Von christlicher Liebe und der Juden Emanzipation

Lübeck ist, außer Bremen, vielleicht die einzige Stadt Deutschlands, in welcher Israel keine Zuflucht innerhalb der Mauern und des Weichbildes findet. Es ist traurig, dass in zwei freien Städten so viel mittelalterliche Gesinnung herrscht. Man fürchtet für den Handel und kann sich nicht zum Lichte erheben. Lübeck hat Israeln das Dorf Moisling zum Wohnort angewiesen und an den Ufern der Stekenitz, in der dortigen Juden-Kolonie, jenes Denkmal der Intoleranz errichtet, oder vielmehr der Ungerechtigkeit, welches unsere humane Zeit notwendig mit Grauen erfüllen muss. Ich weiß es wohl, die kleinlichen materiellen Grundlagen, auf welchen unsere deutschen Republiken ruhen, können keine große Last ertragen, und der Nächstenliebe sind hier von dem Egoismus enge Grenzen gezogen; aber man fühlt sich unheimlich, wenn man den Servilismus und die Juden-Hörigkeit als ein notwendiges Übel, zur Sicherung der Interessen christlicher Staatsbürger, predigen hört.

Die freien Bürger können sich nicht von alten Vorurteilen lossagen; es fehlt ihnen an Imagination, sich die Juden als Menschen zu denken. Sie haben nur den Trödelhandel, den Wucher vor Augen, wenn es sich um das Volk Israel handelt, eine Juden-Verbesserung durch eine Juden-Gleichstellung fällt ihnen nicht ein. Es ist sehr traurig, dass diese kleinen Freistaaten so wenig an eine innere Organisation denken, an eine Organisation der geistigen Interessen. Sie schleichen, mit der Freiheit beladen, die längst eine angesessene Bürgerin geworden und wenig mehr ihres himmlischen Ursprungs eingedenk ist, durch die Gegenwart, und die Stimme des Menschenrechts, sie mag nun im Kanonen-Donner sich hörbar machen, oder durch die Presse, reißt sie nicht aus der alten Behaglichkeit. Wollen sie einmal höher steigen, als es das Staatsrecht und die Politik gestatten, so hängen sich Haus und Hof ihrer Bewohner an den Geist, und die neuen Konstitutionen, die hier hervorgerufen werden, tragen sicherlich stets das Gepräge der Ichsucht.


Der Rat, die Bürgerschaft, die Kaufleute, die Schiffer, die Krämer und Detaillisten, Alle werden in der neuen Konstitution berücksichtigt werden, aber die Menschheit — sie darf keine Interessen in diesen Freistaaten in Anspruch nehmen, sie ist der einzige Knecht unter allen diesen Freien. In Lübeck darf jedoch — weiß Gott, aus welchem alten Rechtsgrunde — ein Jude innerhalb der Stadtmauern wohnen, und dieser eine Jude heißt — so viel ich weiß — in diesem Augenblick Stern. Er ist der einzige Stern, der den Juden in der langen Lübecker Nacht leuchtet, aber er hat, da er nur mit dem Gotte seiner Väter verkehrt und nicht mit der Diplomatik, wie der König Israels und der Beherrscher des Papierreichs, Anselm von Rothschild, keine magnetische Kraft, gleich diesem, und wird im Leben nicht Judäam von Moisling zu sich heran ziehen, nach Lübeck; in seinem Hause werden nur Betstunden gehalten und keine Staats-Anleihen kontrahiert. Das Geld, das eigentliche Motiv für die christliche Humanität, fehlt ihm. Dieser Stern, der Ehre teilhaftig, mit den Christen in einer Stadt wohnen zu dürfen, hat sich in der Tat, bei aller Verehrung des Talmud und bei allem Hass gegen das Schweinefleisch, wirklich bürgerlichen Grundsätzen genähert. Er glaubt an den Handel so fest, wie an Mosen und die Propheten, und da er in Keines der zwölf bürgerlichen Kollegien aufgenommen werden kann, so muss er sich mit dem Trödel und dem Erwerb behelfen, welchen ihm die christliche Liebe gestattet. Aber man sieht es dem Mann an, er würde sich gern einer christlichen Beschäftigung unterziehen, wenn man ihm nur den Weg dazu erschließen würde.

