13. Kirchenruine bei Krassny Dwor

Dies war eine Kirche. Oben auf den Hügeln über dem, lieblichen grünen Tal der Niewjaska, des kleinen Njemen, der flink und schmal wie die Ilm das Land durcheilt, stand sie und grüßte mit ihrer zarten Glockenstimme den jungen rosigen Tag und die herniedersteigende braune Nacht. „Droben stehet die Kapelle, schauet still ins Tal hinab." Allsonntäglich kam die Gutsherrschaft von dem nahen Schloss Krassny Dwor, um sich im Gebet mit ihren Bauern zu vereinigen.

Nun ist der Engel der Vernichtung vorübergezogen und hat aus dem friedlichen Kirchlein einen wüsten Trümmerhaufen gemacht. In dem weißen Bauschutt entdeckt der darüber Kletternde noch Reste von dem zierlichen Stuckfries, der sich im Innern um das Schiff der Kirche schlang. Das Türmchen, das heruntergeschossen wurde, liegt zerschmettert wie das Haupt des Goliath auf der steinernen Leiche. Verrostete Drähte, die wie Spinnennetze an ihm hängen, verraten noch, warum die Kapelle als Beobachtungsstation dem Feuer der Artillerie zum Opfer fallen musste. Das Strahlenkreuz auf der Spitze selbst ist noch unversehrt und funkelt im Sonnenglanz wie der Geist der Liebe über dem wüsten Durcheinander. Ein altes Mütterchen sammelt aus dem zersplitterten Gebälk, das wie zerbrochene Knochen aus dem Schutthaufen ragt, Brennholz für ihren Ofen und wärmt sich mit den Überbleibseln der Beichtstühle, an denen sie einst gekniet hat. Die Gräber des Friedhofes, die im Grase rings um die Kirche verstreut liegen, schauen dem allem mit toten Augen zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus Litauen, Weißrussland und Kurland