Lübecks Journalistik

Aber es fehlt — wie gesagt — in Lübeck an tatkräftigen Geistern, die die Augen des Volks zu richten verstehen, und somit trifft man denn daselbst kein tatkräftiges geistiges Leben. Lübeck begnügt sich mit dem, was ihm von Außen zuströmt, mit der Preußischen Staatszeitung, dem Hamburger Korrespondenten, der Börsenhalle, den Times, Journal des Debats, Journal dü Commerce, mit den belletristischen Blättern Hamburgs, und das einzige eingeborene Journal sind die Lübeckischen Anzeigen, weiche ein Buchdrucker, Borchers, redigiert, und welche vom Materialismus leben, von den täglichen Bedürfnissen der Lübecker, von gerichtlichen Bekanntmachungen, der Mode, Kapern, Oliven, Apfelsinen, Kaviar u. s. w.

Dann und wann verliert sich auch die Kunst hinein, vorzüglich die dramatische, wenn dieser, oder jener Schauspieler sein Benefiz empfehlen lässt, oder „mehre Theaterfreunde“ dies oder jenes Stück verlangen. Die Nähe Hamburgs, das so reichhaltig an Journalistik ist, macht wohl hauptsächlich eine einheimische Journalistik überflüssig. Die Politik erhält man von dort aus der ersten Hand, brühwarm, und auch die Literatur des Tages wird in den vielen belletristischen Blättern Hamburgs mit. Umsicht aufgestellt; insonderheit gewähren die „literarischen Blätter der Börsenhalle“ eine reiche Ausbeute französischer und englischer Novitäten.


Also man braucht sich in Lübeck nicht zu behelfen; man hat Hamburg und hält es durchaus nicht für notwendig, sich etwas Apartes beizulegen. Letzteres könnte auch schon aus dem Grunde wenig Glück machen, weil der Lübecker Journalistik keineswegs die reichhaltigen Quellen zu Gebote stehen würden, wie der Hamburger, und sie deshalb doch am Ende nur eine Auswahl aus dieser reichen müsste. Zu bedauern ist es übrigens, dass die Hamburger Winkelblätter: „Beobachter“, „Neuigkeitsträger“ u. s. w., einen so festen Fuß in Lübeck gefasst haben, und besonders die Interessen der Mittelklasse auf sich ziehen. Man findet sie allenthalben, und sie sind als wahre dii minorum gentium zu betrachten, welche durch ihre ruchlosen Tages-Klatschereien den nachteiligsten Einfluss auf den Geist und die Denkweise des Volks ausüben. Diese Hamburger Winkelblätter und das dänische Zahlen-Lotto tragen nicht wenig zur Demoralisierung der niederen Volksklassen bei.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus den Hansa-Städten