20. Jüdischer Gepäckträger

Ein jüdischer Gepäckträger. „Ach was! So etwas gibt es wirklich? Juden sind doch nur reiche Leute. Leute, die Geld zusammenscharren, oder schon so viel haben, dass sie es ausleihen. Natürlich nur gegen hohe Zinsen." Also spricht der „Westler", der zum erstenmal in den Osten nach Russland kommt und schaut sich den alten Kerl, der seinen Koffer von dem Zuge zur Droschke schleppt, auf der natürlich ein jüdischer Kutscher sitzt, noch einmal von der Seite an. Richtig! Es kann stimmen im Profil. Aber er sieht gar nicht wie ein Großkapitalist aus. „He! Alter Freund, wie viel nehmt Ihr ein jeden Tag?"

„Wie viel ich einnehme?" wiederholt der Alte nach hiesiger Art die Frage und wischt sich unter seiner Last über die Stirn. „Nuh! Wie Gott gibt! Amol zwei Mark, amol drei Mark, amol gar nischt!" „und amol auch mehr, nicht wahr?" „Eso wahr soll ich gesund sein, wie ich nischt mehr verdiene als drei Mark", beteuert der Alte.


„Gott wird Dich gesund sein lassen. Hier habt Ihr fünfzig Pfennig und noch einen Groschen dazu. Ihr nehmt doch deutsches Geld?" „Daitsches Geld! Warum nicht! Gott soll Aich behieten vor allem Bösen und Aier Weib und Aier Kinderleben dazu, gutter Herr!"

Der Wagen klappert davon. Der Alte blickt ihm nach wie dem Leben, das an ihm vorüberfährt. Dann schaut er auf das Geld in seiner Hand. „Was für Fragen ain Goi tun kann!" denkt er und geht seufzend gemächlich wieder an seine Arbeit zurück.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus Litauen, Weißrussland und Kurland