VI. Cherson

Wir aber wenden uns noch einmal nach Cherson zurück: denn so wurde seit dem Ende des 2. Jahrh. n. Ch. Das alte Chersonesos gewöhnlich genannt. Die Kaiser von Byzanz legten einen hohen Wert auf ein freundliches Verhältnis zu dieser Stadt und Cherson hielt trotz aller Gefahren, die es häufig für die griechischen Kaiser gegen die andrängenden Barbaren bestand, trotz der schrecklichen Heimsuchung, die der grausame Kaiser Justitianus II. Rhinotmetus zu Anfang des 8. Jahrh. über dasselbe verhängte 1), fest an der Verbindung mit Byzanz. Schon zu Anfang des 4. Jahrhunderts hatte Cherson das Christentum angenommen 2) und war der Sitz eines Bischoffs. Diesem wurde die Ehre zu Teil am Ende des 10. Jahrhunderts den mächtigen Russenfürsten Wladimir zu taufen.

Im Laufe des 9. Jahrh. hatten Fürsten aus dem schwedischen Volksstamme der Ros in Nowgorod ein Reich gegründet, eroberten von da aus Kiew und zogen dann mit zahlreichen Schiffen und Scharen von nordischen Warägern und Slawen nach dem Schwarzen Meere bis Konstantinopel. 980 hatte sich Wladimir Swätoslawitsch dieses Reiches bemächtigt und zog 988 mit gewaltigem Heere gegen Cherson, dessen Reichtum und Handel ihn reizten. Tapfer verteidigten sich die Belagerten und hielten trotz der Drohung Wladimirs, dass er, wenn es nötig sei, drei Jahre vor der Stadt liegen bleiben werde, standhaft aus; die Erde, durch welche Wladimir am Tage die Gräben auszufüllen strebte, trugen sie Nachts durch angelegte Minen auf den Marktplatz Aber ein Priester Anastasius sandte Wladimir durch einen Pfeil die Weisung zu, die Wasserleitung, die den Chersonesern unentbehrlich sei, zu zerstören. Dieses tat Wladimir und die Stadt musste sich ergeben. Jetzt sandte Wladimir an die Kaiser in Byzanz, Basilius II. und Konstantinus, die Forderung, ihm ihre Schwester Anna zur Gemahlin zu geben. Diese willigten unter der Bedingung ein, dass Wladimir sich taufen lasse. Wladimir nahm die Bedingung an und in der Kirche der h. Mutter Gottes auf dem Marktplatz zu Cherson, deren Trümmer in dem jetzigen Kampfe vollends zerstört worden sind, wurde in Gegenwart seiner Braut, der griechischen Kaisertochter Anna, die heilige Handlung vollzogen. Er gab die Stadt frei, schloss mit den griechischen Kaisern ein Bündnis und begann nach seiner Rückkehr nach Kiew in seinem Reiche, welches den größten Teil den jetzigen europäischen Russland umfasste, das Christentum einzuführen. 1)


Von Cherson hatte er aus einem Tempel, wahrscheinlich des h. Basil, die Türen von korinthischem Erze mitgenommen, die unter dem Namen der Korsunschen bekannt, lange Zeit in Kiew eine Kirche schmückten, bis sie Boleslaw II. von Polen als Siegeszeichen mit sich hinwegnahm und nach Gnesen brachte, wo die Kathedrale mit ihnen geziert wurde. 2)

Cherson erhielt sich noch einige Jahrhunderte in ziemlicher Blüte, selbst neben den Genuesen, bis es durch den damals noch heidnischen Ol'gerd von Litauen 1363 gänzlich zerstört wurde. 3) Aber die Trümmer, die noch bei der Besitznahme der Krim durch die Russen ziemlich bedeutend waren, sind seit dieser Zeit ganz unscheinbar geworden, indem man alles brauchbare Material nach und nach zur Erbauung und Vergrößerung von Sebastópol wegführte. 4)
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus der Geschichte der Krim