Israelsdorf — da wird man an eine Juden-Kolonie denken

Israelsdorf — da wird man an eine Juden-Kolonie denken. O nein! es ist ein christliches Dorf, in einem christlichen Hölzchen mit christlichen Gastwirten, ein freundliches, humanes Dorf, von Eichen und Buchen umkränzt, der lieblichste Vergnügungsort der Lübecker, und ich kann es nicht angeben, woher man den Namen entnommen.

Die Lübecker passen gar wohl zu dem bunten, duftigen Grün, sie sind licht und lebensfroh, und man stößt hier nirgends auf die langen steifen Laternenpfahl-Physiognomieen, wie sie Bremen aufzuweisen hat, die über Kaffee und Tee, über Strickstrümpfe und Bremer Zigarren nie und nimmer an den lieben Gott in der Natur denken. Die Lübecker genießen mit Anmut die Gaben, welche jene ihnen reicht, es ist Frühling in ihnen, wenn sie im Israelsdorfer Holz sind, auf den Fischerbuden, in Travemünde. Sie besitzen die Grazie der Sozialität, und der Sonntag ist ihnen kein schwerer Seufzer nach vollbrachter Arbeit, bei welchem sie schon wieder des morgenden Tages gedenken. Blank und hell, geschmückt und freudeumglänzt stellt sich ein lübeckischer Sonntag dar; man sieht es den Lübeckern an, sie würden sich auch, ohne die Genesis und den Herrgott, einen solchen Sonntag geschaffen haben, sie feiern ihn in Liebe, die sie auch, ohne in der Kirche gewesen zu sein, mit hinaustragen ins Freie.


Pfingsten wird mit Maienbäumen aufgeputzt, der Weihnachts-Abend mit Tannengrün, welches man dann in allen Konditoreien und Weinhäusern zu Lauben, Girlanden, Dekorationen der Wände u. s. w. angewendet sieht. Der Lübecker kennt Volks-Vergnügungen. Er feiert seinen Christabend nicht allein in der Stille des Hauses, nein! es zieht ihn hinaus auf den Christmarkt, in die Öffentlichkeit, in den Rats-Weinkeller, wo die langen unterirdischen Gange hell erleuchtet sind, wo sich die Freude drängt. Ich habe bei dem Weihnachts-Volksfeste nie ein zu Viel wahrgenommen, nie eine Ausartung des Vergnügens in Rohheit, nie eine Unanständigkeit, die das bevorstehende Christfest profanieren könnte.

Die Lübecker haben in dieser Hinsicht vielen Takt. Wer könnte es ihnen aber verargen, wenn sie das Fest der Christenheit, außer kirchlich, auch lebensfroh begehen? — Außer Israelsdorf hat Lübeck noch die Fischerbuden an der Wakenitz, die Lachswehr zu öffentlichen Vergnügungsorten, unzählige Sammelplätze für die untere Volksklasse abgerechnet. Die Begüterteren haben ihre Gärten und Landhäuser, in welchen ein gastliches Familienleben herrscht, welches — wie schon früher bemerkt — dem Fremden das einsame Lübeck so anziehend macht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus den Hansa-Städten