14. Kloster Poshaisstzje

In Tannenwäldern vergraben liegt es über dem Knie der Memel oberhalb von Kowno. Auf einer Anhöhe, die seit altersher „Mons pacis", der Berg des Friedens, benannt wurde. Ein mächtiger barocker Dom mit zwei roten Türmen und einer grünen Kuppel krönt die Spitze. Ein frommer litauischer Großer aus einem alten Adelsgeschlecht hat ihn erbaut. Christopher Sigismund Paz hieß er im Leben und im Tode. Näher betrachtet muss man sagen, dass seine Frömmigkeit freilich im Volke stark angezweifelt wurde. Man erzählte sich, dass er im Kloster mit den Nonnen getanzt und auch gern dem Becher zugesprochen hätte. Jederzeit, und ohne die leiseste Rücksicht auf die Fasten zu nehmen. Rings um den Dom und in seinem Schatten hausten, wie die Küchlein unter die Klucke geduckt, die Mönche des Camaldulenser Ordens, die sich auf Veranlassung von Paz, der bei einem Aufenthalt in Perugia Bekanntschaft mit diesem Orden geschlossen hatte, hier ansiedelten. In niedrigen, weißgetünchten Zellen, die nur das Kruzifix schmückte, waren die frommen Brüder mit Beten und Bußübungen Tag und Nacht beschäftigt. Und wenn sie einander auf ihren Gängen im Klostergarten begegneten, flüsterten sie sich, mit scheuen Blicken an einander vorbeisehend, ernst „Memento mori!" zu, die beiden einzigen Worte, mit denen sie das Schweigegelübde, das sie band, durchbrechen durften.

Nach dem großen polnischen Aufstand von 1830 wurde das alte katholische Kloster von den Russen rücksichtslos der orthodoxen Kirche übergeben, die den Altarraum des Domes, den eine schwere schöne Stuckdecke und rötliche, schwarz gesprenkelte Marmorsäulen zierten, mit dem Ikonostas, der Bilderwand, durchzogen und von dem früheren Schmuck nur das in hoher Verehrung beim Volke stehende Marienbild an seinem Platze ließen. Die katholischen Mönche wanderten von dannen und russische Popen machten sich in ihren heiligen Zellen und im Dome breit. Vergebens runzelte der alte Paz auf seinem Bildnis im Refektorium die schwarzen Brauen über diese Vergewaltigung seiner Stiftung und blickte wütend und fragend seine ihm gegenüber liegende schöne Gemahlin, eine französische Gräfin de Mailli, an: „Was sagst Du zu dieser Frechheit, Isabella?" Die orthodoxen Priester sangen unbekümmert ihre Litanei in seiner Kirche weiter und schritten achtlos über sein Grab hinweg, das Altertumsfreunde unter unsern Soldaten, die einen Sommer lang in dem verlassenen Kloster lagen, unter den Steinfliesen zur Rechten des Eingangs in die Kirche entdeckt haben. Dort ruht die Leiche des Begründers des Klosters, seiner eigenen Anordnung gemäß, damit sein Staub von Jedem Besucher der Kirche mit Füßen getreten werde. Zum Zeichen der Reumütigkeit des hohen Herrn soll einst die jetzt abgetretene Inschrift in den Grabstein gemeißelt gewesen sein, die über Jeder menschlichen Gruft stehen könnte: „Hic iacet peccator!" Hier liegt ein Sünder!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus Litauen, Weißrussland und Kurland