Liefern die Juden denn gar nicht den Beweis, dass sie Staatsbürger werden können? Ach! das ist wieder die alte Leier, auf welcher der Menschheit täglich aufgespielt wird, die man aller Orten hört und die einem zum Ekel wird, wie die Marseillaise in den deutschen Eichenhainen. Es bleibt Alles beim Alten, und wenn die Stande des konstitutionellen Hessens es endlich dahin gebracht haben, eine Juden-Emanzipation zu bewirken, so gehen die konstitutionellen Einwohner von Windecken, welches auch in Hessen liegt, so weit, den Juden ihrer Stadt, die, als freie Ortsbürger, den Stadtforst, gleich der windeckenschen Christenheit, benutzen wollen, mit Mord und Totschlag zu drohen und ihnen aus christlicher Liebe die Fenster einzuschlagen. Wo die Juden emanzipiert werden, da bekunden die Christen späterhin, dass sie im liberalen Taumel zu weit gegangen sind, dass sie die Juden zu früh emanzipiert haben aus dem dumpfen Kellerloche der Knechtschaft, dass sie zuvor ihre christlichen Herzen hätten emanzipieren sollen. Die Lübecker und Bremer sind deshalb vorsichtig und emanzipieren den greisen Knecht Israel nicht. Großer Gott! was tun die Bremer insonderheit nicht für die Aufklärung, für die Gleichheit! Nicht einmal die dortigen Doktoren, die cum laude promoti, sie, die sich, während drei Jahren, oder oft noch länger, in dem „Pandektenstall“ der Georgia Augusta für die Weisheit ausgerüstet haben, für die Advokatur, für die Arrha des hochlöblichen Obergerichts von zwei und einem halben Thaler, für die Termine, für die Konferenzen, für die Gutachten — nicht einmal diese Doktoren sollen anderen Bürgern vorgehen an Rang, Titel und Würden, sie sollen Menschen sein; und wenn jetzt ein Bauer in dem Untergerichte, auf die Aufforderung des Richters, einen Advokaten zu wählen, sich an die versammelten Herren Anwälte mit der Frage wenden würde: „so een Minsch?“ so würde Herr Dr. S. ... nicht antworten dürfen: „ich bin kein Mensch.“ Alles ist zum Menschen in Bremen gemacht worden, und was noch nicht Mensch ist wird durch die neue Konstitution Mensch werden; aber die Juden werden in Hastedt bleiben müssen, sie werden Juden bleiben müssen —, zum Besten des Staats, in salutem reipublicæ. Und das heiße ich weise gehandelt. Was würde es helfen, wenn die Bremer die Juden zu Ihresgleichen machten? Wer steht den Juden dafür, dass ihr Vieh neben dem christlichen Vieh aus der Bürger-Viehweide weiden dürfte? Könnten nicht wieder Unruhen, wie zur Zeit der Hundert und Vier, wegen dieser Viehweide hervorgerufen werden? Würde das christliche Vieh nicht vielleicht dem jüdischen entgegnen: die Gräfin Emma von Leesum, welche diese Viehweide, die man auch Bürgerweide heißt, und die durch diese Bezeichnung vor allen anderen Viehweiden hochgeehrt wird, an die Stadt Bremen schenkte, hat dabei nicht gedacht, dass einst jüdische Ochsen und Kühe hier grasen sollten? Wir christlichen Ochsen, deren Ahnen einst dem Verteidiger der Antwerpener Zitadelle Ehrfurcht einflößten, als er seine Holländer auf ihrem Gebiete in den Waffen übte, wir christlichen Ochsen verlangen die Schenkungs-Urkunde der Gräfin Emma von Leesum zu sehen. Ja, es würde für die Ruhe des Staats zu fürchten sein, wenn Bremen die Juden emanzipierte. Lübeck hat nun freilich nicht eine so ausgedehnte, schöne Viehweide, derentwegen sich Streitigkeiten erheben könnten, aber es hat das Hospital zum heiligen Geist, welches von Bertram Mornewech gestiftet wurde, einem frommen Handelsmann, der nur an christliche Bürger bei dieser Stiftung dachte. Man würde wirklich die Juden in Lübeck nirgends unterbringen können; allenthalben würde die christliche Liebe dabei in den Weg treten. Und die Moislinger Juden sind arm, wie die Hastedter; sie haben das Geld der Frankfurter nicht, sich Synagogen, Waisenhäuser und milde Stiftungen zu erbauen. Was sollte aus den Juden in Lübeck werden? Vielleicht würden Lübeck und Bremen humaner handeln, wenn die reichen Frankfurter, Berliner, Wiener, Münchener Juden Geld zu einer Juden-Viehweide, oder zu einem heiligen Geist-Hospital für Hastedt und Moisling hergäben. Daran liegt auch viel, dass jene, die sich die Ersten Israels nennen, die an die Stelle der alten Propheten getreten sind, sich mehr für Israel überhaupt interessieren, als solches bis jetzt geschehen ist. Nicht Gabriel Riesser allein kann Israel der bisherigen Hörigkeit entreißen, Worte genügen hier nicht, die Tat muss ihnen auf dem Fuße folgen.

Das Volk Israel muss unter einen Hut gebracht werden, und Rothschild hat ja Silber-Barren genug im Keller, um sie an die Emanzipation der Juden zu setzen. So viel ist nun einmal gewiss, die Christen werden denselben nie materielle Mittel an die Hände geben, ich meine Geld, damit sie eine andere materielle Bahn betreten können, Dr. Wirth hat früherhin einmal von einer deutschen Nationalbank und Gelddarlehen aus derselben auf persönlichen Kredit gesprochen. Eine jüdische Nationalbank würde der Emanzipation Israels dienen können; die christliche Religion würde ein Einsehen bekommen, man würde erkennen, dass die Juden Vertrauen zu sich selbst haben, man würde weniger von ihnen für den Staat fürchten, wenn dem Trödeljuden Mittel zu Gebote ständen, ein Gewerbe zu ergreifen und dem Staate zu dienen. Israel hat das Geld in Händen und dieses Geld hat Israel so mächtig gemacht in Deutschland. Der Adel, dieses alte Institut des Mittel-Alters, hat dem jüdischen Gelde nachgeben müssen; Deutschland hat jüdische Freiherren und Barone erlebt, jüdische Ritter, Alles des Geldes wegen. Wenn Deutschland eine jüdische Nationalbank erlebte, so würden die jetzigen Juden sicherlich nicht vor der Emanzipation sterben. Und was ist den Juden, die Fürsten und Völker in den Händen haben, leichter, als eine Nationalbank zu gründen? Ich glaube es nicht, dass dieselbe jemals, bei allen möglichen Unfällen, bankrott machen kann, wenn Israel ihr nur einen Anteil an dem Papierhandel einräumt, durch welchen es die Welt beherrscht. Mein Vorschlag wäre in der Tat von Israel zu beherzigen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus den Hansa-Städten