Lübecks Inneres - Modernität mit der Bauart früherer Jahrhunderte

Lübecks Inneres ist eine Zusammensetzung der Modernität mit der Bauart früherer Jahrhunderte, ein Mancherlei aus der Zeit gotischer Kunst, aus der Zeit der gemischten Bauart, der Unregelmäßigkeit und Bequemlichkeit und endlich aus unserer modigen, eleganten, fashionablen Periode. Die Bauten früherer Jahrhunderte, mit ihren der Straße zugewendeten Giebeln, solid und einfach, gleichen auf ein Haar den alten reichsstädtischen Patriziern in ihrer steifen Amtstracht, wie sie so häufig in den Kirchengemälden Lübecks vorkommen, im Vorgrunde derselben kniend, mit gefalteten Händen, von ihrer ganzen männlichen Nachkommenschaft umgeben, die in derselben Stellung verharrt und mit dem Vater die Blicke entweder ängstlich nach der Schädelstätte im Hintergrunde, oder nach der heiligen Jungfrau, oder nach irgend sonst etwas Heiligem wendet. Jene Bauten treten Einem in allen Stadtteilen entgegen und zeugen für die Einfachheit der alten Reichs - und Hansestadt, die am wenigsten unter allen ihren Schwestern von der Neuerungssucht gelitten hat. Zwischen ihnen erheben sich Häuser, die nach der Mode gerungen haben, ohne die alte Amtstracht, aufzugeben. Es ist in ihnen eine Mischung von Altem und Neuem, und man sieht es ihnen an, der Erbauer hat die innere Bequemlichkeit, den großen Hausflur und den freundlichen Erker nicht der schlanken Taille der Modernität opfern wollen. Sie gleichen den Schönen, in der reifröckigen steifen Kleidung früherer Zeit mit modernen Schawls, mit Hauben von Paris und Federhüten, aber ihr Fuß trägt den Schuh mit hohen Absätzen. Andere Häuser, und deren gibt es wenige, treten in der eleganten Kleidung unseres Jahrhunderts, en chapeau bas und escarpins auf und sehen recht vornehm auf die alte ehrenfeste Zeit, rings um sie herum, hernieder. Lübeck liegt so ziemlich am Ende der Mode; sie hat sich nur hin und wieder Hierher verloren, und einige Angesehene, welche über Hamburg, das Eldorado der Lübecker hinausgekommen sind und die Taunus-Bäder und Italien besucht haben, haben ihr in ihren Gebäuden Altäre errichtet. So liegt z. B. am Paradeplatz sogar eine portugiesische Villa, die ohne stolzen Baues zu sein, durch ihre einfache Anmut grellend kontrastiert, mit der steinernen steifen Bequemlichkeit ihrer Umgebung.

Es gibt keine Stadt in Deutschland, in welcher der alte reichsstädtische Charakter, der, nächst Gott, Haus und Hof verehrte und auf die Familie hielt, so scharf in den Gebäuden ausgeprägt ist, wie in Lübeck. Die Ehrfurcht vor der Kirche spricht sich in der ehrwürdigen, reichen Pracht aus, mit welcher man dieselbe umhangen hat, und die von den Altären und Wänden der Tempel herniederglänzt, von den schlanken, stolzen Türmen herab weit in das Land hineinschaut; der Sinn für Häuslichkeit und Familienleben aber, wie die bürgerliche Tugend, die Lübeck einst so mächtig machte, wird durch die schmucklosen, bequemlichen Gebäude angedeutet, aus welchen die Stadt zusammengesetzt ist. Schwerlich wird sich dieselbe jemals zur Eleganz erheben. Wer ein altes Gebäude niederreißt, darf, nach dem Gesetz, ein neues in derselben unregelmäßigen Weise des frühern wieder errichten, und somit werden die Erker und alle jene altertümlichen Behaglichkeiten der Häuser wahrscheinlich ein hohes Alter erreichen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus den Hansa-Städten