29. Alter Pole

Das ist ein Pfiffikus, einer, der über die polnische Frage nachdenkt und sie zweifelsohne schon bei sich gelöst hat. Er kennt die Vergangenheit ganz genau und weiß, dass Napoleon sich zum König von Polen gemacht hätte, wenn er nicht vom Wiener Kongress abgesetzt worden wäre. Alle Kriege der Welt sind überhaupt nur um Polen geführt worden. Kaiserin Katharina hat, weil sie Friedrich dem Großen einen Korb geben musste, ihm zum Trost die preußischen Provinzen Polens vorgeworfen. Aus reinem Mitgefühl und Edelmut. Die Fremden sind immer auf Polens Kosten nobel gewesen. Das wird auch diesmal das Ende vom Liede sein.

So ist seine Geschichtsauffassung, von der er nicht abzubringen ist. Die Russen haben vergebens versucht, ihn in der Schule zu einer anderen Ansicht zu bekehren, indem sie alle Schuld auf die Preußen warfen. Er lässt sich nichts vormachen. „Wer in der Mitte liegt, hat den Schaden!" denkt er. So engel- und kinderrein, wie sich die Russen in dem berüchtigten Manifest von Nicolai Nicolajewitsch gewaschen haben, sind sie nie gewesen. Man braucht nur das Wort „Ochrana" „Geheimpolizei" auszusprechen, so weiß jeder in Polen Bescheid. Nun, wo es schlecht bestellt ist um Väterchen Zar, möcht' er es mit keinem, selbst nicht mit seinen „lieben Juden" verdorben haben, die man doch jahrelang durch Pogroms wie einst die ersten Christen in Rom durch die Tiere der Arena vernichten wollte. „Wenn es dem Russen ans Fell geht, wird er zärtlich", denkt der Alte verschmitzt, zieht an seiner kalten Pfeife, schaut in seine leere Teetasse und summt eins vor sich hin. Ganz leise, dass es keiner außer ihm versteht: „Jeszcze Polska nie zginela! Noch ist Polen nicht verloren!"
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus Litauen, Weißrussland und Kurland