Im Süden der Stadt liegt das Mühlentor

Im Süden der Stadt liegt das Mühlentor. Es wurde erbauet, nachdem Carl IV, im Jahre 1375, die Stadt besucht hatte. Bis dahin befand sich nämlich der Eingang in dieselbe weiter links. Angeblich ihm zu Ehren dass kein menschlicher Fuß die Stadt an der Stelle betreten solle, wo der Schöpfer der goldenen Bulle seinen Einzug gehalten, vermauerte man das frühere Tor. Unweit desselben, im Osten, liegt das Hüxtertor. Diesem gegenüber, an der Westseite der Stadt, liegt das Holsteintor, jenseits der Trave, über welche eine schmale steinerne Brücke zu dem Letzteren führt. Es erprangt in seiner ursprünglichen, alten Festigkeit mit hohen Giebeln, dicken Türmen und starken Mauern. An der westlichen Seite des Tors, das, wie ein mächtiger Koloss, seltsam gegen die friedfertigen Mienen Lübecks absticht, gewahrt man die Inschrift: Concordia domi et fovis pax sane res est omnium pulcherrima. Das Holsteintor ist aus der Frühzeit Lübecks in die jetzige moderne freie Hansestadt mit hinübergeschritten. Es sieht wie eine Charakter-Skizze des alten Hauptes der Hansa aus, welches fest und kräftig, wie das Tor gen Holstein, umherblickte. Die lateinische Inschrift hat an Wert verloren, seitdem Lübeck keine Wahl mehr zwischen Krieg und Frieden hat. „Concordia domi.“ — Die Lübecker sind einträchtige, fromme Leute geworden, die sich unter einander Nichts zu Leide tun und auf ihren Dorsch - und Schweinebraten stolz sind. Eine Revolution ist hier nicht zu fürchten. „Fovis pax.“ Lübeck lebt mit der ganzen Welt im Frieden, es muss mit der ganzen Welt im Frieden leben; denn seine Zeit ist vorüber: seine Flotte ist vernichtet, sein Ostsee-Ansehen ist dahin, seine Brömse schlafen, und nur der alte Koller von Gustav Wasa, in der Kathrinen-Bibliothek, erinnert Einem daran, dass Lübeck einst eine entscheidende Stimme in der europäischen Politik hatte. Großer Gott! wie sich die Zeiten ändern. Borchers redigiert jetzt die „Lübeckischen Anzeigen.“ Über ihnen schwebt der kaiserliche Adler, in ihnen wird über Käse und Sardellen, über Kaviar und Bratwürste verhandelt. Das ist das einzige Blatt, welches in Lübeck erscheint. Statt Lübeckischer Annalen hat man Lübeckische Anzeigen. Nicht einmal eine kriegerische, gefährliche Journalistik treibt hier ihr Wesen. Borchers macht der Zensur Nichts zu schaffen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus den Hansa-Städten