Sklavenfang in Afrika.

Brutale Sklavenjagd im Territorium der Denka, nach eigenen Anschauungen.
Autor: Hartmann, R., Erscheinungsjahr: 1872
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Über die brutalen Sklavenjagden der Europäer und Ägypter in Ost-Sudan ist schon Vieles geschrieben worden. Weniger bekannt sind die Raubzüge der im „Lande der Schwarzen“ hausenden braunen Nomaden islamitischer Religion gegen ihre heidnischen Nachbarn, die Neger.

Versetzen wir uns einmal in die Steppen Sennaars unter einen Stamm Beduinen, dessen Duar oder Zeltenlager eben eine Abteilung Dromedarreiter entsendet, um aus dem benachbarten Territorium der Denka-Neger Sklaven zu holen. Unsere Schilderung beruht auf eigenen Anschauungen.

Der Gum, d. h. die Streifpartei, gegen vierzig bis fünfzig Mann stark, besteigt seine großen, klapperdürren, eckig geformten Dromedare. Manchem Teilnehmer gewährt ein Holzsattel mit gespreizten Sitzbrettern Halt, eine Überlegdecke von Schaf- oder Ziegenfell kann Nachts zur Lagerstätte dienen. Andere entbehren dieses Gerätes und halten sich nur durch den Schluss ihrer hageren, aber nervigen Schenkel auf dem blanken Buckel des Reittiers fest. An der Sattelbeuge Einiger hängen ein paar Lederschläuche voll Wasser oder voll Lebensmittel, als Christdornfrüchte, Sirchkorn, trockenes Fleisch, vielleicht ein halbes Dutzend Zwiebeln. Selten gönnt man sich die Mitnahme eines Kuhhorns voll Brodwürze, welche letztere, aus Salz, Kümmel und rotem Pfeffer bestehend, dem übrigen Essen beigemengt wird.

Den Gum umdrängen die Mitglieder des Stammes. Die Dromedare brüllen und gurgeln. Weiber heben ihre Kleinen empor zu den Reitern, mancher Vater herzt innig sein Bübchen oder Mägdlein. Dirnen in der Blüte ihres Wachstums, den schlanken Leib mit dem Franzengurte geschmückt, wechseln zärtliche Blicke mit jüngeren Kriegern. Ein greiser Beduine, halb blind, von der Jahre Last gebeugt, streckt die Knochenhände empor und rezitiert Koranverse. Tiefernstes „Gefällt’s Gott“ antwortet aus dem Munde der Mannen. Unter dem schrillenden Abschiedsgekreisch der Weiber setzt sich der Gum in Bewegung. Ein Mitglied des letzteren improvisiert in Molltönen ein arabisches melancholisches Liedchen auf irgend einen berühmten Häuptling, auf Weiberschönheit, Löwenstärke, oder auf den bevorstehenden Raubzug. Die Übrigen heulen die letzten Strophen als Chor in langsam verschwellenden Cadenzen nach. Ihren Blicken entschwinden allmählich die Mattenzelte des Duar hinter den Riesenhalmen des Steppengrases, den Büschen der Akazien und Kappern.

Ohne Aufhören geht es vorwärts. Die Freibeuter gönnen sich nur wenig Ruhe, sie vermeiden es sogar, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, bei Nacht Feuer anzumachen. Die Dromedare werden beim Lagern an den Schenkeln gefesselt. Ein Teil der Krieger bettet sich, das meist einzige Kleidungsstück, eine Ferda oder Baumwolltuch um den wohlgefetteten Körper wickelnd, auf die Erde mitten ins Dickicht, Andere halten ringsum Wacht. Die Räuber sprechen nur wenig und leise Miteinander, in einem selbst dem geübten Kenner arabischer Mundart schwer verständlichen Rothwelsch, sie essen das Notdürftigste roh und spülen die frugale Speise mit einigen Schluck trüben Lehmwassers hinunter.

Nach angestrengter Reise querlandein, in der Richtung nach dem Weißen Flusse zu, haben sie sich einem vereinzelt liegenden Dorfe der Denka-Neger genähert, Da erstreckt sich die Niederlassung, ein Bild des Friedens, runde Strohhäuser mit kegelförmigen Dächern, sauber geputzt, von Dornzweigen umzäunt im Schatten von Feigen- oder Affenbrodbäumen, Akazien und Fächerpalmen. Am Fuße des Örtchens breitet sich die Niederung des gewaltigen Stromes aus. Ist es Frühling, so nistet der niedliche Abdimstorch in den Dorfbäumen und auf den Hüttendächern. Leuchtet noch die Sonne, so bleibt der Gum im Dickicht versteckt. Sobald aber das Tagesgestirn untergeht, entledigen sich ein Paar junger Krieger ihrer Ferdas und schleichen sich mit der Vorsicht vollendeter Kundschafter durch das wilde Gestrüpp, um die dem Untergange geweihte Ortschaft auszuspähen.

