07. Napoleonshügel an der Memel

Man denkt an die sächsische Schweiz, wenn man auf der Memel fährt oder auch an manchen Stellen, wo die Ufer besonders hoch und bewaldet sind und das Dach eines Herrenhauses oder der zinnengekrönte Turm eines Schlosses herunterwinken, an den Rhein und die Mosel. Schiffe mit den Radkästen hinten am Bug rauschen wellenaufschaufelnd vorüber. Noch kennzeichnender für den Strom sind die vielen Flöße, die kaum hörbar mit der Strömung bergab treiben. Fast auf jedem brennt ein Feuer, dessen rotes Licht mit der Abenddämmerung leuchtender wird. Aus den Borken- oder Weidenhütten, die man zum Schlafen oder zum Schutz gegen den Regen auf die schwimmenden Hölzer gebaut hat, kriechen zuweilen Menschen hervor, die mit der Flusslandschaft verwachsen zu sein scheinen. Zahlreiche Holzsägereien an den Ufern vollführen gemächlich ihre Arbeit. Pferde weiden auf den Flusswiesen und rote und braune Kühe, die sich im Sommer gern bis an den Bauch in das gelbe Wasser der Memel stellen. Schwalben, die in kleinen Löchern an den sandigen Böschungen nisten, flitzen lautlos das Ufer entlang. Und das einzige Geräusch, das man außer den Sägen zuweilen vernimmt, kommt von den Wäscherinnen, die ihre Wäsche auf den Flusssteinen mit Waschhölzern klatschen und klopfen und dazu singen:

Weibchen, nimm den runden Taler,
Kauf Dir feine Seife!
Frisch und blühend sollst Du sein
Wie dereinst beim Mütterlein.


Ach, bei meiner lieben Mutter
Blüht ich wie die Rose,
Seit ich bei Dir Schmutzfink bin,
Welk' ich wie die Minze hin.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus Litauen, Weißrussland und Kurland