Novellist und leistet. Ausgezeichnetes in diesem Fache.

Von den Wissenschaften werden Geschichte, Geographie, Ethnographie, Linguistik (Schafarik, Hanke, Palacky, Jungmann, Kollar, Czelakowsky, Schembera, Suschi) und die Naturwissenschaften (beide Presl, Staniek, Ammerling, Smetana, Sedlaczek) mit lohnendem Eifer betrieben. Im neuester Zeit hat auch die gewerbliche Literatur mehrere tüchtige Männer als Bearbeiter gefunden; Ammerling ist als böhmischer Lehrer an der „Sonntagsschule“ (Gewerbeschule) in Prag angestellt und sein „Gewerbebote“ sowie die von dem böhmischen Gewerbeverein in Prag herausgegebenen „Ökonomischen Blätter“ sind sehr gelesen.

Die böhmischen Schulen lassen im Allgemeinen noch gar Manches zu wünschen übrig. Auf der Universität und den zahlreichen Gymnasien ist seit Kaiser Joseph an die Stelle der lateinischen Sprache die deutsche getreten; auch in den Gewerbe- und den sogenannten Normal-Schulen“ (höheren Bürgerschulen) hat gesetzlich das Böhmische dem Deutschen weichen müssen. Selbst die Trivialschulen sind in den Städten und Ortschaften von gemischter Bevölkerung dem Gesetze gemäß deutsch. So ist das Böhmische nur in den Dorfschulen zu Hause, und wie diese beschaffen sein mögen, lässt sich leicht denken. Bis auf die wenigen, welche sich noch aus früheren, besseren Zeiten erhalten haben, sind sie insgesamt im elendsten Zustande, die Kinder lernen kaum das nötige Lesen und Rechnen; von Schreiben ist in vielen noch gar nicht die Rede (versteht sich so wenig als in den deutschen Dorfschulen), und wenn die Rekruten zum Regimente kommen, muss man fiel allemal erst schreiben, nicht selten sogar auch lesen lehren. Dass hierbei das Volk sehr zurückbleibt, ist natürlich. Erst in der neuesten Zeit, seitdem die jungen Geistlichen sich der nationellen Sache angenommen haben, scheint sich auch dieser Zustand verbessern zu wollen, und es gibt jetzt schon Gegenden, in welchen die böhmischen Dorfkinder unter Anleitung des Ortsgeistlichen eine recht zweckmäßige und umsichtige Erziehung empfangen. Und so sieht man denn auch hier, wie das erwachte Nationalbewusstsein selbst bis in die fernsten und untersten Kreise des Volkes feine segensreichen Wirkungen zu entfalten befähigt ist.

Auch in der Kunst sind die Böhmen nicht müßig geblieben, und obgleich sich hier die nationale Eigentümlichkeit weniger geltend zu machen pflegt, so zeigt doch der Umstand, dass böhmische Künstler gerade vaterländische Stoffe zum Vorwurf ihrer Schöpfungen zu nehmen sich angewöhnen, deutlich genug, wie auch in dieser Hinsicht das patriotische Gefühl nicht ohne bestimmenden Einfluss bleibt. Böhmische Landschaften, Szenen aus der heimatlichen Geschichte und dem Volksleben sind nicht selten Gegenstände recht gelungener Gemälde. Vor allem aber findet die böhmische Musik in der Neuzeit Anerkennung, wir meinen hier nicht jene edle Kunst, welche die sogenannten „böhmischen Musikanten“ (auch böhmische Studenten geheißen) ausüben, denn diese sind ausschließlich nur aus den Grenzdistrikten Böhmens, sondern wir sprechen von jener eigentümlichen, urpoetischen Musik des czechischen Volkes, wie sie sich in feinen Liedern und in nicht wenigen alten Kirchengesängen, besonders aus den Zeiten der Hussiten offenbaret. Seitdem nun diese zaubervollen Melodien aus dem Schutte der Zeit ausgegraben wurden, früher von Rittersberg, in unsern Tagen wieder von Erben (eine schöne Sammlung der ächten, alten Volksmelodien, welche heftweise von J. Hoffmanns Musikalienhandlung in Prag ausgegeben werden); seitdem fangen sie wieder an, die böhmische Jugend bei ihren Zusammenkünften und gesellschaftlichen Vergnügungen zu entzücken und für ihre Nationalität zu begeistern.