Die Nacht bricht an. Das Sternenheer funkelt und glitzert in einem uns Nordländern unbekannten Glanze vom Himmel herab. Hyäne und das Windspiel der Neger wetteifern miteinander in Heulen und Bellen. Ziegenmelker schnurren, Fledermäuse zwitschern, Heimchen zirpen. Im Negerdorfe ruht man. Selten noch dringen einzelne menschliche Laute murmelnd aus dieser oder jener Hütte hervor. Dann verstummen auch diese. Die Späher statten Bericht über ihre Wahrnehmungen ab. Der Angriff wird für den kommenden Frühmorgen angesetzt. Man ist übrigens unter den Räubern einstweilen nicht müßig gewesen. Man hat die Ferdas knapp umgegürtet, die Schneiden der langklingigen Schwerter mit Kreuzgriff, die am Ellenbogen befestigten kurzen Dolche befühlt, etliche Schebas oder Sklavengabeln sind zurechtgeschnitten worden. Letztere sind Baumäste mit gabelförmiger Endverzweigung, welche mittelst Lederstricken oder aus Bast, auch Dompalmfasern gedrehter Schnur dem Gefangenen um den Hals geschnürt werden sollen.

Eine kurze Rast gönnt sich noch jeder Nomade. Dann wird mit andächtigem „im Namen Gottes, des Gnädigen und Barmherzigen“ aufgesessen. Der Morgen dämmert bereits herein, wenn die Schar gegen das Denkadorf vorreitet.

Die Hunde schlagen an, die Ziegen mit Schlappohren meckern, die zottigbehaarten Schafe blöken, die scheckigen Buckelrinder schauen verdutzt nach der Richtung, in welcher das Gras und Gestrüpp unter den Hufen der Dromedare knacken. Von schnalzenden Lauten ihrer Reiter angefeuert, überspringen die „Schiffe der Wüste“ die niedrigen Dornenzäune und stürmen in plumpen Sätzen mitten in die unregelmäßigen Dorfgassen hinein. Kreischendes und donnerndes „La illaha ill’ Allah u Mohamed Rasul illah, jachu jachu jachuje“ (es ist kein Gott außer Gott und Mohamed sein Prophet, Hallo etc.) ertönt von den Lippen der Angreifer. Entsetzt brechen die nackten spindeldürren Bewohner aus den Hütten heraus, das wuchtige Schwert saust auf ihre kahlgeschorenen Köpfe, ihre eckigen Schultern nieder. Jung und Alt fällt anfänglich unter den Streichen der mordgierigen Nomaden; in der wilden Brutalität erster Aufregung schont man selbst des zarten Kindleins nicht. Allmählich aber verfährt man wählerischer und sucht bloß die sich Wehrenden zu vernichten.

Nur einige der Schwarzen haben Besinnung und Zeit gewonnen, nach ihren Lanzen, Keulen oder Stecken zu greifen. Sie leisten wohl mit Wurf, Stoß und Hieb, mit Händen, Zähnen und Fußknöcheln Gegenwehr. Glatt wie Aale und mutig wie Löwen werfen sie sich ihren Angreifern entgegen. Einigen gelingt es, durch lautes Aneinanderklimpern mit ihren eisernen Armreifen das Dromedar eines Räubers scheu zu machen, nun wird dieser umzingelt, vom Wurf des Speeres erreicht, durchstochen, herabgerissen, erwürgt, zerdrückt, zertreten. Da noch Einer, vielleicht noch Andere.

Doch nicht lange dauert die Verteidigung. Das Dorf ist binnen wenigen Minuten genommen. Unter dem bestürzt hierhin-, dorthinlaufenden und flatternden Vieh, unter den zuckenden, bluttriefenden Körpern der zerstochenen und zerhauenen Ihren, beugen die noch überlebenden Neger sich nieder und betteln mit jämmerlich krächzendem „Ben lok lok!“ (Herr, Friede!) um ihr armseliges Dasein. Man sitzt ab, bindet sie, bindet auch die schreienden Frauen und Kinder. Eine Anzahl der Banditen treibt das Vieh zusammen, Andere dringen in die Hütten, stoßen die Asche der verglimmenden Feuer auseinander, blasen noch glimmende Kohlen an und setzen das Dorf in Brand. Die bisher in den Hütten versteckt gebliebenen Schwarzen eilen zwar ins Freie, werden aber bald ergriffen, gefangen oder – niedergemetzelt.

Die Sonne geht auf. Ihre Frühstrahlen werden von dem aufsteigenden Qualm der brennenden Niederlassung verdunkelt. Sprühende Flammen züngeln an Dächern und Wänden auf und ab. Knallend zerspringen die luftgefüllten Halme der strohernen Hüttenbekleidung, ängstlich umflattert der Storch sein bedrohtes Nest. –

Die Gefangenen werden, zu zwei und zwei, mit der Sklavengabel belastet, Stämmigere auch wohl mit Strickwerk unmittelbar an die Dromedare gefesselt. Man bricht auf. Ehe noch der Feuerschein, ehe noch die wenigen dem Blutbad Entwischten umliegende Dörfer von dem Überfalle benachrichtigt, hat das Raubgesindel samt seinen Opfern bereits einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen. Aus knisternden, zusammengesunkenen und mattglimmenden Kohlenhaufen emporschweelende Rauchsäulen, verstümmelte Leichen und Blutlachen erzählen wenige Stunden später vom Dasein des gestern noch so blühenden Örtchens.

