Lübecks Lage ist die bescheidenste von der Welt

Lübecks Lage ist die bescheidenste von der Welt. Die alte, einst so mächtige Hansestadt, die ehemalige Beherrscherin der Ostsee liegt an der Trave und Wakenitz. Der letztere Fluss ist ein Nebenfluss, welcher der Trave zuströmt. Nur diese wirft sich zwei Meilen unterhalb Lübeck, bei Travemünde, an das Mutterherz der Ostsee, nachdem sie tief in Holstein, zwischen Gieselrade und Sarau, ihre Quelle gefunden hat. Sie ist gerade bei Lübeck so breit, dass man bequem mit einem Stein hinüber werfen kann, aber tief genug, um großen Schiffen einen Ankerplatz im Angesichte der Stadt zu bieten. Ein kleiner, untersetzter, kräftiger Fluss schreitet sie ruhigen Sinnes einher; doch war sie vor Zeiten ein David, dem riesigen Flusse Elbe gegenüber. Die Trave sah Lübeck in der Wiege, im Jünglings-, im Mannes - Alter; mächtige Flotten sandte sie aus gen Dänemark und Schweden. An ihren stillen Ufern erblühte die Hansa; sie legte den Grundstein zu der Herrschaft der Letzteren über die Meere. Jetzt schmiegt sie sich sanft und traulich an den entthronten Greis und will mit ihm ausharren bis an das Ende seiner Tage. Die Trave ist, ein treuer Fluss; sie wird, wie jener treue Hund, einst das Grab ihres Herrn bewachen. Ihre Ufer sind von freundlichem Grün, von Forst und Wald umkränzt, und nachdem sie sich lange einfach und demütig durch sie hingewunden, öffnet sie nun mit einem Male, beim Anblick des weiten Ozeans mächtig und ausgebreitet ihre Arme und sinkt an das Mutterherz der alten Ostsee, der sie die Liebste ist, von allen Töchtern und Söhnen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus den Hansa-Städten