Noch glücklicher hat sich das böhmische Theaterwesen entfaltet. Bereits im ersten Dezennium unseres Jahrhunderts wurden von einigen Freunden des Czechentums in Prag einzelne theatralische Vorstellungen in böhmischer Sprache gegeben. Und da bei der steigenden Teilnahme des böhmischen Volkes an diesen Schauspielen allmählich eine festere Konsistenz und ein glücklicherer Fortgang in dieses Unternehmen kam, so entschloss sich endlich der städtische Ausschuss für das Theaterwesen der Behörde den Vorschlag zu machen, dass auch an dem Stadttheater Prags böhmische Vorstellungen gegeben würden. Der Vorschlag ward gebilligt und so entstand ein böhmisches Theater, das alle Sonn- und Feiertage, Nachmittags vor der deutschen Vorstellung, also zwischen 4– 6 Uhr, allerhand Schauspiele in böhmischer Sprache gibt. Stiepanek ist Direktor desselben; er hat bereits auch eine Masse von Schau- und Lust-Spielen aus dem Deutschen ins Böhmische übersetzt oder für seine Bühne bearbeitet; doch wirft man feinen Stücken eine ungemeine Flüchtigkeit in der Arbeit, schlechte Ausdrucksweise und dergleichen vor und lobt dagegen die Stücke von (Prof.) Klicpera, welcher ebenfalls sehr viel geschrieben hat, fiel auch drucken ließ. Das beste Lustspiel sollen die „Freier“ von Machaczek sein; mit dem Trauerspiel will man aber bisher nicht aufkommen. Opern wurden aus dem Deutschen und Italienischen übersetzt von Stiepanek, Machaczek und Swoboda (der auch Opern ins Deutsche übersetzt) und fanden eine sehr günstige Aufnahme; eine Original-Oper von Chmelensky, Musik von Skraup, gefiel weniger. Im neuester Zeit hat sich das Prager Theater ungemein gebessert, besonders seitdem sich Tyl, der auch unter dem Namen Skalny selbst auftritt, mit vorzüglichem Eifer desselben angenommen; seine Bearbeitungen fremder Stücke füllen immer das Haus; nur sagt man, Stiepanek fürchte eine Nebenbuhlerschaft und lasse ihn daher wenig aufkommen. Die beliebteste Schauspielerin ist ein Frl. Manetinska.

Von Prag aus hat sich das Schauspiel nach den Provinzialstädten Böhmens, Mährens und selbst Nordungarns ausgebreitet und ist auf diese Weise das beliebteste, das beste und wirksamste Mittel zur Verbreitung des czechischen Nationalsinnes in den gedachten Gegenden geworden. In allen böhmischen Kreisstädten und den größeren Landstädten findet man stehende Gesellschaften von Dilettanten, welche nicht nur beigewissen Gelegenheiten, wie z. B. zur Unterstützung einer durch Brand, Überschwemmung und dergleichen verunglückten Stadt oder Gegend, oder bei des Kaisers Namens- oder Geburts-Feste usw., sondern nicht selten auch wie eine stehende Truppe zu festgesetzten Zeiten böhmische Dramen aufführen. Dass dabei die heimischen Themata die beliebtesten sind, versteht sich von selbst, auch vergißsst man dabei nie das prachtvolle österreichische Nationallied: ?Gott erhalte unsern Kaiser“ (in böhmischer Sprache) und einige andere patriotische Lieder zum Danke dem Monarchen zu singen, unter dessen Schutz man solche vergnügte Stunden genießen kann,
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Slawen, Russen, Germanen.