Gebeugten Hauptes, wankenden Schrittes, die blutenden Füße mit schmerzlichen Gesichtsverzerrungen auf- und niedersetzend, die trockenen gesprungenen Lippen mit der noch trockneren Zunge beleckend, bewegen sich die erwachsenen Gefangenen unter dem Gewicht der Gabeln vorwärts. Junge Mädchen und kleine Kinder hinken, die Hände zusammengebunden, nebenher. Die vom Kamelsattel abgehängte Karbatsche aus Nilpferdhaut klatscht auf die nackten, blutig bestriemten Rücken der Opfer hernieder; grollendes „Marsch, marsch, Ihr verdammten Heiden, Ihr Söhne von Hunden, Ihr Enkel von Hyänen, Ratten und Krokodilen, vorwärts, marsch,“ gellt den Ärmsten in die Ohren, treibt sie zur letzten Kraftanstrengung. Hier und da sinkt der Unglücklichen einer, von Kummer, Müdigkeit, Hunger und Durst überwältigt, zu Boden; höhnend antwortet ihm sein Feind, wenn er in jammernden Gaumenlauten sein: „Wehe, Herr, ich leide Schmerzen!“ von sich stößt. Zuweilen zwar erwärmt sich selbst das Eisenherz eines Nomaden beim Anblick solchen Elendes, dieser nimmt einmal eine Dirne, jener ein Kind zu sich aufs Dromedar oder unterstützt, zu Fuß wandernd, einen Halbohnmächtigen, einen schwachen Greis, wie denn Letzterer als Zauberkoch und Hexendoktor schon mitgefangen und aufbewahrt wird. Rohes Sirchkorn, vielleicht etwas Waldfrucht und lauliches Schmutzwasser bilden nunmehr die einzige Erquickung des Siegers sowohl wie auch des Besiegten. Am wohlsten fühlt sich noch das erbeutete Vieh, denn mit dem diesen prächtigen treuen Hausgenossen des Schwarzen eigenen gemütlichen Humor laufen Hund und Rind, Schaf und Ziege bellend, brüllend, blökend, meckernd und gelegentlich Gras abweidend, ihren Weg mit Freund und Feind.

Endlich wird das Duar erreicht. Laut und freudig erschallt schon aus dem Innern das gellende Willkommen der Weiber, laut ertönen die Segenssprüche, die Willkommenrufe der männlichen Stammgenossen. Nun suchen auch Augen mit wilder Sehnsucht Angehörige, sie erschauen aber nur Kamele, entweder leer oder – wenn der Weg nicht zu lang – große mit blutfleckigen Ferdas umschlungene Pakete tragend, Pakete, aus denen ekliger Totengeruch hervordringt und über denen Milane und Aasgeier kreisen. Es sind die Körper der beim Überfall getöteten Nomaden. Da bricht denn lautes Klaggeschrei aus und „o mein Häuptling, o mein Herr, o Löwe, o Panther, o Stier, o Kamel meines Hauses!“ schallt es ohne Aufhören heulend, plärrend und wimmernd in die stille Steppe hinaus, bis das Grab die gefallenen „Helden“ umfängt. Die wilden Kriegsleute schwingen sich von den Dromedaren, werfen das Lockenhaar zurück, herzen ihre Kleinen wechseln Handkuss und traute Reden mit den Eltern, Geschwistern verliebte Worte mit ihren Mägdelein, welche wohl züchtig errötend die Zipfel eines schmutzigen Umhängetuches vor das Antlitz ziehen. Die vor Kurzem noch entmenschten Beduinen werden wieder zu Menschen. Sie lösen die Fesseln ihrer Gefangenen, streichen, ölen oder schröpfen die geschwollenen Glieder derselben, teilen ihnen von ihrer dürftigen Mahlzeit mit und verschachern dann unter sich die ganze schwarze Beute. Entweder nun bleiben die geraubten Denka Knechte ihrer Sieger oder sie werden an durchziehende Händler verkauft, um vielleicht als Verschnittene, auch als einfache Diener, in die Harems von ägyptischen und türkischen Herren zu wandern oder als Soldaten in die Monturen gesteckt zu werden. Immer erwartet sie dann ein günstigeres Loos, als die rohe und rücksichtslose Behandlung bei ihrer Einfangung und beim Transport zum Duar erwarten ließ. Denn der Sklave ist im Orient mehr ein Kind im Hause, der Soldat in Ägypten ist nicht zum Schlimmsten daran.

Lasst nun die Reiter auf abyssinischen Pferden sitzen, statt der langen Locken feine Haarzöpfe, statt der Ferdas weitärmlige Hemden tragen, statt des Schwertes eine Lanze führen, so habt Ihr die Bagara-Beduinen, welche in ganz ähnlicher Weise die Schillukneger des weißen Nil bekämpfen und berauben, Neger, die den Denka übrigens sehr nahe stehen.

R. Hartmann.