Lübecks Sinn für geistige Interessen

Würde man sagen, Literatur, Kunst und Poesie würden in Lübeck mit Eifer gehegt und gepflegt, man behauptete zu viel; denn Lübeck ist eine Handelsstadt, die allerdings dem Wollmarkt und der Dampfschifffahrt mehr vertraut, als den Musen. Aber der Sinn für geistige Interessen ist in Lübeck zu Hause, mehr als in Frankfurt, mehr als in Bremen, wenn auch weniger, als in Hamburg, wo wirklich ein reger, wissenschaftlicher Verkehr statt findet.

Wenn in Bremen und Frankfurt, welche Städte — die Eine Wohlhabenheit, die andere Reichtum genug — besitzen, um den Musen ein Asyl bieten zu können, nur Einzelne den Wissenschaften und Künsten dienen, die Bevölkerung dagegen mehr dem Tabak- und Papierhandel zugetan ist, so kann man von Lübeck behaupten, dass sich hier die Gesamtheit für Literatur, Kunst und Poesie interessiert; es fehlt nur die Seele des Lebens, jene geistige Quelle, die den Interessen stets neue Nahrung gibt, es fehlt an Repräsentanten der Kunst, der Wissenschaft, der Poesie; denn die Stadt-Bibliothek zu Katharinen ist ein totes Institut, die Kunstschätze der Kirchen sprechen keine lebendigen Worte, welche Leuten, die sich den ganzen Tag hindurch im Materialismus des Lebens umhertreiben müssen, durchaus Not tun, will man sie zu kräftigem Streben für geistige Bedürfnisse enthusiasmieren.


Aber eben weil Lübeck von seinem hohen reichen Standpunkte herunter gestiegen ist, weil es mehr auf sich selbst angewiesen ist, weil es in sich gekehrt, nachdenkend dasteht und nicht durch übermäßiges Handelsgeräusch betäubt wird, weil es von der Hand in den Mund lebt und zu weitaussehenden Spekulationen keine Gelegenheit hat, deshalb mag es wohl kommen, dass es ein offenes Ohr für andere Dinge hat, die nicht im Bereiche des materiellen Verkehrs liegen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus den Hansa-Städten